Blogbeitrag

Senfbaum (Bild von Mehdi bei Wikipedia)

alternatives Leitbild

13. Juni 2024

Sonntagsbotschaft zum 16. Juni 2024, dem 11. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B).

Jesus redet zu den Menschen vom Reich Gottes. Oft und immer wieder. Auch im Evangelium dieses Sonntags. „Reich Gottes“ – βασιλεία τού θεού – das ist ein Standard-Ausdruck der damaligen Zeit. Wofür? Wovon redet Jesus da?

Der Ausdruck steht für den „Geist“ einer Gemeinschaft oder Gesellschaft, wenn Gott darin die prägende Kraft ist. „Reich Gottes“, wörtlich: „Königsherrschaft Gottes“ – das ist dann und dort, wo Menschen ihren Lebensraum und alle Wirklichkeit von Gott geprägt sehen und erleben können. Das wird ihnen zum Gesicht ihrer Lebensfreude. Und solange es daran fehlt, sehnen sich die Menschen danach: Nicht dies und jenes soll das alles beherrschen, sondern der Gott, auf den sie hoffen.

In diese Sehnsucht hinein zeigt sich Jesus mit allem, was er sagt und tut und bewirkt. Sie erleben: Er öffnet ihnen den Weg zu immer mehr Erfüllung solcher Sehnsucht nach Leben. Manche erkennen darin Sinn und Inbegriff ihres Lebensweges.

Auch an diesem Sonntag spricht er sie wieder darauf an: Um in ihnen Vertrauen und Lust wachsen zu lassen auf Gottes andere Art von „Herrschaft“ in ihrem Leben und in ihrer Welt, hält er ihnen ein vertrautes Bild vor Augen.

Von „Herrschaft“ aller Art mögen sie ja eigentlich schon gar nichts mehr hören, da sie damit nur einengende Erfahrungen von Unterdrückung und Entfremdung gemacht haben. Die Alt-68er unserer Zeit können da gut mitfühlen; viele wollen ja auch heute vom „Herrschen“ Gottes nichts wissen. Sie alle übersehen dabei, dass sie sich doch nach einer anderen Kraft sehnen, nach einem befreienden Geist, der alle Lebenswirklichkeit durchatmen soll; wo man sich halt nicht mehr einem „Herrschenden“ ausgeliefert sieht.

Jesus greift heute wieder zu Bildern, mit denen er das vergleicht und einfühlbar macht, was Gott mit ihm unter den Menschen wachsen lässt.

Mit dem Reich Gottes ist es so,
wie wenn ein Mann
Samen auf seinen Acker sät;
dann schl
äft er und steht wieder auf,
es wird Nacht und wird Tag,
der Samen keimt und w
ächst
und der Mann wei
ß nicht, wie.
Die Erde bringt von selbst ihre Frucht,
zuerst den Halm,
dann die
Ähre,
dann das volle Korn in der
Ähre.
Sobald aber die Frucht reif ist,
legt er die Sichel an;
denn die Zeit der Ernte ist da. 

Mit dem Reich Gottes ist es so. Was es mit euren Bemühungen zu tun hat und wie es zustande kommt, dass es zur prägenden Kraft wird in all eurem Miteinander, das könnt ihr euch am besten so vorstellen.

Das ist ein Prozess, der dem Menschen nicht in der Hand liegt. Ja, es ist wichtig, dass er zur rechten Zeit die Hand öffnet, um zu säen, und Hand anlegt, um zu ernten. Aber das Wachstum selbst gehört zu dem, was ihm vorgegeben ist: Er hat es nicht zu verantworten; könnte er ja auch gar nicht. Aber das Geschenk annehmen und nutzen, als Saat neu investieren und verteilen – das ist der Beitrag des Menschen. So bekommen dann alle vom Brot zu essen.

So ist es mit dem Reich Gottes.

Heute würde Jesus ein solches alternatives Leitbild sicher nicht an einem Bild aus der Landwirtschaft festmachen, wohl eher an einem aus der Finanzwirtschaft, wo es auch um Wachstum geht. Vielleicht würde er uns darauf aufmerksam machen, mit einem wie großen Vertrauen und zugleich geringem Durchblick sich alle Welt einspannen lässt für ein unbedingt erforderliches Wirtschaftswachstum und wie gebannt alles auf die Schwankungen der Börsenkurse achtet, denen alle Welt sich ausgeliefert sieht. Obwohl doch Leben ganz anders wächst. Immer wieder, wenn es so weit ist und die Zeichen der Zeit darauf hinweisen, will es mit seinen Früchten gelebt und gefeiert werden.

