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23. Mai 2024

Sonntagsbotschaft zum 26. Mai 2024, dem Dreifaltigkeitssonntag („Trinitatis“) im Lesejahr B.

Manchmal schlagen „zwei Herzen, ach, in meiner Brust“. Und bei allem, was mich zerreißen will – zwischen Gaza und Israel, zwischen Gewaltlosigkeit und Waffenhilfe an die Ukraine, … – ich will doch eins mit mir sein und bleiben!

Wie viel noch mehr mag da der hin- und hergerissen sein, dem die ganze Welt und die Menschheit am Herzen liegt! Drei „Herzen“ reichen ihm? Vater, Sohn, Geist – ein Gott – mit heilsam zugewandtem Überblick über alle und alles?!

Allein schon mein Leben in meiner Welt – unübersichtlich ist es geworden, mit wem und mit welchen Kräften vernetzt das abläuft. Allein aufzuzählen, in welche Strukturen ich eingebunden bin, wird immer schwieriger. Leichter finde ich vielleicht einen Überblick, wenn ich schaue, welche Dynamiken da auf mich einwirken – und mich behindern oder fördern.

Über alle Erdteile hinweg sind wir ja inzwischen auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Und zunehmend wirken alle aufeinander ein.

Dichte Verkehrsströme transportieren schon seit Jahrzehnten weltweit vernetzt und rapide zunehmend nicht nur Personen und Waren, sondern auch Sprechgewohnheiten und Machtansprüche, Ideologien, gesellschaftliche Spielregeln und Konsumgewohnheiten, Geschäftsabschlüsse, Produktionstechniken, Eingriffe in ökologische Prozesse, …

Dynamische Entwicklungen, die eine breite Palette von wertvollen Vorteilen mit sich bringen wie auch gravierende Nachteile für alle Menschen und für alle Länder – zum Teil extrem unterschiedlich verteilt. Die erreichte Dichte und Schnelligkeit globaler Abläufe fördert eine weltweite Angleichung und fordert – auch von den Langsamsten – Entscheidungen, die lokale Unterschiede immer schneller nivellieren.

Die Frage ist: Ist die Menschheit willens und fähig, so miteinander umzugehen, dass alle Unterschiede im Wollen und im Können ausgeglichen werden, dass aber zugleich die Menschen mit ihren Unterschieden und ihren lokalen Kulturen geachtet werden und bei all dem für alle ein Weg in eine gute Zukunft gebahnt wird?

Oft denken wir einfach statisch in Strukturen und streiten uns besserwisserisch über sie und wie schlecht ihre Zuordnung funktioniert und welche ungenießbaren Früchte das hervorbringt.

Aber da stecken mehr Dimensionen drinnen! Und wenn es auch anstrengender ist, es wäre fruchtbarer, wenn wir uns über ihre je eigene Dynamik verständigten und darüber, wie wir für ein Zusammenwirken in allen Unterschieden die gegebenen Strukturen verändern und für alle positiv nutzen. Das fängt in Familie und Freundeskreis an und hört mit einer koordinierten Politik in der Europäischen Union noch lange nicht auf.

Seit etwa einem Jahrhundert gibt es in institutionalisierter Form die Bemühung um einen globalen Ausgleich der Interessen. Nach dem Wegfall eines Systems der politischen Blöcke hat sich nun die Gegenbewegung in Richtung polarisierender nationaler Egoismen neu formiert. Die Welt steht vor einer großen Herausforderung.

Mir drängt sich eine Sicht dieses Konfliktes auf, die ich so benenne: Es geht um unseren Willen und um unsere Fähigkeit, die Schwelle der Evolution zum Menschsein wirklich zu überschreiten. Biologisch ist dieser Schritt längst getan. Aber die Kultur des Zusammenlebens – politisch und wirtschaftlich – ist noch sehr geprägt von den uns aus dem Tierreich überkommenen Regeln und Gewohnheiten.

Was ist in diesem Zusammenhang das Eigene am Menschsein?

