Blogbeitrag

Offenbacher Mainuferfest 2023

Ein besonderer Tag

30. Mai 2024

Sonntagsbotschaft zum 2. Juni 2024, dem 9. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B).

Ziemlich verblüffend, wie aktuell die Kernaussagen der Bibel an diesem Sonntag sind: Vor gut zwei Wochen hat der Hessische Landtag über das Thema debattiert und will noch vor der Sommerpause zu einer Entscheidung kommen.

Worum geht es? Ich fang mal mit dem Text an, den die katholische Leseordnung für die Gottesdienste dieses Sonntags als Erste Lesung aus der Bibel vorsieht:

Da erinnert Mose an den Bund mit dem Volk, auf den Gott sich festgelegt hat: auf seine Sorge dafür, dass nichts und niemand Menschen in sklavischer Abhängigkeit hält und dass alle optimale Möglichkeiten zu einem sinnerfüllten Leben haben. Mose erinnert dabei an die wenigen Grundregeln, an die auch das Volk sich halten muss, damit Gottes Absicht gelingen kann.

Mit dem Wort „du“ spricht er hier nicht die einzelnen Menschen an, sondern das gesamte Volk, das dafür verantwortlich ist, wie es das Leben in seinem Gemeinwesen gestaltet: „du Israel“, „du Europa“, „du Menschheit“, „du Adam“ …

Als erstes, worauf sie in ihrem gesellschaftlichen Miteinander achten müssen, nennt er das, was die Erste Lesung dieses Sonntags verkündet:

So spricht der Herr:
Halte den Sabbat:
Halte ihn heilig,
wie es dir der HERR, dein Gott, geboten hat! 
Sechs Tage darfst du schaffen
und all deine Arbeit tun.
Der siebte Tag ist ein Ruhetag,
dem HERRN, deinem Gott, geweiht.
An ihm darfst du keine Arbeit tun:
du und dein Sohn und deine Tochter
und dein Sklave und deine Sklavin
und dein Rind und dein Esel
und dein ganzes Vieh
und dein Fremder in deinen Toren.

Und warum sollen sie am Sabbat, am siebten Tag der Woche, alle Arbeit liegen lassen? Was stört ihn daran, wenn Menschen an diesem Tag arbeiten und mit ihrer Arbeit doch oft Wichtiges, Gutes, Wertvolles tun?

Anscheinend bedenkt er schon, dass wir die Dinge leicht durcheinander bringen. Deshalb ist die Antwort auf diese Frage gleich angefügt:

Dein Sklave und deine Sklavin
sollen sich ausruhen wie du.
Gedenke, dass du Sklave warst im Land Ägypten
und dass dich der HERR, dein Gott,
mit starker Hand und ausgestrecktem Arm
von dort herausgeführt hat.
Darum hat es dir der HERR, dein Gott, geboten,
den Sabbat zu begehen.
(Deuteronomium 5,12-15)

Es geht ihm um den Menschen. Der steckt allzu oft in Zwängen, die ihn an einem erfüllten Leben hindern. Da sieht er sich nur noch in sklavischen Abhängigkeiten und seiner Würde als freier Mensch beraubt.

In unseren heutigen gesellschaftlichen Gegebenheiten – jedenfalls in der Sprache, mit der wir sie benennen – kommen natürlich „Sklaven“ nicht mehr vor. Aber wir wissen schon, dass mit diesem Wort alle die Menschen gemeint sind, deren Leben nur noch aus „Funktionieren-Müssen“ besteht. Und die gibt es nicht nur in der sogenannten untersten sozialen Schicht: Vor kurzem hörte ich, wie ein Kleinunternehmer seine eigene Situation mit schwarzem Humor beschrieb: „Ein Selbstständiger arbeitet selbst und ständig.“

Natürlich gehören Abhängigkeiten zu unserem Leben. Und die Erfahrung, wenn viele andere Menschen dank meiner Hilfsbereitschaft oder meiner Arbeit Freude und Nutzen genießen, kann zweischneidig sein. Ja, viele beklagen, dass sie immer nur tun müssen, was andere von ihnen erwarten.