Damals wie heute ist der Blick für weitere Entwicklungen in den Lebenswirklichkeiten meistens von einer Haltung geprägt, die alles vom Tun der Menschen erwartet. Die Ergebnisse, die Früchte, die sie Gottes Wirken bei ihnen zuschreiben und die sie ihm auch für den weiteren Weg zutrauen, erscheinen ihnen als winzig und irrelevant. Da fragt Jesus sich nochmal:

Womit sollen wir das Reich Gottes vergleichen,
mit welchem Gleichnis sollen wir es beschreiben?

Er hat eine Idee:

Es gleicht einem Senfkorn.
Dieses ist das kleinste
von allen Samenkörnern,
die man in die Erde sät.
Ist es aber ges
ät,
dann geht es auf
und wird gr
ößer
als alle anderen Gew
ächse
und treibt gro
ße Zweige,
sodass in seinem Schatten
die V
ögel des Himmels nisten können. 

„Größer als alle anderen Gewächse“ – ist das nicht etwas übertrieben? So frage ich mich schon seit Jahrzehnten. Wie groß wird denn eine Senfpflanze und ihre Zweige? Also habe ich recherchiert. Und da sehe ich mit Verblüffung:

Senfbaum (Bild von Mehdi bei Wikipedia)
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15060687

In der Tat – ein beeindruckender Baum! So groß wird ein Baum aus einem so winzigen Samen! Da kann ich nur staunen.

Und Jesus sagt: So groß wird das Reich Gottes, auch wenn man das seinem winzigen Anfang gar nicht zutrauen mag!

„Reich Gottes“ – das, was das Miteinander der Menschen prägt, wenn sie ihn als die bestimmende Kraft wollen und suchen – so groß!

Die Alternativen alles beherrschender Kräfte, die sich anbieten, aufzwingen und immer wieder durchsetzen, sind zahlreich. Jesus sagt an anderer Stelle:

Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten,
ihre Völker unterdrücken
und ihre Großen
ihre Macht gegen sie gebrauchen.
(Markus 10,42)

Aber dazu ganz im Kontrast ist die „Herrschaft Gottes“ ein Leitbild, das nicht von Drohung, von Unterwerfung und Angst befeuert wird, sondern von der Sehnsucht nach Befreiung zu einem erfüllten Leben.

Seine amtlichen frommen Gegner sehen sich längst auf den Plan gerufen, um ihr Bild von Gottes Herrschaft aufrechtzuerhalten, in dem Gott sich von den Unterdrückern nur dadurch unterscheidet, dass seine Macht die größte ist.

Jesus betrachtet es ist nicht als selbstverständlich, dass seine Hörer verstehen, wie zuverlässig das „Reich Gottes“ ihrer Sehnsucht entgegenkommt.

Die Gefahr, dass er in den Augen der Menschen doch den Kürzeren zieht und die Mächtigen ihn auszuschalten vermögen, – sein Weg ans Kreuz – das zeichnet sich ja längst ab. Wie soll er da bei den Menschen Erfolg haben mit seiner Verkündigung in Wort und Tat, mit seinem leidenschaftlichen Einsatz, mit dem er für das Reich Gottes als Leitbild für eine humane Gesellschaft wirbt und selber damit anfängt?

Um diese Frage geht es in der Fortsetzung des Textes:

Durch viele solche Gleichnisse
verkündete er ihnen das Wort,
so wie sie es aufnehmen konnten.
Er redete nur in Gleichnissen zu ihnen; …

So beginnt er in seiner Art und Weise, sich verständlich zu machen, erst mal beim Vergleich mit Dingen und Abläufen, die seinen Zuhörern aus ihrer Lebenswelt vertraut sind.

Seinen Jüngern aber …

so endet das heutige Evangelium –

„erklärte er alles,
wenn er mit ihnen allein war.“
(Markus 4,26-34)

„Die Menge“ der Menschen lebt noch nicht in einer festen Beziehung mit ihm. Denen verkündet er das Wort vom Reich Gottes so, wie sie es aufnehmen können: mit Hilfe von Vergleichen. Seine Hörer sollen verstehen: Das Reich Gottes, wie Jesus es meint, ist zwar etwas für sie Neues, aber durchaus vergleichbar: Es dient unserem Aufleben ähnlich wie anderes. Wie das Getreidekorn, das von selber aufwächst, ebenso wie das winzige Senfkorn, das den Vögeln das Nisten ermöglicht, ihnen Lebensraum bereitstellt.

Mit denen, die Vertrauen zu ihm entwickelt haben, hat er mehr Möglichkeiten: Im offenen, vertrauten Gespräch – mit ihm in ihrer Mitte – können sie sich dazu in Beziehung setzen. Heute wie damals. Wie sehr seine Botschaft ihrer Sehnsucht nach einem gelingenden Leben entspricht, daran tasten sie sich heran: tauschen sich darüber aus, wie sie das schon sehen können und wie noch nicht, und ergänzen sich, so dass immer mehr von seinem Licht ihren Weg für die nächsten Schritte und schließlich ihre ganze Perspektive aufhellen kann.

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