die Bücher

Cover Menschenwürde und Gemeinwohl

Menschenwürde und Gemeinwohl
statt Geltungssucht und Habgier (2017)

Einsichten und Forderungen zur Gestaltung des Gemeinwesens
am Beispiel SONNTAGSSCHUTZ

Warum nur genehmigen Stadtverwaltungen permanent verkaufsoffene Sonntage, die dann regelmäßig von Gerichten als „offensichtlich rechtswidrig“ wieder unterbunden werden?! In dem Buch stellt der Autor verschiedene Zusammenhänge dar, um zu verstehen, um dann aber um so deutlicher den Schutz des freien Sonntags als soziales Kulturgut einzufordern.

ISBN 978-3-9814092-8-4
66 Seiten | Softcover | vergriffen

Cover Mit den Psalmen lebt sich's anders

Mit den Psalmen lebt sich’s anders (2016)

Rainer Petrak erzählt von seiner Begegnung mit den Psalmen der Bibel und ihrem Gott.

  • Das Buch beginnt mit Augenblicken des Alltags, denen sich der eine oder andere Psalm zugesellt, so dass der Blick sich weitet und verändert.
  • Dann die Überlegung, was denn eine solche Verbindung zwischen dem eigenen Leben und den Psalmen bringen kann.
  • Und der Versuch, jeweils von einem Psalm ausgehend, Anstöße zu spüren für mehr Leben in der Gegenwart.
  • Im letzten Teil geht es um eine konkrete Möglichkeit, die Chance mit den Psalmen zu nutzen: das kirchliche Stundengebet.

ISBN 978-3-9814092-7-7
151 Seiten | Hardcover | vergriffen

Bitte nicht löschen!

Vorwort

Ein Wort vorab

Mit anderen Menschen zu teilen, was einem wichtig ist, scheint ein verbreitetes Bedürfnis zu sein. Nach-richten, Beiträge, irgendwelche Inhalte mit anderen zu „teilen“, findet nicht nur bei Facebook & Co. viele Inter-essenten. Und in der Kirche? Den Glauben miteinander teilen? Der Glaube wird zwar „weitergegeben“ – viele bemühen sich jedenfalls darum. Aber kann man da auch die Erfahrung machen, dass Menschen sich austauschen in ihrem Glauben, so wie sie ihn wirklich meinen, verstehen, leben, …? Da wird zwar viel „kommuniziert“, aber der Glaube ist da eher – wenn überhaupt – nur ein Thema, über das geredet wird. Häufig in Form von Diskussionen darüber, was man glauben „muss“, oder auch, was man doch überhaupt nicht glauben kann. Auf persönliche Weise sich in Sachen Glauben auszutauschen, findet eher in Freikirchen statt. Und unter „norma-len“ Katholiken oder Protestanten breitet sich schnell ein Gefühl von Peinlichkeit aus, wenn jemand (gar ein Pfarrer) sich mit seinen Fragen oder Freuden am Glauben outet. Das „Bibel-Teilen“1 (in 7 Schritten) mit dem persönlichen Austausch als wesentlichem Element ist da ein neuer Trend. Auch die „Wege erwachsenen Glaubens“2 finden zunehmend Anklang. Aber ungebro-chen ist in den Großkirchen der Vorrang von Erklärung, Darlegung, Vermittlung, Information, Belehrung. Und viele gehen von dem unangefochtenen Grundsatz aus: Dafür gibt es Fachleute, die besser Bescheid wissen. Aber Menschen, die ihrer Sehnsucht nachgehen wollen, auf dem Weg des Glaubens und mit Gott mehr zu leben, suchen das Glaubensgespräch mit anderen. Das Fachwissen von Theologen reicht ihnen nicht. Jugend-liche wie Erwachsene habe ich oft sagen hören: Wie schade, dass man so selten mit anderen über den Glauben reden kann!

Wenn das hier auch nur ein Buch ist und nicht ein Ort persönlicher Aussprache, so mag es darin doch Anregungen geben, die Mut machen und mit Hilfe eigener Fantasie und Sehnsucht auf einen Weg bringen. Ohne zu wissen, bei wem und wie ankommt, was ich schreibe, „teile“ ich hier Erfahrungen und Einsichten meines Glaubens an den Gott der Bibel, wie er sich mir in der Begegnung mit den Psalmen mitteilt. Das ist kein Lehrbuch über die Psalmen, auch nicht über das Beten mit den Psalmen. Meine Absicht ist nicht, Erklärungen oder Deutungen der Psalmen darzustellen. Vielmehr erzähle und beschreibe ich. Und manchmal gebe ich Begründungen, wie ich dazu komme und was ich mir dabei denke. Am schönsten fände ich es, wenn Leser dazu angeregt werden, mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen und selber die bereichernde Erfah-rung zu machen: „Mit den Psalmen lebt sich’s anders“.

Der 1. Teil des Buches bietet den Weg an, der bei Augenblicken des Alltags beginnt und dem sich dann der eine oder andere Psalm oder Psalm-Teil zugesellt und so den Blick weitet oder verändert. Natürlich sind das Beispiele, die im Leben jedes Menschen wieder anders aussehen. Aber vielleicht legen sich Übertragungen ins eigene Leben immer wieder nahe.
Der 2. Teil fragt sich – manchmal ziemlich abstrakt und „tiefschürfend“ – , wie verlässlich, wie lohnenswert eine solche Verbindung zwischen dem eigenen Leben und einer Begleitung durch die Psalmen denn wirklich ist.
Der 3. Teil lädt ein, den Weg von der anderen Seite her zu versuchen: jeweils von einem Psalm ausgehend hinzuhören, was er mir für mein Leben in der Gegenwart sagen mag und wozu er mich anregen kann.
Der 4. Teil beschreibt, wie ich eine Möglichkeit nutze, die die kirchliche Tradition bereit hält: das Stundengebet, in dem die Psalmen einen gewichtigen Platz einnehmen. Ich „teile“ darin meine Art, wie ich mich da hinein begebe, wie ich das erlebe und wie es mir damit geht.

Wohl bekomm’s!
Rainer Petrak

Inhaltsverzeichnis

Ein Wort vorab
Wenn ich mich berühren lasse

Das große Staunen
In der Not
Vertrauend sterben und leben
Meine Feinde
Griechenland ab 1. Juli 2015
Egoist oder geliebter Nichtsnutz?
Idiotisch oder normal?
Fortschritt mit Gott?
Gewalt und Krieg, Hass und Rachsucht
Das ist mir fremd
Eine Frage der Einstellung

Die eigene Sichtweise – oder die Wahrheit?
Staunen, das sich nach mehr ausstreckt
Die eigene Sprache des staunenden “Lobes”
Wie der Fisch im Wasser
Wenn der Mensch nicht Gott ist
Plädoyer für die Psalmen
Anstöße

Psalm 50 Not lehrt beten
Psalm 150 Freude am Gotteslob
Psalm 63 Mein Herz hängt an dir
Psalm 103 Spuren in meinem Leben
Psalm 146 Gottes soziale Gerechtigkeit
Psalm 91 Mein Vertrauen
Psalm 104 Freude an der Schöpfung
Psalm 38 Klage
Psalm 43 Recht
Psalm 10 der Frevler und die Armen I
Psalm 57 der Frevler und die Armen II
Psalm 6 Elend, „vergeistigt“?
Psalm 48 Stadt Gottes
Psalm 22 Der leidende Christus und ich
Abenteuer Stundengebet

Wo begegne ich Psalmen?
Mein Tagesanfang
Auf Empfang
Fenster zur Ewigkeit
In diesem Zimmer
Allein und doch interaktiv
Das Leben singend atmen
Unandächtig oder persönlich?
Abwechslungsreiches Programm zum Start in den Tag
Perspektive

Anmerkungen
Verwendete Psalmen und andere Bibelstellen

Leseprobe

Aus dem 1. Teil „Wenn ich mich berühren lasse“

Das große Staunen

Total schwarzer Himmel. Keine Wolke, kein Mondlicht. Aber was für eine Unmenge von hellen Lichtpunkten, die manchmal so dicht beieinander standen, dass sie fast geschlossene Flächen von Licht bildeten!
Ein Anblick, der uns fesselte. Eine gefühlte Stunde lang gingen Roland und ich an der Grenze zwischen Sand und Wasser zu unserer Unterkunft zurück. Viele Worte redeten wir nicht. Der faszinierende Nachthimmel über der griechischen Ägäis-Küste belegte uns voll mit Beschlag.
Viele Jahre später sagte mir Roland, nie davor und nie danach habe er auf einen Schlag so viele Sterne gesehen. Es war wirklich unbeschreiblich.
Heute weiß ich nicht mehr, welche Gedanken mir damals durch den Sinn gingen. Ein großes Staunen erfüllte uns jedenfalls. Wenn ich mich heute daran erinnere, kommt mir bei diesem Bild, das auch ich nie wieder so erlebt habe, einiges in den Sinn:
Das alte Abendlied „Weißt du, wie viel‘ Sternlein stehen an dem weiten Himmelszelt? … Gott, der Herr, hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet an der ganzen großen Zahl …“
Und meine Tante Traudel. In einem unserer Streitgespräche, die ich in jungen Jahren gerne mit ihr hatte, sagte sie einmal: Wenn es diesen Gott wirklich geben sollte, der das ganze unermessliche Universum geschaffen hat, dann kann der unmöglich dieses Staubkorn Erde kennen, geschweige denn ein Interesse haben an mir oder dir oder am Schicksal irgendeines der Milliarden von Erdenmenschen!
Spontan gesellen sich in mir dazu die Worte aus dem Psalm 8: „… Sehe ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt: Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst!!!“
Meine Tante war da offensichtlich ganz nah dran. Nur – aus dem Staunen, das sie ebenso erlebte wie der Psalm, zog sie eine andere Konsequenz. Schade, denn ich mochte sie.
Mir klingt da eher Beethovens wuchtiger Chorgesang in den Ohren: „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre, … Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne? …“ und der entsprechende Psalm 19, der Ursprung dieses Gesangs: „Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes … ohne Worte und ohne Reden, unhörbar bleibt ihre Stimme. Doch ihre Botschaft geht in die ganze Welt hinaus …“
Ja, dieses „Reden ohne Worte“, diese „nonverbale Kommunikation“ Gottes, seine Selbstmitteilung mit mir und mit uns Menschen überhaupt beschäftigt mich immer wieder, wenn ich ins Staunen gerate.
Zum Beispiel wenn mein „köstliches Monster“ (monstera deliciosa oder Fensterblatt) schon wieder ein neues Blatt treibt und wie jedes Mal zu meiner Verwunderung sich aus der kleinen Spitze, die sich vom Stängel ablöst, ein so anmutig geformtes und zu riesiger Größe sich entwickelndes Blatt entfaltet.
Oder wenn eine Verletzung meiner Haut sich von ganz allein wieder gibt und mich das meine umfassenden Selbstheilungskräfte ahnen lässt.
Wenn ich diese so winzigen Gliedmaßen des neugeborenen Jonathan sehe und weiß, dass auch in seinem Inneren ein fantastisch funktionierendes Zusammenspiel der Organe abläuft, von dessen Imitation jede moderne menschliche Technik nur anmaßend träumen kann! …
Und dieser Tage, beim Wandern durch üppige Blumenwiesen in Tirol fuhr es durch mich: „Wie viele Millionen von Jahren hast Du daran gearbeitet, damit ich heute hier diese wunderschöne kleine violette Blüte bewundern kann!“ Meine Anmaßung des „für mich“ lasse ich – entgegen Tante Traudel – unkorrigiert stehen, seit mir ein Wort des Apostels Paulus in vertraute Nähe gekommen ist: „… lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat.“ (Galater 2,20) Für mich! Das geht noch weit über das hinaus, was Tante Traudel allenfalls Dir zuzutrauen vermochte! Ja, mein Herr und mein Gott – so spreche ich Ihn gerne mit den Worten des Apostels Thomas an (Johannes 20,28) – , Du kennst und liebst mich halt: „… du hast mich erforscht und du kennst mich. … du weißt von mir. … du bist vertraut mit all meinen Wegen. … du hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter. Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke. …“ (aus Psalm 139) Bernd meinte dazu (allerdings lachend): „Bei mir hätte er sich etwas mehr Mühe geben können.“
Und in den vielfältigen Anlässen, die manchem Blick sich als selbstverständlich darbieten, – weil sie so zuverlässig vorgegeben sind – , die mich aber zum Staunen bringen, höre ich Seine „nonverbale“ „message“: „Siehst du, so gut und so schön und wertvoll, wie du es in so vielen „Gegebenheiten“ der „Natur“ staunend erkennst, so gut und so schön und wertvoll will ich es mit euch Menschen machen – in deiner Lebensgeschichte und in deiner Umgebung wie auch in eurer ganzen Welt. Ihr seid mir eben „heilig“, mein Eigentum, auf das ich nichts kommen lasse!

