Sonntagsbotschaft zum 25. August 2024, dem 21. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B).
Manchmal unterscheiden Menschen bis heute „Gläubige“ von „Nichtgläubigen“. Gemeint ist das in unseren Breiten bezogen auf den christlichen Glauben. Auch für viele Muslime sind Nicht-Muslime „Ungläubige“. Eine solche zweipolige Unterscheidung nimmt die eigene Religion jeweils als Maßstab. Auch sich selbst bezeichnen Menschen als „nicht-religiös“ zur ausdrücklichen Unterscheidung von „religiös“.
Eine solche eindimensionale Zuordnung von Menschen ist immer noch üblich, obwohl dank Bildung und globaler Information allen die – jedenfalls in unserer Zeit – gegebene Vielfalt weltanschaulicher Orientierungen bekannt ist – sowohl innerhalb der Religionen als auch unter sogenannten Atheisten.
Andererseits ist es für viele Menschen – vielleicht für alle – wichtig, zu verstehen, wie andere „ticken“. Denn wenn sie Unterschiede und Ähnlichkeiten in der allgemeinen Lebensorientierung erkennen, können sie in diversen Bereichen des Lebens die Möglichkeiten einer Verständigung oder einer Gemeinsamkeit besser einschätzen.
Jeder Mensch hat ja irgendwo seinen Bezug, in dem die für ihn gültigen Maßstäbe und Werte gegründet sind. Das kann ein persönlicher „Gott“ sein oder auch eine ethische Idee, die Vorstellung von einem „alles Umfassenden“ bis hin zu einem systemisch gemeinten „Chaos“ oder auch das eigene Selbst- und Weltbild. Das Menschenrecht auf Religionsfreiheit – auch auf die sogenannte „negative“ Religionsfreiheit – ist eigentlich weltweit anerkannt. Damit hat jeder Mensch den Anspruch auf Respekt gegenüber der eigenen Orientierung für seine Maßstäbe und Werte. Dann verbietet sich eine Einordnung als „richtig oder „falsch“ oder auch als „gut oder schlecht“. Woran sich ein Mensch in diesem Sinne „gebunden“ oder „rück-gebunden“ sieht – ist das nicht seine zu respektierende „Religion“ – Fremdwort aus dem Lateinischen, zu Deutsch „seine Rückgebundenheit“? Was einem Menschen Halt gibt, worauf er sich verlässt, wovon er überzeugt ist und daher daraus Kraft bezieht – ist das nicht sein „Glaube“?
Müssten wir dann nicht eigentlich die entsprechende „Religiosität“ oder „Gläubigkeit“ eines jeden Menschen uneingeschränkt respektieren? Das zu verweigern, darf dann wohl als „falsch“ oder als „schlecht“ bewertet werden? Legitimation für solche Wertung ist der globale Konsens zum Menschenrecht auf Religionsfreiheit – gegründet in unterschiedlichen Weltanschauungen, für Christen im Glauben an den Gott der Bibel.
Natürlich wäre eine logische Konsequenz daraus, dass immer dann, wenn ein in der eigenen „Religion“ gegründetes Verhalten auf andere Menschen einwirkt, deren gleiches Recht ebenso zu berücksichtigen ist.
Anders innerhalb einer Gemeinschaft, zu der Menschen sich mit der ausdrücklichen Gründung ihrer Gemeinsamkeit in derselben bestimmten „Religion“ vereinigt haben: Das damit verbundene Vertrauen auf solidarische Bestärkung und Wegbegleitung verlangt nach Verlässlichkeit – etwa nach dem Muster „Wenn du mit uns vereinigter Vegetarier sein willst, darfst du kein Fleisch essen.“ Oder: Ein Club von Freidenkern wird sich mit einem Mitglied schwertun, das in einer Streitfrage dogmatisch argumentiert.
Natürlich ist es dann nötig, sich über eine klare Unterscheidung zu verständigen, ob eine Abweichung vom bisher geteilten Anerkannten weiterhin als Verletzung oder als Verstoß gilt oder ob die Abweichung anerkannt wird als Chance zur Weiterentwicklung der gesamten Vereinigung. Aktuelles Beispiel: die Frage, wie Christen und ihre Kirchen sich zu LGBTQ-Fragen positionieren.
