Sonntagsbotschaft zum 23. Juni 2024, dem 12. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B).
Letzte Fragen verkneife ich mir. Was ist denn, wenn es keine Antwort gibt?!
Was mache ich stattdessen?
Es gibt genug Fragen, die auf dem Tisch liegen: Was machen wir am Wochenende? Wer wird Europameister? Wie kann ich auch nächstes Jahr noch meine Miete zahlen? Ob die alte Mutter wieder gesund wird?
Und dann brechen sie plötzlich über einen herein – die eine und die andere der „letzten Fragen“.
Sie sitzen im Boot. Wollen auf die andere Seite. Und dann geraten sie in Lebensgefahr.
Flüchtlinge übers Mittelmeer? An diesem Sonntag ist es Jesus. Mit seinen Freunden fährt er über den See. Einer dieser tückischen stürmischen Fallwinde bringt sie in Seenot.
Und dann ist da noch der Sippen-Chef, der alle seine Reichtümer verloren hat und sein Ansehen dazu und die Freunde und dann auch noch seine Gesundheit. Am Ende ist er. Ijob.
Darum geht’s an diesem Sonntag.
Und Gott???
Ja, letzte Fragen stellen sich. Erschreckend.
Viele weichen aus. Bleiben hilf-los.
Andere stellen sich. Und leiden ohne Ende.
Manche meinen: Gott hat doch längst mit Jesus die Antwort gegeben! Und bekommen höllische Angst, wenn sich ihnen unversehens eine dieser Fragen entgegenstellt.
Was tun?
Welche Schritte und in welcher Richtung gehen denn die Menschen, von denen die Bibel voller Respekt erzählt?
Ijob: Eine Zeit voller Hiobsbotschaften wie die unsere passt ganz gut zu der Menge von Botschaften, die ihn erreichen:
Brutal kämpfende Horden überfallen seinen großen Zuchtbetrieb, stehlen seine Herden und massakrieren das Personal. Unwetter vernichtet das übriggebliebene Kleinvieh auf der Weide samt Hirten und Knechten. Die Schar seiner Söhne und Töchter, die gerade in einem ihrer Häuser eine Riesen-Party feiern, kommt um in einem Wirbelsturm, bei dem alles über ihnen zusammenbricht. Dazu ein „bösartiges Geschwür von der Fußsohle bis zum Scheitel“, wie es heißt, das ihn außer Gefecht setzt. Und dann auch noch seine schlauen frommen Freunde, die so einfühlsam mitleidend tun, aber mit ihrem Anspruch, für alles eine Erklärung zu haben, ihn kleiner und kleiner machen: Er sei offensichtlich selber schuld und fürs Leben halt nicht tauglich und außerdem nicht fromm genug.
Zeitlos vergleichbar mit den Jüngern von Jesus, die mit ihm gemeinsam in einem Boot sitzen und ihrem Untergang ins Auge sehen.
Beide Bibeltexte beschreiben die Not, in der die Menschen sich sehen. Ins Spiel ihres Bewusstseins bringen sie den Gott, von dem es doch heißt, er liebe die Menschen!
Wie sie sich mit ihm auseinandersetzen, das bieten die beiden Texte – wie einen Spiegel – auch für heute an:
In dem Dauer-Orkan, den Ijob erleidet, lässt er seinem Herzen freien Lauf, der in seine Worte mündet:
Ich schreie zu dir,
und du antwortest mir nicht;
ich stehe da,
doch du achtest nicht auf mich. …
Ja, ich hoffte auf Gutes,
doch Böses kam, …
… mich haben die Tage des Elends erreicht.
Gäbe es doch einen, der mich hört! …
der Allmächtige
antworte mir!
(Ijob 30,20.26.27; 31,35)
Ich staune: Bei allem Elend wendet er sich nicht von Gott ab, leugnet ihn nicht, diffamiert ihn nicht. Gott ist weiterhin sein Du – mit all seiner Not und seiner Sehnsucht.