Was tut es da gut, wenn für ein Zusammenleben der Menschen an erster Stelle geboten wird: Alle müssen sich dem verpflichtet wissen, dass jeder Mensch ein Recht auf Unterbrechung hat. Das zu achten und zu schützen, ist vor allem denen geboten, die Verantwortung tragen für das Miteinander im Gemeinwesen. Zum Beispiel auch dem Hessischen Landtag.

Bis in die Wortwahl hinein genau das gebietet an erster Stelle die Verfassungskultur unserer Gesellschaft in Deutschland.

In der Bibel wie auch im Grundgesetz geht es natürlich nicht um eine bürokratische Regulierungswut oder um eine spielverderberische Lust an Einschränkungen durch Verbote.

(Videoclip aus Cityvision TV Mönchengladbach vom 01.02.2016)

Aber um die Lust an der Ausbeutung anderer Menschen in Schach zu halten – oder auch eine krankhafte Selbstausbeutung! – , geht es wohl nicht ohne Verbote. Menschen sehen immer wieder ihre eigene Rettung nur noch darin, dass sie andere Menschen um ihre Würde bringen und deren Rechte verletzen. Wenn ein CEO die Investoren seines Konzerns befriedigen muss, damit sein Vertrag verlängert wird, dann sperrt er sich eben gegen seine Verpflichtung zur Einhaltung von menschenrechtlichen Standards in der Lieferkette. Da hilft nur ein gesetzliches Verbot. Und wie froh bin nicht nur ich, dass es ein sonntägliches Fahrverbot für Lkw gibt!

Ja, beim Gebot, nach sechs Arbeitstagen mit einem gemeinsamen freien Tag die Arbeit zu unterbrechen, geht es darum, die Voraussetzungen zu gewährleisten, dass ein Leben in der Würde als freie Menschen möglich wird. Wenn unsere Gesellschaft fit sein will für ein Leben in Veränderung, für Frieden und Gerechtigkeit, braucht sie dringend den klaren Unterschied zwischen Werktagen und Sonntag.

Im Streit darüber hat das Bundesverfassungsgericht

(Urteil vom 01.12.2009 – 1 BvR 2857/07 –
Fundstelle:
https://oj.is/215155)

im Namen des Volkes festgehalten:

Der Schutz des freien Sonntags, den das Volk mit der Verfassung dem Staat zur Pflicht macht,

„… sichert … eine wesentliche Grundlage
für die Rekreationsmöglichkeiten des Menschen
und zugleich für ein soziales Zusammenleben …“

Der so geschützte freie Sonntag sei eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Menschen ihre Grundrechte wahrnehmen können, die der Entfaltung ihrer Persönlichkeit dienen. (Randnummer 148)

Konkret wird da darauf hingewiesen (Randnummer 153):

„… Die Sonn- und Feiertagsgarantie fördert und schützt
nicht nur die Ausübung der Religionsfreiheit
(Art. 4 GG).
Die Arbeitsruhe dient darüber hinaus
der physischen und psychischen Regeneration
und damit der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), …
dient dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG).
Auch die Vereinigungsfreiheit lässt sich so effektiver wahrnehmen
(Art. 9 Abs. 1 GG).“

Ihr „kann schließlich
ein besonderer Bezug zur Menschenwürde beigemessen werden,
weil sie dem ökonomischen Nutzendenken eine Grenze zieht
und dem Menschen um seiner selbst willen dient. …“

Nun kämpfen aber Teile des Einzelhandels dafür, dass dieser Charakter des freien Sonntags zunehmend abgebaut wird. Seit wenigen Wochen wird diese Absicht auch nicht mehr verschleiert, sondern immer öfter offen ausgesprochen:

„Schafft das Sonntagsverkaufsverbot für Supermärkte ab!“ titelt da die Schleswig-Holstein-Zeitung. (shz.de am 05.05.2024)

