Blogbeitrag

Vaticanum II, Gaudium et Spes, 1

Andere Vorstellung von Religion?

11. Juli 2024

Sonntagsbotschaft zum 14. Juli 2024, dem 15. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B).

Kommt „Kultur“ von „Kult“? Wenn ich die Historiker richtig verstanden habe, entstand menschliche Lebenskultur und ihre Pflege jeweils im Zusammenhang mit einem „Kult“, also mit der religiösen Anbetung eines Gottes oder von Göttern.

Ist „Kultur“ ohne „Religion“ ein Phänomen der Moderne? Eine Sicht vom Leben und von Menschsein „ohne Gott“ – ist das eine Frucht von Fehlentwicklungen?

Wenn ja, „Fehlentwicklungen“ der Menschen? Oder „Fehlentwicklungen“ der Religion?

Wenn Menschen sich von „Religion“ losgesagt haben, haben sie das, so scheint mir, immer als Befreiung gemeint und erlebt.

Liegt das an den Menschen oder an der Religion? Haben da Menschen unangemessene Ansprüche an ihre Freiheit gestellt? Oder hat da Religion unangemessen die Freiheit von Menschen eingeschränkt?

Die Bibel-Lesungen dieses Sonntags beziehen Stellung in dieser Auseinandersetzung.

Etwa 800 Jahre vor Christus lebte in Juda, dem Südteil Israels, ein Mann namens Amos. Um ihn geht es in der Ersten Lesung:

Er taucht plötzlich in Bet-El auf, im Nordteil Israels. Am Tempel. Wie ein Prophet. Er rügt die dort herrschende soziale Ungerechtigkeit – in Gottes Auftrag, wie er sagt. Das werde Unheil über das Land bringen.

Dabei hatten sie ansonsten in Bet-El einen ungestörten religiösen Betrieb – mit einer großen Zahl von berufsmäßig angestellten Propheten.

Der dortige Oberpriester Amazja meldet daher dem König Jerobeam die Störung:

Amos ruft zum Aufruhr gegen dich auf;
seine Worte sind unerträglich für das Land.
Denn Amos sagt:  
Jerobeam stirbt durch das Schwert
und Israel muss in die Verbannung ziehen,
fort von seinem Boden.

Und zu Amos sagt Amazja:

Seher, geh, flieh ins Land Juda!
Iss dort dein Brot
und prophezeie dort!
In Bet-El darfst du nicht mehr prophezeien;
denn das hier ist das königliche Heiligtum
und der Reichstempel.
Amos antwortete Amazja:
Ich bin kein Prophet und kein Prophetenschüler,
sondern ich bin ein Viehhirte
und veredle Maulbeerfeigen.
Aber der HERR hat mich
hinter meiner Herde weggenommen
und zu mir gesagt:
Geh und prophezeie meinem Volk Israel!
(Amos 7,12-15)

Und statt zu schweigen, mündet die Antwort des Amos in eine drastische Beschreibung des Unheils, das er über das Land kommen sieht, wenn sie nicht endlich auf Gott hören und für Recht im Land sorgen. Er ruft dem Oberpriester zu:

Du sagst: Prophezeie nicht gegen Israel
und geifere nicht gegen das Haus Isaak! 
Darum – so spricht der HERR:
Deine Frau wird zur Hure in der Stadt,
deine Söhne und Töchter fallen unter dem Schwert,
dein Boden wird mit der Messschnur verteilt,
du selbst stirbst auf unreinem Boden
und Israel muss in die Verbannung ziehen,
fort von seinem Boden.
(Amos 7,16-17)

Die amtlich bestellten „Propheten“ am „königlichen Reichstempel“ reden ganz anders. Sie sind mit der Macht verbandelt und passen ihre Botschaften der geläufigen Politik an.

Amos aber geißelt die soziale Ungerechtigkeit und er weiß sich dazu von Gott beauftragt. Der religiöse Betrieb am Tempel entspricht nicht mehr dem, was Gott will. Sie sollen umkehren und dafür Sorge tragen, dass es dem Volk gut geht.