Und die Jünger von Jesus: Er, den sie mehr oder weniger mit Gott gleich setzen, er ist mit ihnen in einem Boot. In Seenot!
Er aber lag hinten im Boot
auf einem Kissen
und schlief.
Sie weckten ihn und riefen:
Meister, kümmert es dich nicht,
dass wir zugrunde gehen?
(Markus 4,38)
Was für ein Unterschied zwischen Jesus und ihnen! Was für eine Distanz: „Kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“
Die große Klage tut sich auf, die die gesamte Bibel durchzieht ebenso wie die ganze Menschheitsgeschichte:
Wach auf!
Warum schläfst du, Herr? …
(Psalm 44,24)
So rufen sie schon Jahrhunderte davor im Psalm.
Es gibt doch – heute wie damals – so viele Kräfte und Mächte und Strukturen, Einflüsse und Entwicklungen, die auf das Leben der Menschen zerstörerisch einwirken, Hass und Gewalt und Unterdrückung, Korruption, Machtmissbrauch, Ungerechtigkeiten und Katastrophen – ganz abgesehen von den persönlichen Nöten, Enttäuschungen und Leiden, gegen die wir uns nicht wehren können. Warum tut Gott da nichts? Warum lässt er uns da allein?
Was sagst du denn, Gott, zu all dem Unheil, das sich in der Welt ausbreitet? Du kannst doch nicht einfach schlafen und so tun, als gäbe es alles dieses menschliche Elend nicht! Da regt sich die Ungeduld aller Leidenden. „Der Allmächtige antworte mir!“ ruft Ijob.
Warum lässt Gott sich Zeit mit dem Antworten?!
Die einen meinen – wie die Jünger im Boot mit Jesus – :„Kümmert es dich nicht?!“
Die andern: „Ganz einfach weil er gar nicht da ist.“ – und merken nicht, dass sie damit aufhören, Du zu ihm zu sagen.
Wieder andere sagen: Er hat längst geantwortet. Schaut doch auf Jesus! –und bleiben die Überzeugung schuldig.
Wie geht der Gott, der in der Bibel spricht, mit dieser drängenden Erwartung einer Antwort um?
Den Ijob lässt er erst mal reden und er hört ihm zu. Er widerspricht ihm nicht, sagt ihm auch nicht, das sei doch alles halb so schlimm. Er belehrt ihn nicht und wirft ihm auch nicht vor, eine falsche Sicht zu haben oder undankbar zu sein. Aus seiner Art, wie er später die sogenannten Freunde des Ijob wegen ihrer schlaumeierischen Besserwisserei abkanzelt, lässt sich sogar Gottes hohes Maß an Empathie erkennen, mit dem er sich in Ijob hineinfühlt. Er spricht ihn auf seine Forderung an, „dass der Allmächtige mir Antwort gibt!“
Und was Gott dann sagt, ist keine Antwort.
Da antwortete der HERR dem Ijob
aus dem Wettersturm und sprach: …
Wo warst du, als ich die Erde gegründet?
Sag es denn, wenn du Bescheid weißt!
Wer setzte ihre Maße? Du weißt es ja.
Wer hat die Messschnur über sie gespannt? …
Und die Bibellesung des Sonntags zitiert ihn – im Rahmen der damaligen Vorstellungen des damaligen Weltbildes:
Wer verschloss das Meer mit Toren,
als schäumend es dem Mutterschoß entquoll,
als Wolken ich zum Kleid ihm machte,
ihm zur Windel dunklen Dunst,
als ich ihm ausbrach meine Grenze,
ihm Tor und Riegel setzte
und sprach:
Bis hierher darfst du und nicht weiter,
hier muss sich legen deiner Wogen Stolz?
