Blogbeitrag

Sonnenaufgang Gran Canaria (2008)

Zum guten Ende

13. November 2025

Sonntagsbotschaft zum 16. November 2025, dem 33. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C).  

Zur Zeit bin ich damit beschäftigt, meinen Nachlass auf ein überschaubares Maß zu vermindern. Beim Sortieren meiner Sammlung haben mich 2 DVDs besonders beschäftigt: „War Games“ und „The Day After“, Filme aus der Zeit der heißen Diskussionen um das atomare Wettrüsten Anfang der Achtziger-Jahre. Seit der Zeit damals hatte ich sie nie wieder angeschaut. Jetzt hatte ich eigentlich die Vorstellung: Das ist alles so überholt und irrelevant geworden, beide DVDs kann ich entsorgen. Dann sah ich mir beide noch einmal an – anfangs widerwillig, weil beide doch aus einer anderen Welt stammten und eher unrealistisch waren.

Dabei erlebte ich mich zunehmend in die dargestellten Ereignisse hineingezogen und erschrak schließlich, als ich merkte, wie sehr beide Filme die Vorstellungen und Emotionen widerspiegelten, die sich heute wieder ausbreiten. Ausgehend von vielen unsortiert wahrgenommenen, zusammenhanglos versprengten Informationen, hat ja die Fähigkeit gelitten, aus einem Gesamtüberblick über die Welt, in der wir leben, eine eigene Position und Haltung auszubilden, aus der ich dann meinen Beitrag zum Weg in die Zukunft gestalte.

In der Tat, auch für europäische Wahrnehmung ist Krieg wieder zu einer Realität geworden; sogar einen globalen Atomkrieg fürchten immer mehr Menschen. Wissenschaft und ihre Förderung werden zunehmend partikulären politischen und wirtschaftlichen Belangen untergeordnet. Kollektive Einsichten über die Veränderungen von Klima und irdischen Lebensräumen werden überblendet durch eine mächtige Lobby kurzsichtiger Finanzinteressen. An die Stelle des klassischen Blicks auf den Menschen, seine Würde und seine Rechte tritt die Panik vor den anstehenden Veränderungen durch globale Wanderungsbewegungen von Menschen, die leben wollen. Fragwürdig zustande gekommene Vorteile der einen werden abgeschottet und zügig ausgebaut – zu Lasten der anderen, denen die Mittel vorenthalten sind, selber für einen gerechten Ausgleich sorgen zu können. Geld und Gewalt sind wieder zum vorrangigen Mittel geworden, um politische Ziele durchzusetzen.

Entwicklungen dieser Art haben schon immer zu ihrer polarisierenden Zuspitzung geführt, zu destruktiven Auseinandersetzungen und zu entsprechend bedrückenden apokalyptischen Ängsten.

Voller Weltuntergangsstimmung und Endzeit-Szenarien war auch eine verbreitete Mentalität im Nahen Osten vor zweitausend Jahren. Für ganze Teile der Bibel ist das der kulturelle Hintergrund und Anlass für ihre Botschaft, die zu einem Kurswechsel zu wirksamer Menschlichkeit in Gottes Namen anregt.

Alte Tradition bündelt die Aufmerksamkeit dafür in diesen Wochen, die als Ende des alten und mit dem Advent als Beginn eines neuen Jahres begangen werden.

An diesem vorletzten Sonntag des Kirchenjahres fordert im Lukas-Evangelium Jesus selbst zu einem Perspektivenwechsel auf, mit dem die umfassende Transformation in eine neue Zukunft hinein gelingen kann.

Da sind in Jerusalem einige auswärtige sogenannte „Pilger“, für die der Tempel eine unterhaltsame Sehenswürdigkeit ist, über die sie ins Schwärmen geraten. Wahrscheinlich mit innerem Kopfschütteln versucht Jesus, ihren Blick auf Wichtigeres zu lenken:

Als einige darüber sprachen,
dass der Tempel
mit schön bearbeiteten Steinen
und Weihegeschenken geschmückt sei,
sagte Jesus:
Es werden Tage kommen,
an denen von allem, was ihr hier seht,
kein Stein auf dem andern bleibt,
der nicht niedergerissen wird.

Mit dem Rückblick auf die bereits erlebte Eroberung Jerusalems durch den römischen Feldherrn Titus und auf die komplette Zerstörung des Tempels im Jahr 70 legt der Evangelist Lukas Jesus diese Worte in den Mund und aktualisiert so seine Botschaft.

Ja, es ist Jesus, der auferstandene Christus, der allen, denen ihre Welt zusammenzubrechen droht, sagt – in die apokalyptische Sichtweise seiner Zeitgenossen hinein und in ihre aktuellen Erfahrungen der beginnenden Christenverfolgung: Ja, Gewalt und Hass werden alles kaputt machen.

