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Beten?

24. Juli 2025

Sonntagsbotschaft zum 27. Juli 2025, dem 17. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C).  

„Beten Sie?“

Wenn Sie so gefragt werden, empfinden Sie das vielleicht als indiskret oder unverschämt – jedenfalls wenn es öffentlich geschieht.

Aber hier bleibt das ja garantiert nicht nur unter uns, sondern Ihre Reaktion – emotional wie inhaltlich – bleibt allein bei Ihnen persönlich.

Wenn Sie jetzt weiterhören, besinnen Sie sich also auf sich selbst und darauf, was Sie vom Beten halten. Vielleicht haben Sie Lust dazu?

Okay, ich darf weitermachen – mit dem Thema „Beten“ und mit der Frage, wie Sie dazu stehen.

„Beten“ – was ist das? Wie macht man das und was geschieht dabei? Die Vorstellungen darüber sind, glaube ich, sehr vielfältig und unterschiedlich.

Welche Vorstellungen oder Erfahrungen verbinden Sie mit diesem Wort? Wie würden Sie mit Ihren eigenen Worten beschreiben, was das ist: „beten“? Was vermuten oder erleben Sie, wie Menschen beten und warum und wozu? Wenn Sie von jemandem sagen, er oder sie bete, was hat dann die Person getan, so dass Sie ihr Verhalten als „Beten“ bezeichnen? Woran erkennen Sie an einer Person, dass sie betet? Noch anders gefragt: Was könnte Ihnen den Eindruck machen, jemand betet nicht, obwohl er Gesten oder Worte macht, die in der üblichen Kultur als Gebet gelten?

Am meisten verbreitet dürfte wohl ein Verständnis von „Beten“ sein, dass jemand sich mit Worten an Gott zu wenden sucht. Der verbreitete Spruch „Not lehrt beten“ kann bedeuten: Jemand klagt Gott seine Not und bittet ihn um Abhilfe oder um Stärkung – irgendwie um Licht am Ende des Tunnels.

Theorien über das Beten unterscheiden zwischen Lobgebet, Dankgebet und Bittgebet. Für alles das gibt es Texte, die sich anbieten, „gebetet“ zu werden. Und es gibt viele Bücher über das Beten.

Auch Menschen, die nicht an Gott glauben, äußern Freude über eine gute Überraschung mit dem Wort „Gott sei Dank!“ Ist das ein Gebet?

Menschen, die von sich sagen oder denken, sie glauben an Gott, beten wahrscheinlich – mehr oder weniger – irgendwie – gelegentlich oder öfter oder regelmäßig – also gemäß einer Regel.

Wenn Beten eine Kontaktaufnahme mit dem Gott ist, an den sie glauben, worauf kommt es dann an, wenn der Kontakt etwas „bringen“ soll, sinnvoll sein soll?

Ich beschränke mich hier auf die Fragestellung, wie Beten sinnvoll geht, wenn ich damit den Kontakt meine – die Beziehung – zu dem Gott, den Jesus darstellt: Wie beten Christen? Was tun sie mit dem Gebet? Und um welche Inhalte geht es da?

Die ersten Frauen und Männer, die Jesus für sich selbst und seine Sache interessieren konnte und die neugierig und vertrauensvoll mit ihm gingen, sie stellten sich diese Frage auch. Sie hatten Jesus so kennengelernt, dass sie merkten: Er betet immer wieder. Und sie merkten das – so erzählt es die Bibel – vor allem im Zusammenhang mit Situationen, die Jesus besonders beschäftigten; im Zusammenhang mit Ereignissen, die geschahen oder bevorstanden. Anscheinend lag da etwas für sie Neues darin. Obwohl sie als mehr oder weniger gläubige Juden mit dem üblichen Beten vertraut waren. An Jesus nahmen sie etwas Anderes wahr, etwas Neues in seinem Beten, so dass sie es mit dem Beten auch so halten wollten wie er.

