Sonntagsbotschaft zum 28. Juli 2024, dem 17. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B).
Sie machte eine schnelle Handbewegung: STOPP! Ihr Kind auf der anderen Straßenseite wollte zur Mama. Aber der dichte Autoverkehr! Ihr Kind verstand das Handzeichen als Aufforderung, schnell die Straße zu überqueren. …
Zeichen können Leben retten. Und Zeichen können fatal missverstanden werden.
Zeichen.
Jesus ist das Zeichen, das Gott der Menschheit gibt. Darauf richtet das Evangelium des Johannes alle Aufmerksamkeit. Mit allem, was Jesus tut und sagt, gibt er Zeichen – überall, wo Menschen am Leben behindert oder in Gefahr sind. Das ganze Johannes-Evangelium ist eine Serie von Erzählungen, wie Jesus Zeichen gibt für den Weg, für die Wahrheit, für das Leben.
Ein Abschnitt daraus kann an diesem Sonntag für unsere Zeit erneut zum Zeichen werden.
Jesus sieht die große Menschenmenge, die ihm folgt. Da fragt er den Philippus:
Wo sollen wir Brot kaufen,
damit diese Leute zu essen haben?
Philippus und die anderen reagieren hilflos:
Brot für zweihundert Denare reicht nicht aus,
wenn jeder von ihnen
auch nur ein kleines Stück bekommen soll.
Andreas sagt:
Hier ist ein kleiner Junge,
der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische;
doch was ist das für so viele?
Sie wissen nicht weiter. Immerhin – allein die Männer gezählt, sind es um die 5000!
Jesus hat sie aufmerksam gemacht: Diese Leute brauchen zu essen!
Jetzt sagt er zu ihnen:
Lasst die Leute sich setzen!
Und alles, was Jesus dann tut – so erzählt der Evangelist Johannes – ist:
Dann nahm Jesus die Brote,
sprach das Dankgebet
und teilte an die Leute aus,
so viel sie wollten;
ebenso machte er es mit den Fischen.
Was dann weiter geschieht, würden wir zwar gerne wissen. Aber der Evangelist meint offensichtlich, das braucht uns nicht zu interessieren. Wichtig ist für ihn nur, wie es anfängt: Die Jünger lassen sich von Jesus aufmerksam machen, wo jemand ist, der mehr hat, als er selber braucht – im Vertrauen auf seine Bereitschaft, was er hat, zu teilen. Unter der Regie von Jesus fangen sie mit dem Verteilen an.
Auch die Frage, wie das funktioniert und ob das reicht, hält der Evangelist für uninteressant. Vielleicht unterstellt er seinen Lesern und Hörern, dass sie selber wissen, wie so etwas weitergeht, wenn einer anfängt. In seiner Erzählung schließt er nur an:
Als die Menge satt geworden war,
sagte er zu seinen Jüngern:
Sammelt die übrig gebliebenen Brocken,
damit nichts verdirbt!
Sie sammelten
und füllten zwölf Körbe mit den Brocken,
die von den fünf Gerstenbroten
nach dem Essen übrig waren.
Was hat Jesus da getan? Der Evangelist nennt es:
Als die Menschen
das Zeichen sahen,
das er getan hatte, …
Wofür hat er ihnen ein Zeichen gegeben? Was hat er ihnen gezeigt?
Eigentlich hatten sie selber fast alles getan. Er hatte sie dazu in Bewegung gesetzt. Sie haben auf ihn gehört und haben sich von ihm zeigen lassen, wie Gott wirkt und wie sie mitwirken können!
Die Hilfsbereitschaft in Notlagen, die wir auch in unseren Tagen mit Verblüffung immer wieder beobachten können, steckt im Menschen, wie Gott ihn geschaffen hat, anscheinend einfach drinnen: „Eigentum verpflichtet!“
Da verstecken sie nicht mehr, was sie haben. Sie rücken heraus, was sie dabeihaben. Bedenken zählen nicht. Sie lassen sich vertrauensvoll darauf ein, wie Jesus das in Gang setzt. Das ist das eigentliche Wunder, das Jesus auslöst.
Der Evangelist sorgt dafür, dass dieses Ereignis durch die Jahrhunderte hindurch den Menschen zum Zeichen wird – auch für ihre Zeit, wo immer Not am Mann ist. Da wird das Wort des Evangeliums zu dem Brot, das an alle weiterverteilt wird und den Hunger nach Leben stillt.
Wie hören wir heute diese Erzählung?
Der Evangelist schließt sie mit der Bemerkung, dass sogar die, die das Geschehene selber erleben, überhaupt nicht kapieren.
Als die Menschen sahen, was Jesus da getan und bewirkt hatte, so erzählt er, fallen sie aus allen Wolken und rufen aus:
Das ist wirklich der Prophet,
der in die Welt kommen soll.
