Sonntagsbotschaft zum 12. Oktober 2025, dem 28. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C).
Ob ich für euch „einer von euch“ bin, das kann für mein Überleben entscheidend werden!
Einer von uns?
In manchen Situationen hängt davon ab, wie wir uns verhalten: Wenn du einer von uns bist, werden wir dir eher zuhören; werden wir dir eher beistehen; werden wir uns eher für eine Lösung deiner Probleme interessieren.
Wer zu meiner Familie gehört, dem werde ich eher meine Zeit oder Geld schenken als einem Fremden.
Als die europäischen Eroberer Amerika entdeckten, waren für sie die, denen sie da begegneten, andere Wesen; also glaubten sie sich berechtigt, sie auszurauben und umzubringen.
Familienangehörige brauchen vor Gericht nicht unbedingt als Zeugen auszusagen.
Staatsangehörige haben mehr Rechte als Fremde.
Wenn es aber um elementares Menschsein geht, um Leben und Würde, dann zählt, dass auch der andere Mensch „einer von uns“ ist: einer von uns Menschen!
Staaten wie Glaubensgemeinschaften und auch Einzelpersonen, die die gleiche Würde aller Menschen als Grundsatz hoch halten, sind täglich herausgefordert zu unterscheiden, welche Zugehörigkeit „zu uns“ jetzt Vorrang haben muss: Soll ich mich „für uns Autofahrer“ einsetzen und gegen ein Tempolimit oder „für uns Menschen“, deren Leben durch Raser gefährdet wird?
Zugleich kann es zu einem schwerwiegenden Nachteil werden, „einer von uns“ zu sein: Was „unsereins“ kann, wissen wir ja. Wenn dann „einer von uns“ sich mit einer besonderen Fähigkeit oder Einsicht anbietet, reagieren wir erstmal skeptisch: Was der sich hervortut! Ein fremder Influencer, gar wenn er oder sie sympathisch auftritt, hat da bessere Karten, als Experte anerkannt zu werden – egal ob es darum geht, wie ich gesund werde oder wie das Erdklima gerettet werden kann.
Ganz im Gegensatz dazu reagieren wir allerdings, wenn „einer von uns“ für eine besondere Leistung öffentliche Wertschätzung von außerhalb genießt: Da ruft ein ganzes Volk stolz: „Wir sind Weltmeister!“, nur weil 11 Männer gewonnen haben – oder nach der Wahl von Josef Ratzinger: „Wir sind Papst!“
„Einer von uns“ – das hat viele Facetten.
Als zugehöriges, vollberechtigtes Mitglied riskiere ich, die mögliche Zuwendung der anderen nicht mehr genießen zu können, weil ich sie als Anspruch einfordere. Was ich der Gemeinschaft zutraue, wird, wenn ich es nutze, zum Normalfall, der mir keine nennenswerte Freude oder Dank entlocken könnte: Wer mir hilft – oder die Kassiererin oder der Busfahrer – sie tun doch nur ihre Pflicht; warum dann „Danke“ sagen?
Die Bibel erzählt immer wieder von dem Spannungsfeld zwischen dem Zutrauen zu unverhofftem Beistand und dem Beharren auf bisherigen Erfahrungen und Einsichten, zwischen der Vertrauenswürdigkeit der Vertrauten und den verwunderlichen Möglichkeiten mit den Fremden.
Zwei Beispiele sind an diesem Sonntag zu hören:
Naaman heißt der eine: Feldherr, General. Zwar General des feindlichen syrischen Heeres, also keiner „von uns“. Dieser wichtige Mann ist krank. Er hat eine Krankheit, die ihn so sehr am Leben hindert, auch am Zusammenwirken mit den anderen Menschen, dass er schon geradezu lebendig tot ist. Er hat alles Mögliche versucht, wieder in sein Leben zurückzukehren: hat Heiler und Medizinmänner aufgesucht, hat Göttern Opfer gebracht. Alles hat nichts genützt. Da taucht in seinem Gefolge ein Sklavenmädchen auf. Man hat sie nach irgendeinem Feldzug aus Israel mitgenommen. Aus syrischer Sicht „keine von uns“. Dieses Sklavenmädchen aus Israel sagt: „Ach, wenn doch der Herr zu unserm Gottesmann Elischa gehen könnte!“ Sie weiß ja, das geht sowieso nicht, aber sie sagt es halt. „Dann würde er gesund werden“, sagt sie. Erstaunlicherweise entschließt sich Naaman dazu, im feindlichen Israel, bei deren Gott, Heilung zu suchen.