Aus dem 2. Teil „Eine Frage der Einstellung“

Die eigene Sprache des staunenden „Lobes“

Liebende fassen ihre Freude aneinander in Worte: „Du bist schön …“
Auszubildenden ebenso wie Dienstleistern und Politikern teilen ihre Ausbilder, Kunden und Bürger ihre Zufriedenheit mit Worten mit, und die so Gelobten erwarten das auch.
Kinder in der Schule brauchen das Lob als Motivation und Bestärkung und Anerkennung.
Wenn „ich“ mit „dir“ meine Freude teilen will, die ich an dir habe, bringe ich dir gegenüber das zum Ausdruck – in der persönlichen Begegnung durch Gesten, Mimik, Tonfall, …, ansonsten – schriftlich oder mündlich – durch Worte.
In all diesen Situationen der Begegnung lauert ein Missgeschick: Was Worte des „Lobes“ transportieren, – das kann entweder eine „staunende“, persönlich anteilnehmende Freude sein oder aber eine – wenn auch noch so positive – jeden Staunens bare „objektive“ Beurteilung (durch eine richtende, also mir übergeordnete Instanz). Wer Lob austeilt, bei dem riskiere ich gegebenenfalls auch Tadel. Zwischen so lobender und gelobter Person gibt es ein Gefälle. Worte aber, die „loben“ im Sinne des Teilens meiner Freude mit der Person, die sie mir verursacht hat, geschehen auf Augenhöhe. Das Lob eines fachkundigen Profis für die Qualität meiner Arbeit hat einen völlig anderen Stellenwert, als wenn jemand mir deutlich macht, wie sehr er oder sie sich an mir freut. Fatal, wenn frohes Lob als beurteilendes Lob rüberkommt! Da kann eine Liebesäußerung zum Machtspiel verkommen.
Vielleicht am deutlichsten wird das Problem, wenn ich in einem mich freudig überwältigenden Ereignis die Begegnung mit Gott als dem verursachenden Du erkenne: Wie sollte ich in der Lage sein, Ihn zu beurteilen! Wer wollte sich anmaßen, als beurteilende Instanz über Ihm zu stehen? Aber wenn ich mich an Ihm freue, kann ich gar nicht anders, als Ihm das zu sagen.
„Gott loben“ gilt als eine Grundfunktion des Glaubens. Menschen meinen oft, sie können das nicht, weil sie angesichts von Kriegen und anderen Katastrophen ihm nicht einmal ein „ausreichend“ geben können. Andererseits sehen viele in Gott den Verursacher so vieler staunenswerter Erfahrungen, dass sie nicht anders können, als ihm begeistertes „Feedback“ zu geben.
Goethes Faust sagt zu einem solchen Augenblick: „Verweile doch! Du bist so schön!“ Und der Mensch, dem im Staunen das Glück aufgeblitzt ist, möchte das Beglückende immer wieder erleben.
Eigentlich sehnt sich der Mensch (so lange er es sich nicht verbietet – zum Beispiel als „Realist“, um „bestehen“ zu können) nach einem endlosen Dauerzustand dieser Art, nach „Himmel“, „Vollendung“, „Gott in Ewigkeit loben“.
Allerdings: Im selben Moment, da jemand so bewusst die Beziehung zu Gott reflektiert, also aus der Distanz darauf schaut und daher „vernünftig“ in die „Realität“ zurückkehrt, wird er sich wohl mit dem Münchner Engel Aloisius von Ludwig Thoma sagen: „Auweh! Dös werd schö fad!“ oder aber mit Ludwig Feuerbach: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“
Wenn ich in einer Frage, die für mein Leben bedeutsam sein könnte, mir eine Meinung bilden und eine Entscheidung treffen will, so habe ich als Mensch meiner Zeit gelernt, was ich auf dem Weg dorthin tun muss: Als erstes brauche ich solide Information, um zu analysieren, was da wirklich geschieht. Dann werde ich in Verantwortung gegenüber den Werten, die ich erkannt habe, den Rat Kundiger einholen und mir ein Urteil bilden. Das Ergebnis werde ich in Verbindung bringen mit meinen Fähigkeiten und Kräften zur Realisierung. Sehen, urteilen, handeln. Mit Hilfe von Synergien kann ich das schließlich zu optimieren versuchen.
Dieser rational bestimmte Weg scheint aber gegenüber all dem, was mich zum wirklichen Staunen bringt, zu versagen und in die Irre zu führen. Welcher Weg und welche Schritte sind da angemessen? In den Psalmen und anderen Texten der Bibel beginnen Menschen diesen Weg immer wieder damit, dass sie sich gegenseitig ihrer Freude an Gott und ihres Vertrauens zu ihm vergewissern, ihn „loben“ und dabei ihr Staunen und Fragen miteinander teilen.
Auch sonst will sich ja eine staunende Person nicht nur auf das Gegenüber hin bewegen und sich mitteilen, dem sie die Ursache des Staunens verdankt. Meistens will sie zugleich ihr Staunen mit Anderen teilen: Im politischen Bereich wird so die packende Einsicht, die zum problemlösenden Handeln bewegt, zur Solidarität mit Betroffenen. Oder wer von einer Musik neu begeistert ist, will sie mit Freunden gemeinsam erleben. Der Forscher – ebenso wie der Whistleblower – muss neu Entdecktes unbedingt veröffentlichen! …
Jedes Staunen öffnet sich dem Anderen, dem Neuen, dem Mehr, dem Ungeahnten. Staunen ist der Zugang zur Wirklichkeit, wo die vertrauten Kategorien der Wahrnehmung und der Urteilsbildung sich als gegenstandslos zeigen und ich mich dem „Größeren“ anvertraue, ja vielleicht überlasse.
Anders gesagt: Wenn ich dem für mich Neuen, der größeren Wirklichkeit begegne und ich verstehen will und deshalb frage, dann ist es wohl so, wie ich es – mit staunender Entdeckerfreude, wie plausibel der das formuliert hat – von einem weisen Alten gelesen habe6: „Fragst du, wie das geschieht, dann frage … die Sehnsucht, nicht den Verstand; … den Bräutigam, nicht den Lehrer; Gott, nicht den Menschen; … nicht das Licht, sondern das Feuer, das die Seele ganz entflammt und in ekstatischer Ergriffenheit und in glühenden Gemütsbewegungen zu Gott hinüberträgt.“
Viele Stellen der Bibel sprechen von Gott, der Menschen zum Staunen veranlasst:
„Kommt und seht die Taten Gottes! Staunenswert ist sein Tun an den Menschen!“ (Psalm 66,5)
„Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke.“ (Psalm 139,14)
„Jetzt aber setzt er viele Völker in Staunen, Könige müssen vor ihm verstummen. Denn was man ihnen noch nie erzählt hat, das sehen sie nun; was sie niemals hörten, das erfahren sie jetzt.“ (Jesaja 52,15)
„Außer sich vor Staunen sagten sie: Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen.“ (Markus 7,37)
„Er trieb den Dämon aus, und der Stumme konnte reden. Alle Leute staunten und sagten: So etwas ist in Israel noch nie geschehen.“ (Matthäus 9,33)
„Die Leute aber staunten und sagten: Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar die Winde und der See gehorchen?“ (Matthäus 8,27)
„Und alle, die es hörten, staunten über die Worte der Hirten.“ (Lukas 2,18)
Für mich gibt es ja noch einen anderen ganz wichtigen, für das Leben meines Glaubens zentralen Ort, die Freude an Gott in Staunen und Lob und Dank zu erleben:
Wenn auf einen zu ehrenden Menschen – etwa bei einer Preisverleihung – eine Laudatio gehalten wird (auch manche Grabrede ist so konzipiert), dann wird aufgezählt, was alles der zu Ehrende an Gutem, Großem, Wertvollem, Erfolgreichem getan hat, wie viel Engagement und Herzblut er dabei an den Tag gelegt hat. Ursprünglich und eigentlich stellt auch im (katholischen) Gottesdienst das „Hochgebet der Eucharistie“, dieses große Lob- und Dankgebet, eine solche Laudatio dar, die in ihrer Aufzählung auch schon vorab dankbar alles das einbezieht, was vertrauensvoll von dem Hochgelobten noch alles erhofft und deshalb erbeten wird.
In der Praxis des kirchlichen Lebens wurde dieser zentrale Aspekt allerdings weitgehend überlagert durch anderes, das sich zum Beispiel im Knien darstellt, in zunehmender Zahl der eingefügten Bitten, im schnellen und unpersönlich klingenden Sprechen des Priesters, im Verlagern des preisenden Erhebens der Gaben vom abschließenden Lob und Gemeinde-Amen hin zu den Worten von der Einsetzung, … Statt sehnsüchtigem Ausstrecken nach Nähe zum Gelobten und nach Mehr von all dem, erlebt häufig der interessiert-neugierige Gast und Besucher, dass die teilnehmenden (?) Mitfeiernden (?) eher unbewegt in den hinteren Bänken auf (ehrfürchtige?) Distanz bleiben. Mich in solcher Gemeinschaft zu Lob und Dank gegenüber Gott anstecken zu lassen, muss ich oft eher in bewusst erinnerter Perspektive suchen; manchmal, ja selten gelingt das am ehesten durch den lebendigen Gesang einer Gemeinde.

Aus dem 3. Teil „Anstöße“

Psalm 38

Von meinem normalen Lebensgefühl her ist mir dieser Psalm fremd. Er liegt mir fern. Das ist nicht meine Situation. So sehe ich mein Leben nicht. Zum Glück auch. Nein, das kann nicht mein Gebet sein. Und habe ich nicht von Gott eine andere Vorstellung?
Aber dann fange ich noch einmal an und weise diese Sicht hinter mich. Ungebremst „naiv“ überlasse ich mich von neuem dem Psalm, lasse mich ein auf ihn und füge mich ein in das, was mir da begegnet. Ich probiere es. Ich ahne Fragen: Ist da vielleicht etwas in mir, wo ich mich doch so fühle? Etwas, was mir meistens nicht bewusst wird, weil ich ein solches Gottesbild ablehne? „Getroffen von Gottes Zorn“? Gestraft? Seine Hand, die schwer auf mir lastet? Mein Leben durch und durch krank? Was ich mir selber eingebrockt habe? Oder traurig und kraftlos? Von aller Welt verlassen?
Schließlich bin auch ich ja oft genug der Einstellung begegnet, man müsse sich vor dem Gott hüten, der doch alles sieht. Und wie oft bemühen Menschen Gott, wenn sie sich über andere zornig ärgern, der soll doch endlich „mit Blitz und Donner reinhauen“. Gibt es nicht genügend Stellen auch in der Bibel, an denen Menschen ihr Glaubenszeugnis in solche – sehr menschlichen – Vorstellungen von Gott gekleidet haben? Stellen, die einer „strengen“ Vorstellung von Gott als Rechtfertigung dienen könnten? Wie viele Eltern, die es halt nicht anders kannten oder die mit der Erziehung ihrer Kinder hilflos überfordert waren, haben es dem Gott nachgemacht, „der in seinem Zorn straft“!
Da horche ich doch auf bei den anders klingenden Worten mitten in diesem selben Psalm, mit denen ein Mensch – trotz allem? – sich vertrauensvoll an Ihn wendet: „All mein Sehnen, Herr, liegt offen vor dir, …“ Ich will mir nicht anmaßen, quasi dogmatisch zu behaupten: Gott straft nicht. Aber ich traue Seiner „Barmherzigkeit“ (lieber würde ich sagen: Warmherzigkeit). Schon durch das Alte Testament und dann noch radikaler mit Jesus habe ich halt Gott anders kennen gelernt. Eher könnte ich also sagen: Ja, Herr, nach menschlichen Maßstäben und nach den „Werten“ unserer Welt (Gerechtigkeit, Lohn und Strafe, was einer „verdient“, Konsequenzen für Verantwortungslosigkeiten, …), so gesehen, weiß ich, da hätte ich eigentlich Deinen Zorn und gerechte Strafe verdient. Aber ich bitte Dich und hoffe darauf, dass Du in Deiner unfassbaren Liebe anders zu mir bist: dass Du mir stattdessen helfen wirst, damit ich mich so verhalten kann und werde, wie ich es ja als richtig und gut und wahr und als angemessen längst erkannt und eingesehen habe und auch will. Ich will Deine Nachsicht natürlich nicht ausnutzen und missbrauchen. Ich will auch nicht meine Hände „in den Schoß legen“ und meine Verantwortung für mich selbst an Dich abgeben.
Wenn ich gestrauchelt bin, macht der Psalm mir Mut, nicht den Kopf einzuziehen und mich von niederschlagender Angst vor Ihm beherrschen zu lassen. Vielmehr richtet er mich auf, mich vertrauensvoll „von Seinem Antlitz beleuchten“ zu lassen. Was andere Menschen betrifft, die vielleicht voller Zorn oder auch voller Schadenfreude mich schuldig und „straucheln“ sahen, darf ich dann „vor Gottes Angesicht“ mit den Worten des Psalms sagen: „Über mich sollen die sich nicht freuen, die gegen mich prahlen, wenn meine Füße straucheln.“
So kann mich dieser auf den ersten Blick so fremd anmutende Psalm dazu bewegen, gerade in einer leidvollen Situation von einer anerzogenen Vorstellung vom rachsüchtig-strafenden Gott zur Begegnung mit dem wirklich helfenden Gott zu kommen: „… mein Seufzen ist dir nicht verborgen. … auf dich, Herr, harre ich; du wirst mich erhören, Herr, mein Gott. Herr, verlass mich nicht, bleib mir nicht fern, mein Gott! Eile mir zu Hilfe, Herr, du mein Heil!“
Das kirchliche Stundengebet bietet diesen Psalm alle vier Wochen freitags an in der „Lesehore“. Für mich ist das die innere Vorbereitung auf die folgende längere Bibellesung: Um diesen Gott geht es (und um dieses Gottesbild), von dem da gleich die Rede ist. Und dort legt mir „Kleingedrucktes“ den Blick auf den gekreuzigten Jesus nahe: „Alle seine Bekannten standen in einiger Entfernung.“ (Lukas 23,40) Also Jesus als „ich“? Dann fangen alle die genannten Fragen noch mal von vorne an! Dann teilt sich da ja Der dem Vater mit, in dem „der Mensch“ sich verkörpert!
Und dann noch: Der Mensch! Mit dem ich mich solidarisch weiß! Dann sieht das wieder anders aus … Aus diesem Blickwinkel muss ich ihn dann noch einmal lesen – vielleicht ganz eins mit „dem Menschen“? Etwa mit dem Menschen im Angesicht der drohenden Klimakatastrophe?

Aus dem 4. Teil „Abenteuer Stundengebet“

In diesem Zimmer

Neben der Ikone hängt ein Kreuz, das ich vor Jahrzehnten geschenkt bekommen habe: Am Holz hängt – aus Kupferbronze gestaltet – die Darstellung des gekreuzigten Jesus. Er, der um Gottes willen und der Befreiung der Menschen wegen so brutales Leiden hinnahm, zeigt durch die dargestellte Körperhaltung bereits, dass er das alles überwunden hat und man sich nun seinen einladend ausgebreiteten Armen bedenkenlos anvertrauen kann. Auf dem Fußboden darunter der kunstvoll gestaltete Leuchter mit dem Rest der Osterkerze, deren Licht ich in einer der vergangenen Osternachtfeiern aus vollem Herzen und voller Lunge besingen durfte. Dazwischen das kleine Wasserbecken an der Wand, aus dem „schöpfend“ ich mich gerne mit dem Kreuz bezeichne: „Gepriesen bist du, mein Herr und mein Gott, Schöpfer der Welt, für mich am Kreuz gestorben! Vom Scheitel bis zur Sohle wandelst Du mir alles Linke in Rechtes. Daraus will ich schöpfen und leben!“
Zentrum des Zimmers ist ein runder Tisch, um den herum sechs Stühle stehen. Mein Platz beim Gebet ist der Stuhl, von dem aus ich den besten Rundblick durch das Zimmer und zum Fenster nach draußen habe. Und die anderen fünf Plätze?
Wenn „ich“ heute bete – „jetzt“ – , dann kommt ja ganz vieles zusammen: Ich mit meiner Lebensgeschichte mit ihren Höhen und Tiefen und all den Menschen, die sie mehr oder weniger geprägt haben. Meine Glaubensgeschichte mit den vielen Personen, die mich in Fragen und Freuden geformt, gebremst, gefördert haben. Und aus der Gegenwart Freunde und Verwandte wie auch Fremde, um die meine Sorgen und Hoffnungen kreisen.
In dem Bewusstsein, beim Gebet zugleich ganz persönlich und in großer Gemeinschaft versammelt da zu sein, frage ich manchmal: „Herr, wen hast Du heute mitgebracht?“ Und dann sitzen sie mit mir am runden Tisch. Oft je einer aus den diversen Personengruppen – mal eine meiner beiden früh verstorbenen Schwestern, mal der mir unangenehme Nachbar, der kürzlich verstorbene Schulfreund, der Pfarrer aus Jugendjahren oder die langjährig mit mir zusammenarbeitende Kollegin, die mich beeindruckende Politikerin, der Heilige vom Tag, die kranke Nichte, … „Mitgebracht“ von jenseits, aus der „Ewigkeit“ – „von Gott her aus dem Himmel herabkommend“, also nicht unter den oft sehr unvollkommenen Bedingungen des Hier und Jetzt, sondern aus einer Dimension, in der bereits alles vollendet ist und Versöhnung herrscht, wo die Probleme bereits gelöst sind. Da kann ich zu meinem Vater sagen: „Du verstehst mich jetzt …“ Und das verändert meine so manches Mal getrübte Einstellung zu heute lebenden Menschen. Also ist es mir zueigen geworden, bewusst auch solche Personen „zu mir an den Tisch zu bitten“, mit denen ich aktuell Probleme habe.
So ganz ungewöhnlich wie es auf den ersten Blick erscheint, ist eine solche Vorstellung ja nicht: Dieser Tage ging ich von Stuhl zu Stuhl um den Tisch, jeweils von hinten die Stuhllehne fassend, mit der Frage, wer denn da alles mit mir am Tisch sitzt. Plötzlich musste ich lachen, weil ich mir vorkam wie der Butler in „Dinner for One“: „Admiral Schneider, …“ Allerdings nicht mit dem nostalgischen Blick von Miss Sophie in die Vergangenheit, sondern mit meinem Blick der „Vorschau“ ins zukünftige (oder ewige) „Programm“.
Immer dabei ist Ute. An meinem Platz mir im Rücken hängt an der Wand das große Foto von ihr von einem Tag wenige Wochen, bevor sie starb. Sie hatte einen Beitrag eigener Art eingebracht zu meinen regelmäßigen Gebetszeiten und zu meiner Motivation dafür: Sie sorgte stets für den schönen Blumenschmuck auf dem runden Tisch. Eines Tages, als sie vom Arbeiten im Garten Abschied nahm und ich deshalb meinen Fotoapparat dabei hatte, kam sie mit dem frisch abgeschnittenen und gebundenen Blumenstrauß auf mich zu und sagte mit einem Lächeln auf ihrem längst vom Tod gezeichneten Gesicht: „Das hier ist mein letzter Laudes-Strauß für dich.“ Heute sorge ich selber dafür und versuche, es ihr ähnlich zu tun.
Da ja alle Personen in dieser „Gemeinschaft“ aus der Vollendung kommen, in der alle „eins in Gott“ sind, sind sie natürlich auch alle, die da bei mir „versammelt“ sind, schon in der vollendeten Beziehung zu Gott angekommen. Oh Verwunderung: Dann nehme ich jetzt also teil an ihrer „himmlischen“ Anbetung Gottes! Und nicht Er hat sie mir „mitgebracht“, sondern Er holt mich (und es ist ihm gelungen, mich dafür zu werben) durch das hier geöffnete Fenster hinein in die „himmlische Liturgie“! Und als „Zeichen und Werkzeug“ dafür hält Er für mich alles das bereit, was im Lauf der Zeit durch Seinen Geist in der Kirche dafür Gestalt angenommen hat – in Sprache und Zeichen und Musik – sehr irdisch und deshalb auch sehr unvollkommen, aber gut brauchbar, ja manchmal wirklich weiterführend und beglückend.