In der Geschichte der biologischen Arten sind immer die Stärkeren die Sieger. Die an Kraft, Anpassung und Überlebensfähigkeiten gemessene starke Qualität der Gene ist das Merkmal schlechthin für das elementare Recht des Stärkeren.

Dann aber gibt es auch einen ganz anderen Maßstab, der selbst bei den schwächsten Individuen das allen gleiche elementare Recht auf Leben und seine Entfaltung erkennt: Es ist die besondere Würde, ein Mensch zu sein.

Die Anerkennung dieses Maßstabs der Menschenwürde steht in erbittertem Kampf mit dem Recht des Stärkeren.

Sowohl auf internationaler Ebene – bei den Vereinten Nationen ebenso wie in der Europäischen Union – als auch national – im deutschen Grundgesetz – genießt in verbindlichen Vereinbarungen und Erklärungen die Menschenwürde ein erfreulich hohes Ansehen als Ziel.

Wenn mächtige wirtschaftliche oder ideologische Interessen von Personen, Konzernen oder Staaten den Belangen der Menschenwürde entgegenstehen, zeigen sich allerdings immer wieder die Schwächen der Politik bei der Umsetzung dieses anerkannten Maßstabs.

Wie kann die Menschheit in globaler Selbstorganisation einen Weg finden, dass endlich auch die Schwächsten sich auf die Anerkennung ihrer Menschenwürde verlassen können?

Wenn auch das Zutrauen zu den Religionen in ihre Kompetenz, Probleme zu lösen, in unserer Zeit ziemlich heruntergekommen ist, bin ich dennoch überzeugt, dass der Gott, der durch die Bibel spricht und den Jesus mit seinem menschenfreundlichen Geist verkörpert, die Menschheit von heute verlässlich in eine von Frieden und Gerechtigkeit geprägte Zukunft führt.

Die Bibeltexte dieses Dreifaltigkeitssonntags sprechen deutlich davon:

Da ermahnt Mose im Buch Deuteronomium das Volk, die Grundsätze fürs Zusammenleben, die er ihnen ausgerichtet hat, als Gottes Weisungen sich zu Herzen zu nehmen. Auffällig und für unsere aktuelle globale Situation interessant erscheint mir die Begründung, warum das so wichtig sei. Die große Bedeutung von Gottes Gesetzen und Rechtsentscheiden in Israel sieht er im Zusammenhang der Beziehung des Volkes Israel zu den anderen Völkern:

… Denn darin besteht eure Weisheit
und eure Bildung
in den Augen der Völker.
Wenn sie dieses Gesetzeswerk kennenlernen,
müssen sie sagen: In der Tat,
diese große Nation
ist ein weises und gebildetes Volk!
… Welche große Nation
besäße Gesetze und Rechtsentscheide,
die so gerecht sind wie alles in dieser Weisung,
die ich euch heute vorlege?
(Deuteronomium 4,6.8)

Und dann – in dem Abschnitt, der für diesen Sonntag vorgesehen ist – zählt er eine Reihe von epochalen Erfahrungen auf, die sie die Generationen hindurch mit ihrem Gott gemacht haben. Beglückende Erfahrungen, die ihnen aus ihrer eigenen Offenheit für Gottes befreiende Einwirkung auf sie selber klar geworden sind und an die sie sich immer wieder in einer Sprache erinnern, die sich ihnen aus dieser Sicht fürs Ganze ergibt:

Denn forsche doch einmal
in früheren Zeiten nach,
die vor dir gewesen sind, …:
Hat sich je etwas so Großes ereignet …
Heute sollst du erkennen
und zuinnerst begreifen:
Der HERR
ist der Gott im Himmel droben
und auf der Erde unten,
keiner sonst.
Daher sollst du seine Gesetze … bewahren,
damit es dir
und später deinen Nachkommen
gut geht …
(Deuteronomium 4,32-34.39-40)

Es geht nicht um das Einfordern der Unterwerfung unter die Statik einer gegebenen Ordnung, sondern um das Vertrauen in eine Dynamik, die im Sinn von Gottes Willen allen Menschen dient.

