Sonntagsbotschaft zum 17. November 2024, dem 33. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B).
„Alles geht den Bach runter!“ So klagte dieser Tage jemand neben mir im Bus. Und konventionelle Medien wie auch „social media“ erwecken manchmal den Eindruck, die Welt steuert auf ihren Untergang direkt zu.
Ich schaue in die Bibel – in die Texte, die für diesen Sonntag im Gottesdienst-Programm stehen. Wo höre ich da am deutlichsten etwas, was Bezug nimmt zu dieser aktuellen Situation?
Da fokussiert sich meine Aufmerksamkeit zunehmend auf die erste Hälfte des Evangeliums-Abschnitts:
In jener Zeit sprach Jesus
zu seinen Jüngern:
In jenen Tagen,
nach jener Drangsal,
wird die Sonne
verfinstert werden
und der Mond
wird nicht mehr scheinen;
die Sterne
werden vom Himmel fallen
und die Kräfte des Himmels
werden erschüttert werden.
Dann wird man
den Menschensohn
in Wolken kommen sehen,
mit großer Kraft und Herrlichkeit.
Und er wird die Engel aussenden
und die von ihm Auserwählten
aus allen vier Windrichtungen
zusammenführen,
vom Ende der Erde
bis zum Ende des Himmels.
(Markus 13,24-27)
Klingt nach dem Ende der Welt. Kosmisch. Da kann man nix machen. Dem ist man ausgeliefert. Dank Elon Musk sind wir schon ein Stück weiter: Die Arbeiten laufen ja schon, wie wir einen Asteroiden vom Weg eines Zusammenpralls mit der Erde ablenken können. Ansonsten aber liegt das diesem Bibeltext zugrundeliegende Bild von Himmel und Erde doch ziemlich weit weg von unserem modernen Weltbild.
Das muss uns aber nicht daran hindern, mit Verständnis auf die Botschaft dieser Worte für uns heute zu hören. Denn – worum geht es hier wirklich?
Ein Blick auf den Zusammenhang des Markus-Evangeliums, in dem dieser Abschnitt steht, klärt die Perspektive:
Nehmen wir an, heute würde jemand sagen: Am 6. November ist in Berlin eine Bombe geplatzt, die ganz Europa erschüttert. Dann wäre klar: Da ist nicht eine Riesen-Atombombe gemeint, sondern es geht um eine bildhafte politische Bewertung des Ampel-crash’s.
In der Sprache der damals verbreiteten apokalyptischen Mentalität fasst Jesus in den Worten des Evangeliums zugespitzt zusammen, worum es in dem Gespräch auf dem Jerusalemer Tempelberg zwischen ihm und seinen Jüngern geht.
Vorausschauend hatte er von diesem prächtigen Tempelbau zu ihnen gesagt:
Kein Stein wird hier auf dem andern bleiben,
der nicht niedergerissen wird.
Mit seinen Worten knüpft er ausdrücklich an an die damals zum Krieg führenden Entwicklungen, an internationale Feindseligkeiten und sprach von beängstigenden „Kriegsgerüchten“ (7-8), von heftigen Auseinandersetzungen im Volk (9) und von damals aktuellen Naturkatastrophen (8).
In der damaligen Zeit haben viele im Volk solche Probleme angesichts ihrer Häufung als drohenden „Weltuntergang“ gesehen.
Dazu macht Jesus noch auf anderes aufmerksam, was außer der Verwüstung des Tempels (14) und unausweichlicher Drangsal (16-19) noch zunehmend droht: Irreführende Fake-news, die Wirklichkeit ignorierende Ideologien, falsche Propheten, falsche Christusse (6; 21-22). Man wird nicht mehr wissen, woran man sich halten kann.
Und bei uns heute?
Für viele Menschen – weniger krass bei uns, aber weltweit definitiv – droht die Welt unterzugehen angesichts der Probleme, wie sie ihre Kinder ernähren oder die nächste Miete bezahlen können oder wie sie einen Ort finden, wo sie menschenwürdig leben oder wie sie mit einer körperlichen Einschränkung bestehen können …
Je nachdem, was sich innerhalb des eigenen Horizonts der Wahrnehmung aufdrängt, erscheinen dann unsere Sorgen und Probleme vielleicht sogar noch als „Jammern auf hohem Niveau“ …
Wer, durch dauerhaftes Wohlergehen verwöhnt, verlernt hat, sich auf wechselnde Umstände jeweils neu einzustellen, der erlebt schnell kleine Verschlechterungen als drohenden Untergang. Das sogenannte Börsenbarometer ist dafür ein sehr sensibles Mess-Instrument.