Stimmen zu dem Buch

In der Frankfurter Neuen Presse schreibt Andreas Haupt („Mit Leib und Seele für die Menschen“ – 9.1.2016):
… Petrak geht es auch darum, Mauern einzureißen: Mauern in den Köpfen der Menschen. Er richtet sich gegen den „Mainstream“ und dagegen, diesem vorherrschenden und damit vermeintlich allein gültigen Denken blind zu folgen. Was wir für eine objektive Wahrheit halten, weil sie einer gesellschaftlichen Norm entspricht, sei meist sehr subjektiv, so Petrak. „In einem anderen Kulturkreis wird mit der gleichen Selbstverständlichkeit vieles vielleicht ganz anders gesehen.“ Offen zu sein für neue Gedanken, sich um andere Menschen sorgen und für sie einstehen – das ist ein Leben, wie es Gott von uns erwarte. „Und der Glaube an Christus als der Retter ist sehr hilfreich für das eigene Leben – wenn man es einmal ausprobiert.“

Eduard Nagel – der frühere Schriftleiter der Zeitschrift „Gottesdienst“ charakterisiert das Buch (25.1.2016):
… ein sehr persönliches Buch … ein anderes Buch als die üblichen Psalmenkommentare. Es ist eher ein Glaubenszeugnis, das auch Auskunft gibt zu ganz persönlichen Überzeugungen bis hin zu Ansichten zu aktuellen politischen Fragen. Es ist ein beeindruckendes Zeugnis, wie sich für Sie persönliche Spiritualität, Gebet und Alltag zusammenfügen. … ein „Lesebuch“ zum persönlichen Umgang mit Psalmen.

Aus dem Katholischen Bibelwerk Stuttgart schreibt Bettina Eltrop (15.02.2016)
… wir sind sehr beeindruckt von Ihrem kirchlichen und biblischen Engagement und Feuer. …

Anselm Grün – Gedanken des Münsterschwarzacher Benediktinerpaters zu dem Buch (16.2.2016):
Es hat mich sehr gefreut, dass ein Weltpriester wie Rainer Petrak die Psalmen so in sein Leben einbezieht, dass er einen ständigen Dialog mit ihnen führt. Und es freut mich auch, dass er mit anderen Gläubigen – so oft es geht – die Vesper betet oder singt. Es ist nicht selbstverständlich, außerhalb der Klöster so intensiv mit den Psalmen zu beten. Aber das Psalmengebet hat Rainer Petrak sensibel gemacht für die Probleme unserer Zeit. Er betet die Psalmen und schaut von den Psalmen auf sein eigenes Leben, aber auch auf die Menschen seiner Zeit, auf die Nöte, die ihn in der Großstadt Frankfurt umgeben. Die Psalmen führen ihn nicht weg von den Auseinandersetzungen in der Gesellschaft und in der Politik, sondern schärfen seinen Blick, um von der Erfahrungen der Psalmbeter aus einen neuen Blick auf unsere Zeit zu werfen.

So wünsche ich den Lesern und Leserinnen, dass sie beim Lesen in die Glaubenserfahrung von Rainer Petrak eintauchen und dadurch Mut bekommen, ihren eigenen Glaubenserfahrungen zu trauen und sie auch mit andern zu teilen. Dann werden die Erfahrungen der Psalmenbeter auch unsere Erfahrungen heute befruchten und uns trotz aller Nöte unserer Zeit in der Hoffnung stärken, dass Gott mitten in allen Auseinandersetzungen ein Fels der Zuflucht ist und dass er die Not auch heute zu wenden vermag.

Cover Jeder muss halt sein Kreuz tragen???

Jeder muss halt sein Kreuz tragen??? (2012)

Was muss ein Mensch manchmal aushalten!
„Jeder muss halt sein Kreuz tragen.“

Der Gott allerdings, im Vertrauen auf den Jesus sein Kreuz ertragen hat, widerspricht: Wenn Menschen leiden, leidet er mit. Durch sein „Kreuz“ will Jesus sie retten!

Dieses Buch hilft der vernachlässigten Hoffnung auf die Sprünge: Es nimmt in Gottes Namen alle die in die Arme, die in den Seilen hängen.

Es bestärkt Menschen, die ihres Lebens froh sind und deshalb dafür sorgen wollen, dass es anderen auch gut geht – eine Erinnerung an Berufung und Verantwortung von Kirche.

Es widerspricht der gängigen Sichtweise, die Menschen, nachdem sie in ein tiefes Loch gefallen sind, auch noch klein macht.

Das Wort „Jeder muss halt sein Kreuz tragen“ gilt weit verbreitet als Grundbestandteil des christlichen Glaubens. Deshalb wird hier das ursprünglich Gemeinte neu in Erinnerung gerufen.

ISBN 978-3-9814092-5-3
97 Seiten mit Beilage | Paperback | „Texte zum Kreuzweg“ | vergriffen

Bitte nicht löschen!

Vorwort

Ein Wort vorab – was dieses Buch anstrebt

Was muss ein Mensch manchmal aushalten! Ach, was ein Kreuz! So viel aufgeladen bekommen! Wie soll ich das schaffen! Ich komm da nicht mehr raus! Womit hab ich das verdient?!

Das Leben kann so weh tun! Und dann sagen sie mir: Jeder schleppt eben sein Päckchen. Aber ich kann nicht mehr! Und ich will auch nicht mehr. Dazu kommt: Ich hab mir das selber eingebrockt. Hätte ich doch …!

Was für ein Druck für den Menschen, der einmal über den Durst getrunken hat, hinterher einen angefahren hat, die Arbeitsstelle verlor, deshalb die Schulden fürs Haus nicht weiter abbezahlen konnte, dem die Frau dann die Ehe aufkündigte, … Was macht man dann in seiner Verzweiflung?! Oder die freiberuflich tätige Tochter, die sich Knall auf Fall gezwungen sieht, ihre demente alte Mutter zu pflegen, und der dann mangels Zeit die Aufträge wegbrechen. Wie schlimm, sich plötzlich konfrontiert zu sehen mit der Diagnose einer unheilbaren, schnell zum Tod führenden Krankheit! Wenn man mitkriegt, dass der Ehepartner einen schon jahrelang betrügt und fremd geht! Gar wenn sich  jemand als einer unter Millionen sieht, die unter politischen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten zu leiden haben!

Und dann die schlauen Freunde: Das ist eben so. Jammer nicht, du musst halt … Lass dich nicht hängen! Zähne zusammen und durch! Es wird schon wieder. Andere haben noch viel Schwereres zu schleppen. Oder: Das kommt eben davon … Ja, besonders schlimm wird es, wenn man zusätzlich zur eigenen Ohnmacht Schuldgefühle aufgebürdet bekommt oder wenn Solidarität und Mitgefühl verweigert werden. Und wenn zu all dem der Eindruck entsteht, dass auch Gott mich hängen lässt: „Jeder muss halt sein Kreuz tragen.“

Die Deutung, dass Leid und Schlimmes aller Art, worunter  Menschen zu leiden haben, unter die Rubrik „Kreuz“ fällt, hat die Alltagssprache übernommen. Sie gilt als mehr oder weniger selbstverständlich. Wer daran zu rütteln versucht – wie dieses Buch – , riskiert, kopfschüttelnd der Haarspalterei bezichtigt zu werden.

Menschen, die in Verbundenheit mit der Kirche groß geworden sind, finden es oft besonders wertvoll, ein schweres Los stoisch hinzunehmen und zu ertragen. Sie sehen darin ein „Kreuz-Tragen“ wie Jesus, in seiner „Nachfolge“.

Der Gott allerdings, im Vertrauen auf den Jesus sich seinem Weg ans Kreuz hingegeben und das Kreuz ertragen hat, der kann all denen, die so reden, nur nachdrücklich widersprechen: NEIN!!! Denn wenn Menschen leiden, leidet Gott mit ihnen; und durch sein Kreuz will Jesus sie gerade von ihrem Leiden (oder auch manchmal in ihrem Leiden) erlösen!

Diese Sicht – die natürlich zur Erfahrung werden will! –, möchte das vorliegende Buch er-schließen und zur Aneignung nachvollziehbar darstellen. Es will in Gottes Namen alle die in die Arme nehmen, die „in den Seilen hängen“, „in ein tiefes Loch gefallen“ sind, und der vernachlässigten Hoffnung auf die Sprünge helfen.

In zweiter Linie will dieses Buch Menschen bestärken, die selber ihres Lebens froh sind und das Gott verdanken und gerade deshalb – auf Gottes Art – dafür sorgen wollen, dass andere auch froh werden können.

Und vielleicht ist es hilfreich, Berufung und Verantwortung von Kirche in Erinnerung zu rufen.

Die Bibel macht das vor: Sie atmet befreienden Geist angesichts des Menschen im Leid. Sie bezeugt Gott mit einer Perspektive der Rettung gegenüber dem Los der Bedrängten: „Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen, und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid. … Darum habe ich beschlossen, euch aus dem Elend Ägyptens hinaufzuführen … in ein Land, in dem Milch und Honig fließen.“ (Exodus 3,7.17) „Heilige Schrift“ artikuliert immer wieder den Notschrei, identifiziert „Gottes Wort“ mit dem Wort des leidenden Menschen: „Was ist meine Kraft, dass ich aushalten könnte, …“ (Ijob 6,11-12) „Vor lauter Stöhnen und Schreien bin ich nur noch Haut und Knochen. Meine Tage schwinden dahin wie Schatten, ich verdorre wie Gras. (Ps 102,6.12) Wie lange noch muss ich Schmerzen ertragen in meiner Seele? (Ps 13,3) Gott, warum hast du mich verlassen! Ich rufe, doch du gibst keine Antwort. (Ps 22,2-3)“

Und da der vom Mainstream der Kirche geför-derte Spruch der Alltagssprache „Jeder muss halt sein Kreuz tragen“ immer wieder meint, sich auf die Bibel berufen zu sollen, möchte das Buch den dafür besonders häufig benutzten Satz von Jesus in seinem ursprünglich gemeinten Sinn neu verständlich machen: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ (Lukas 9,23)

Damit Gottes Aufbruch zur rettenden Befreiung ankommen kann, vor allem bei den Belasteten, Armen und Bedrängten aller Art. Damit eine neue Lust am Leben um sich greifen kann: Unabhängigkeit und Souveränität gegenüber allem, was lähmt und was sich der Menschen bemäch-tigen will – sowohl der Menschen in Not als auch der Menschen, die mit der Not von Mitmenschen konfrontiert sind.

In dieser Perspektive lädt Teil 1 ein, erst einmal den Weg näher anzuschauen, den Jesus von Anfang an gegangen ist – um der  Menschen „und um unseres Heiles willen“ in konsequenter Hingabe bis zum Ertragen seiner Hinrichtung als Verbrecher am Kreuz. Die Blickrichtung zielt dabei auf das, was er damit an Dynamik, an Ver-änderung und an Chancen für alle Zeiten gebracht hat.

In Teil 2 geht es um die Menschen damals und heute, die sich – um sich selbst nachhaltig zu verwirklichen – mit ihm identifizieren, ihm möglichst ähnlich werden wollen in ihrer Denk- und Lebensart. Für die dann das Kreuz und das Kreuz-Tragen zu einem wesentlichen Aspekt des Weges in ein erfülltes Leben wird.

Der Teil 3 setzt die hier eingenommene und dargestellte Sichtweise auseinander mit der anderen, durch die sich Menschen, die zu leiden haben, oft klein gemacht und niedergedrückt sehen. Wer das Buch liest, soll bestärkt werden in der Sehnsucht, in mündigem, aktiv lebendigem Glauben den rettenden Gott staunend und froh zu erfahren.

Viel Freude beim Lesen!

Inhaltsverzeichnis

Ein Wort vorab – was dieses Buch anstrebt

Teil 1: Jesus und sein Weg

Der Konflikt, der in seiner Hinrichtung am Kreuz gipfelt

Die Veränderung, die er mit seinem „Kreuz“ bringt
–  Verwandlung von Leid in Heil
–  Korrektur des überlieferten Gottesbildes
–  Gottes neue Art zu „herrschen“

Teil 2: Gepackt
von der Faszination seines Kreuzes

Wer seine Liebe staunend annehmen konnte, mag sein Jünger werden
–  Beschenkt mit höchster Wertschätzung
–  Erst mal das geschehen lassen
–  Und wie wird das zu Kirche?