Am Beispiel Israel sollen die Völker sehen: Wenn alle sich an die Weisung Gottes halten, dann wird es den Menschen samt ihren Nachkommen sehr gut gehen. Sie sollen daran erkennen: Der Gott der Bibel ist der einzige Gott, den als Gott anzuerkennen sich lohnt.

Für diese Sichtweise wirbt Mose.

Da redet jemand, der über sein eigenes Volk und seinen Gott froh staunt und dessen Blick sich über den eigenen Horizont hinaus weitet: Der Gott deines Volkes ist der Gott aller Völker, ja der ganzen Erde! Sein Bestreben ist das Wohlergehen aller Völker und aller Generationen! An eurem Beispiel hat er das gezeigt! Wisst euch dem verpflichtet!

Die Worte des auferstandenen Jesus an seine Jünger im Evangelium des Dreifaltigkeitssonntags klingen da gerade wie eine Fortsetzung: eine Zusage an alle Völker und alle Generationen. Zwischen Anerkennung und Zweifel derer, die damit anfangen, werden sie sich begleitet erfahren und berufen zu einer heilsamen, einigenden Aufgabe für die ganze Welt:

Darum geht …
… ich bin mit euch alle Tage
bis zum Ende der Welt.
(Matthäus 28,16-20)

Und in seinem Brief an die Christengemeinde in Rom beschreibt der Apostel Paulus mahnend den Unterschied zwischen den Völkern, die sich nach dem Gesetz der Evolution am Recht des Stärkeren orientieren und den Tod der Schwächeren hinnehmen, und dem Volk, das die Regeln seines Zusammenlebens nach den Erfahrungen mit Gottes Menschenfreundlichkeit bestimmt. Das eine ist die aus der Evolution übernommene Mentalität, die er das Gesetzes des „Fleisches“ nennt, das andere ist der Atem des Schöpfers, der Geist, der selbst die Schwächsten aufleben lässt:

… diejenigen, die vom Fleisch bestimmt sind,
trachten nach dem, was dem Fleisch entspricht,
die aber vom Geist bestimmt sind,
nach dem, was dem Geist entspricht.
… das Trachten des Fleisches führt zum Tod,
das Trachten des Geistes aber
zu Leben und Frieden. …
Ihr aber seid nicht vom Fleisch,
sondern vom Geist bestimmt,
da ja der Geist Gottes in euch wohnt.
(Römer 8,5.6.9)

Daran anknüpfend sagt Paulus mit den Worten, die als zweite Lesung dieses Dreifaltigkeitssonntags zu hören sind:

Alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen,
sind Kinder Gottes.
Denn ihr habt nicht
einen Geist der Knechtschaft empfangen,
sodass ihr immer noch Furcht haben müsstet,
sondern ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen,
in dem wir rufen: Abba, Vater!
Der Geist selber bezeugt unserem Geist,
dass wir Kinder Gottes sind.

Und welche Dynamik entfaltet das? Was macht das dann mit uns?

Sind wir aber Kinder, dann auch Erben;
Erben Gottes und Miterben Christi,
wenn wir mit ihm leiden,
um mit ihm auch verherrlicht zu werden.
(Römer 8,14-17)

Mit Berufung auf die Verbindung mit Jesus Christus, aus der Christen neu leben und Lebensfreude erfahren, bestärkt Paulus zum Kampf gegen das Recht des Stärkeren und für die globale Geltung der Menschenwürde auch der Schwächsten.

Christen werden also darauf achten, alle ihre staatsbürgerlichen Möglichkeiten, alle ihre Überzeugungskünste, alle Wege demokratischer Einflussnahme zu nutzen und geltend zu machen:

Der menschenfreundliche Gott ist der Gott aller Völker, ja, der Gott der ganzen Erde. Sein Wille ist das Wohlergehen aller Völker und aller Generationen. Das wird uns zum Herzensanliegen werden!

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