Sonntagsbotschaft zum 10. August 2025, dem 19. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C).
„Sehnsucht ist mehr als eine Illusion.“ Diese Perspektive hielt ich meinem Gesprächspartner entgegen, der mir gesagt hatte: „Die Kirche gibt Antworten auf Fragen, die keiner gestellt hat.“
Der Unterschied scheint mir vergleichbar mit dem Streit,ob die Wirtschaftspolitik bei den Interessen des Angebots ansetzen muss
oder bei den Interessen der Nachfrage.
Ja, wo soll man ansetzen, wenn es um die Grundorientierung des Lebens geht: bei den Fragen nach einem erfüllten Leben in einer gerechten Welt? oder bei den einladenden Angeboten entsprechender Quellen?
Mir ist in meinem Leben alles wichtig geworden, was den Zusammenhang und die Beziehung deutlich macht zwischen menschlicher Sehnsucht und göttlicher oder nichtgöttlicher Einladung.
Wenn ich Bibeltexte lese oder höre, wecken sie in mir deshalb als erstes den Blick dafür, auf welche Sehnsucht oder Frage es hier eine Lösung oder Antwort gibt: Worum geht es hier? Worauf bezieht sich das?
Und wenn ich beharrlich danach suche, kann es mir passieren, dass ein Bibelabschnitt, der mir erst nur fremd und uninteressant erscheint, nach einigem Pflügen die verdrängte Frage zum Vorschein bringt, auf die hier eine verblüffende oder vielleicht provozierende Lösung angeregt wird.
So geht es mir auch wieder mit den Bibeltexten dieses Sonntags. Ich räume ja ein: Weil ich mit einem entsprechenden Vertrauen mich den Texten stelle, verlange ich auch danach, Entsprechendes zu hören, und öffne mich dafür. Wenn ich in skeptischer Distanz bleibe, die manche Aussage darin bei mir hervorruft, bewirken sie in mir vielleicht, dass ich ganz anders Stellung dazu beziehe. Nun aber – in der Haltung der Gewissheit, auch in diesen Bibelworten wieder etwas zu bekommen, was mich und uns weiterführen und für unsereins heute zum „Brot“ und zum „Wein“ werden kann – zur Nahrung und zur Freude – , da spüre ich von Anfang an ihren Reiz, mit dem sie meine Sehnsucht in Resonanz bringen:
So richtig schön und ermutigend finde ich vor allem den Hinweis aus dem Buch der Weisheit, wie die alten Israeliten mit ihrer aussichtslosen Situation umgingen, als sich bei ihnen die Ankündigung ihrer Befreiung breit machte, die sich anhörte wie ein Eid Gottes an die Gefangenen in ihrem Elend:
Die Nacht der Befreiung
wurde unseren Vätern vorher angekündigt;
sie sollten sich freuen
in sicherem Wissen,
welch eidlichen Zusagen sie vertrauten.
So erwartete dein Volk
die Rettung …
Daran erinnert das Buch der Weisheit die Juden, die wahrscheinlich in der Zeit vor oder um Jesus in der ägyptischen Diaspora lebten, angepasst an die griechische Kultur und als Juden gerade so gelitten. Aus ihrem Glauben, der bei ihnen wohl ebenso schwächelte wie in der wohlhabenden westlichen Welt von heute, schöpften sie wenig Freude und Lebenshilfe. Also – angesichts ihrer zunehmenden Bedeutungslosigkeit – das Achselzucken, wie denn Gott unter diesen Umständen seine großartigen Verheißungen bei ihnen wahr machen könnte.