Der Entscheidungsprozess – ein Weg der Auseinandersetzung
–  Drei Voraussetzungen
–  Wer bin ich?
–  Weg der Auseinandersetzung

Wandel der Perspektive
–  Neue Perspektive in solidarischer Gemeinschaft
–  Die Dynamik des Kreuzes

Heute das Kreuz tragen
–  Drei Bischöfe unserer Zeit
–  Zwei eigene Erfahrungen
–  Fronleichnam – Gottes neuer Weg durch die Stadt

Teil 3: Werbender Widerspruch

Das verwirrende Reden vom „Kreuz“
–  Thomas von Kempen und Jesus
–  Dreifaches Problem
–  Hilfreicher: Johannes vom Kreuz und Vinzenz von Paul
–  Ein Modell einer Kreuzwegandacht, kritisch betrachtet
–  Weitere Beispiele

Perspektive: Im Kreuz ist Heil, Hoffnung, Leben

Anhang

Kritische Betrachtung einer Kreuzwegandacht
Anmerkungen
Übersicht über die verwendeten Bibelstellen

Beilage: Texte zum Kreuzweg von Rainer Petrak (2012)

Die Buchreihe „Den Retter-Gott ranlassen” (2010/2011)

Einsichten und Erfahrungen aus 70 Jahren Leben und 28 Jahren gemeinsam gelebten Glaubens in der Gemeinde Herz Jesu Frankfurt-Fechenheim sind zusammengefasst dargestellt in der Reihe „Den Retter-Gott ranlassen“ (siehe hier unten). Diese Bücher waren fällig. Denn da steckt Kraft drinnen. Das ist eine Tankstelle für die nächsten Wegstrecken. Egal wo. Für heute und morgen.

Anselm Grün, der bekannte Autor in Sachen Spiritualität und Mönch in der Benediktinerabtei Münsterschwarzach (24.05.2011):

„In einer Zeit, in der die Kirche in der Öffentlichkeit an Ansehen verliert, ist es wohltuend, wie Pfarrer Rainer Petrak die biblische Botschaft vom Retter-Gott den Menschen seiner Gemeinde und darüber hinaus vielen suchenden Christen vermittelt. Da ist mitten in der Kraftlosigkeit, die die Kirche heute ausstrahlt, etwas von der Kraft des Heiligen Geistes und von der Überzeugungskraft Jesu Christi erfahrbar und spürbar. So wünsche ich, dass viele Christen zu den ermutigenden und erfrischenden Schriften von Rainer Petrak greifen und sich davon ihren Glauben an den rettenden Gott, der uns in Jesus Christus nahe gekommen und auf den Leib gerückt ist, stärken zu lassen.“

Cover Damit Leben gelingt

Damit Leben gelingt

Dieses Buch ist ein Blasebalg. Für die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben. Es macht Mut zur Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und mit der positiven Kraft, die in ihr steckt. Und es weckt Freude an der Entdeckung des Chancenreichtums, der aus dem – vor allem in Gemeinschaft – gelebten Glauben an Jesus Christus erwächst.

ISBN 978-3-9814092-1-5
126 Seiten | 14,8 x 21,0 cm | vergriffen

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Leseprobe

Hier wird der Mensch geachtet

(Vorbemerkung zu den Kapiteln 5 bis 7)

Sie kennen das, „festgenagelt“ zu sein? Vor allem durch das, was man sich selbst verbaut hat, woran man selber schuld ist? Jeder Einzelne von uns hat das schon erlebt. Werturteile bieten sich dann an. Lohn und Strafe „herrschen“ als Prinzip. Oft auch im eigenen Herzen sich selbst gegenüber. Das Ergebnis: Menschenverachtung vom einfachen Vorwurf bis hin zur vollständigen Ausgrenzung.

Der Gott, der solchem Tun begegnet, kann das nicht hinnehmen. Er bricht diese Muster einfach auf: Wem die Beteiligung am Leben verweigert wird, dem stößt er die Türen wieder auf. Wer auf seine Schuld festgeschrieben wird, der macht mit ihm die rettende Erfahrung echter Vergebung. Und plötzlich „herrscht“ ein neuer Geist! Dann gilt es, nicht nur zuzuschauen, sondern sich einbeziehen zu lassen und Teil zu sein.

5 Schuldig – trotzdem liebenswert!

Jesus kam in das Haus eines Pharisäers mit Namen Simon, der ihn zum Essen eingeladen hatte, und legte sich zu Tisch. Als eine ‚Sünderin’, die in der Stadt lebte, davon hörte, kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl und trat von hinten an ihn heran. Dabei weinte sie und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Sie trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl. Als der Pharisäer, der ihn eingeladen hatte, das sah, ……………….. Er aber sagte zu der Frau: „Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!“ (Lukas 7,36-50)

Spüren Sie diese Mauer, die sich da aufbaut zwischen dem Gastgeber namens Simon und der Frau, die dazukommt? – eine Mauer, bei der Simon Jesus seinen Platz zuweist auf der anderen Seite der Mauer – auf derselben Seite, wo die Frau ist. Simon – diesseits seiner Mauer – ist der, der Bescheid weiß, der das Richtige tut, der völlig selbstbewusst weiß, er ist okay. Aber Jesus! Der will ein Prophet sein? (…)

Es geht um den Konflikt – nein, genauer gesagt: es geht um die Mauer zwischen den braven, anständigen, vielleicht auch frommen Normalbürgern, den angepassten, den etablierten, den jungen, dynamisch-erfolgreichen, … und den Außenseitern. Um diese Mauer geht es – oder: statt „Außenseiter“ kann ich auch sagen: dem Gott, der sich mit Vorliebe den Außenseitern zuschlägt. Und: Je erfolgreicher, dynamischer usw. einer ist, um so mehr wird er seinen Besitzstand sichern und – egal, ob das ein Individuum ist oder eine Nation – auch mit Waffen, mit Gewalt, mit Besitzanspruch sichern. Und so einer wird dann auch von den Politikern verlangen, sie sollen gefälligst seinen Besitzanspruch garantieren und seinen Besitzstand sichern. Die anderen, die sich zum Außenseiter gemacht haben – die hätten halt auch die Ärmel hochkrempeln müssen. Es geht um die Mauer in dieser Welt, die wir zementieren durch unser Verständnis von gerechtem Lohn und gerechter Strafe. ………….

„Dein Glaube“, so nennt Jesus das Verhalten der Frau. „Dein Glaube“. Glaube heißt nicht, wie der bekannte Pharisäer im Tempel sagt – selbstbewusst, selbstherrlich: „Ich habe zehn Prozent Abgabe gezahlt – Kirchensteuer oder so … Ich kann die Fahrkarte zum Himmel beanspruchen, ich habe sie mir gekauft, ich habe dafür schließlich bezahlt, usw.“ – Nein. Glaube heißt: „Ich habe gesündigt! Um Gottes willen!“ Das wird mir dort klar, wo mir Vergebung angeboten wird, geschenkt wird. Und die Gewissheit der Frau – die fehlt uns noch. Die weiß: Der rettet mich! Der macht mich total frei! Zu dem darf ich gehen! Noch bevor sie mit ihm geredet hat. Und er bestätigt ihr hinterher: Ja, deine Sünden sind dir – in der Tat – vergeben. Das kann man dir ja ansehen. Denn du glaubst, und dieser Glaube hat dich gerettet.

10 „Sieger über den Tod“?

Wir sagen Nein zum Tod, oft verzweifelt Nein. So sehr Nein, dass wir ihn sogar aus unseren Gedanken verbannen, nicht von ihm reden, so tun, als käme er in unserem Leben nicht vor, als würde er uns selbst nicht bevorstehen. Nein zum Tod. – Und Gott?

„Gott hat den Tod nicht gemacht und hat keine Freude am Untergang der Lebenden. Zum Dasein hat er alles geschaffen und heilbringend sind die Geschöpfe der Welt. Kein Gift des Verderbens ist in ihnen, das Reich des Todes hat keine Macht auf der Erde; denn die Gerechtigkeit ist unsterblich.“ (Weisheit 1,13-15)

Gott ist also auch einer von denen, die Nein sagen zum Tod?! Ja, der Tod ist nicht einmal eines der Dinge, die er geschaffen hat?!

„Es hat Gott gefallen, unseren innig geliebten Großvater, Vater …“ usw. – Sie kennen das. Nein! Es hat Gott nicht gefallen! „Zum Dasein hat er alle geschaffen“! „Er hat keine Freude am Untergang der Lebenden!“ Auch er sagt Nein zum Tod. Was für ein Glück!

Werfen wir doch also alles Andere über Bord – ein für alle Male – diese Gedanken, Gott sei es, der uns aus dem Leben wegholt! Tun wir doch nicht weiter so, als sei Gott ein so sadistischer Tyrann, der seine Freude daran findet, uns leiden zu lassen! – Und Jesus? Sagt er auch Nein zum Tod?

11 Jesus kämpft anders!

Jesus wollte etwas bewirken. Natürlich! Aber nun hatten sie ihn hingerichtet. War er gescheitert? Hatte er kampflos das Feld geräumt?

„Am ersten Tag der Woche gingen die Frauen mit den wohlriechenden Salben, die sie zubereitet hatten, in aller Frühe zum Grab. Da sahen sie, dass der Stein vom Grab weggewälzt war; sie gingen hinein, aber den Leichnam Jesu, des Herrn, fanden sie nicht. Während sie ratlos dastanden, traten zwei Männer in leuchtenden Gewändern zu ihnen. Die Frauen erschraken und blickten zu Boden. Die Männer aber sagten zu ihnen: ‚Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden. Erinnert euch an das, was er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war: Der Menschensohn muss den Sündern ausgeliefert und gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen.’ Da erinnerten sie sich an seine Worte.“ (Lukas 24,1-8)

Und was ergab sich für sie daraus, dass sie sich an seine Worte erinnerten? – In diesem Augenblick werde ich an seine Worte erinnert. Und es geht jetzt um die Konsequenzen, die das bei mir hervorruft.

Also zum Beispiel sein Wort: „Der Menschensohn muss den Sündern ausgeliefert werden.“ Ausliefern. Der Menschensohn – der, der von Gott in die Welt kommt, um die Welt neu zu machen. Der in die Welt kommt, weil Gott sich entschlossen hat zu kämpfen – gegen den Tod, gegen die Sünde, gegen das Verderben der Menschen, gegen den Hass, gegen die Zerstörung – im vollen Bewusstsein, dass das in der Welt starke Mächte sind: Tod, Hass, Zerstörung und so weiter. Er unternimmt es, dagegen anzukämpfen. Gott. In diesem einen Menschen Jesus.

Und der Kampf, wie Gott ihn führt, der Kampf in Gottes Stil, mit dem zuverlässigen Ziel, alle diese Mächte zu entmachten – dieser Kampf wird von Jesus so charakterisiert: „Der Menschensohn muss ausgeliefert werden.“ Den Sündern. Das heißt: Er selber liefert sich aus, er, Gott in diesem Menschen. Das ist die Art, in der Gott kämpft – gegen starke Mächte.

Ausliefern. Sich ausliefern. Das ist eine ganz andere Art zu kämpfen. Wir stolzen Menschen unserer Zeit sagen natürlich: Das ist überhaupt kein Kampf, das ist der Verzicht auf Kampf! – Und dann kann man dem noch ein religiöses Mäntelchen umhängen und sagen, so aufs Kämpfen zu verzichten, das sei doch feige Flucht und Hoffnungslosigkeit.

Aber Gott hat Jesus nicht geschickt, damit er die Gegner erschießt, ersticht, erschlägt oder so etwas. Gottes Stil ist ein anderer. Sein Volk hat das nicht verstanden. Nie verstanden? Sein Volk hat doch bisher noch zu allen Zeiten die Gegner erschlagen, erschossen, verbrannt und hat die Menschen dazu benutzt und benutzen lassen. Nein, Gottes Stil, gegen das Böse zu kämpfen, ist ganz anders: Angesichts der Feinde, Auge in Auge mit ihnen – „Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde.“ (Psalm 23)

Der Menschensohn muss den Sündern ausgeliefert werden an den gemeinsamen Tisch, muss gekreuzigt werden, muss das Risiko auf sich nehmen – und am dritten Tag auferstehen! Das heißt: Dieser Weg ist der Weg zum Sieg.

Entschärfte Begegnung

Mai 1968. Großdemonstration gegen die von der großen Koalition geplanten Notstandsgesetze. Zehntausende füllten die Bonner Innenstadt. Und wir, wir waren zehn. Gegendemonstranten. Wir gingen nebeneinander durch eine Straße, die zum zentralen Kundgebungsplatz führte. Mit klopfendem Herzen. Uns war klar: Wir würden keine Gewalt anwenden. Und unsere Gegner? Da waren wir uns nicht so sicher. Aber wir wollten einfach unsere andere Meinung geltend machen!

Da kam von gegenüber eine Gruppe auf uns zu. Erkenntlich als ein kleiner Teil der Großdemonstration. Auch nebeneinander gehend, auch etwa zehn Leute. – Was würde das werden?! Wir kamen einander immer näher. Schließlich blieben wir voreinander stehen. Eine Diskussion begann. Besser gesagt: ein Streit. Eher feindselig. Die Worte gingen hin und her, die Spannung stieg.

Da griff mein Gegenüber – wir hörten beide gerade zu, was andere von beiden Seiten sagten – in seine Tasche nach einem Stück Baguette. Er brach ein Stück ab und wollte es in den Mund stecken. Plötzlich hielt er inne, schaute auf das Brot in seiner Hand, schaute zu mir und dann zu anderen in unserer Reihe. Sein Gesicht ging in die Breite und er streckte die Hand mit dem Brot zu mir hin aus. Danach brach er den anderen weitere Stücke ab und grinste (oder lächelte er?) gedehnt: „Wie Jesus beim Abendmahl.“ Schlagartig entspannte sich das Gespräch.

15 Das „Reich Gottes“ – ein faszinierender Schatz

Als Jesus wieder einmal den Menschen verständlich machen wollte, was das Eigentliche am Reich Gottes ist, an seiner Herrschaftsweise (im Matthäus-Evangelium immer „Himmelreich“ genannt), verglich er:

„Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn, grub ihn aber wieder ein, und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker.“ (Matthäus 13,44)

Unverhofft macht er diesen Fund; er hat ein Riesenglück! – So ist es mit dem Himmelreich, sagt Jesus. So kommt man ans Himmelreich. Oder: Das erfüllt einen Menschen, wenn er unverhofft das Reich Gottes entdeckt hat.

Also alles andere als ein Opfer, alles andere als ein heldenhafter Akt, wenn er sich dran macht, alles loszulassen, was ihm bisher wichtig war; alles zu verkaufen, um mit den frei gewordenen Mitteln ganz diesen Schatz, das Reich Gottes erleben, genießen zu können. Unbändige Freude erfüllt ihn!

Das entspricht ja auch dem, was die Evangelien uns vielfältig erzählen: wie Menschen dazu kamen, dass sie, nachdem er sie geheilt oder sonst wie befreit hatte, vor lauter Freude und aus ihrem Innersten heraus gar nicht anders konnten, als mit ihm zu gehen. Sie wollten ja das, was sie da unverhofft gefunden hatten, noch viel mehr und weiterhin genießen und leben.

So ist es mit dem Himmelreich. So ist es mit dem Reich Gottes. So ist es mit dem Christ-Sein.

Ist es wirklich so? Auch für Sie? Oder – nach allem, was Sie wahrnehmen können – für die Menschen in Ihrer Umgebung, von denen Sie wissen, dass sie sich als Christen verstehen?

So ganz fremd ist uns ein solches Verhalten eigentlich ja nicht: So mancher junge Mensch hat schon den Schatz des Lebens gefunden und deswegen so manche lieb gewordenen Lebensgewohnheiten aufgegeben oder ist von der Familie dann weggezogen, hat so vieles losgelassen, um mit seinem Schatz zusammen zu leben, der zu seinem Ein-und-Alles geworden ist. Ja, das gibt’s schon in unserm Leben: dass wir für einen gefundenen Schatz alles loslassen.