Die Problematik ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. Erfahrungen aus der Vergangenheit zu bedenken, wie sie damals damit umgegangen sind, dürfte zeitlos sinnvoll bleiben.
Zwei Beispiele dafür, die von Christen und Kirchen auch heute berücksichtigt werden wollen, legen die Lesungen dieses Sonntags aus der Bibel vor:
Josua, der Nachfolger des Mose, hatte die Stämme Israels in das von Gott versprochene Land geführt. Die Strapazen der Wüstenwanderung waren endlich vorbei. Da versammelt Josua das ganze Volk zum so genannten „Landtag“ in Sichem. Er erinnert sie an den Bund, den sie mit ihrem Gott geschlossen hatten. Angesichts ihrer jetzt neuen Lebenssituation weist er sie auf die Entscheidung hin, vor der sie jetzt von neuem stehen.
Josua sagte zum ganzen Volk: …
Wenn es euch nicht gefällt,
dem HERRN zu dienen,
dann entscheidet euch heute,
wem ihr dienen wollt:
den Göttern, denen eure Väter
jenseits des Stroms dienten,
oder den Göttern der Amoriter,
in deren Land ihr wohnt.
Ich aber und mein Haus,
wir wollen dem HERRN dienen.
Wem sie „dienen“ wollen, steht hier für die Frage, wer oder was die herrschende Kraft unter ihnen sein soll, an der sie sich orientieren und von der sie sich auch in der neuen Situation der Sesshaftigkeit im Land leiten lassen wollen.
Josua spricht sie darauf an, dass es da jetzt mehrere verschiedene Möglichkeiten gibt und dass sie vor der Entscheidung stehen, welche sie wählen wollen. Das ist nicht einfach die Frage, ob sie weiterhin sich als ihrem „Gott“ dem zugehörig sehen wollen, der sie so gut aus Ägypten und durch die Wüste geführt hat – keine zweipolige Frage, ob Ja oder Nein. Vielmehr sollen sie sich angesichts der Vielzahl von Möglichkeiten bewusst entscheiden: für den HERRN oder für welche der Götter ihrer Vorväter oder für welche der Götter, die in dem jetzt besiedelten Land üblich sind …
Und Josua, ihr Anführer, fügt gleich – vielleicht werbend oder einladend – an, dass er und die Seinen sich für „den HERRN“ entschieden haben.
So vor die Entscheidung gestellt, antwortet das Volk:
… Das sei uns fern,
dass wir den HERRN verlassen
und anderen Göttern dienen.
Und sie wissen auch, warum:
Denn der HERR, unser Gott, war es,
der uns und unsere Väter
aus dem Sklavenhaus Ägypten herausgeführt hat
und der vor unseren Augen
alle die großen Wunder getan hat.
Er hat uns beschützt
auf dem ganzen Weg,
den wir gegangen sind,
und unter allen Völkern,
durch deren Gebiet wir gezogen sind.
… Auch wir wollen dem HERRN dienen;
denn er ist unser Gott.
(Josua 24,1-2a.15-17.18b)
Eigentlich ist es dieselbe Frage, vor die – vielleicht um die tausend Jahre später – Jesus seine ersten Anhänger stellt, nachdem denen klar geworden war, wie anstößig seine Botschaft für die Ohren seiner Zeit war:
Viele seiner Jünger, die ihm zuhörten,
sagten:
Diese Rede ist hart.
Wer kann sie hören?
Jesus erkannte,
dass seine Jünger darüber murrten,
und fragte sie:
Daran nehmt ihr Anstoß?
Was werdet ihr sagen,
wenn ihr den Menschensohn aufsteigen seht,
dorthin, wo er vorher war? …
Der Evangelist Johannes – im Rückblick, ausgehend von Jesu Tod am Kreuz und seiner Auferstehung in die Erhöhung beim Vater, legt Jesus weitere, für sie noch anstößiger klingende Worte in den Mund …
Daraufhin zogen sich viele seiner Jünger zurück
und gingen nicht mehr mit ihm umher.
Da fragte Jesus die Zwölf:
Wollt auch ihr weggehen?
