Sonntagsbotschaft zum 19. Oktober 2025, dem 29. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C).
„Dein Glaube hat dich gerettet!“ So hatte Jesus zusammengefasst, was geschehen war: Von den insgesamt zehn von der Lepra Geheilten hatte als einziger der Samaritaner, ein „Ungläubiger“, den Zusammenhang gesehen, dass seine Begegnung mit Jesus ihm das Leben zurückgegeben hat. Aus der Isolation, zu der er als Aussätziger verdammt war, kehrt er zurück ins Leben. Unfassbar!
In Fortsetzung von der letzten Woche konfrontiert Jesus an diesem Sonntag wieder mit dem Thema „Glauben“. Wenn ja der Glaube „rettet“, lohnt es sich, sich schon wieder damit zu beschäftigen.
Ein Gleichnis erzählt er wieder einmal:
In einer Stadt lebte ein Richter,
der Gott nicht fürchtete
und auf keinen Menschen Rücksicht nahm.
In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe,
die immer wieder zu ihm kam und sagte:
Verschaff mir Recht gegen meinen Widersacher!
Die im antiken Orient prekäre Situation der Witwen ist in der Bibel immer wieder ein Thema. Da nur Männer Rechte hatten, war eine Frau ganz schnell rechtlos, wenn der Ehemann gestorben war. Wenn sie auch keinen Sohn hatte, war, wenn es darauf ankam, niemand da, ihr zu ihrem Recht zu verhelfen.
Die Bibel hat das von Anfang an korrigiert: Da macht sich eben Gott selber zum Anwalt der Witwen oder zum Richter, bei dem sie ihr Recht bekommen. Ja, das kann dann sogar zur Beschreibung seines Wesens werden:
Ein Vater der Waisen,
ein Anwalt der Witwen
ist Gott in seiner heiligen Wohnung.
(Psalm 68,6)
Er verschafft Waisen und Witwen ihr Recht.
(Deuteronomium 10,18)
Und der Prophet Jesaja ordnet es der Korruption und der Unterdrückung zu, wenn den Witwen ihr Recht vorenthalten wird:
Deine Fürsten sind Aufrührer
und eine Bande von Dieben,
ein jeder liebt Bestechung
und jagt Geschenken nach.
Dem Waisen verschaffen sie kein Recht
und der Rechtsstreit der Witwe
gelangt nicht vor sie.
(Jesaja 1,23)
Lernt, Gutes zu tun!
Sucht das Recht!
Schreitet ein gegen den Unterdrücker!
Verschafft den Waisen Recht,
streitet für die Witwen!
(Jesaja 1,17)
Für Völker und Staaten, die für die Orientierung ihrer Verfassung im Gott der Bibel die maßgebende Instanz anerkennen, wurde diese Beschreibung von Gottes Wesen zu einem starken Impuls für die Ausgestaltung ihrer Rechtskultur.
Mal sind es Witwen, Waisen, Fremde, mal Blinde, Gelähmte, Kranke, mal Arbeitslose und Arme, denen ihr Anteil an den Ressourcen verweigert wird und die ausgeschlossen sind aus der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Welchen Menschengruppen auch immer die gesellschaftliche Realität menschenwürdige Lebensbedingungen vorenthält, ist – je nach Epoche, Kultur und Land – verschieden. Durchgängig aber ist die Botschaft der Bibel, dass Gott für alle Partei ergreift, denen es aus eigener Kraft nicht möglich ist, ihrem Menschenrecht Geltung zu verschaffen.
Auch der Evangelist Lukas zeichnet Jesus in dieser Rolle, von der der Prophet Jeremia Gottes Verheißung ausgesprochen hatte:
In jenen Tagen und zu jener Zeit
werde ich für David
einen gerechten Spross aufsprießen lassen.
Er wird Recht und Gerechtigkeit wirken im Land.
(Jeremia 33,15)
Also setzt Jesus sein Gleichnis fort und sagt von dem fragwürdigen Richter, den die Witwe für ihr Recht bedrängt:
… er wollte lange Zeit nicht.
Dann aber sagte er sich:
Ich fürchte zwar Gott nicht
und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht;
weil mich diese Witwe aber nicht in Ruhe lässt,
will ich ihr Recht verschaffen.
Sonst kommt sie am Ende noch
und schlägt mich ins Gesicht.
Mit der Kluft zwischen der Rechtlosigkeit der Witwe und der Verkommenheit dieses Richters, der nur aus Angst vor ihrer Gewalttätigkeit nachgibt, zeichnet Jesus die groteske Absurdität der Situation.
Und er kommt aus der Bildebene des Gleichnisses zurück in die Aktualität seiner Zeit:
… Hört, was der ungerechte Richter sagt!
Sollte Gott seinen Auserwählten,
die Tag und Nacht zu ihm schreien,
nicht zu ihrem Recht verhelfen,
sondern bei ihnen zögern?
Ich sage euch:
Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen.
Und jetzt kommt der atemberaubende Schlusssatz. Mit ihm konfrontiert Jesus alle, die seine Botschaft als widergöttlich oder als unglaubwürdig beschimpfen:
Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt,
den Glauben auf der Erde finden?
(Lukas 18, 1-8)
Das Verhalten der Witwe ist der Schlüssel: Immer wieder, so hatte Jesus gesagt, fordert sie ihr Recht ein – mit dem Nachdruck ihres Wissens um ihre Gott zu verdankende Würde und um ihr Menschenrecht, das sich daraus ergibt. Das nennt Jesus hier „Glauben“.
Und wenn nun schon dieser ungerechte Richter auf solchen Nachdruck eingeht, wie könnt ihr dann meinen, der gerechte Gott würde sich nicht mindestens ebenso zuverlässig auf den Notschrei von Menschen um ihr Recht einlassen!
Aber die „Gläubigen“ aller Zeiten schoben schon immer durch Menschen zugefügtes Leid und Unrecht Gott in die Schuhe, der dann auch noch – mindestens von „Glaubenden“ – erwarte, seine leidvollen Fügungen demütig hinzunehmen. Immer wenn er kommt, um dem Recht des Menschen zum Durchbruch zu verhelfen, muss er die Erfahrung machen, dass sie sich allzu gehorsam lieber den bei ihnen herrschenden Göttern unterwerfen.
Ich höre geradezu seine verzweifelt bebende Stimme – : Wird er denn, wenn‘s drauf ankommt, bei den Menschen überhaupt „Glauben“ vorfinden – einen wie den der Witwe?! Verlangen Menschen nach ihrem Recht – nach dem eigenen und auch nach dem Recht von diskriminierten Mitmenschen und trauen sie es Gott zu, dass er sich dessen annimmt?
Jesus riskiert und opfert dafür sein Leben – und hofft, Menschen zu finden, die sich von ihm anstecken lassen und glauben. Er garantiert die Geltung der Würde und des Rechtes eines jeden Menschen. Auf ihn getauft zu sein, dokumentiert, dass das auch meine Person betrifft. Sein Wort klärt den Weg, wie ich das immer wieder erleben kann, und erinnert daran, dass das für alle anderen Menschen auch zutrifft. Wie schön, wenn Menschen, die das anerkennen, sich in der Freude darüber zusammentun und dafür Sorge tragen und ihn dankbar dafür feiern! Gemeinschaften von so glaubenden Christen braucht die Welt.