Israels Pascha-Nacht – noch unter dem Druck all der ungelösten und belastenden Probleme – wird da modellhaft zur neuaufgelegten Perspektive: Erinnert euch – so hören sie im modern-antiken Ägypten: Hoffnungsvoll singend, in frohem Vertrauen auf Gottes Zusage haben sie damals ihre bevorstehende Befreiung gefeiert! Die erwarteten sie in sicherer Gewissheit, obwohl noch alles dagegen sprach und diese Botschaft nur als naive Illusion erscheinen konnte. Aber ihre Hoffnung wirkte so stark unter ihnen, dass sie sich sogar zu einer umfassenden Solidarität verpflichteten: In gleicher Weise teilten sie Güter wie Gefahren miteinander, und schon im Voraus feierten sie ihre Befreiung und stimmten die Loblieder an, zu denen die Verheißung der Freiheit sie anstiftete! (Weisheit 18, 6-9)
Da sie sich so darauf einließen, schaukelten sich bei ihnen die Sehnsucht und die Botschaft gegenseitig immer höher, so dass das Ersehnte und Zugesagte dann auch tatsächlich geschah!
Ob wohl für die Adressaten des Buchs der Weisheit damals diese Erinnerung zur Quelle neuer Energie wurde?
In der zweiten Schriftlesung des Sonntags – aus dem Hebräerbrief – wird eine solche Haltung als „Glauben“ bezeichnet und die damit befeuerte Dynamik beschrieben:
Glaube ist
Grundlage für das, was man erhofft,
ein Zutagetreten von Tatsachen,
die man nicht sieht.
Das griechische Original heißt – wörtlich übersetzt: Es ist aber der Glaube des Erhofften Verwirklichung, der Dinge Beweis, die nicht sichtbar sind. Oder – flüssiger formuliert: Im Glauben wird Erhofftes zur Wirklichkeit, zum Beweis der Dinge, die man nicht sehen kann.
Wenn ich der Logik dieser Aussage nachgehe, höre ich: Durch den Glauben wird das zur Wirklichkeit, was man erhofft. Der Glaube bringt den Beweis für das, was man noch nicht sehen kann.
Vielleicht ist das vergleichbar mit dem Phänomen einer sogenannten „selbsterfüllenden Prophezeiung“ oder mit der autosuggestiven Wirkung eines Placebo-Medikamentes?
Der Hebräerbrief zählt eine Reihe von Beispielen auf, die illustrieren, was er mit solchem „Glauben“ – als zeitloses Modell – meint. Mit Abraham fängt er an:
Aufgrund des Glaubens
gehorchte Abraham dem Ruf,
wegzuziehen in ein Land,
das er zum Erbe erhalten sollte;
er zog weg,
ohne zu wissen, wohin er kommen würde.
Aufgrund des Glaubens
siedelte er im verheißenen Land
wie in der Fremde
und wohnte mit Isaak und Jakob,
den Miterben derselben Verheißung,
in Zelten;
denn er erwartete die Stadt
mit den festen Grundmauern,
die Gott selbst geplant und gebaut hat. …
(Hebräer 11,1-2.8-19)
In der Tat: So verwirklicht Abrahams Glaube, was Gott ihm verheißen hatte, was Abraham aber noch nicht sehen konnte. Vertrauensvoll tut er, was Gott sagt, und so kann sich die von ihm erhoffte Zusage Gottes verwirklichen.
Kommt ein solches Verständnis von „Glauben“ nicht verblüffend dem nahe, was Jesus in den Evangelien immer wieder zu Menschen sagt, die sich mit ihrer Not ihm anvertrauen und dann in der Begegnung mit ihm geheilt oder befreit werden: „Dein Glaube hat dich gerettet.“?
Ebenso wie beim Beispiel von Abraham erzählen auch die Evangelienschriften des Neuen Testaments häufig von der Richtung des Prozesses, wie die Sehnsucht Chancen bekommt – nicht ausgehend von der drängenden Nachfrage aus einer bewussten Sehnsucht, sondern von Gottes Angebot und seinem Aufruf, es aufzugreifen. Durch seine Initiative veranlasst, fassen Menschen dann den Mut, in sich überhaupt erst eine tiefsitzende Sehnsucht zuzulassen. Oder vielleicht wird – sozusagen durch den fortwährend wirkenden Schöpfer – eine solche Sehnsucht überhaupt erst grundgelegt?