Da erkannte Jesus,
dass sie kommen würden,
um ihn in ihre Gewalt zu bringen
und zum König zu machen.
Daher zog er sich … zurück …
(Johannes 6,1-15)
Sie haben missverstanden! In ihrer Sichtweise auf das, was geschehen ist, hat Jesus – jenseits aller realen Möglichkeiten – ein „Wunder“ getan! Sie sehen in ihm den magischen Spezialisten mit einer Zauberkraft: „der Prophet, der in die Welt kommen soll“ – weil sie auch verdrehen, was in seinem Wesen „der Prophet“ ist. Und da sie überall sehen, dass weder Bürger noch Politiker fähig sind, die Probleme zu lösen, wollen sie zur Gewalt greifen und ihn zum regierenden König machen.
Schon am Anfang der Erzählung hatte es geheißen, dass die große Menschenmenge ihm folgte,
weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat.
Der Evangelist, der seinen Hörern und Lesern Augen und Herzen dafür öffnen möchte, worin die Wichtigkeit von Jesus liegt, spricht von den „Zeichen“, die Jesus an den Kranken tat. Das „Wort“, mit dem er sich ihnen zuwendet, wird Fleisch und Blut für sie!
Aber sich von Jesus „zeigen“ lassen, was Gott mit den Kranken tut und wozu sie beitragen können, das wollen sie anscheinend nicht. Sie wollen lieber, dass er, der Wundertäter mit magischen Fähigkeiten, herbeizaubert, was es braucht.
In der Fortsetzung des Evangeliums heißt es dann, dass die Leute loszogen und Jesus suchten. Und als sie ihn schließlich fanden, sagte Jesus zu ihnen:
Ich sage euch:
Ihr sucht mich nicht,
weil ihr Zeichen gesehen habt,
sondern weil ihr von den Broten gegessen habt
und satt geworden seid.
(Johannes 6,26)
Es läuft auch hier wieder wie schon bei dem, was der Evangelist als das „erste Zeichen“ erzählt hat, mit dem Jesus deutlich machte, was er „seine Herrlichkeit“ nennt (Johannes 2,11): das sogenannte „Weinwunder“ bei der Hochzeit zu Kana, das die Bibel selber eben nicht ein „Wunder“ nennt, um nicht als Mirakel missverstanden zu werden, sondern als „Zeichen“ – was ja die Menschen damals wie heute zu weiteren hoffnungsvoll neugierigen Fragen anregen will.
In dem, was Jesus tut – sowohl mit den Kranken als auch mit der Menschenmenge hier – sehen sie nicht das Zeichen, sondern das magisch missverstandene Mirakel: „wie der das macht! – ein Meister des Tischlein-deck-dich!“ Also wollen sie mit Gewalt über ihn verfügen, damit er das immer so macht. Dann sind sie ja selber fein raus aus der Verantwortung und aus jeder Verpflichtung füreinander.
So haben sie sich eben nicht Weg, Wahrheit und Leben zeigen lassen. Sie wollen nicht auf ihn hören, sondern sich seiner Wunderkraft bedienen.
Dieses Missverständnis – man könnte auch sagen „diese Verweigerung des Glaubens“ – pflanzt sich dann fort durch die Jahrhunderte.
Schon in der ersten Zeit der Christen, als die Apostel in Samarien Zeichen taten wie Jesus, – so erzählt die Apostelgeschichte – war da ein Mann namens Simon, bekannt in der Gegend wegen seiner Zaubereien. Der
… geriet außer sich vor Staunen,
als er ihre großen Zeichen und Machttaten sah.
Auf den ersten Blick sieht das nach Glauben aus. Und in der Tat, die Apostelgeschichte erzählt, dass er sich hat taufen lassen.
Und als dann Petrus und Johannes kamen
und Simon sah, dass durch die Handauflegung der Apostel
der Geist verliehen wird,
brachte er ihnen Geld:
Gebt auch mir diese Vollmacht,
damit jeder, dem ich die Hände auflege,
den Heiligen Geist empfängt!
(Apostelgeschichte 8,9-20)
Und Goethe legt dem Faust, der auch noch lange nicht verstanden hat, in den Mund, das Wunder sei „des Glaubens liebstes Kind“, das „Mirakel“, das Zauberkunststück. Das aber verführt bestenfalls zur Bewunderung und zugleich zum Vorwurf gegen den, der das „kann“, warum er es nicht auch hier und heute tut.
Demgegenüber sind die „Zeichen“, die Jesus tut und dann eben auch die Apostel, eher Impulse, die aufstacheln und Mut machen, auch selber aus dem gleichen Geist zu handeln und zu leben.
Dann wird das Weitererzählen davon zur Botschaft von den wunderbaren, unglaublichen „Chancen“, die sich auftun, wenn Menschen sich von Jesus das Leben zeigen lassen – nach seinem Motto „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ (Johannes 10,10)