Auch 800 Jahre später – nach der angekündigten Verbannung und dem von Gott ermöglichten Neuanfang in Juda, zur Zeit von Jesus – geht es dem Volk nicht gut.

In Gottes Namen fängt jetzt Jesus an, das alte Zwölf-Stämme-Volk neu zu sammeln. Aus denen, die mit ihm gehen, wählt er die Zwölf aus, die er besonders beauftragt, und schickt sie unter die Leute:

Er rief die Zwölf zu sich
und sandte sie aus,
jeweils zwei zusammen.

Sollen sie den Menschen Gott in Erinnerung bringen und seine Gebote? Was ist ihr Auftrag?

Er gab ihnen Vollmacht
über die unreinen Geister…

Oh! Sie sollen dahin gehen, wo Menschen von Negativem besessen sind, an Unheil zu leiden haben? Und denen sollen sie so begegnen, dass die eine neue Freiheit zum Leben finden? Was traut er ihnen damit zu! Sie sollen Veränderungen ins Leben der Menschen bringen. Heilung von allem, was sie beherrscht.

Ist das für ihn das Wesentliche, was sich ändern soll, wenn Menschen neu Beziehung zu Gott aufnehmen; wenn sie sich für seinen Einfluss öffnen; für das, was er immer „Reich Gottes“ nennt?

Was haben „die Zwölf“ da zu erwarten? Übernehmen sie sich da nicht? Er redet von „Vollmacht“!

Werden sie sich zu dieser Aufgabe „senden“ lassen? Trauen sie sich mit dieser „Vollmacht“ zu, dass sie da tatsächlich Möglichkeiten haben, etwas zu erreichen?

… und er gebot ihnen,
au
ßer einem Wanderstab
nichts auf den Weg mitzunehmen,
kein Brot, keine Vorratstasche,
kein Geld im G
ürtel,
kein zweites Hemd
und an den F
üßen nur Sandalen.
Und er sagte zu ihnen:
Bleibt in dem Haus, in dem ihr einkehrt,
bis ihr den Ort wieder verlasst!
Wenn man euch aber
in einem Ort nicht aufnimmt
und euch nicht h
ören will,
dann geht weiter
und sch
üttelt den Staub von euren Füßen,
ihnen zum Zeugnis.

Jeweils zu zweit, hat er gesagt. Angewiesen auf Wohlwollen und Zustimmung der Leute.

Mit einem solchen Auftrag unterscheidet sich Jesus aber sehr von den anderen Religionslehrern, die den Menschen vor allem Gottes Gebote lehrten. Er entwickelt ein ganz anderes Konzept von „Religion“: Die Verantwortlichen werden ausgesandt mit der Aufgabe: Das Volk soll heil werden und leben.

Das dürfte ein Kampf werden! Sehen sie den für sich als wertvoll an und als erfüllend oder sinnvoll? Kann das ihr „Ding“ werden?

Und sie zogen aus
und verk
ündeten die Umkehr.
Sie trieben viele D
ämonen aus
und salbten viele Kranke mit
Öl
und heilten sie.
(Markus 6,7-13)

Das letzte Konzil (1965) begann die Beschreibung des Selbstverständnisses und der Aufgabe von Kirche mit den Worten:

„Freude und Hoffnung,
Trauer und Angst der Menschen von heute,
besonders der Armen und Bedrängten aller Art,
sind auch Freude und Hoffnung,
Trauer und Angst der Jünger Christi. …“

(Gaudium et spes, 1)

Und die liturgische Ordnung sieht als Ruf zur Begrüßung des Evangeliums an diesem Sonntag vor:

Der Vater unseres Herrn Jesus Christus
erleuchte die Augen unseres Herzens,
damit wir verstehen, zu welcher Hoffnung wir berufen sind.
(vgl. Epheser 1,17-18)

Halleluja!

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