Eine Parallele zur Konsumwerbung, in der Wirtschaftsunternehmen diesen urmenschlichen Mechanismus für eine Mehrung ihres Profits nutzen, indem sie ihr Angebot vielen Menschen geschickt schmackhaft machen: So schaffen sie eine Nachfrage, indem sie den Menschen erfolgreich einreden, sie hätten ein dringendes Bedürfnis danach.
Jesus lenkt die Aufmerksamkeit derer, die sich gerne von ihm begleiten lassen, auf einen anderen Schwerpunkt und er ermutigt sie, sich dazu öffentlich zu bekennen, damit die Sehnsucht der Menschen mehr Chancen auf Erfüllung bekommt:
… Sucht nicht,
was ihr essen und was ihr trinken sollt,
und ängstigt euch nicht!
… Euer Vater weiß, dass ihr das braucht.
Vielmehr sucht sein Reich;
dann wird euch das andere dazugegeben.
Löst euch ruhig aus der Umklammerung durch all diese Interessenkämpfe wirtschaftlicher Konkurrenzen!
Sein Liebeswerben um ihre entsprechende Umorientierung mündet in den Satz, mit dem der Evangeliums-Abschnitt dieses Sonntags beginnt:
Fürchte dich nicht,
du kleine Herde!
Denn euer Vater hat beschlossen,
euch das Reich zu geben.
Mehr als um alles andere sollen sie doch besser dafür sorgen und sich dafür öffnen, dass Gott mit seiner väterlichen Zuwendung bei ihnen mit seinem „Reich“ anfangen kann, also dass in allem Miteinander der Menschen er mit seiner Menschenliebe zur herrschenden Kraft wird. Und da brauchen sie auch gar keine Angst zu haben, dass sie zu wenige seien oder zu schwach und zu klein. Sie brauchen nicht zu jammern „Ach was sind wir doch eine kleine Herde! Wie soll denn da Gott seine Zusage wahr machen können!“ Sie sollen nur gewiss sein – allein darauf kommt es an: „Euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben.“
Dass aus diesem Zusammenhang dieser nachdrücklich vergewissernde Satz zum Höhepunkt seiner Rede wird, das bleibt an diesem Sonntag leider im Schatten des Folgenden.
Da gibt Jesus Anstöße, wie sie sich schon mal für das bevorstehende Kommen seines Reiches bereit machen und von all dem lösen können, wovon sie sich bisher haben beherrschen lassen und was ihre ganze Zeit beansprucht hat:
Verkauft euren Besitz
und gebt Almosen!
Macht euch Geldbeutel,
die nicht alt werden!
Verschafft euch einen Schatz,
der nicht abnimmt,
im Himmel,
wo kein Dieb ihn findet
und keine Motte ihn frisst!
Denn wo euer Schatz ist,
da ist auch euer Herz.
(Lukas 12,32-48)
Das klingt wieder wie der Aufruf an das alte Israel in der ägyptischen Sklaverei, aus der sie sich zum Aufbruch in die Freiheit bereit machen sollten.
Aber da im Gottesdienst der Text ja möglichst kurz gehalten werden soll, wird aus ihm – vor allem in der alternativ vorgeschlagenen Kurzfassung – nur eine Aufzählung von moralisierend klingenden Aufforderungen:
Zu kurz kommt da, worum es hier eigentlich geht: Ihr könnt euch darauf verlassen: Er ist im Kommen als die herrschende Kraft, die eure Sehnsucht nach Leben erfüllt! Fangt ruhig schon damit an: Was ihr habt, miteinander teilen! Ebenso wie die Risiken, die das einbringen kann, die sonst aber allein die tragen müssen, denen ihr das Teilen verweigert. Geht ruhig schon im Voraus klar davon aus und macht deutlich: Er wird seine Zusage erfüllen! Euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben!