Das Evangelium, das für diesen Sonntag vorgesehen ist, erzählt davon:

Jesus betete einmal an einem Ort;
als er das Gebet beendet hatte,
sagte einer seiner Jünger zu ihm:
Herr, lehre uns beten,
wie auch Johannes seine Jünger beten gelehrt hat.

Sie gehen davon aus: Beim Beten gibt es etwas, was man lernen kann. Und sie wollen es gerne von Jesus lernen. Jesus lässt sich darauf ein:

Er sagte zu ihnen:
Wenn ihr betet,
so sprecht: …

Er nennt ihnen für ihr Beten Inhalte, die ihnen wichtig sind:

Vater,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.

Ihre Sehnsucht nach dem guten Vater sei gegenüber Gott ihre grundlegende Einstellung. Darauf soll dann alles Weitere gründen. Die Sehnsucht danach, dass in dieser Welt, in der wir leben, Gott doch anerkannt werde als herrschende Kraft!

Daraus ergeben sich dann drei vertrauende, hoffnungsvolle Bitten:

Gib uns täglich
das Brot, das wir brauchen!

Was wir zum Leben brauchen. Zu einem menschenwürdigen und erfüllten Leben. „Wir“? „Uns“? Also doch all denen, denen du der „Vater“ bist, der Erzeuger und Schöpfer! Sind das nicht alle Menschen – über die eigene Familie, das eigene Volk, den „Nächsten“-Kreis hinaus – alle?!

Sorge doch bitte dafür, dass die Menschheit sich das zum dringenden Anliegen macht und dass sie dem in deinem Namen dient: dass wir alle bekommen, was wir zum Leben brauchen!

Und die zweite Bitte:

Und erlass uns unsere Sünden;
denn auch wir erlassen jedem,
was er uns schuldig ist.

In allen unseren Lebenszusammenhängen verursachen wir ja Störungen, mit denen wir Leben behindern oder gar zerstören. Nicht nur in allem Miteinander von Menschen und von Völkern, auch an der biologischen Artenvielfalt und an der Qualität von Lebensräumen versündigen wir uns zunehmend. Die Hoffnung, dass wir nicht selber dafür bezahlen müssen, dass nicht schlimme Folgen solchen Verhaltens auf uns selber zurückfallen, sondern dass diese Schulden uns erlassen werden – eine solche unrealistische Hoffnung kann man nur noch auf Gott richten. Und das sollten wir unbedingt, meint Jesus wohl, wenn wir uns nicht an Hass und Zerstörung verlieren wollen.

Dabei wirft der zweite Teil dieser Bitte ein logisches Problem auf: „και γαρ αυτοί“ – übersetzt mit „denn auch wir …“ – wie ist das zu verstehen? Soll Gott beim Erfüllen dieser Bitte daran Maß nehmen, wie wir Menschen einander Schulden erlassen? Wäre das nicht kontraproduktiv, eine Provokation? Erlassen wir denn tatsächlich jedem, was er uns schuldig ist? Die altgriechische Wendung „και γαρ“ verbindet, was davor gesagt wurde, mit dem Folgenden auf sehr unterschiedliche Weisen. Ich verstehe – und bete selber seit vielen Jahren – diesen Satz in dem Sinn einer Bitte an Gott, er möge auf uns einwirken, dass „auch wir“ einander vergeben; denn das würde viele unserer Probleme lösen!

Und die dritte Bitte:

Und führe uns nicht in Versuchung!

Damit rückt Jesus ein weiteres Thema in den Blick, das wir Menschen ebenso gerne ausblenden wie das Thema Schuld: „Wer lässt sich schon gerne führen!“, sagte vor kurzem jemand in einem Gruppengespräch über das Bildwort vom Hirten und seinen Schafen. Ja, die Tatsache, dass wir uns alltäglich tausendfach führen lassen – von allen möglichen Stimmen und Bräuchen, von Regeln und Personen, von Zielen und Bildern, von Impulsen aller Art – das kehren wir gerne unter den Teppich angeblich gelingender Selbstbestimmung.

