Blogbeitrag

Bild Baby von blankita_ua auf Pixabay

Was willst du mal werden?

3. Februar 2022

Sonntagsbotschaft zum 6. Februar 2022, dem 5. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C). 

Was willst du mal werden?

Wer so gefragt wird, hat meistens ein Alter von grob um die zehn Jahre. Einen Vierzigjährigen wird man kaum so fragen.

Und wenn ein Kind auf diese Frage antwortet „Hartz-4-Empfänger“ oder „Rentner“, löst das entweder Entsetzen oder Erheiterung aus.

Was jemand werden will, das beziehen wir meistens auf eine berufliche Tätigkeit oder auf eine gesellschaftliche Stellung.

Einem Kind schreiben wir zu, dass es sich genügend Zeit lassen sollte und darf, um sich diese Frage gut zu überlegen.

Und wer schon mal 40 „geworden“ ist, könnte sich beleidigt fühlen durch die Frage, was er oder sie denn „werden“ will. Mancher 60-jährige Mensch sagt sich pauschal: „Ich muss nix mehr werden.“

Aber ist der 40- oder 50-jährige Mensch „fertig“ mit dem, was er „werden“ will? Es gibt so viele Veränderungen in allen Lebensabschnitten – in den äußeren Lebensbedingungen wie auch in der persönlichen Art, denen zu begegnen. Lerne ich nicht mein Leben lang? Und habe ich nicht mein Leben lang Ziele? Vor kurzem sagte mir ein Rentner: „Schlecht, wenn man keine Aufgabe mehr hat!“ Und ich möchte gerne mein Leben aktiv gestalten. Und – will ich nicht selbst verantwortlich sein für meine Art, mich auf Chancen und Risiken und Umstände einzustellen und mich dazu in Beziehung zu setzen?

Der kreative Tüftler, der den Job als Abteilungsleiter angeboten bekam, lehnte ab, weil er lieber weiterhin kreativer Tüftler blieb, als der Organisator von betrieblichen Abläufen zu werden.

Die Beamtin, die eh schon die Beziehung zu ihrem Mann hatte schleifen lassen, lehnte die Beförderung ab, in die sie sich mit noch mehr Zeitaufwand hätte einarbeiten müssen. Sie zog es vor, endlich die Ehepartnerin zu werden, die sie sein wollte.

Und der Pfarrer, der plötzlich Manager einer Großpfarrei werden sollte, wollte lieber weiterhin Seelsorger bleiben.

Auch mit 80 will ich noch was „werden“ und Veränderungen, die sich ergeben, nicht nur anderen Menschen und äußeren Einflüssen überlassen.

Ob und was und wie ich weiter „werden“ will, das sollte und darf auch der erwachsene Mensch sich gut überlegen. Für eine reife Entscheidung braucht es – wie beim Kind – oft auch eine gewisse Zeit, um die eigenen Möglichkeiten und die Bereitschaft für das Neue zu erproben.

Mir fällt dazu das Wort von Jesus ein: Wer sich entscheidet, sein Jünger zu werden, wer also als Christ leben will, sollte sich das vorher ebenso gut überlegen wie einer, der einen Turm bauen will (vgl. Lukas 14,28).

An diesem 5. Sonntag im Jahreskreis erzählen alle drei Schriftlesungen davon, wie Menschen das geworden sind, wofür wir sie kennen:

In der ersten Lesung begegnet uns Jesaja. Er lebte in Jerusalem im 8. Jahrhundert vor Christus. Vielleicht war er ein Verwandter von König Usija. Die Zeit war geprägt von der Bedrohung Israels durch die assyrische Großmacht. Jesaja mahnte immer wieder eine besonnene Politik an, um Assyrien in seinen aggressiven Gelüsten nicht zu bestärken, und berief sich dabei auf Gottes Friedensabsichten für Israel. Wie er dazu gekommen war, erzählt er im 6. Kapitel seines Buches.