Ich vermute allerdings: Wenn Menschen, denen der Glaube der Kirche fremd ist, anderen Menschen begegnen, die sich als Christen bekennen, dann haben sie eher den Eindruck, dass – oft jedenfalls – die Christen verbissen etwas wollen, wovon man nicht ganz merken kann, ob sie es wirklich selber wollen oder ob sie vielmehr unter irgendeinem Druck, vielleicht unter Angst, sich Opfer auferlegen, niedergedrückt von schweren Lasten heldenhaft das Gute tun – und weil es nicht aus dem Herzen kommt, dann auch Wert drauf legen, dass die andern sehen, wie heldenhaft sie das Gute tun …

Das Reich Gottes hat angefangen, als Jesus Menschen fasziniert hat, sie angelockt hat mit diesem Faszinierenden, das sie selbst betraf, so dass sie – koste es, was es wolle – losließen, was ihnen wichtig war, und mit ihm gemeinsam gingen. Und weil sie nicht von einer klagenden Opfergesinnung erfüllt waren, sondern von Freude, von unbändiger Freude, strahlte diese Gemeinschaft der Jünger Jesu mit ihm als Mitte auch nach außen hin aus und konnte neue Menschen mit dieser verlockenden Faszination von Gottes Reich ansprechen. Und das hat sich dann – weil es so mit dem Himmelreich ist – eben ausgeweitet, verbreitet bis heute.

Und ich denke, Gott will uns „heute“ fragen: Ist das bei euch auch so? Wenn es nämlich nicht so ist, dann habt ihr anscheinend Anderes gefunden als das Reich Gottes. Dann macht euch neu auf die Suche! Oder vielleicht sogar nur: Dann öffnet euch, weicht dem Acker, in dem der Schatz vergraben ist, nicht aus! Lasst euch mit dem Fund beschenken – neu, vielleicht ganz neu!

Das Ganze ist nicht nur eine wichtige Sache für jeden Einzelnen von uns. Das Ganze mit der Frage, die uns da Gott wohl stellt, ist auch etwas sehr Wichtiges für die Welt. Ja, wie wir, jeder Einzelne, dazu stehen, ist wichtig für die Welt. Ich will das mit einem ganz alten Text aus der Geschichte der Kirche illustrieren. Das ist aus einer Predigt – wahrscheinlich vom Anfang des 2. Jahrhunderts, dem Bischof Klemens von Rom zugeschrieben. Er schreibt:

„Der Herr sagt: Überall wird mein Name gelästert bei allen Völkern. Und wiederum: Wehe dem, durch den mein Name gelästert wird. Wodurch wird er gelästert? Dadurch dass ihr meinen Willen nicht tut. Wenn nämlich die Heiden aus unserem Munde die Aussprüche Gottes hören, staunen sie darüber als über gute und erhabene Worte. Wenn sie aber danach bemerken, dass unsere Werke den Worten, die wir reden, nicht entsprechen, ist die Konsequenz, dass sie Gott lästern und sagen: Es ist irgend ein Mythus und Irrtum.“ (2. Klemensbrief, 13. Kapitel)

Und in unseren Tagen? Mir sagte jemand: Das, was in der Bibel steht, – alles Märchen! Warum? Weil sich diesem Menschen – einem von vielen – das, was sich als Gemeinschaft, die Gottes Reich sucht oder vielleicht schon gefunden hat, dennoch als ein Abklatsch dessen darstellt, was es in der Welt überall gibt: nicht Herrschaft Gottes, sondern Herrschaft – wie überall in der Welt – des Misstrauens, der Angst, des Konkurrenzkampfs, Habenwollen, Vergeltung (einschließlich des gedankenlos dahingesagten „Vergelt’s Gott!“), (…)

Wenn Menschen aber voller unbändiger Freude das Reich Gottes, also seine Herrschaft gefunden haben, dann sieht das doch anders aus: „Ein Reich“ – das ist doch eine menschliche Gemeinschaft, in der zugleich eine bestimmte Kraft die Kraft ist, die das, was in diesem Reich gemeinsam gilt, prägt. Und wenn es ein Reich Gottes gibt, dann ist das also doch der menschliche Bereich, in dem das, was das Gemeinsame betrifft, von Gott entscheidend geprägt ist; wo also auch alle anderen Kräfte nicht mehr entscheidend prägen, so dass die Menschen davon frei geworden sind – frei von all dem, was da knechtet und unterdrückt und am Leben behindert, wie etwa Konkurrenzkampf, Habenwollen und so weiter. Das alles ist nebensächlich geworden, weil die stärkste Kraft, die da beherrschend ist, der befreiend, rettend liebende Gott ist. Und das verlockt natürlich faszinierend, wenn man das erlebt hat.

Vielleicht kann man an der Kirche heute deswegen so wenig von diesem leuchtenden, faszinierenden Reich Gottes, das wächst, erleben, weil viel zu viele Menschen vorschnell zu dieser Kirche gezählt werden, so dass da alles sehr gemischt ist. Vor allem in unserer Zeit, die doch sehr viel Wert auf Demokratie legt, muss man dann ja in der Gemeinschaft der Menschen, die auf Gottes Reich hofft, die Mehrheit entscheidend wirken lassen. Aber falls die Mehrheit darin noch gar nicht das Reich Gottes gefunden haben sollte, dann prägt natürlich diese Mehrheit nach den Maßstäben und Kräften, die in der Welt überall herrschen; und dann wird das Licht, das eigentlich leuchtet, unter den Scheffel gestellt. Dann kommt’s dazu, dass die Außenstehenden sagen: Ja, wunderbar, schöne Worte, aber Märchen! Die Wirklichkeit deckt’s ja gar nicht! Was – ihr behauptet da so schöne Sachen: Friede, Liebe, Gemeinschaft, Interesse aneinander. Aber wo bleibt’s denn bei euch, stimmt ja gar nicht. Ihr sagt zwar, ihr glaubt daran, aber ihr macht’s doch gar nicht!

„Weil ihr meinen Willen nicht tut.“ – Wenn diese Kräfte zu sehr gemischt in der Kirche da sind, so dass die Mehrheit, das heißt das Erscheinungsbild von Kirche nach außen gar nicht den Willen Gottes tut, nämlich sein Reich aus lauter Freude miteinander aufbaut, dann kann man sein Reich auch nicht aufstrahlen sehen. Dann bleibt die Gemeinschaft der Jünger Christi es der Welt schuldig, zu sein, was sie ist.

Natürlich – nicht zu der Gemeinschaft sich dazurechnen, heißt ja noch lange nicht, von Gottes Liebe ausgeschlossen zu sein. Ganz im Gegenteil: Erst wenn die Gemeinschaft des Reiches Gottes – im Idealfall unbeeinträchtigt, unbehelligt von anderen herrschenden Kräften – leben, handeln kann, so dass Gott sich ihrer bedienen kann, erst dann wird ja diese Liebe Gottes, die im Reich Gottes herrscht, noch viel mehr Menschen zukommen können, bei ihnen ankommen können; dann geschieht ja Herrschaft Gottes, Liebe zu allen.

„Reich Gottes“. – Der frühere Limburger Bischof Wilhelm Kempf hat einmal die christliche Gemeinde als das „Kraftfeld“ von Gottes Geist bezeichnet. (Brief zur Fastenzeit 1974) Ein Feld, in dem man, wenn man damit in Beziehung kommt, die Kraft von Gottes Geist erlebt. Natürlich insofern solche Gemeinde wirklich Kraftfeld von Gottes Geist sein will und wirklich ist, sich ihm zur Verfügung stellt. Dann entsteht eben das, was auch das Zweite Vatikanische Konzil als Wesenszug von Kirche nennt, dann ist Kirche Zeichen für die Welt und Werkzeug Gottes für die Welt. („Lumen gentium“ Nr. 1)

Damit die ganze Welt – wie Gott es meint – auf den Weg zur Einheit und zum Frieden kommt, muss das an einer Stelle anfangen, so dass die ganze Menschheit, davon fasziniert, auf diesen Weg verlockt wird! Und Gott will, dass es mit „seinem Volk“ anfängt. Sie soll sein Zeichen sein und sein Werkzeug. Kirche musszur Einheit und zum Frieden untereinander finden; dann wird sie diese verlockende Faszination ausstrahlen, die ja da entsteht, wo Gottes Reich wächst! Dass wir innerhalb der Kirche besonders Gewicht drauf legen, miteinander das zu finden, was Reich Gottes ist, wird es möglich machen – und nur das wird es möglich machen, dass schließlich Gottes Reich weit über die Grenzen von Kirche hinaus wächst.

So ist es eben: Wo es wirklich um das Reich Gottes geht, wo Menschen wirklich Zugang zum Reich Gottes gefunden haben, da ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war, und einer fand ihn unversehens, und voller Freude ließ er alles los, was ihm vorher wichtig war, nur um mehr darin zu leben!

Buchcover Damit Kirche wirklich Kirche ist

Damit Kirche wirklich Kirche ist

Für viele hat die Kirche kein gutes Image. Wer sich als Christ outet, erst recht als Kirchenglied, gilt schnell als nicht zeitgemäß. Und wer Gott sucht und sich damit an die Kirche wendet, dem kann passieren, dass er enttäuscht wird.

Woran liegt das? Beides müsste nun wirklich nicht sein!

Jeweils von Bibeltexten ausgehend, stellt dieses Buch dar:

  • Kirche, die dir gut tut
  • Kirche und ihr Dienst an der Welt, in der sie lebt
  • Verantwortung der glaubenden Getauften

ISBN 978-3-9814092-2-2
176 Seiten | 14,8 x 21,0 cm | vergriffen

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Leseprobe

5 Du darfst klagen. Du wirst geheilt werden. Bleib offen!

Klage, Angst, Tränen, Not, Elend – was immer man sich mit solchen Worten vorstellen kann und an Eigenem mitbringt – Inbegriff davon ist der Ijob des Alten Testaments: Schlag auf Schlag nacheinander werden ihm die Rinderherde und die Kamele gestohlen und dazu die Knechte erschlagen. Seine Schafherde kommt im Gewitter um samt den Hirten. Ein Sturm zerstört das Haus, in dem seine Söhne und Töchter gemeinsam ein Fest feiern, und begräbt sie alle unter sich. Und dazu noch breiten sich bösartige Geschwüre über seinen ganzen Körper aus von der Fußsohle bis zum Scheitel. Alles hat er verloren: von der Familie über seinen Besitz bis hin zur Gesundheit. – Und Gott??? – „Man muss halt zufrieden sein“???

Ijob ergriff das Wort und sprach: Ist nicht Kriegsdienst des Menschen Leben auf der Erde? Sind nicht seine Tage die eines Tagelöhners? Wie ein Knecht ist er, der nach Schatten lechzt, wie ein Tagelöhner, der auf den Lohn wartet. So wurden Monde voll Enttäuschung mein Erbe und Nächte voller Mühsal teilte man mir zu. Lege ich mich nieder, sage ich: Wann darf ich aufstehn? Wird es Abend, bin ich gesättigt mit Unrast, bis es dämmert. Schneller als das Weberschiffchen eilen meine Tage, der Faden geht aus, sie schwinden dahin. Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist. Nie mehr schaut mein Auge Glück. (Ijob 7, 1-4.6-7)

Und zu diesem Abschnitt aus der Bibel hat die (katholische) Kirche für den Sonntagsgottesdienst, in dem er als Lesung verkündet wird, als Antwort den Psalmgesang vorgesehen:

Gut ist es, unserm Gott zu singen; schön ist es, ihn zu loben … Er heilt die gebrochenen Herzen und verbindet ihre schmerzenden Wunden … Groß ist unser Herr und gewaltig an Kraft, unermesslich ist seine Weisheit. Der Herr hilft den Gebeugten auf … (Psalm 147, 1-6)

Was für eine extreme Spannung zwischen dem Elend des Ijob und dem als Antwort vorgesehenen Lob- und Dankpsalm! – Viele Menschen kamen schon mit Not im Herzen zum Gottesdienst und es fiel ihnen dann schwer, sich einem Lobgesang anzuschließen. Das ist eine typische Spannung, in der Christen stehen. Deutlich zu erleben ist sie zum Beispiel bei einer Begräbnismesse: Da ist gerade einer gestorben und dann heißt es am Beginn des Hochgebets: „In Wahrheit ist es würdig und recht, dir, … Gott, immer und überall zu danken …“ Viele können das nicht. Vielleicht können wir es alle nicht, wenn wir wirklich tief drinnen stecken. Und trotzdem wird uns das zugemutet. Regt sich da nicht Protest?

Manche weichen der Spannung aus, indem sie versuchen, das eigene Elend – das eigene Elend! – zu verleugnen. Damit sie nur ja nicht unfromm da stehen oder als undankbar gegen Gott. Sicher – manchen gelingt es ja tatsächlich, obwohl sie schwer beeinträchtigt sind, sich wirklich an jedem neuen Tag zu freuen und Gott dankbar zu sein. Aber manche versuchen, sich dazu zu zwingen, und auf diese Weise lassen sie Gott gar nicht mehr an ihre eigene Realität heran. Sie lassen ihn dann sozusagen nur noch bis einen Meter vor sich ran; nur bis zu der Maske, mit der sie lächeln, obwohl es ihnen dreckig geht.

Die Bibel selber und auch die Kirche in ihrer Art, Bibelabschnitte auszuwählen und in Gottesdiensten zu kombinieren, legen uns ein anderes „Verfahren“ vor:

Ijob: Er klagt. Zu Recht. Und seine Klage schließt er mit dem Satz: „Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist.“ Wer soll daran denken? Natürlich Gott. Mit seinem Elend, das er nicht verharmlost, sondern in voller Schärfe benennt, vertraut er sich Gott an: „Denk daran!“ Und sozusagen um das i-Tüpfelchen noch draufzusetzen und Gott vor Augen zu halten, wie schlimm er am Ende ist, fügt er an: „Nie mehr schaut mein Auge Glück!“

„Nie mehr …!“ Dieses Wort atmet Grauen. Nie mehr glücklich sein. Das fürchten viele. Wenn sie sich trauen, sich ein solches Risiko überhaupt bewusst einzugestehen. Und sie alle – Ijob von damals und von heute – dürfen sich einfinden, wo Gottes eigene Nähe und liebende Zuwendung sich vermitteln will: Sie sind im Gottesdienst glaubender Gemeinschaft willkommen, ja sie sind sogar vorrangig in der Einladung dazu gemeint.

Warum sollte ich dem trauen? Zumal bei so wenig Feingefühl, mit dem einem solchen Ijob-Text gleich ein Psalm mit frohem Lob Gottes angeschlossen wird!

In der Tat: Vertrauen braucht es dafür. Es aufzubringen, ist alles andere als selbstverständlich. Beide Seiten können sich darum bemühen, vor allem jene Beteiligten, deren Fähigkeit zum Vertrauen im Moment nicht durch Schicksalsschläge oder Anderes belastet ist. Und wenn das Vertrauen gelingt und transparent wird für die vertrauensvolle Beziehung zu Gott, dann gehen Türen auf: Dann kann vielleicht „Ijob“ in diesem Gottesdienst die Kombination von Feingefühl und Zumutung spüren, die ihn wahrnimmt und auffängt. Dann fällt ihm vielleicht auf, dass der frohe Lobpsalm gar nicht unvermittelt an die Worte mit Ijobs Elend anschließt: Der Kehrvers (die „Antiphon“), der den Psalmversen vorangeht und sich dann wiederholt mit ihnen abwechselt, bietet sich als Brücke an, über die man sich zur hoffenden Perspektive herantastet – im Hören des Gesangs der Anderen und im Versuch, sich selber mit hinein-zusingen: „Der Herr hat uns befreit!“ Natürlich ist gemeint: aus all diesem Elend, in dem wir gesteckt haben (angefangen mit dem Elend Israels in der Sklaverei in Ägypten). Und nicht nur einmal hat er uns neues Leben geschenkt;  nein nein: „Er schenkt uns neues Leben!“ Das ruft die Erinnerung wach: So ist nämlich Gott immer! „Er schenkt uns neues Leben!“ Immer wenn dieses Leben kaputt ist.