Da braucht es auch gegenüber Gott eine gehörige Portion Vertrauen, dass ich um seine Führung bitte. Und noch mehr Demut braucht es für die Einsicht, dass ich bei allem, was ich plane und tue, immer wieder in die Versuchung komme, meine erklärten Ziele und Werte und Überzeugungen zu verletzen, ja im Widerspruch mit ihnen mich zu verhalten.

Menschen, die Jesus vertrauen und die sich von ihm zu einer sinnvollen Art des Betens anregen lassen wollen, denen nennt er kurz und knapp dieses Anliegen: Führe du uns! Und führ uns so, dass alle Versuchungen uns nicht vom Weg abbringen!

Nun kann man diese drei Bitten im Anschluss an die zuerst genannte vertrauensvolle Sehnsucht natürlich als Gebetstext verstehen und verwenden – vor allem wenn die Worte tatsächlich bewusst eigene Anliegen mit ihrem entsprechenden Gewicht rüberbringen. Mir scheint aber, Jesus will seine Jünger
mit seiner Antwort auf ihre Frage nach dem Beten eher dazu anregen, die von ihm sehr knapp genannten Inhalte zu Grundanliegen ihres Betens zu machen. Dafür spricht auch, dass das Matthäus-Evangelium, das diese Gebetsanregung von Jesus als Teil seiner Bergpredigt überliefert, einen anderen Wortlaut verwendet als hier das Lukas-Evangelium.

Und dann schließt Jesus noch einen Gedanken an – ungefragt, aber weil er ihre nicht ausgesprochene Frage kennt: Lohnt sich denn das Beten?

Dann sagte er zu ihnen:
Wenn einer von euch
einen Freund hat
und um Mitternacht zu ihm geht
und sagt:
Freund, leih mir drei Brote;
denn einer meiner Freunde,
der auf Reisen ist,
ist zu mir gekommen
und ich habe
ihm nichts anzubieten!,
wird dann der Mann drinnen antworten:
Lass mich in Ruhe,
die Tür ist schon verschlossen
und meine Kinder schlafen bei mir;
ich kann nicht aufstehen
und dir etwas geben?
Ich sage euch:
Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm etwas gibt,
weil er sein Freund ist,
so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen
und ihm geben, was er braucht.
Darum sage ich euch:
Bittet
und es wird euch gegeben;
sucht
und ihr werdet finden;
klopft an
und es wird euch geöffnet.
Denn wer bittet, der empf
ängt;
wer sucht, der findet;
und wer anklopft,
dem wird ge
öffnet.
Oder welcher Vater unter euch,
den der Sohn um einen Fisch bittet,
gibt ihm statt eines Fisches
eine Schlange
oder einen Skorpion,
wenn er um ein Ei bittet?
Wenn nun ihr,
die ihr b
öse seid,
euren Kindern
gute Gaben zu geben wisst,
wie viel mehr
wird der Vater im Himmel
den Heiligen Geist denen geben,
die ihn bitten.
(Lukas 11,1-13)

Jesus wirbt mit Nachdruck darum, dass Menschen sich mit dem, was sie beschäftigt, dem Vater anvertrauen.

 

Nachbemerkung:
Ausgiebiger siehe auch die entsprechende „Sonntagsbotschaft“ von 2022 – auch zur Gebets-Anrede „Vater“ und dass der „den Heiligen Geist geben [wird], die ihn bitten“ und zur Kombination dieses Evangeliums-Abschnitts mit der Darlegung von Abrahams dringendem Fürbittgebet für Sodom als 1. Schriftlesung des Sonntags: „Ob da Beten hilft?“ https://rainer-petrak.de/ob-da-beten-hilft/

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