Sonntagsbotschaft zum 2. November 2025, dem Gedenktag aller Verstorbenen.
Vielleicht geht dieser Tag ja an Ihnen ganz vorbei: „Gedenktag aller Verstorbenen“ oder – mit dem traditionellen Namen – „Allerseelen“.
Gut, wenn Sie zur Zeit nicht um einen Angehörigen oder um eine Freundin trauern müssen.
Und daran, dass auch ich eines Tages sterben werde, denke ich ja auch nicht alle Tage – angesichts der vielen anderen Themen, vor die uns das Leben stellt.
Ja, wie Menschen zu diesem Gedenktag stehen und welche Reaktionen er ihnen auslöst, das kann sehr vielfältig sein – je nach Lebenssituation und wie die sich ihnen darstellt. Da dürfte es nicht die eine Botschaft geben, die für alle, so unterschiedlich sie davon betroffen sind, in gleicher Weise relevant wäre.
Aber im Leben eines jeden Menschen geschieht es, dass immer wieder eine mir nahestehende Person stirbt. Und jeder Mensch wird selber – früher oder später – eines Tages sterben. Daran kommt keiner vorbei.
Da hilft es vielleicht, sich dieser Realität gemeinsam zu stellen und sich darüber auszutauschen – an einem solchen Gedenktag.
Womit fange ich an?
Du hast es erlebt, wirst es erleben:
Du fehlst mir.
Wie schade, dass du jetzt nicht mehr da bist!
Ich hätte so gerne mit dir noch …
Wunderbar, dass wir dies … und das … miteinander erlebt haben!
Und was wird jetzt aus den Verletzungen? aus allem Unvollendeten?
Kann ich für dich bei Gott auf Erfüllung und Vollendung hoffen – auf Erfüllung all deiner Sehnsucht, auf Anerkennung all deiner Bemühungen – und auf Vollendung der Person, die du bist?
Werden wir uns mal wiedersehen – „im Himmel“?
Werde ich in meiner weiteren Lebenszeit irgendwann weniger an dich denken?
Was von dir und von unserem Gemeinsamen werde ich festhalten und inwiefern werde ich dich loslassen?
Was von dir und von unserem Gemeinsamen werde ich in deinem Sinn weiter pflegen und was nicht?
Bist du oder ist unser Miteinander ein Teil von mir geworden, so dass jetzt auch etwas von mir stirbt?
Wie werde ich weiterleben – ohne dich und ohne weiteres Miteinander mit dir: amputiert oder vollständig?
Und wenn mein eigenes Leben zu Ende gehen wird, – was ändert sich dann mit meinem Sterben? Was hinterlasse ich? Und was wird daraus?
Nach allen Problemen und Belastungen und Kämpfen und trotz vielfältiger Schuld … Nicht alle haben das Glück wie ich, sagen zu können: Es war reichlich. Ich bin satt geworden. Und es hat geschmeckt. Danke!
Im Raum stehen Fragen: Reicht es mir, wenn das alles gewesen sein sollte? Oder wäre es zum Verzweifeln, wenn jetzt nichts mehr käme?
Und die, deren Leben eine Tragödie geblieben ist, sollen auch die sich einfach damit zufrieden geben? Und was wird aus den ermordeten Völkern?
Antworten gibt kein Wissen, kein Bescheidwissen, weder alltägliches noch gelehrtes. Antworten darauf hört nur ein vertrauendes Ohr.
Für Menschen, die ihr Vertrauen auf den richten, der ihnen durch das Wort der Bibel begegnet, empfiehlt die Leseordnung der Kirche für diesen Gedenktag eine Vielfalt von Bibel-Abschnitten zur Auswahl.
Davon kann ich hier nur – bruchstückhaft und vielleicht exemplarisch – ganz wenige Beispiele nehmen, die mich persönlich besonders ansprechen:
Schon in jungen Jahren fand ich die Todesanzeigen abartig, in denen es einem anscheinend sadistischen Gott zugeschrieben wurde, in seiner Allmacht habe es ihm „gefallen, unserem geliebten … usw. …“, seinem Leben ein Ende zu setzen. Was sich gegenseitig hochschaukelte mit der Angst vor diesem Gott, dass „sein Wille geschehe“. Seither finde ich es immer erfrischend wohltuend, wenn ich die protestierende Stimme aus dem alttestamentlichen Buch der Weisheit höre:
Gott hat den Tod nicht gemacht
und hat keine Freude
am Untergang der Lebenden.
Zum Dasein hat er alles geschaffen …
(Weisheit 1,13-14)
Und auch von Jesus höre ich im Johannes-Evangelium seine tröstliche Solidarität mit allen, die um einen vorzeitig gestorbenen Menschen trauern. Er ist zornig über den Tod seines Freundes Lazarus und weint mit dessen Schwester Maria und den anderen Trauernden:
Als Jesus sah, wie sie weinte
und wie auch die Juden weinten,
die mit ihr gekommen waren,
war er im Innersten erregt und erschüttert.
Er sagte: Wo habt ihr ihn bestattet?
Sie antworteten ihm: Herr, komm und sieh!
Da weinte Jesus. …
(Johannes 11,33-35)
Das offizielle katholische Buch von 1973 für die kirchliche Begräbnisfeier, von mir viele Jahre hindurch benutzt, hatte diesen Text mit der Formulierung „da packte ihn in seinem Innern der Zorn und er erregte sich“. Die Einheitsübersetzung von 1980 hat das Wort vom „zornigen“ Jesus dann ersetzt durch „da war er im Innersten erregt und erschüttert“.