(Ijob 38,1.8-11)
Und in der Fortsetzung beschreibt er durch fast zwei ganze Kapitel des Buches hindurch den Unterschied zwischen sich, Gott selbst, und dem Ijob. Immer deutlicher wird dabei, wie viel mehr Gott – achtsam für alle Zusammenhänge des Lebens – einen Überblick hat, den er für das gute Gelingen des Ganzen einsetzt. Immer klarer wird, dass dem Ijob – wie der menschlichen Person schlechthin – diese Fähigkeit nicht gegeben ist, also auch die Gesamtverantwortung ihm weder zusteht noch ihm aufgebürdet ist.
Ich frage mich: Warum – statt eine Antwort zu geben – betont Gott hier so sehr den Unterschied zwischen sich und Ijob?
Auch im Markus-Evangelium gibt Jesus den Jüngern keine Antwort auf ihre Klage wegen seiner Unbekümmertheit. Stattdessen seine Gegenfrage:
Warum habt ihr solche Angst?
Habt ihr noch keinen Glauben?
(Markus 4,40)
Wenn ich versuche, mich in Ijob hineinzuversetzen, und dem nachspüre, was wohl in ihm vorgeht, während Gott so wortreich ihm den Riesenunterschied beschreibt zwischen seinem Überblick und dem des Ijob, dann ahne ich – aus meiner bequemen Distanz – das werbende Bemühen Gottes um das Vertrauen des Ijob.
Dabei fällt mir auf, dass ich bei meinem bisherigen – wahrscheinlich oberflächlichen – Hinhören das Wort vom Stolz, der sich legen muss, wohl in die falsche Kehle gekriegt habe: Hier ist gar nicht vom Stolz des Ijob die Rede, den er angeblich erstmal ablegen müsse. Nein, hier geht es um das Meer – Inbegriff von allem, was die Existenz des Ijob bedroht: Dem Meer – so erinnert Gott – hat er seine Grenze gesetzt: „Bis hierher und nicht weiter!“ Er setzt einen Stopp dem Stolz des Meeres, das mit seinen Wogen den Untergang über Ijob bringen will.
Ahnt Ijob jetzt, dass Gott durchaus auf ihn und sein Schicksal achtet? Wächst in ihm ein Vertrauen, wie es später das Spiritual der afrikanischen Sklaven in Amerika besungen hat „He’s Got the Whole World in His Hands“?
Fängt Ijob an, sich fallen zu lassen – in Hände, die ihn auffangen werden?
Ob Ijob schon den Psalm kennt, der die Erfahrung des Menschen besingt, wie Gott in seinem Zorn alle seine Macht aufbietet, unter Blitz und Donner herabfährt und ihn herausreißt aus den tödlichen Wassern, die seine Feinde über ihn ausgeschüttet haben, und ihn hinausführt ins Weite? (Psalm 18)
Vielleicht wächst jetzt in Ijob ein gewisser Mut, sein Elend auszuhalten, eine gewisse Hoffnung zu entwickeln, sich Gottes guten Händen vertrauensvoll zu überlassen, sich selber und sein Leben neu kennenzulernen und zu erproben?
Der Evangeliums-Abschnitt – in seiner sehr knappen Erzählweise – fasst eine Einsicht zusammen, einen Einblick, wie er sich aus dem Nachhinein ergibt:
Da stand er auf,
drohte dem Wind
und sagte zu dem See:
Schweig, sei still!
Und der Wind legte sich
und es trat völlige Stille ein. …
Da ergriff sie große Furcht
und sie sagten zueinander:
Wer ist denn dieser,
dass ihm sogar der Wind
und das Meer gehorchen?
(Markus 4,39.41)
„Da stand er auf …“ Das klingt in meinen Ohren wie eine Erinnerung nach seinem Todesleiden und seiner Auferstehung daraus.
Wo sein Wort gegen den Tod seine Autorität geltend macht, da ist es der todbringende Sturm, der sich jetzt „legt“, hinlegt – ab ins Grab!
„Wer ist dieser!“
Vor jeder Antwort – mit Fragen über Fragen – Staunen als Neuanfang?