An wen in Israel wendet er sich? Wem dort traut er am ehesten zu, ihm helfen zu können – entgegen aller bisherigen menschlichen Erfahrung? Wie er es gewohnt ist – große Leute verkehren ja mit ihresgleichen – geht er mit einem Empfehlungsschreiben seines Königs zum König von Israel.
Als der allerdings davon hört – „Was! Er sagt, ich soll ihn gesund machen?!“, da empfindet er das nicht als vertrauensbildende Maßnahme, sondern der König Israels empfindet das als eine Provokation: „Der will mich nur provozieren! Ich bin doch schließlich kein Gott!“ Es fehlt nur noch, dass er mit Waffen auf ihn losgehen lässt.
Dann hört aber Elischa, der Prophet, dass dieses hohe Tier aus Syrien tatsächlich beim Gott Israels Heilung sucht. Da wendet er sich an Naaman und sagt ihm, was er tun soll. Das aber ist so einfach, dass der sich beleidigt fühlt. Er, der schon so viele Mühen auf sich genommen hat, um zu erreichen, was ihm wichtig ist, der kann es einfach nicht akzeptieren, dass er nur siebenmal in Wasser untertauchen soll und dass so Israels Gott ihn gesund mache. Er will sich eigentlich gar nicht darauf einlassen. Aber schließlich sagen sie ihm aus seinem Gefolge: „Tu’s doch!“ – so ungefähr nach dem Motto „Wenn es nichts nützt, schadet es auch nichts.“ Er lässt sich darauf ein. Ein seltsamer Weg, der sein Zutrauen auf die Probe stellt. Er lässt sich darauf ein – auf diesen Gott, auf dieses Wasser. Er lässt sich ein auf das Leben. Mit welchem Ergebnis?
In jenen Tagen
ging Náaman, der Syrer, zum Jordan hinab
und tauchte siebenmal unter,
wie ihm der Gottesmann Elíscha befohlen hatte.
Da wurde sein Leib gesund
wie der Leib eines Kindes,
und er war rein von seinem Aussatz.
Nun kehrte er mit seinem ganzen Gefolge
zum Gottesmann zurück,
trat vor ihn hin und sagte:
Jetzt weiß ich,
dass es nirgends auf der Erde einen Gott gibt
außer in Israel.
So nimm jetzt von deinem Knecht
ein Dankgeschenk an!
Elíscha antwortete:
So wahr der HERR lebt,
in dessen Dienst ich stehe:
Ich nehme nichts an.
Auch als Náaman ihn dringend bat,
es zu nehmen,
lehnte er ab.
Darauf sagte Náaman:
Wenn es also nicht sein kann,
dann gebe man deinem Knecht
so viel Erde,
wie zwei Maultiere tragen können;
denn dein Knecht
wird keinem andern Gott mehr
Brand- und Schlachtopfer darbringen
als dem HERRN allein.
(2. Könige 5,14-17)
Und der Abschnitt aus dem Lukas-Evangelium, der für diesen Sonntag vorgesehen ist, bringt ein weiteres Beispiel:
Es geschah
auf dem Weg nach Jerusalem:
Jesus zog durch das Grenzgebiet
von Samárien und Galiläa.
Als er in ein Dorf hineingehen wollte,
kamen ihm zehn Aussätzige entgegen.
Sie blieben in der Ferne stehen
und riefen: Jesus, Meister,
hab Erbarmen mit uns!
Als er sie sah, sagte er zu ihnen:
Geht, zeigt euch den Priestern!