Statt ihnen in mit-leidender Solidarität zu begegnen, hat man Trauernden oft noch zusätzlich ein schlechtes Gewissen gemacht: Christen dürften doch – angesichts des Glaubens an die Auferstehung – überhaupt nicht um einen verstorbenen Menschen trauern. Dabei stützte man sich gerne auf ein Wort des Apostels Paulus aus seinem ersten Brief an die Thessalonicher. Darin regt er dazu an, Trauernde zu trösten, nämlich
… damit ihr nicht trauert wie die anderen,
die keine Hoffnung haben.
Denn wenn wir glauben,
dass Jesus gestorben und auferstanden ist,
so wird Gott die Entschlafenen
durch Jesus
in die Gemeinschaft mit ihm führen.
(1. Thessalonicher 4,13-14)
An den auferstandenen Christus Glaubende werden also anders trauern als Menschen ohne diese Hoffnung.
Mit der Art, wie Jesus um den viel zu früh gestorbenen Lazarus trauert, gibt er ein Zeichen – eines der „Zeichen“, in die das Johannes-Evangelium den Lebensweg von Jesus zusammenfasst: Er nimmt es nicht einfach hin und gibt sich nicht damit zufrieden, dass jetzt eben was auch immer dem Leben des Lazarus ein Ende gesetzt und ihn hinter dem Grabstein eingeschlossen hat – ausgeschlossen vom Leben. Wie auch sonst immer wendet er Tränen und Zorn über menschengemachtes Elend von Menschen in seinen elementaren Kampf gegen alle Mächte und Gewalten, die zum Tod führen, und dafür, dass Gottes Wille geschieht, der ein Freund des Menschen und seines Lebens ist. Der Evangelist bezeugt: Jesus veranlasst die Umstehenden zu einem Verhalten, das alle ihre versteinerten Maßstäbe sprengt:
Jesus sagte:
Nehmt den Stein weg!
Marta, die Schwester des Verstorbenen,
sagte zu ihm:
Herr, er riecht aber schon,
denn es ist bereits der vierte Tag.
Jesus sagte zu ihr:
Habe ich dir nicht gesagt:
Wenn du glaubst,
wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?
Da nahmen sie den Stein weg.
Jesus aber erhob seine Augen
und sprach: Vater, ich danke dir,
dass du mich erhört hast.
(Johannes 11,39-41)
„Wenn du glaubst“. Ja, sie nehmen den Stein weg. Ein Wunder! Da kann Jesus nur dem Vater danken. Alles, was dann folgt, ergibt sich daraus.
Zu Marta hatte Jesus gesagt:
… Dein Bruder wird auferstehen.
Marta sagte zu ihm:
Ich weiß, dass er auferstehen wird
bei der Auferstehung am Jüngsten Tag.
Jesus sagte zu ihr:
Ich bin die Auferstehung und das Leben.
Wer an mich glaubt, wird leben,
auch wenn er stirbt,
und jeder, der lebt und an mich glaubt,
wird nicht auf ewig sterben.
Glaubst du das?
(Johannes 11,17-27)
Auf der Grundlage solchen Vertrauens auf Jesus und auf alles, was er mit ihm erlebt hat, schreibt später Paulus an die Christengemeinde in Korinth über das Menschsein, das nicht nur „in Adam“ gründet, sondern jetzt auch „in Christus“:
… wie in Adam
alle sterben,
so werden in Christus
alle lebendig gemacht werden.
Es gibt aber eine bestimmte Reihenfolge:
Erster ist Christus;
dann folgen, wenn Christus kommt,
alle, die zu ihm gehören…
(1. Korinther 15,22-23)
Immer wieder kommt er in ihre Mitte und in ihr Bewusstsein – er, den sie gekreuzigt hatten, weil er den Menschen in all ihren Toden die Krone des Lebens aufgesetzt hat:
Acht Tage darauf
waren seine Jünger wieder drinnen versammelt
und Thomas war dabei.
Da kam Jesus bei verschlossenen Türen,
trat in ihre Mitte
und sagte: Friede sei mit euch!
Dann sagte er zu Thomas:
Streck deinen Finger hierher aus
und sieh meine Hände!
Streck deine Hand aus
und leg sie in meine Seite
und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!
Thomas antwortete und sagte zu ihm:
Mein Herr und mein Gott!
(Johannes 20,26-28)
Ich gehe meinen Weg vor Gott
im Lande der Lebenden.
(Psalm 116,9)
… Er leitet mich auf rechten Pfaden,
treu seinem Namen.
Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht,
ich fürchte kein Unheil;
denn du bist bei mir,
dein Stock und dein Stab
geben mir Zuversicht.
(Psalm 23,3-4)
Ich werde nicht sterben, sondern leben,
um die Werke des Herrn zu verkünden!
(Psalm 118,17)
Die Gnade seines Segens schenke euch der Gott allen Trostes, der uns aus Liebe erschaffen und uns in Christus die Hoffnung auf die selige Auferstehung geschenkt hat.
Den Lebenden gewähre er die Verzeihung der Sünden, die Verstorbenen führe er in sein Licht und seinen Frieden.
Der Lebenden und der Toten erbarme sich Christus, der wahrhaft aus dem Grabe erstanden ist.
Das gewähre euch der dreieinige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.
Gehet hin in Frieden! – Dank sei Gott, dem Herrn!