Simon Petrus antwortete ihm:
Herr, zu wem sollen wir gehen?
Du hast Worte des ewigen Lebens.
Wir sind zum Glauben gekommen
und haben erkannt:
Du bist der Heilige Gottes.
(Johannes 6,60-69)
Der erste Einspruch derer, die Anstoß an ihm genommen hatten, war: „Wie kann er sagen, er sei vom Himmel herabgekommen! Wir kennen doch seine Herkunft!“ Der zweite Einspruch: „Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben!“ Und der dritte: „Was er sagt, ist unerträglich. Wer kann das anhören!“ Also müssen sie eine Entscheidung treffen.
Und die Zwölf: „Zu wem sollten wir denn gehen?“ Sie wissen sich – trotz der bewussten Verlockung anderer Möglichkeiten – ihm entschieden verbunden. Und sie wissen, warum: „Du hast Worte des ewigen Lebens!“ Wir haben uns für dich entschieden: Du bist der Heilige Gottes! Sie wissen, was sie miteinander und mit ihm wollen. Wozu sie beitragen wollen. Was sie anstreben. Wofür sie sich gemeinsam mit ihm einsetzen wollen.
Wie stellt sich uns heute diese Frage konkret?
Vielleicht so:
- Was wollt ihr den nächsten Generationen hinterlassen: Schulden, die sie dann zurückzahlen müssen – mit Geld, das sie dann nicht für dringend Aktuelles zur Verfügung haben? Oder einen Stau von Problemen, eine kaputtgesparte Welt einigermaßen in Ordnung zu bringen? Oder wollt ihr als einen dritten Weg lieber heute diejenigen zu einem gerechten Beitrag verpflichten, die ihr bisher unterwürfig geschont habt? Oder …?
- Wie wollt ihr die Kriege beenden und neue vermeiden: Schutzlose der Vernichtung preisgeben? Oder durch militärischen Beistand euch selbst und eine Ausweitung des Krieges und noch mehr Zerstörung riskieren? Oder internationalen Druck verstärken – militärisch, wirtschaftlich, …? Oder?
- Wollt ihr den Reichen trauen und sie schonen oder den Armen trauen und sie schonen oder anders differenzieren? Wollt ihr den Investoren ihres Geldes nachgeben oder den Investoren ihrer Lebens- und Arbeitszeit …? Und wie berücksichtigt ihr dabei die vielen, die nichts oder nichts mehr oder noch nicht irgendetwas vom Erwarteten beitragen können fürs Gelingen des Gemeinwesens?
- Und angesichts der Klima-Krise: Wenn ihr euch für Christus entschieden habt, was ist euch dann am wichtigsten: Hauptsache, der Umsatz der Top-Konzerne wächst auch dieses Jahr bei uns mehr als in anderen Ländern? Oder Hauptsache, alle, die es sich leisten können, können auch diesen Sommer in maximaler Freiheit schnell fahren oder weit fliegen? Oder ist euch die Hauptsache, wie am effektivsten und mit gerecht verteilten Einschränkungen die Erderhitzung gebremst und der Lebensraum erhalten werden kann? Oder …?
- Und ihr Christen und ihr Kirchen, welche Entscheidung wollt ihr „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“, wie unsere Gesellschaft umgehen soll mit den Millionen von Menschen, die vor Terror und Krieg, wegen Vernichtung ihres Lebensraums oder aus anderen existenziellen Bedrohungen fliehen und alle Risiken auf sich nehmen und nach Europa streben, um endlich leben zu können? An wem und an welchen Werten wollt ihr da Maß nehmen und eure Entscheidungen orientieren? Was soll darin euer „Rück-Bezug“ sein, eure „Religion“?
- Und angesichts der Wahlkämpfe: Bei welchen politischen Kräften sehen die, die sich an Christus orientieren, die größten Schnittmengen mit seinem Evangelium und mit den euch gemeinsamen Bestrebungen? Bei den sogenannten „Konservativen“? „Sozialdemokraten“? „Liberalen“? „Linken“? „Grünen“? Rechtspopulisten? Oder …?
Oder hab ich da was völlig falsch verstanden???