Das ist sozusagen das Gesundheitsamt. Von den Priestern sollen sie sich bestätigen lassen, dass sie keine Gefahr mehr für die anderen sind und deshalb wieder alle Kontakte wahrnehmen dürfen.
Und es geschah:
Während sie hingingen,
wurden sie rein.
Einer von ihnen aber kehrte um,
als er sah, dass er geheilt war;
und er lobte Gott mit lauter Stimme.
Er warf sich vor den Füßen Jesu auf das Angesicht
und dankte ihm.
Dieser Mann war ein Samarítaner.
Da sagte Jesus:
Sind nicht zehn rein geworden?
Wo sind die neun?
Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren,
außer diesem Fremden?
Und er sagte zu ihm: Steh auf und geh!
Dein Glaube hat dich gerettet.
(Lukas 17,11-19)
Der Syrer Naaman tut einfach, was er gesagt bekommt. Und dieser geheilte Aussätzige, der zu Jesus umkehrt, ist auch ein Fremder, ein Samaritaner, ein „Ungläubiger“!
An anderer Stelle des Lukas-Evangeliums (Lukas 4,27) sagt Jesus ausdrücklich: Damals, in diesem „gläubigen“ Volk Israel, da gab es so viele Aussätzige, aber Heilung gefunden hat nur dieser Naaman.
Umfassend und ganzheitlich „Heilung“ gefunden hat auch im Evangelium nur der heidnische Ausländer, keiner „von uns“. Er freut sich nicht nur über seinen wiedergewonnenen „Status“ als Normalbürger seines Ortes, sondern er hat die Quelle seines Wohlergehens erkannt und die Beziehungs-Dynamik, die sich da ereignet zwischen Jesus und ihm. Im Unterschied zu den anderen Neun erkennt er in der Begegnung mit Jesus Gottes Handeln, der ihn rettet. Also kehrt er um zu Jesus und bringt ihm seine Freude und Dankbarkeit gegenüber Gott. „Glaube“ nennt Jesus das: „Dein Glaube hat dich gerettet.“
Einer von uns sein oder nicht – das zählt nicht mehr, wenn‘s um’s Eingemachte geht. Nicht die Zugehörigkeit zu „uns“ zählt, sondern ob er sich auf die Beziehung vertrauensvoll einlässt und sich entsprechend verhält – auf seine Haltung, mit der er dem „Wort“ begegnet, das er von dem israelitischen Sklavenmädchen zu hören bekommt und von dem israelitischen Propheten und von diesem Jesus von Nazareth, der so für ihn zum Adressaten wird für den überglücklichen Dank an Gott.
Formaler Status der Zugehörigkeit reicht nicht mehr, wenn ich mich nicht zugleich der gelebten Beziehung dazu anvertraue. Auch noch so viel Bescheid-Wissen – alltägliches oder auch gelehrtes – kann eine aktuelle vertrauende Beziehung nicht ersetzen.
Immer wieder zeigt Jesus öffentlich seine Freude über Menschen, die nach der offiziellen Struktur gar nicht zu Gottes Volk gehören, deren Verhalten er aber „Glauben“ nennt und provozierend als Vorbilder für die angeblich „Gläubigen“ hinstellt.
Zum Beispiel den römischen Hauptmann in Kafarnaum. Dieser Offizier der Besatzungsmacht bittet ihn in aller zutraulichen Demut, seinen schmerzhaft gelähmten Diener zu heilen. Da kann Jesus nur erstaunt sagen:
… Einen solchen Glauben
habe ich in Israel
noch bei niemandem gefunden.
(Matthäus 8,6-10)
Wer sich als Glied von Gottes Volk weiß und wessen Leben von der Freude daran erfüllt ist, … auch wer sich als Glied des deutschen Volkes weiß oder als Glied irgendeines anderen Volkes und das wertschätzt, wird – wie Jesus – dazu beitragen wollen, dass immer mehr Menschen Gottes Menschenfreundlichkeit genießen und immer weiter ausbreiten – unabhängig davon, ob jemand „einer von uns“ ist oder nicht.