Im Tempel in Jerusalem hat er eine Vision:

Im Todesjahr des Königs Usija,
da sah ich den Herrn
auf einem hohen und erhabenen Thron sitzen
und die Säume seines Gewandes
füllten den Tempel aus.
Serafim standen über ihm. …
Und einer rief dem anderen zu und sagte:
Heilig, heilig, heilig ist der HERR der Heerscharen.
Erfüllt ist die ganze Erde von seiner Herrlichkeit.
Und es erbebten die Türzapfen in den Schwellen
vor der Stimme des Rufenden
und das Haus füllte sich mit Rauch.
Da sagte ich: Weh mir, denn ich bin verloren.
Denn ein Mann unreiner Lippen bin ich
und mitten in einem Volk unreiner Lippen wohne ich,
denn den König, den HERRN der Heerscharen,
haben meine Augen gesehen.
Da flog einer der Serafim zu mir
und in seiner Hand war eine glühende Kohle,
die er mit einer Zange vom Altar genommen hatte.
Er berührte damit meinen Mund und sagte:
Siehe, dies hat deine Lippen berührt,
so ist deine Schuld gewichen
und deine Sünde gesühnt.
Da hörte ich die Stimme des Herrn,
der sagte: Wen soll ich senden?
Wer wird für uns gehen?
Ich sagte:
Hier bin ich, sende mich!
(Jesaja 6,1-2a.3-8)

Jesaja stellt sich der Begegnung mit Gott. In seiner Vision „sieht“ er ihn, sagt er: Weh mir, „ich“ bin „verloren“! Als Grund nennt er: Wie in der Gesellschaft üblich, in der er lebt, redet er „unreines Zeug“, ganz und gar Widersprüchliches, Schuld und Sünde, daran gemessen, dass doch angeblich Gott der Maßgebende sei für ihn und das Volk.

Was geschieht jetzt? Was heißt: „Ich bin verloren!“? Den Satz könnte man aus der hebräischen Sprache auch übersetzen mit „Ich werde um das gebracht [hebräisch: nidmeti], was mein Blut ist.“ Die hebräische Verbform „nidmeti“ enthält den Wortstamm „dam“: Blut. Und das Blut gilt als Wesen und Sitz meines Lebens. Also das, was ich – bisher – bin, „ein Mann unreiner Lippen“ – das geht mir jetzt verloren, sagt Jesaja. „Glühende Kohle berührt meine Lippen.“

„Mund verbrannt“, sagen wir. Schmerzhaft und erschreckend. Alles andere als harmlos. Eher „traumatisch“. Das ist aber nicht das Ende. Mitten in dieser Erfahrung erschließt sich Neues: Jetzt kann er richtig reden. Ohne das „unreine Zeug“, mit dem das Volk sich versündigt und schuldig macht. In Übereinstimmung mit seiner Überzeugung. Jetzt geht Jesaja und redet mit neuen Lippen für den, von dem er sich hat senden lassen. Das ist sein neues „Blut“, sein neues Wesen. Er ist zu sich gekommen.

In der 2. Lesung geht es um Paulus. Den Christen in Korinth betont er, wie wichtig es ihm sei, dass sie das Evangelium vom auferstandenen Jesus Christus nicht unüberlegt angenommen haben. Er erinnert sie daran, wie er zum Apostel geworden ist. Diese Erfahrung, die auch den anderen Aposteln ihr Leben auf einen neuen, rettenden Grund gestellt hat, sollte die Empfänger seines Briefs bestärken, an dieser Botschaft festzuhalten:

Ich erinnere euch, Brüder und Schwestern,
an das Evangelium, das ich euch verkündet habe.
Ihr habt es angenommen;
es ist der Grund, auf dem ihr steht.
Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet werden,
wenn ihr festhaltet an dem Wort, das ich euch verkündet habe,
es sei denn, ihr hättet den Glauben unüberlegt angenommen.
Denn vor allem habe ich euch überliefert,
was auch ich empfangen habe:
Christus ist für unsere Sünden gestorben,
gemäß der Schrift,
und ist begraben worden.
Er ist am dritten Tag auferweckt worden,
gemäß der Schrift,
und erschien dem Kephas,
dann den Zwölf.
Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich;
die meisten von ihnen sind noch am Leben,
einige sind entschlafen.
Danach erschien er dem Jakobus,
dann allen Aposteln.
Zuletzt erschien er auch mir,
gleichsam der Missgeburt.
Denn ich bin der Geringste von den Aposteln;
ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden,
weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe.
Doch durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin,
und sein gnädiges Handeln an mir
ist nicht ohne Wirkung geblieben.
Mehr als sie alle habe ich mich abgemüht –
nicht ich, sondern die Gnade Gottes zusammen mit mir.
Ob nun ich verkünde oder die anderen:
Das ist unsere Botschaft
und das ist der Glaube, den ihr angenommen habt.
(1 Korinther 15,1-11)

Rein von der schieren Menge der Wiederholungen her wird in dem Text deutlich: Für Paulus ist hier am wichtigsten das „Erscheinen“ von Jesus, das so viele und auch er selbst erlebt haben, nachdem Jesus doch gestorben war – und was das mit denen gemacht hat, denen er erschienen ist – was dadurch aus ihnen „wurde“.