… Volk wird sich gegen Volk
und Reich gegen Reich erheben.
Es wird gewaltige Erdbeben
und an vielen Orten
Seuchen und Hungersn
öte geben;
schreckliche Dinge werden geschehen
und am Himmel
wird man gewaltige Zeichen sehen.
Aber bevor das alles geschieht,
wird man Hand an euch legen
und euch verfolgen.
Man wird euch den Synagogen
und den Gef
ängnissen ausliefern,
vor K
önige und Statthalter bringen
um meines Namens willen. …
Sogar eure Eltern und Geschwister,
eure Verwandten und Freunde
werden euch ausliefern
und manche von euch wird man töten.
Und ihr werdet um meines Namens willen
von allen gehasst werden.

Und der Kern seiner zu neuer Sicht aufrüttelnden Botschaft für diese katastrophale Lage lautet: Aber lasst euch nicht irreführen und nicht erschrecken! Pflegt eure eigene Urteilsfähigkeit!

Dann werdet ihr Zeugnis ablegen können. …

Und ich lasse euch dabei nicht hängen; ich gebe euch Kraft dazu. „Ihr werdet das Leben gewinnen!“ (Lukas 21,5-19)

Er nimmt ihnen die Angst: Und selbst wenn das alles eintrifft … Selbst wenn größtes Leid und höchste Not über euch kommen, – ihr könnt euch darauf verlassen: Den Weg durch das alles geht Gott gemeinsam mit euch. Und das Ende, zu dem er das alles führt, übersteigt eure Sehnsucht und Hoffnung!

Jesus beschönigt nicht, verharmlost nicht, sondern er stellt sich. Und über seine Worte von diesem Wechsel der Perspektive hinaus hat er Zeichen gesetzt: Mit seiner Art der Zuwendung zu Menschen – mit Vorliebe, wenn sie im Elend stecken – hat er verblüffend gezeigt, worauf Gott hinaus will. Darauf weist Lukas – oder Jesus – sie jetzt hin. Vieles erleben sie ja schon von dem, was er „voraussagt“. Das „Ende“ aber sieht ganz anders aus als ihr fürchtet.

Allerdings malt uns die verbreitete alltägliche Sicht ein ganz anderes Bild von der Wirklichkeit, von dem was „wirkt“. Wenn wir uns nicht ihren Zwängen unterwerfen, können wir frei werden für den Geist, mit dem Jesus Christus uns neu beatmen will. In drastisch formulierter Hoffnung benennt das das „Tagesgebet“ für diesen Sonntag:

Gott, du Urheber alles Guten,
du bist unser Herr.
Lass uns begreifen,
dass wir frei werden,
wenn wir uns deinem Willen unterwerfen,
und dass wir die vollkommene Freude finden,
wenn wir in deinem Dienst treu bleiben. …

Ja, wie das Sakrament in der Eucharistie zeigt: Wenn ein Brot gebrochen wird, dann ist das keine Katastrophe, sondern so beginnt die Sättigung des Menschen mit Leben. Das Brot, das Gott uns bricht, ist sein Sohn, unser Freund und Herr, der sein Leben mit uns teilt und der uns aufrichtet. Er schenkt sich selber, damit wir ihn miteinander teilen.

Ja, Menschen, die das miteinander teilen, werden sich dann den Herausforderungen der Zeit stellen: Überall da, wo die Menschlichkeit mit Füßen getreten wird, werden sie aufstehen und sich herausfordern lassen, raus aus ängstlicher Lähmung und Passivität. Mit den Mitteln des demokratischen Rechtsstaats und der Kreativität, die der Menschenliebe eigen ist, werden sie in gegenseitiger Ergänzung zur gemeinsamen Kraft solche Impulse einbringen in die anstehenden politischen Entscheidungsprozesse.

Ein mühevoller Weg, solches Leben in aktiver Hoffnung auf Zukunft! Aber das ist uns ja nicht fremd: Erst der Kampf der Fußballmannschaft bringt die richtige Freude am getroffenen Tor! Was wäre das ein langweiliges Spiel, wenn man ohne jede Mühe und „sofort jetzt“ den anderen ein Tor reinschießen könnte! Und: Ist es nicht so, wenn man in einer Ehe eine Reihe von Krisen fruchtbar gemeistert hat, ist dann diese Ehe nicht viel intensiver, tiefer, beglückender als davor? Oder: Wenn ich eine Arbeit mit Ausdauer und Mühe geschafft habe, zum guten Ergebnis gebracht habe, macht nicht gerade das besondere Freude und stärkt das Selbstvertrauen?

Ja, wir kennen das: Was Mühe macht und was man zu einem Ergebnis gebracht hat, das lohnt das Leben.

Auf dem Lebensweg unerschrocken, standhaft und mit Ausdauer sich den Herausforderungen stellen – das geht nur, weil wir nicht sofort am Ziel sind, weil das Ende nicht sofort kommt. Wenn es so wäre, dass wir sofort in den Dingen am Ziel wären, die wir uns ersehnen, was wäre danach das Leben todlangweilig! Also:

Richtet euch auf
und erhebt eure Häupter;
denn eure Erlösung ist nahe.
Halleluja!
(Lukas 21,28)

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