Wie wird sich jemand verhalten, der Sorgen oder Ängste erregende Entwicklungen vorschnell für unabänderlich erklärt und apokalyptisch als „Ende“ deutet?
Wenn der irdische Lebensraum sowieso unvermeidlich verbrennt oder austrocknet oder weggeblasen oder ertränkt wird, dann will ich wenigstens vorher nicht „mich einschränken müssen bis hin zur lähmenden Erstarrung“; dann will ich die letzten Tage genießen. Bevor die Welt untergeht, nochmal schnell Champagner zum Trost! – Und die nächsten Generationen? Die geflüsterte Antwort: Wenn die es doch eh nicht überleben!
Gibt es dann noch einen Ausweg, wenn die Dinge mal so laufen? Sagt denn dazu etwas der Bibeltext?
Nach der Aufzählung aller apokalyptisch gedeuteten Nöte sagt Jesus:
Aber in jenen Tagen,
nach jener Drangsal …
Ich höre: Selbst wenn der „Untergang“ kosmische Dimensionen annehmen mag (24-25) und „die Sterne vom Himmel fallen“, das ist noch lange nicht das Ende! (7) „Gebt Acht, dass euch niemand irreführt und mit so etwas erschreckt!“ (5)
Denn:
Dann wird man den Menschensohn
in Wolken kommen sehen,
mit großer Kraft und Herrlichkeit.
Und er wird die Engel aussenden
und die von ihm Auserwählten
aus allen vier Windrichtungen zusammenführen,
vom Ende der Erde
bis zum Ende des Himmels.
Vorher schon hatte er gesagt: Dann muss erst einmal allen Völkern das „Evangelium“ verkündet werden (10) – dafür könnt ihr dann Zeugen sein! (9) Das wird euch zwar in Schwierigkeiten bringen. (9; 12) Trotzdem! Es ist der Anfang von Geburtswehen! (8)
In den hasserfüllten und gewalttätigen Streitigkeiten, die euch das einbringt, wird euch der Heilige Geist beistehen. (9; 11; 13) Mit ihm kommt ihr da durch! (11; 13)
Die hier verwendeten Begriffe aus der damals volkstümlich gesprochenen apokalyptischen Sprache müssen für uns übersetzt werden:
Der „Menschensohn“, der da kommt, ist ein Mensch. Und er kommt in Gottes Auftrag! „In Wolken“ und „mit großer Kraft und Herrlichkeit“. Das sind Eigenschaften von Gott selber! Gott wird man darin erkennen! „Engel“ – das sind die Boten, die er in alle Gegenden der Erde schickt mit der Botschaft, die sie alle aus der vereinzelnden, ohnmächtig machenden Zerstreuung neu versammelt, zusammenführt zur neuen Menschheit der Zukunft.
Diese Dynamik ist von Gott inszeniert. Die Menschen werden zu dem „Volk“ werden, dessen „König“ bzw. – würden wir heute sagen – dessen „Verfassung“ Gott ist – der Gott, wie Jesus, der Menschensohn, ihn jetzt schon verkörpert!
Man kann sich natürlich diese Botschaft vom Leibe halten, indem man sie auf die Perspektive vom kosmischen Weltende fixiert und indem man mit dem Hinweis auf dieses überholte Weltbild eine Bezugnahme und Auseinandersetzung zwischen der heutigen Situation und dieser Botschaft ohne weitere Begründung einfach verweigert.
Die Alternative ist, dass Christen und andere Interessierte sich „zusammenführen“ lassen und in der Gewissheit einer lebbaren und lebenswerten Zukunft den vermeintlich einzig zuverlässigen „Mutterschoß“ des Weges in den „Untergang“ dran geben – wenn auch schmerzhaft durch den Geburtskanal, aber in gegenseitiger Solidarität zum gemeinsam suchenden Gestalten des neuen Weges.