Diese Erfahrung hat sie alle durcheinander gebracht in ihrer Identität! Was sie vorher waren, vergangen! Wie gestorben und neu geboren sind sie – neue Menschen geworden. Ihr Leben steht jetzt auf einem neuen Grund. Jetzt werden sie, nein, sie sind schon gerettet aus allem, was sie in Gefahr bringt.

Und dann Simon Petrus: Er ist Fischer am See Gennesaret. Davon lebt er. Schlecht und recht. Wie auch seine Gefährten. Gerade haben sie wieder eine Nacht hinter sich, in der sie nichts gefangen haben. Wovon sollen sie leben!

Da taucht Jesus auf. Was dann geschieht, krempelt ihr Leben um.

Für unsereins – wenn wir es nicht unüberlegt annehmen – will es zum Evangelium werden:

In jener Zeit,
als die Volksmenge Jesus bedrängte
und das Wort Gottes hören wollte,
da stand er am See Gennesaret
und sah zwei Boote am See liegen.
Die Fischer waren aus ihnen ausgestiegen
und wuschen ihre Netze.
Jesus stieg in eines der Boote, das dem Simon gehörte,
und bat ihn, ein Stück weit vom Land wegzufahren.
Dann setzte er sich
und lehrte das Volk vom Boot aus.
Als er seine Rede beendet hatte, sagte er zu Simon:
Fahr hinaus, wo es tief ist,
und werft eure Netze zum Fang aus!
Simon antwortete ihm:
Meister,
wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.

Man hört geradezu, wie er sich beherrscht, ihm zu sagen, Jesus soll sich da raushalten. Sie kennen sich in der Fischerei besser aus als er, der Zimmermann und Prediger. Es arbeitet in ihm.

Und dann entscheidet er sich, wirft über Bord, wonach er sich bisher gerichtet hat.

Doch auf dein Wort hin
werde ich die Netze auswerfen.
Das taten sie
und sie fingen eine große Menge Fische;
ihre Netze aber drohten zu reißen.
Und sie gaben ihren Gefährten im anderen Boot ein Zeichen,
sie sollten kommen und ihnen helfen.
Sie kamen und füllten beide Boote,
sodass sie fast versanken.
Als Simon Petrus das sah,
fiel er Jesus zu Füßen und sagte:
Geh weg von mir;
denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr!
Denn Schrecken hatte ihn und alle seine Begleiter ergriffen
über den Fang der Fische, den sie gemacht hatten;
ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus,
die mit Simon zusammenarbeiteten.
Da sagte Jesus zu Simon:
Fürchte dich nicht!
Von jetzt an wirst du Menschen fangen.
Und sie zogen die Boote an Land,
verließen alles
und folgten ihm nach.
(Lukas 5,1-11)

Was für ein Erschrecken! Jesaja hatte gesagt: Weh mir, ich habe den Herrn gesehen! Und Simon Petrus und seine Gefährten: Ihr Bild von sich selber und von ihrem Leben bricht zusammen, geht unter unter dem Eindruck dieser Erfahrung.

Petrus wird ein anderer.

Was will ich werden?

Ich habe mich das von neuem gefragt. Meine Antwort nach einigem Überlegen:

So einer wie Jesus – nicht so geehrt und bekämpft, aber so lebendig und liebevoll. In der Art, wie es im Tagesgebet am Karfreitag heißt: „… hilf uns …, das Bild des neuen Adam in uns auszuprägen und Christus ähnlich zu werden, …“

Vielleicht meine ich damit auch etwas in der Art, wie Jesus es im Johannes-Evangelium meint mit seinem Wort: „Wer an mich glaubt, hat das ewige Leben.“ (vgl. z.B. Johannes 3,36 oder 5,24)

Hier können Sie meinen Beitrag weiter empfehlen: