Blogbeitrag

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Wie lange noch …!

2. Oktober 2025

Sonntagsbotschaft zum 5. Oktober 2025, dem 27. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C). 

Wie lange noch müssen die Kinder, die Frauen und Männer im Gaza-Streifen um ihr Leben bangen!

Wie lange noch sollen die Geiseln in den Händen der Hamas ihre Terror-Haft erdulden!

Wie lange noch muss die total geschwächte 28-Jährige auf ein Spenderherz warten!

Wie lange noch soll ich mit ansehen, dass die Mitmenschen, die auf Bürgergeld angewiesen sind, als Totalverweigerer diffamiert werden, und zugleich die untätigen Superreichen, die von der automatischen Vermehrung ihres Geldvermögens leben, auch noch vor einer Steuer auf ihre Vermögen verschont werden!

Wie lange noch muss ich mit ansehen, dass unser Gesundheitswesen gesetzlich Versicherte langsamer und schlechter behandelt als mich, nur weil ich privat versichert bin!

Wie lange noch sollen die Beschäftigten in der Auto-Zulieferer-Industrie einer ungesicherten Zukunft entgegenbangen, weil weder die von den Investoren abhängigen Unternehmens-Vorstände noch die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik den längst absehbaren Strukturwandel mit einem Minimum an Weitsicht gestalten!

Wie lange noch soll ich und sollen wir es hinnehmen, dass die im Gemeinwesen Verantwortlichen sich nur finanziellem Druck unterwerfen, sich aber dem Blick auf die bedürftigen Menschen verweigern, die dann zunehmend einer diffusen social-media-Propaganda von Populisten hinterherlaufen!

Wie lange noch …!

Und dazu kommen dann noch die zahlreichen ganz persönlichen Herausforderungen:

Wie lange noch muss es die Mutter mit den beiden heranwachsenden Kindern ertragen, dass der Mann in seiner Alkoholsucht, die er auch noch in Abrede stellt, immer wieder über die Stränge schlägt und alle beängstigt und durcheinanderbringt!

Wie lange noch muss die von beruflichen wie menschlichen Misserfolgen gezeichnete Mittfünfzigerin sich auch noch von ihren Geschwistern mobben lassen, so dass sie mit ihrem eh geschwächten Selbstbewusstsein immer wieder auf den Bauch fällt!

Und bis ins Alltägliche hinein: Wie lange muss ich noch wach liegen, bis ich endlich einschlafen kann!

Wie lange noch, eh schon verschuldet, soll ich warten, bis endlich die mir zustehende Überweisung auf meinem Konto ankommt!

Wie lange noch muss ich jede verfügbare Zeit dafür einsetzen, dass ich endlich eine bezahlbare Wohnung finde!

Wie lange noch soll ich mich anstrengen, um endlich dies und das zu erreichen!

Und da viele Menschen sich in solchen Situationen völlig allein gelassen und überfordert sehen, wundere ich mich nicht mehr, wenn die so erlebte Verweigerung von Anerkennung ihrer Würde, ihrer Geltung und ihrer Menschenrechte sie immer häufiger ausrasten lässt.

Wie lange noch nehmen wir das hin!

Wenn ich so rede, weiß ich: Da gibt es ganz viele Menschen, die ganz schnell mit einem Schlag oder einem Klick das alles einfach wegwischen – mit der Konsequenz: Jammer nicht! Wir machen weiter!

Etwa so ging es wahrscheinlich auch Habakuk, dem Propheten in Jerusalem etwa 600 Jahre vor Christus. Von ihm überliefert die Bibel, wie er die Situation beklagt und sich damit an Gott wendet – in der 1. Schriftlesung dieses Sonntags:

Wie lange, HERR, soll ich noch rufen
und du hörst nicht?
Ich schreie zu dir: Hilfe, Gewalt!
Aber du hilfst nicht.
Warum lässt du mich
die Macht des Bösen sehen
und siehst der Unterdrückung zu?
Wohin ich blicke,
sehe ich Gewalt und Misshandlung,
erhebt sich Zwietracht und Streit.

Die Klage „wie lange noch, HERR, …!“ findet sich in der Bibel an vielen Stellen, vor allem in den Psalmen:

Wie lange noch, HERR,
vergisst du mich ganz?
Wie lange noch
verbirgst du dein Angesicht vor mir?

Wie lange noch
muss ich Sorgen tragen in meiner Seele,
Kummer in meinem Herzen Tag für Tag?
Wie lange noch
darf mein Feind sich über mich erheben?
(Psalm 13,2-3)

Und das alles in zwei Versen eines Psalms. (vgl. auch Psalm 6,4; 35,17; 74,9-10; 79,5; 80,5; 89,47; 90,13; 94,3; Sach 1,12; Offb 6,10)

Ja, in der Bibel bekommt der Mensch Raum, viel Raum für seine Klagen. In ihrem Sinn ist Gott der richtige Adressat für die Klagen des Menschen, der eigentlich doch von Gott alles Gute erhofft und es ihm zutraut – auch wenn das vergeblich erscheint.

Dabei fällt mir auf: Auch in der Gegenrichtung – Gott selber beziehungsweise Jesus spricht Menschen so an und klagt:

Da sprach der HERR zu Mose:
Wie lange wollt ihr euch noch weigern,
meine Gebote und meine Weisungen zu bewahren?
(Exodus 16,28)

Und der HERR sprach zu Mose:
Wie lange verachtet mich dieses Volk noch,
wie lange noch wollen sie nicht an mich glauben
trotz all der Zeichen,
die ich mitten unter ihnen vollbracht habe?
(Numeri 14,11)

Und Jesus
sagt zu den Leuten:
O du ungläubige Generation!
Wie lange muss ich noch bei euch sein?
Wie lange muss ich euch noch ertragen?
(Markus 9,19)

Pingpong-Spiel gegenseitiger Klage?