Und diesen Weg bestätigt und bekräftigt auch Jesus in dem Evangeliums-Abschnitt, dem der Ijob-Text und der Psalm in innerer Logik zugeordnet sind:

Jesus ging zusammen mit Jakobus und Johannes in das Haus des Simon und Andreas. Die Schwiegermutter des Simon lag mit Fieber im Bett. Sie sprachen mit Jesus über sie, und er ging zu ihr, fasste sie an der Hand und richtete sie auf. Da wich das Fieber von ihr und sie sorgte für sie. Am Abend, als die Sonne untergegangen war, brachte man alle Kranken und Besessenen zu Jesus. Die ganze Stadt war vor der Haustür versammelt, und er heilte viele, die an allen möglichen Krankheiten litten, und trieb viele Dämonen aus. Und er verbot den Dämonen zu reden; denn sie wussten, wer er war. In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten. Simon und seine Begleiter eilten ihm nach, und als sie ihn fanden, sagten sie zu ihm: Alle suchen dich. Er antwortete: Lasst uns anderswohin gehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen. Und er zog durch ganz Galiläa, predigte in den Synagogen und trieb die Dämonen aus.(Markus 1, 29-39)

Menschen, die von allen möglichen Krankheiten bedrängt sind. Sie leiden! Menschen, die von allem Möglichen besessen sind und wie von Dämonen beherrscht werden; von Kräften, die man einfach nicht fassen kann, obwohl sie real da sind! Sie alle wenden sich an Jesus und werden von Anderen, die ihm Hilfe zutrauen, zu ihm hingebracht. „Die ganze Stadt“!

Er ist wirklich der Herr, der das neue Leben schenkt, wo es am Ende ist! Wenn mit Jesus Christus Gott selber unter die Menschen kommt, dann geschieht das, was für uns „Evangelium“ ist. Und das, was da geschieht, strebt darauf zu – Gott strebt es an! – , dass es die ganze Stadt umfasst, ja ganz Galiläa – und für uns heißt das: die ganze Menschheit.

So fängt Gottes „Reich“ an, mit dem er alle Leiden heilt, alles Elend beendet. Und um nur ja dem falschen Protest zuvorzukommen, dass es ja noch so viel Elend und Leid gibt, das noch längst nicht geheilt ist, klärt ja schließlich auch das Zeugnis des Evangeliums: Nicht alle, – „viele“ heilt er, viele! Ein Beispiel ist genannt – die Schwiegermutter des Simon, und dann kommt die Zusammen-fassung: viele. Und dann sind noch andere übrig, die bedrängen ihn auch. Aber er weiß ja: Da sind Leute, die sich ihm schon ange-schlossen haben, die werden das dann weiter tun. Er kann sich nicht auf nur eine Stadt beschränken; er muss weiter. Diese Sache Gottes mit den Menschen muss weitergehen und sich ausbreiten!

Ein großes Elend, das krank macht und leiden macht, ist auch die Enttäuschung so vieler, wenn sie die eigene Hoffnung auf Leben und Zukunft und auf ihr Heil am Glauben der Kirche festmachen, dass sie das dann nicht finden. Weil Kirche zu oft gar nicht wirklich Kirche ist. Dann bleibt ihnen nur der Eindruck: Ihr Elend ist bodenlos, das Evangelium ist nicht verlässlich.

Wie viele, besonders junge Menschen, die das einfach nicht ertragen können, fliehen deshalb – nicht nur in Drogen und Alkohol, sondern auch in die Magie, Esoterik. Magie als Ersatz für die wirkliche Begegnung mit Gott. Der Dämon Magie, der Jesus veranlasst, den Dämonen zu verbieten, ihn zu benutzen für ihr magisches Missverständnis von dem, was Gott da in Wirklichkeit getan hat. Denn er ist alles Andere als ein Magier. Er ist die Begegnung Gottes mit den Menschen!

Vielleicht liegt die Ursache des Elends, dass so viele sich der Kirche nicht anvertrauen können, darin, dass wir in der Kirche selber einer Droge, einem Dämon verfallen sind: dass wir uns abschirmen vom millionenfachen Elend der Welt. Ein kirchliches Zeugnis des Glaubens kann dann natürlich für Menschen, die wirklich auf Heilung aus Elend hoffen, nicht mehr glaubwürdig sein.

Eine kurze Geschichte kann vielleicht erahnen lassen, wie nahe unsereins gerade in dieses Problem involviert ist:

Eine ältere Frau kaufte sich im Schnellrestaurant einen Teller Suppe. Behutsam trug sie die dampfende Köstlichkeit an einen Stehtisch, hängte ihre Handtasche darunter. Dann ging sie noch einmal zur Theke, denn sie hatte den Löffel vergessen. Als sie zum Tisch zurückkehrte, stand dort doch tatsächlich einer jener Afrikaner, schwarz, Kraushaar, bunt wie ein Paradiesvogel, und löffelte die Suppe. Zuerst schaute die Frau ganz verdutzt. Dann aber besann sie sich, lächelte ihn an und begann, ihren Löffel zu dem seinen in den Teller zu tauchen. Sie aßen gemeinsam. Und nach der Mahlzeit – unterhalten konnten sie sich kaum – spendierte der junge Mann ihr noch einen Kaffee. Er verabschiedete sich höflich. Und als die Frau gehen wollte und unter den Tisch zur Handtasche greifen will, findet sie nichts. Alles weg! Also doch ein gemeiner, hinterhältiger Spitzbube? Ich hätte es mir doch gleich denken können! Gemeinheit! Enttäuscht, mit rotem Gesicht schaut sie sich um. Er ist spurlos verschwunden. Aber am Nachbartisch erblickt sie einen Teller Suppe – ohne Löffel, inzwischen kalt geworden. Darunter hängt ihre Handtasche.

So kann unsere angeblich christliche und vorurteilslose Einstellung sich sofort erschreckend als elende Selbsttäuschung demaskieren! Aber – „erschreckend“ und „elend“? Das gehört dann ja sicher auch zum Elend, von dem Er uns befreit und woraus er uns neues Leben schenken will. Aus dem er uns heilt. Diese Hoffnung dürfen wir allemal haben – für uns selber, für unsere Nachbarn, für alle Menschen!

(Ich würde ja gerne den Autor der Geschichte aus dem Schnellrestaurant nennen, aber im Internet und anderswo kursiert sie inzwischen unter den verschiedensten Namen, meist allerdings ohne Namensnennung.)

14 Die Welt braucht Christen, die es sind

Jesus sagte den Jüngern durch ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten: In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm. In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe, die immer wieder zu ihm kam und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Feind! Lange wollte er nichts davon wissen. Dann aber sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; trotzdem will ich dieser Witwe zu ihrem Recht verhelfen, denn sie lässt mich nicht in Ruhe. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht. Und der Herr fügte hinzu: Bedenkt, was der ungerechte Richter sagt. Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen. Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden? (Lukas 18,1-8)

Jesus – vor 2000 Jahren – fragt: „Wird aber der Menschensohn, wenn er kommt, auf Erden noch Glauben vorfinden?“ Trifft diese Frage „uns“? Kann er heute – „bei uns“, in seiner Kirche Glauben vorfinden?!

„Na also sowas! Das ist eine Beleidigung! Wenn wir nicht glauben würden, wären wir heute morgen nicht hierher gekommen!“ … Also stellt Jesus da eine seltsame Frage!?

Immer wieder wurde mir die Jahre hindurch mit Erschrecken inne: Es könnte „der Menschensohn“ sein, der in der Gestalt von Menschen mit uns Kontakt aufnimmt und der da schaut: Was gibt es da an Glauben zu finden? Wenn Familien kamen, meistens aus der Ferne der Kirche her: „Wir wollen unser Kind taufen lassen.“ Oder weil sie aus irgendwelchen Gründen im Sinn hatten, dass ihr Kind zur Erstkommunion gehen sollte. Oder Jugendliche mit der Idee, sich nächstes Jahr firmen zu lassen. Ganz abgesehen von den Leuten, die wieder aufgenommen werden wollten in die Kirche oder die neu zugezogen waren oder aus sonstigen Anlässen den Kontakt aufnah-men mit der Kirchengemeinde. Immer wieder stand ich vor der Frage: Was kann ich Leuten sagen, die zu mir kommen – die meisten wollen ja den Pfarrer sprechen, wenn sie Kirche suchen – mit Hoffnungen für ihr Leben, die sie auf die Kirche richten, mit Hoffnung auf „Heiligen Geist“ unter Christenmenschen – was kann ich denen sagen, wohin in der Gemeinde sie gehen können, wo sie bei uns Heilung, Befreiung, Erlösung durch Christus finden?

Ich erschrecke dabei, weil ich spüre: Wir stehen heute sehr wohl vor der Frage: Findet dieser Jesus Christus in Gestalt der Menschen, die mit uns Kontakt aufnehmen, wirklich eine Glaubensgemeinschaft vor? Findet er bei uns einen Ort, wo es die Realitäten gibt, von denen das Evangelium mit so wunderschönen Worten redet? Oder werden hier Menschen, die sich in Gottes Namen der Kirche anvertrauen, auf den Bauch fallen und sagen: „Ach, das sind ja alles nur schöne Worte!“? – Wie es die ganzen Generationen getan haben, die dann weggeblieben sind. Werden wir ein „Kraftfeld“ sein (so nannte das der Limburger Bischof Wilhelm Kempf in seinem Fastenhirtenbrief 1974) -, in dessen Nähe die Menschen merken: „Waw! Das stimmt! Hätte ich kaum zu hoffen gewagt! Heil, Leben – das gibt es hier tatsächlich!“ Wo Gottes Geist wirkt, da sind auch Menschen, die wollen, dass Gottes Geist unter ihnen wirk-lich sei! – Sind wir eine solche Gemeinschaft des Heiligen Geistes? Oder bleibt jeder, der zu uns kommt, allein? Wir sind gefragt, ob wir überhaupt wollen, dass man das bei uns finden kann, was die Menschen angeblich in der Gemeinschaft der Kirche sollen finden können! Wie wichtig ist uns das? Und statt „wichtig sein“ kann man auch sagen „glauben“: Glauben wir das?

Was meint Jesus eigentlich mit „Glauben“?! Er erzählt das Gleichnis von der Witwe und dem ungerechten Richter und sagt dann: „Wenn es das unter Menschen schon gibt, um wie viel mehr wird Gott denen, die Tag und Nacht (!) zu ihm schreien, ihr Recht verschaffen!“ – Wer von den Kirchenchristen kommt auf die Idee: Gott verschafft mir mein Recht!? Und wer will, dass andere Menschen dem göttlichen Geist in der Kirche zutrauen, dass er ihnen durch unseren gemeinschaftlichen Dienst in der Kirche ihr Recht verschafft? Traue ich das dem Geist dieser kirchlichen Gemeinschaft zu – für mich und für andere?

Ja, wir stehen zugleich auf beiden Seiten: Da sind wir nicht nur die Witwe, sondern auch der Richter. Denn alle, die von sich sagen, sie glauben als Christen an Gott – also alle, die noch nicht aus der Kirche ausgetreten sind – , stehen in der Verantwortung, Gott nicht Lügen zu strafen: indem sie wirklich eine Gemeinschaft sind, zu der Menschen kommen können mit dem Zutrauen: Da finde ich mein Recht! Mein Menschenrecht im Sinn der Menschenwürde, wie der Schöpfer es gemeint hat. Da muss ich nicht irgendetwas sein, nein, da darf ich – ich – leben!

Wie kommt man – auf beiden Seiten – zu solchem Zutrauen? Sicher in erster Linie auf Grund von Erfahrungen. Und wie können die aussehen?

Das alttestamentliche Buch Exodus (das „2. Buch Moses“) erzählt von einer bedrohlichen Situation des Volkes. Sie sahen sich in der Gefahr, dass ihnen ihr Leben, ihr Lebensrecht genommen werden könnte: Das Heer der Amalekiter, ein starkes Nachbarvolk, griff Israel an.

Da sagte Mose zu Josua: Wähl uns Männer aus und zieh in den Kampf gegen Amalek! Ich selbst werde mich morgen auf den Gipfel des Hügels stellen und den Gottesstab mitnehmen. Josua tat, was ihm Mose aufgetragen hatte, und kämpfte gegen Amalek, während Mose, Aaron und Hur auf den Gipfel des Hügels stiegen. Solange Mose seine Hand erhoben hielt, war Israel stärker; sooft er aber die Hand sinken ließ, war Amalek stärker. Als dem Mose die Hände schwer wurden, holten sie einen Steinbrocken, schoben ihn unter Mose und er setzte sich darauf. Aaron und Hur stützten seine Arme, der eine rechts, der andere links, sodass seine Hände erhoben blieben, bis die Sonne unterging. So besiegte Josua mit scharfem Schwert Amalek und sein Heer. (Exodus 17,8-1)

Die schlimmste Situation des Volkes, die man sich vorstellen kann; es geht um Tod oder Leben, um Zukunft oder Untergang: Wird Gott sein Versprechen erfüllen? Oder wird er uns wie eine heiße Kartoffel fallen lassen? In dieser Frage sehen sich die Israeliten. Sie werden angegriffen! Sie sind zahlenmäßig unterlegen! Aber: Solange Mose die Arme hoch halten kann, solange bringt diese zahlenmäßige Unterlegenheit nicht den Untergang mit sich. Solange er, der Anführer des Volkes, „mit Leib und Seele“ betet, spielt es keine Rolle, ob sie unterlegen sind oder nicht. Solange also Gottes Volk sich in den wichtigsten Dingen des Lebens Gott anvertraut, kann Gott seine Verheißungen verwirklichen. Da können Mächte dagegen stehen, egal wie mächtig sie sind: Die Treue Gottes ist stärker als alles andere. Ob sich das real auswirken kann, hängt davon ab, ob die Menschen es ihm zutrauen! Der „Glaube“ des Evangeliums ist auch hier genannt: ob sie es von ihm erwarten – im Zeichen der erhobenen Hände zum Gebet. Und – diese Geschichte macht es so schön bildhaft deutlich: Wenn Mose dabei allein ist, dann sinken ihm die Arme sehr bald erschöpft herunter. Und nicht nur die Arme, sondern auch das Herz und die Hoffnung und alles, was dazugehört. Er wird gestützt! Ohne „Unter-Stützung“ durch die Gemeinschaft würde das Ganze nicht gelingen.