Und Ruhr24.de erweckt den Eindruck, als könne man in manchen Teilen Deutschlands doch eh schon sonntags ebenso selbstverständlich einkaufen wie werktags. (ruhr24.de am 26.05.2024)

Anreize, die mit einem gewissen Erfolg darauf zielen, in der Bevölkerung Einkaufsgewohnheiten und -wünsche zu verändern, hat schon 2014 der Hessische Verwaltungsgerichtshof festgestellt –  und den Gesetzgeber darauf hingewiesen,

(aus Urteil vom 15.05.2014 – 8 A 2205/13, Randnummer 54 –
Fundstelle:
https://oj.is/702048)

„… dass eine äußerste Zurückhaltung bei der Freigabe sonntäglicher Ladenöffnungen immer mehr Bedeutung gewinnt angesichts der Auswirkungen der vollständigen Freigabe der Ladenöffnungszeiten an Werktagen …“

Diese Regelung habe ja dazu geführt, dass

„… auch Supermärkte in kleineren Gemeinden ihre Läden zu Zeiten geöffnet halten, die früher dem Familienleben und der Wahrnehmung sozialer, gesellschaftlicher oder sportlicher Aktivitäten vorbehalten waren. Dies … beeinflusst auch das soziale Verhalten potenzieller Kunden, denen der abendliche oder nächtliche Einkauf in der Werbung als besonderes Freizeitvergnügen schmackhaft gemacht wird. …“

Wenn sich für den Einzelhandel eine ausreichende Versorgung der Menschen im ländlichen Raum „nicht rechnet“, kann das den Gesetzgeber nicht legitimieren, sich am Sonntagsschutz zu vergreifen. Er wird andere Wege finden müssen, um entsprechende Rahmenbedingungen zu fördern.

Ebenso, wenn Arbeitsbedingungen den Menschen an Werktagen keine Zeit und Energie mehr übriglassen, um anstehende Einkäufe zu erledigen.

Und angesichts von Löhnen für Normalarbeitsstunden im Einzelhandel, die nicht mehr ausreichen, die immer teureren Wohnungsmieten zu bezahlen, veranlasst das natürlich alleinerziehende Mütter, wenn irgend möglich sonntags für lukrative Lohnzuschläge angeblich „in freier Entscheidung“ zu arbeiten, auch wenn sie dann keine Zeit für ihre Kinder mehr haben. – Dass der Sonntagszuschlag wegfällt, wenn Sonntagsarbeit normal wird, das bedenkt niemand.

Falls der Eindruck entstanden ist, dass Kundschaft wie Verkäuferinnen einmütig mit dem Einzelhandel nichts lieber wollten als eine Freigabe des Sonntags fürs Shoppen und fürs Kasse-Machen, dann sollte das eher als Signal dafür verstanden werden, dass in unserer Gesellschaft grundlegende Rechte der Menschen sehr unterschiedlich geachtet werden.

Übrigens – die Behauptung, in vollautomatisierten Supermärkten, die jetzt als Türöffner für eine generelle Sonntagsöffnung dienen sollen, sei ja gar kein Personal am Arbeiten, ist pure Augenwischerei:

Das bis in manche Medien hinein zu hörende Stöhnen der Polizei
über Mehrarbeit wegen Ladendiebstählen in den teo-Märkten

(Darmstädter Echo vom 07.05.2024 Seite 12 „Polizei froh über Sonntagsverbot für teo“
FuldaerZeitung.de vom 07.03.2024 „Festnahmen nach Diebes-Serien in Teo-Märkten – Tegut nimmt Stellung“)

hat dann peinliche Gegenstimmen ausgelöst: Ein im Hintergrund arbeitendes teo-Personal – natürlich auch sonntags – sorge selber für entsprechende Sicherheit und Video-Überwachung.