Oder gibt Gott in der Bibel auch hilfreiche Antworten?

Oder – ist seine zurückgegebene Klage die Antwort – etwa im Sinne von „Ihr müsst mir eben mehr vertrauen und wirklich auf mich hören und euch den Weg zeigen lassen!“?

Der Prophet Habakuk und mit ihm die Lesung des Sonntags setzt fort:

Der HERR gab mir Antwort und sagte:
Schreib nieder, was du siehst,
schreib es deutlich auf die Tafeln,
damit man es mühelos lesen kann!
Denn
erst zu der bestimmten Zeit
trifft ein, was du siehst;
aber es drängt zum Ende
und ist keine Täuschung;
wenn es sich verzögert,
so warte darauf;
denn es kommt,
es kommt und bleibt nicht aus.
Sieh her:
Wer nicht rechtschaffen ist,
schwindet dahin,
der Gerechte aber
bleibt wegen seiner Treue am Leben.

(Habakuk 1,2-3; 2,2-4)

„Die Bösen verschwinden und die Guten bleiben“ – kann mir das eine Antwort sein? Kann mir das mehr werden als eine Behauptung, die ich höre? Selbst wenn – das reicht mir nicht. „Warten“! Wie lange noch?!

Ich wehre mich auch gegen die Passivität, die mir da zugemutet wird. Es entspricht doch meiner Würde als Geschöpf nach Gottes Bild, dass ich aktiv beitragen und beteiligt sein will an der Überwindung von Not und Gewalt; an der Überwindung von allem Bösen und am Herbeiführen von Lösungen, von Heilung, Frieden und Gerechtigkeit. Ich will dem „Reich Gottes“, also seiner Liebe als alles prägender Kraft den Weg bereiten, will mich und meine Umgebung dafür bereit machen. Aber einfach warten?!

Dein Traum von Frieden und Gerechtigkeit, von erfülltem Leben für dich und für alle, diese hoffnungsvolle Vision, die in dir brennt, die das Vertrauen auf Gott und auf seine Botschaft in dir angezündet hat, hör nicht auf, sie dir vor Augen zu halten:

Sieh her! und was du siehst, schreib es auf, halte daran fest! Es trifft ein! Nein, das ist keine Täuschung! Es drängt, will werden, will kommen! Zuverlässig, hartnäckig – natürlich ein Prozess, ein Weg, dessen Ende natürlich nicht am Anfang steht – ein Weg aus Schritten, der Zeit braucht, damit er – mühelos-transparent – euch einleuchtet und ihr ihn menschenwürdig gehen und gestalten könnt!

Warten und gehen; das tut schon mal gut. So bin ich nicht passiv und zugleich ganz „auf Empfang.“

„Wer sucht, der findet“ – fällt mir ein. Wer fragt, kann Antworten bekommen. Wer klagt, kann zu seinem Recht kommen. Wer sich nicht zufrieden gibt und das geltend macht, der kann mehr erreichen.

Warten. Noch vor drei Jahren wollte ich stattdessen lieber das alte Wort „harren“ verwenden – ich schrieb es damals mit 3 „r“ – als Signal für meine zornige Ungeduld: „harrrren“! In dieser „Beharrlichkeit“ konnte in mir seither aus dem Zorn eher Ausdauer und Gewissheit wachsen – mit dem beharrlichen Suchen und Fragen nach den nächsten Schritten – im Vertrauen, dass Seine Zusage gilt.

Es braucht offensichtlich beides: Ausdauer im Hinschauen, was ist, und im Hinhören auf Gott, was er dazu sagt, und die auf die Beine bringende, freudige Gewissheit, dass er die verheißene Erfüllung schenkt.

Wer lang genug wartet – mit kreativer Neugierde – ……. So kann die Zeit des Wartens zum Wandel der Perspektive werden, ja zum Wandel der Wirklichkeit, zum Wandel dessen, was wirkt.

Menschen und vielleicht Generationen oder reichen Völkern, die – von größeren Problemen verschont – verwöhnt herangewachsen sind, erscheinen solche Erfahrungen und eine solche Perspektive eher fremd.

Wen aber die eigene Lebensgeschichte – beziehungsweise Gott – veranlasst hat, immer wieder und schließlich gut geübt, durch Leid und Enttäuschung hindurch, beharrlich Auswege freizuschaufeln, der hat zum Trost und Ausgleich die Erfahrung, dass die Kombination „hören und warten“ sich lohnt. Das stärkt.

Anscheinend Menschen, die in ihrem Leben reich an solchen Erfahrungen geworden sind, haben in der Bibel den Psalm 131 überliefert, der mitten in ungeduldiger Sehnsucht in die erlösende Haltung hineinführen und zum eigenen Gebet werden kann:

Herr, mein Herz ist nicht stolz,
nicht hochmütig blicken meine Augen.
Ich gehe nicht um mit Dingen,
die mir zu wunderbar und zu hoch sind.
Ich ließ meine Seele ruhig werden und still,
wie ein kleines Kind bei der Mutter
ist meine Seele still in mir.
Israel, harre auf den Herrn
von nun an bis in Ewigkeit.

(Psalm 131 in der Einheitsübersetzung von 1980 aus dem „Stundenbuch“: in der Lesehore am Samstag der 1. Woche und in der Vesper am Dienstag der 3. Woche)

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