Mich hat wiederholt in Gottesdiensten erschreckt, wie bei Gesängen, die der gegenseitigen Bestärkung hätten dienen können, jeder Singende für sich – als Einzelner allein – ins Gesangbuch geschaut hat. Wo bleibt da die spürbare Gemeinsamkeit?! Wie stark kann man es aber auch immer wieder erleben, wenn bei bestimmten Worten oder bei einem bestimmten Gesang ein Blick einem anderen begegnet und man sich dabei zulacht! Wie das gegenseitig bestärkt in dem, was gemeinsam gesungen wird! Wie gut sind da die Christen in den armen Völkern dran, die kein Geld haben, sich Gesangbücher zu kaufen! Sie haben noch die Möglichkeit, einander anzuschauen, wenn sie im Gottesdienst miteinander singen, so dass sie einander Bestärkung liefern können! Bei uns aber verstärkt sogar das gemeinsame Singen oft die Vereinzelung. Vor allem wenn die Orgel so laut spielt, das man die eigene Stimme nicht mehr hört. Eine Verweigerung der Gemeinschaft, die sich ja oft in den Kirchen auch darin zeigt, in welchen Abständen die Einzelnen ihre Plätze wählen. – Unterstützung??? – Fehlanzeige!

„Wird der Menschensohn, wenn er kommt, …“ – und er kommt ja laufend, wir merken es nur kaum mal; er kommt in allen möglichen Gestalten! – „wenn der Menschensohn kommt, wird er auf der Erde“ – und auf uns bezogen – „wird er bei uns Glauben finden???“

Cover Damit Weihnachten wird

Damit Weihnachten wird

Zukunft. Da ist alles drinnen. – So? Hat die Welt Zukunft? Die dunkle Jahreszeit veranlasst viele zu einer dunklen Perspektive, statt eine nüchterne Einschätzung von Trends und eine nüchterne Bilanz der Chancen und Risiken als Grundlage für eine Prognose zu nehmen. Die Bibel macht neugierig auf das, was auf einen „zukunft“ – altes Wort für: was auf einen zukommt. Noch älter – auf Latein: Advent(um) = was auf unsereins zukommt.

ISBN 978-3-9814092-3-9
122 Seiten | 14,8 x 21,0 cm | vergriffen

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Leseprobe

1 Krise total? – Gott vertrauen!

Es ist um das Jahr 600 vor Christus. Das Heer des babylonischen Königs Nebukadnezzar ist ins Restgebiet von Israel eingefallen. Nur Jerusalem und zwei kleinere Städte sind noch nicht gefallen. Das feindliche Heer belagert jetzt Jerusalem. Schon grassieren Pest und Hunger in der Stadt. Bald wird sie eingenommen werden. Wehe den Menschen, die darinnen wohnen! Sie haben schon ihre Häuser eingerissen, um mit den Steinen die Belagerungswälle zu verstärken. Was sie noch zu erwarten haben? Nur den Untergang. Es ist alles aussichtslos. Die Katastrophe ist unabwendbar. Das Ende.

Und das in Jerusalem. Wo doch Gott unter den Menschen wohnen wollte! Gott hat zwar Zukunft und Heil versprochen, aber – wie man sieht – ist sein Versprechen ins Leere gegangen. Anscheinend steht bevor, dass Gott selber untergeht. Schlimmeres kann es für Israel und Jerusalem nicht geben. Weltuntergang. Keine Zukunft mehr. Krise total. Angst.

Und in dieser Situation tut der Prophet etwas geradezu Verrücktes: Er schließt mit einem anderen Bürger einen Kaufvertrag ab. Er kauft von ihm einen Acker vor den Mauern der Stadt. Gott hat ihm gesagt, er soll das tun.

Davon hört König Zidkija. Er bestellt den Propheten zu sich: Was das denn soll. Als Antwort überliefert die Bibel dessen Blick durch den König hindurch in die – nahe? oder ferne? – Zukunft:

Seht, es werden Tage kommen Spruch des Herrn , da erfülle ich das Heilswort, das ich über das Haus Israel und über das Haus Juda gesprochen habe. In jenen Tagen und zu jener Zeit werde ich für David einen gerechten Spross aufsprießen lassen. Er wird für Recht und Gerechtigkeit sorgen im Land. In jenen Tagen wird Juda gerettet werden, Jerusalem kann in Sicherheit wohnen. Man wird ihm den Namen geben: Jahwe ist unsere Gerechtigkeit. (Jeremia 33,14-16)

Aber Untergang steht bevor! Wie kann da Jeremia von Zukunft reden: „Ihr werdet in Sicherheit wohnen“! Das ist völlig unrealistisch! Und trotzdem: Jeremia spricht es aus. In Gottes Auftrag! Und er kauft den Acker. Im Vertrauen auf Gottes Zusage, dass es nach der aussichtslosen Krise Zukunft und Leben gibt.

Solches Kontrastprogramm in der Perspektive greift Jesus auf. Ja, das Vertrauen auf die Zuverlässigkeit der von Gott zugesagten Zukunft spitzt er sogar bis ins Extrem zu:

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen, und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres. Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.

Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen.

Wenn all das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.

Nehmt euch in Acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren und dass jener Tag euch nicht plötzlich überrascht, so wie man in eine Falle gerät; denn er wird über alle Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen. Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt. (Lukas 21,25-28.34-36)

Also: Selbst wenn Gefahr für die Erde droht oder das Kräftespiel des Himmels durcheinander gerät, – Kopf hoch: Erlösung, beste Zukunft ist angesagt! – Verrückt?! – Jesus redet nicht nur so, er handelt. Er fängt einfach damit an:

Wo Menschen leiden, legt er Hand an – Gottes Hand! Er öffnet  Blinden die Augen, so dass sie ihn, den Kommenden und ihr eigenes zukünftiges Heil sehen können. Dämonisch Besessene befreit er wieder zu sich selbst. Er entmachtet die mainstream-Überzeugung, Elend sei Gottes Strafe für begangene Schuld.

Mit solcher Menschenfreundlichkeit, die man in dieser Radikalität auch damals  nur Gott zutrauen zu können meinte, machte er sich Todfeinde. Und so nahm er auf diesem Weg selber die Katastrophe des Untergangs auf sich: bis hin zum Tod am Kreuz. Allerdings fing er auf diesem Weg damit an, die in der Welt herrschenden Kräfte zu entthronen und Gottes neue Welt herbei-zuführen, eben Gottes Reich, Gottes Einflussbereich, seine Herrschaft der Liebe, des Friedens und der Gerechtigkeit. Für alle.

Da bricht eine neue Zeit an! Zeit einer Art, wie man sie sich schon lange nicht mehr zu erhoffen traute. Es gab Menschen, die diese Wirklichkeit nicht – weil „unrealistisch“ – ausgeblendet, sondern im Gegenteil sich ihr geöffnet haben. Ermutigt von Jesus und dem, was er tat und deutend dazu sagte, ließen sie sich nicht weiter von den „Sorgen des Alltags“ in „Rausch und Trunkenheit“ „verwirren“, sondern hielten in wacher Aufmerksamkeit Ausschau mit der Orientierung der von ihm eröffneten Perspektive.

Damit machten sie – in der Krise! – neue Erfahrungen: Das „Ende der Tage“, „jene Zeit“, für die die Bibel schon immer die Erlösung in Aussicht gestellt hatte, ist mit Jesus schon angebrochen! Er ist der verheißene „Menschensohn“! Der von Gott, was zugesagt ist, auch bringt und erfüllt. In der Kirche hat man daher von alters her die im religiösen Ritus ursprünglich für Zukünftiges reservierte Formel „in jener Zeit“ für die aus der Vergangenheit erzählende Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus verwendet. Und gemeinsam haben Christen sich das seit Jahrhunderten gern zu eigen gemacht und besingen den schon gekommenen „König“, „der Heil und Leben mit sich bringt“ – mit dem bekannten Adventlied „Macht hoch die Tür …“.

Jetzt soll also das, was in der Bibel „für jene Zeit“ versprochen ist, Wirklichkeit werden. Für alle Menschen. Das ist das Kommen Gottes, auf das wir hoffen, das wir erwarten – unsere Zukunft. Schon sind wir auf dem Weg. Die ersten Schritte be-stehen darin, aufmerksam hinzuschauen und von der gehörten Botschaft her, also betend, die Wirklichkeit zu sehen, damit uns die Sorgen des Alltags nicht verwirren und in Ängste stürzen, sondern damit unser Blick frei bleibt und wir weiterhin achtsam, aufmerksam sein können für das, was wirklich das Ende dessen ist, worauf alles zustrebt in unserem Leben: dass Gottes Ewigkeit so häufig wie nur möglich hereinbrechen kann in unser Jetzt.

Herrlich

Auf dem Weg eines erfüllten Lebens, anerkannt und geachtet, in Verein und Kirche engagiert, eigentlich immer gesund, war Frau St. alt geworden. Rüstig und voll da.

Eines Tages hieß es plötzlich: Nieren kaputt. Dialyse! „Lebenslänglich“. Dreimal die Woche. Mit allem, was dazugehört: Schmerzen. Ängste. Und was für Einschränkungen in ihrem Lebensstil! – Monate später weitere Komplikationen: Sie konnte nicht mehr laufen, hatte Probleme mit dem Sprechen, … Ängste. Ende. Wir machten uns alle Sorgen um Frau St.

Doch das war nicht das Ende. Nach zwei Jahren war eines Tages klar: Frau St. braucht keine Dialyse mehr. Und sie geht wieder auf eigenen Füßen, nach einiger Zeit in sicherer Umgebung sogar ohne Gehhilfe.

Eine konzertierte Aktion aus Vertrauen und Willenskraft, Medizin und Physiotherapie und einem stützend begleitenden Lebensraum von Gottes Art konnte das, was nach „Ende“ ausgesehen hatte, besiegen.

Cover Damit Ostern wird

Damit Ostern wird

Mancher Versuch mit dem Beten und mit Gottesdienst wurde enttäuscht. Freude am Glauben haben viele nicht erlebt. Selbst da, wo Menschen solidarisch zusammengefunden haben, ist doch das Kirche-Sein mit vielen Widersprüchen verbunden und mit Spannungen, Frust und Flops.

Da bietet sich alljährlich die Chance zum Neustart. Die Richtung, in die gestartet wird? Ostern: Auferstehung und neues Leben, wie Gott es für die Menschen meint.

Dem solide auf den Grund gehen. Mit allen Fragen, die sich da stellen. Diesen Weg neu in den Blick nehmen. Sich damit auseinandersetzen. Und klären, in welcher Beziehung ich selber dazu stehe und was das Ganze für mich bedeutet.

ISBN 978-3-9814092-4-6
122 Seiten | 14,8 x 21,0 cm | mit eingefügter Audio-CD | vergriffen

Bitte nicht löschen!

Leseprobe

aus: Neustart und Weg ins Leben
Vorbemerkung zu den Kapiteln 1 bis 6

Vertrocknet sind die Jubelzweige vom Palmsonntag des letzten Jahres. Also werden sie von den Kreuzen in Wohnzimmern, in Versammlungs- und Büroräumen abgenommen und zu Asche verbrannt. Ausgetrocknet ist auch so manche Begeisterung und Energie des Glaubens – beim einzelnen Menschen wie bei den Gemeinden. Da gab es zu wenig Nährstoffe und zu viel Anderes. Es muss ja nicht gleich um einen „Systemabsturz“ gehen, aber geholfen hat schon in vielen Lebenslagen ein „Neustart“. Da stellen sich viele Fragen, die stabil und zuverlässig beantwortet sein wollen – so, dass ich mir, meiner eigenen Person gerecht werde. Es geht schließlich um das Fundament meines Lebens. – Das Jesus-Programm bietet sich an.

Aber: Der Weg, den Jesus geht, ist zwar faszinierend und voller Lebendigkeit. Auf der anderen Seite bringt ihm das den tödlichen Konflikt ein. Seine belebende Kraft und die mächtigen beharrenden Kräfte der Gesellschaft vertragen sich nicht. Und die mit ihm gehen, – auch für sie ist das ein riskanter Weg. Kann das mein Weg sein? – In der persönlichen Beziehung zu Jesus und in der von seinem Geist belebten Gemeinschaft kann Klarheit wachsen, dass ich vertrauend und versöhnt „Ja“ sage zum Weg mit ihm und dass ich höre: „Steh auf, hab keine Angst!“

Der Kern der Botschaft wird immer klarer – für die, die sich der Begegnung mit Jesus stellen und in ihm Gott erahnen: Er rettet! Persönliche Geschichte wie Weltgeschichte werden jetzt mit ihm zur Rettungs-Geschichte. – Wie stehe ich dazu? Und dazu, „wir“ könnten der Ort sein, an dem er sich so erleben lässt?

Neu zu wissen, was ich tue und warum und inwieweit ich tatsächlich dahinter stehe – das mag helfen, der Gefahr zu begegnen, der man leicht unterliegen kann: der Gefahr der Verharmlosung oder der Gedankenlosigkeit und der bequemen Anpassung an das, was üblich und mehrheitsfähig ist; eben blind für die „Wirklichkeit“ zu bleiben und sich so die Auseinandersetzung zu ersparen. Aber die Begegnung mit Jesus Christus in Bibel und Gottesdienst, in der Gemeinschaft von Glaubenden, kann Motivation und Stärkung werden für die Auseinandersetzung mit Gegnern der Humanität, wie Gott sie meint.

Und dabei muss, wer den Weg mit Jesus gehen will, wissen: Da geht es um Gottes Alternative zum gesellschaftlich üblichen, all zu oft auch in der Kirche hoch gehaltenen Prinzip von „Gerechtigkeit“, die Lohn und Strafe nach „Verdienst“ zuteilt. Immer wieder braucht es Umkehr zu Gottes Art, wie er sich hinsichtlich Schuld und Vergebung in Jesus zeigt. Jedenfalls wenn wir zu unserer Taufe stehen und unser Weg in Richtung Ostern führen soll. Jesus selbst bringt dieser Konflikt ans Kreuz. Er löst Ärger aus bei all denen, die Machtregeln über alles stellen; die sich pseudo-fromm empören über seinen Glauben an einen Gott, der sich vor allem denen rettend zuwendet, die in „Sünde“, im „Grab“ leben.

Um solche Fragen geht es beim Christ-Sein: wogegen wir den Mund aufmachen und wofür wir uns einsetzen, woran wir glauben. Das ist die Dimension, in der die Erneuerung des Taufversprechens an Ostern gemeint ist. (…)


aus Kapitel 2: Ist das mein Weg?

Auf dem Weg zum Osterfest, in der sogenannten „Österlichen Bußzeit“, kann jeder Sonntag zu einer Etappe werden: neu klären und bestärken und voranbringen. Dabei bedeutet „Buße“ – so las ich bei Romano Guardini1 – so viel wie „sich dem öffnen, was von Gott her kommen will.“ Und was will mit Ostern kommen? Jesus will mit seinem Tod und seiner Auferstehung auf mein Leben einwirken. Mein Ja dazu ist gefragt.

Der 2. Sonntag auf diesem Weg: Noch 5 Wochen ist Zeit, Klarheit zu gewinnen für die Erneuerung des eigenen Taufbekenntnisses in der Feier der Osternacht – „Widersagt ihr? Glaubt ihr?“ – mit dem Wissen, was meinen Glauben antrifft und was auf meinen Widerspruch stößt; wogegen ich mich bekenne und wozu ich mich bekenne; welcher Angst ich nachgeben will und welcher Angst ich mich stelle.

Ja, wenn man das Leben als einen Weg versteht, immer wieder neu herausgerufen aus Vertrautem, gehört da eben immer auch Angst dazu. Weil ja alles Neue und alle Veränderung Angst macht. Ein Ärgernis! Noch dazu wenn man sich für einen Weg entschieden hat, der nicht der breite Weg der Mehrheit ist. Allerdings: Menschen, die sich für Gott, für Christus und für den Weg mit ihm entschieden haben, sollen zugleich gewiss sein dürfen: Gott klärt und wandelt solche Ängste, dieses Ärgernis – in ein wahrhaft erfülltes Leben.