Dazu kommt – was bisher weitgehend öffentlich vertuscht wurde – , dass es Personal braucht – permanent – für technische Störungen in der IT-Abwicklung oder in der Kühlanlage, für Hilfeleistungen beim Umgang mit der Bezahltechnik oder wenn ein Nutella-Glas auf den Boden fällt und zerplatzt …

Verschleiernde Informationen verschiedener Art dienen dazu, wirtschaftlichen Interessen den Vorrang zu geben vor elementaren Belangen der Menschen. Je mehr Aspekte man in den Blick nimmt, um die Wirklichkeit möglichst umfassend wahrzunehmen, umso mehr wird auch deutlich, dass das aktuelle Vorhaben aller demokratischen Fraktionen im Hessischen Landtag – auch die oppositionellen Freidemokraten und die Grünen befürworten es ja! – in gleicher Weise den Grundwerten der Verfassung wie auch der Befreiungsbotschaft der Bibel widerspricht.

Und wie steht es mit dem Sonntagsschutz in anderen Ländern?

Abgesehen von verbreiteter Desinformation, von Unkenntnis über die Entwicklung in anderen Ländern und von der schwierigen Vergleichbarkeit verweise ich hier nur auf die zusammenfassende Meinung der US-amerikanischen Arbeitssoziologin Heather Hofmeister:

(Videoclip aus hr-TV „engel fragt“ vom 20.11.2019)

Die Befürworter einer sogenannten „Liberalisierung“ beim Schutz für den Sonntag verweisen gerne auch auf die unangefochtene Selbstverständlichkeit sonntäglicher Öffnung und Arbeit von Tankstellen, Krankenhäusern, Schwimmbädern, Museen und im öffentlichen Personenverkehr …

Eine kurze Entgegnung überlasse ich dem Evangelium dieses Sonntags, das zu meiner Verblüffung an Aktualität nicht zu überbieten ist:

An einem Sabbat
ging Jesus durch die Kornfelder
und unterwegs rissen seine Jünger Ähren ab.
Da sagten die Pharis
äer zu ihm:
Sieh dir an, was sie tun!
Das ist doch am Sabbat nicht erlaubt.
Er antwortete:
Habt ihr nie gelesen, was David getan hat,
als er und seine Begleiter hungrig waren
und nichts zu essen hatten,
wie er zur Zeit des Hohepriesters Abjatar
in das Haus Gottes ging
und die Schaubrote a
ß,
die au
ßer den Priestern niemand essen darf,
und auch seinen Begleitern davon gab?
Und Jesus sagte zu ihnen:
Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht,
nicht der Mensch für den Sabbat. …
(Markus 2,23-28)

Das ist einfach die Logik der Menschlichkeit, die dem Evangelium und unserer staatlichen Verfassung gemeinsam ist: Wenn man den menschenfreundlichen Sinn einer Regel ignoriert, dann vernachlässigt man ebenso ihre Wichtigkeit wie auch ihre Begrenzung:

In der Sprache heutiger Gerichte würde Jesus seinen Gegnern antworten: Wenn Menschen, die am Sonntag Hunger haben, ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit wahrnehmen, dann dient das dem Sinn, den auch das Gesetz verfolgt. Die Gerichte sprechen dann von Arbeiten oder Tätigkeiten „für den Sonntag“ – etwa beim Personal im öffentlichen Personenverkehr oder in der Gastronomie, in Schwimmbädern, Theatern oder Museen … Oder sie sprechen von „Arbeiten trotz des Sonntags“ – wie bei Polizei, Pflege, Feuerwehr, … Das Gesetz ist eben für den Menschen da. Es will die Würde und die Freiheit des Menschen gewährleisten.

Was haben wir in Deutschland ein Glück, dass vor 75 Jahren die Väter und die wenigen Mütter des Grundgesetzes den Schutz des Sonntags so hoch angesetzt haben! Gottes Geist der Menschenfreundlichkeit weht eben auch, wenn Staat und Kirche getrennt sind!

(Videoclip aus Lied „Endlich Sonntag!“ von Rainer Petrak (2014),
gesungen von Martin Schäfers und Rainer Petrak)

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