… nahm Jesus Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; … Da erschienen plötzlich vor ihren Augen Mose und Elija und redeten mit Jesus. … und aus der Wolke rief eine Stimme: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören. … fasste sie an und sagte: Steht auf, habt keine Angst! … (Matthäus 17,1-9)

Was heute mit diesem Abschnitt aus dem Evangelium gesagt werden will, erschließt sich nur aus dem Zusammenhang:

Sie sind auf dem Weg nach Jerusalem – Jesus und seine Leute. Im Norden Israels, in Galiläa, hatten sie ihn kennen gelernt, und er faszinierte sie: Er hatte Menschen geheilt, die unter allem Möglichen zu leiden hatten. Und er hatte dazu verkündet: „So sieht das Reich Gottes aus! Und das soll sich jetzt überallhin ausbreiten!“ So war er selber zu Gottes Evangelium für die Menschen geworden. Und die ihre Freude an ihm gefunden hatten, waren seine ersten Anhänger geworden.

Aber zugleich hatten sie erlebt: Schon in Galiläa waren Leute gegen ihn: die frommen Pharisäer; die Schriftgelehrten, die aus Jerusalem gekommen waren, um seine Rechtgläubigkeit zu überprüfen; und die Anhänger des Königs Herodes. Die Auseinandersetzung zwischen ihnen und Jesus lief schon in aller Schärfe: Seine Gegner hatten schon den Beschluss gefasst, Jesus umzubringen.

Und trotzdem war Jesus fest entschlossen, nach Jerusalem zu gehen – in die Zentrale der Schriftgelehrten, an den Sitz des Königs Herodes – in die Höhle des Löwen. Diesen einflussreichen Menschen, die dagegen waren, dass Jesus den leidenden Menschen von Gott her Heilung brachte, die durften einfach nicht die Oberhand behalten! Denen anderes wichtiger war als die Befreiung der Menschen von ihren Leiden, denen musste Jesus entgegen treten – in Gottes Namen! Das war einfach sein „Ding“! Und Jesus war klar: Es ist Gottes Wille, dass er diesen riskanten Weg nach Jerusalem geht.

Seine Jünger, die Freunde, die mit ihm gingen, waren gemeinsam mit ihm auf dem Weg. Das Ausmaß der Gefahr, die ihm und damit auch ihnen in Jerusalem drohte, merkten sie zuerst gar nicht richtig. Deswegen hat Jesus sie eines Tages offen darauf angesprochen. Sie sollten rechtzeitig wissen, wohin der Weg führt, auf dem sie da mit ihm gingen. Also sagte Jesus zu ihnen: Wir gehen nach Jerusalem. Dort werden sie mir viel Leid antun, ja mich töten. Aber nach drei Tagen werde ich auferstehen. Da schauten ihn die Jünger erschrocken an. Nein! rief Petrus entsetzt, das darf nicht sein! Die Perspektive des Kreuzes war ihm ein Ärgernis. Aber Jesus wurde sehr ernst: Es muss so sein; Gott will es. (vgl. Matthäus 16,21-23) Sie hatten Angst vor dem, was da in Jerusalem auf Jesus und auf sie selber zukommen würde. Zu solchen Plänen Gottes konnten sie nicht versöhnt Ja sagen.

Vorab schon hatte Jesus deshalb zu allen gesagt: Wer den Weg mit mir gehen will, der soll sich gut überlegen, was er mit seinem Leben will und wofür und wogegen er steht – wozu er Ja und wozu er Nein sagt. (vgl. Matthäus 16,24-25) Wer allerdings sich für ihn entscheiden würde und für eine Teilnahme an seiner Lebensweise, der dürfe sicher sein, mehr als ein reich erfülltes Leben zu finden. Er selber werde ja drei Tage nach seiner Tötung auferstehen. Mit dem Wort von der Auferstehung konnten sie aber damals noch nichts anfangen. (vgl. Markus 9,32)

Zweifel blieben, ob dieser riskante Lebensweg wirklich ihre Sache ist. Unsicherheit blieb, ob sie dieser Art von „Gottes Reich“ und den damit verbundenen großen Zusagen von Gottes Menschenliebe trauen können. Ihre Angst blieb ihnen. Trotzdem gingen sie weiter mit Jesus.

Und ein paar Tage später geschah dann auf dem Berg, was dieser Abschnitt aus dem Evangelium erzählt. Sicher wollte Jesus damit seinen Jüngern mehr Klarheit in ihre Angst bringen. So nimmt er schon mal drei von ihnen beiseite für eine eigene gemeinsame Zeit mit ihnen. Vielleicht meint Jesus, diesen dreien kann er es schon am ehesten zutrauen, dass sie trotz ihrer Angst dem Weg mit Jesus ehrlich zustimmen – und zu wissen, warum sie das tun.

Was diese drei da mit Jesus erleben, das soll auch uns heutigen Menschen gerade für die Wegstrecken, die uns Angst machen, das Evangelium dieser Sonntags-Etappe sein: Statt der schwarzen, bedrohlichen Wolke, durch die hindurch sie erst einmal nur den Weg nach Jerusalem sehen können, – eben in schwarz – , lässt Jesus sie das Ganze im Licht der Bibel neu betrachten:

Mose und Elija. Deren Lebenswege waren den Jüngern von Jesus sehr wohl vertraut, und da gab es deutliche Ähnlichkeiten mit diesem Weg nach Jerusalem:


Ja, von Mose und Elija her, von Gesetz und Propheten – von der Bibel her – neu beleuchtet, erkennen die Jünger von Jesus auf dem Berg der Verklärung blitzartig das Herrliche, das Gott gerade auf diesem Weg für die ganze Menschheit in die Wege leitet. So lassen sie sich mit Gott und seinen Plänen versöhnen. – Vorläufig!

Die Brille der Angst einen Augenblick lang abgenommen – das ergibt eine ganz neue Sicht: Klarheit. Licht. Verklärung. Klarheit für alle Kreuz-, Leidens- und Todeswege. Klarheit besonders für alle Menschen, die – wie Abraham – ihre Sicherheiten verlassen und ausziehen, um mit Jesus Gottes Heils-Willen für die Menschen zu erfüllen.

Das will Gott uns heute mit diesem Evangelium sagen. Schon Papst Leo der Große im 5. Jahrhundert sagte: „Bei dieser Verklärung ging es vor allem darum, das Ärgernis des Kreuzes aus dem Herzen der Jünger zu nehmen.“ 2

Gott möchte uns gerne beistehen, dass wir in den verbleibenden 5 Wochen bis zur Erneuerung unseres Taufbekenntnisses in der Feier der Osternacht wieder neue Klarheit finden: welcher Angst wir ausweichen wollen oder nicht; wofür wir sind und wofür nicht; wogegen wir uns bekennen und wozu wir uns bekennen; was auf unsern Widerspruch stößt und was unsern Glauben antrifft. – Dieser Weg mit ihm: Kann ich das? Will ich das?

Er möchte so gerne, dass wir seiner Einladung wirklich trauen, dass wir uns vertrauend und versöhnt „dem öffnen, was (da) von Gott her kommen will“ (Guardini) und dass wir unser Ja erneuern zum Weg mit ihm durch das Leben – im frohen Bewusstsein: Das ist mein „Ding“, mein Weg in ein immer erfüllteres Leben!

„Auf ihn sollt ihr hören!“

„Steht auf, habt keine Angst!“


1 Romano Guardini (+ 1968), Der Herr – gemäß 2. Lesung der Lesehore zum Fest der Taufe Christi / Jahr II (Lektionar zum Stundenbuch, Heft II/1, Seite 216

2 Leo der Große (+ 461), Aus einer Predigt in der Fastenzeit – gemäß 2. Lesung der Lesehore zum 2. Sonntag in der Fastenzeit / Jahr II (Lektionar zum Stundenbuch, Heft II/2, Seite 58)


aus Kapitel 8: Ja, ihn lass ich mir gern gefallen!

Bei jenem Pascha-Mahl, beim letzten Abendmahl von Jesus mit seinen Leuten, wusste er, dass „seine Stunde gekommen“ war. Der Inbegriff alles dessen, was er bis dahin an Erfahrungen und Einsichten unter die Leute gebracht hat und was jetzt, auf die Spitze getrieben, zum Ende gebracht werden muss, das steht ihm in voller Klarheit vor Augen.

Aber sie? Diese Situation des Abschieds ist die letzte Chance, ihnen deutlich zu machen, worum es ihm bei allem gegangen ist und geht – bei seinem konsequenten Weg, der ihn schließlich das Leben kostet. „Begreift ihr, was ich an euch getan habe?“

Begreife ich, was er an mir getan hat? Was hat er uns denn angetan? Viele Menschen bis heute spüren da nur ein schlechtes Gewissen.

Also wäscht er ihnen die Füße. Petrus aber will nicht: „Niemals sollst du mir die Füße waschen!“ Wir haben dir zu dienen, aber du doch nicht uns!

Petrus hat noch nicht begriffen. Es galt halt damals schon als selbstverständlich: Wenn man es mit Gott zu tun bekommt, hat man demütig zu sein, hat man ihm zu dienen und zu tun, was er von einem verlangt, also ihm zu gehorchen; was er vormacht, ihm nachzumachen – möglichst perfekt. Daher das schlechte Gewissen – und das schale Gefühl zu wissen: Das funktioniert nie!

„Dann hast du keinen Anteil an mir“, sagt Jesus zu Petrus. Wenn du mich nicht an dich ran lässt mit meiner Liebe, mit der ich dir und deinem Leben dienen will, dann …

Und ich – wenn es denn möglich sein soll, dass ich so was erleben kann – lasse ich es mir gefallen, dass nicht ich ihm einen guten Dienst tun soll, sondern dass er mir dient – das heißt in den damaligen Gegebenheiten der Antike: dass er mir dient wie ein Sklave seinem Herrn und Meister? Gefällt mir das?

Wir – die Jünger von Jesus von damals samt Petrus, ebenso wie wir Christen von heute – wir sind zu schnell dabei, es ihm nachmachen zu wollen: Er hat uns doch schließlich auch dazu berufen, ihm nachzufolgen!

Aber wir vernachlässigen dabei die zu beachtende Reihenfolge der Schritte:

Nach dem, was Jesus hier sagt, ist als erster Schritt am wichtigsten zu nehmen: mir den Dienst des „Meisters“ gefallen lassen; es annehmen – zutiefst staunend und „selig“ froh – , dass er mir „die Füße wäscht“. Wenn ich das überspringe, kann’s nix werden mit der Gemeinschaft mit ihm!


Da kommt in Jesus Gott selber mit einem Riesen-Geschenk, das vom Beschenkten – freudig und zu dessen Nutzen – angenommen werden will, aber der hat die Hände voll mit einer Gegengabe, die er zuerst einmal los werden will, weil er ja ihm – vielleicht pflichtgemäß – etwas Gutes antun will. Weil er sein will und es tun will wie der Schenkende? Oder vielleicht weil er sonst das Geschenk (!) nicht verdient (?) habe, dessen „nicht würdig“ wäre??? – Immerhin – was Gott in Jesus dem Menschen bringt, nennt die Glaubensüberlieferung seit der Bibel bis heute „Gnade“, also (lateinisch) „gratia“. Und „in der Weise einer Gratia“ heißt „gratis“! Das muss doch erst mal ankommen können, wirken können!


„Mit Begierde und in Freude“ erst mal an mich ranlassen, bei mir richtig und wirklich ankommen lassen: diesen Weg, den Jesus ans Kreuz gegangen ist; die Dynamik, die in seinem Tod gipfelt, auf mein Leben, auf mich selbst einwirken lassen: „Begreifst du, was ich an dir getan habe?“ Darin besteht mein Ja – ganzheitlich, über alle Worte hinaus.

Und was darin ist eigentlich das Wunderbare? Wofür hat Jesus für den Menschen, für mich gekämpft, so dass er schließlich von den Gegnern im Konflikt umgebracht wurde? Was war ihm da so wertvoll und wichtig, dass er bereit war, dafür mit dem Tod am Kreuz zu bezahlen?

Zusammengefasst kann man es sicher so sagen: Was er von Gott und dessen „Reich“ ausgerichtet, verkündet, erklärt, verfügt, verkörpert, … hat: Der Wert des Menschen misst sich nicht. Weder an dem, was er leistet, noch an dem, was er sich geleistet hat oder was er sich leisten kann. Weder moralisch oder religiös noch wirtschaftlich oder materiell. Höchstleistung erhöht seinen Wert ebenso wenig, wie das Niedrigste, das einer sich geleistet hat, seinen Wert mindert. Sondern: Meinen Wert, meine königliche Würde habe ich dadurch, dass Gott mich als sein Ebenbild geschaffen hat. Und dadurch, dass er sich danach sehnt, alle Verletzungen meines Wertes so gut und so schnell wie möglich wieder heilen zu können. Einfach weil er mich liebt. Es gefällt dir, Gott, Jesus, einfach, für mich da zu sein und mir gut zu tun, mir Gutes zu tun! Selbst wenn du dabei „drauf gehst“!

„Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.“ (Johannes 3,16)

Und diese Liebe Gottes zu mir erst mal ausgiebig zu genießen, das ist der erste Schritt, der nicht übergangen werden darf! Fußwaschung!


Wer immer das Bewusstsein hat, sich seinen Wert, seine Wichtigkeit selbst erarbeitet und die Anerkennung seiner Position verdient zu haben, der muss natürlich mit aller Kraft gegen eine solche Einstellung zum Leben, zu der Jesus bewegt, protestieren und sie bekämpfen. Er riskiert ja, wenn so ein Prinzip sich durchsetzt, alles zu verlieren, was ihm sein „Leben“ geworden ist. Geradezu tragisch wird es, wenn er im Erfolg für seine Mühen Gottes Lohn zu erkennen meint, angesichts des Leidens aber, das Jesus um der Menschen willen auf sich nimmt, mit dem Gott konfrontiert wird, der vor jeder Mühe und ohne jedes Verdienst den Menschen liebt: Der kann dann nur verzweifeln (wie Judas?) oder aber Jesus ans Kreuz bringen.

Dagegen wiederum: Wenn Jesus mir „die Füße wäscht“ und wenn ich das zulasse – also wenn ich mir seinen Dienst an mir gefallen lasse, kann ich an ihm Anteil bekommen, Gemeinschaft mit ihm haben. So – und nur so, sagt er – kann das, worum es geht, bei und an und in mir ankommen und wirken und fruchtbar werden. So kann ich von ihm das bekommen und heil werden, glücklich werden in ihm. Er – er als Brot und Wein – will gegessen werden, getrunken werden, will Hunger und Durst stillen und dabei genossen werden, Freude bringen. Da ist die zentrale Frage: Lasse ich mir das gefallen? Lasse ich mir ihn gefallen?

Und wenn er mir dann die Füße gewaschen hat und mich die große Freude daran erfüllt, so dass ich davon überlaufe; und wenn die Dynamik dieser Liebe dann einfach in mir einen weiteren Ausgangspunkt gefunden hat und danach drängt, aus mir heraus weiter auszustrahlen und zu wirken, dann … – dann, also in der Reihenfolge danach – eröffnet sich eine neue Blickrichtung:

„Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“