Sonntagsbotschaft zum 13. Oktober 2024, dem 28. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B).
Wenn Ihr Kind Sie fragt: Mama, was muss ich tun, um immer glücklich zu sein? Da wird es kaum eine schnelle Antwort sein, die Ihnen über die Lippen kommt.
Vielleicht fragen Sie sich dann selber: Was ist das denn, wonach ich mich im Leben ausstrecke?
Von Andrea Schwarz las ich zitiert – leider ohne Quellenangabe:
nein – ich verkaufe mein leben nicht mehr –
an nichts und niemanden –
nicht für geld und gute worte –
nein – ich will es nicht mehr – allen recht machen –
und keine zeit für mich haben –
nein – so will ich – nicht mehr leben
Aber wie denn?!
Wenn Menschen anderen „Glück“ wünschen, nennen sie das oft „alles Gute!“ und sagen manchmal dazu „vor allem Gesundheit“.
Im Evangelium dieses Sonntags heißt es:
Ein Mann lief auf Jesus zu,
fiel vor ihm auf die Knie
und fragte ihn:
„Guter Meister,
was muss ich tun,
um das ewige Leben zu erben?“
„Leben“! Danach streckt er sich aus. „Ewiges Leben“ – was meint er damit? Meint er damit eine bestimmte Lebensweise? Sinnvoll, erfüllt, glücklich leben? Oder spricht er von einem Leben nach dem Tod? Das bleibt offen.
Der Mann, der sich mit seiner sehnsüchtigen Frage an Jesus wendet, geht davon aus: Er muss etwas tun, weiß aber nicht was, um das, was er „ewiges Leben“ nennt, zu „erben“.
Worauf soll er in seinem Tun achten?
Und warum eigentlich fragt er so mit Nachdruck?
Hat er von anderen Menschen bisher noch keine Antwort gehört, der er vertrauen kann?
Was sagen denn andere?
Was sagt die Stimmungslage in der Gesellschaft?
Oder glaubt er, dass Jesus in dieser Frage besonders vertrauenswürdig ist? Immerhin – er nennt ihn ja „guter Meister“ und fällt mit seiner Frage sogar vor ihm auf die Knie!
Jesus antwortete: …
Du kennst doch die Gebote:
Du sollst nicht töten,
du sollst nicht die Ehe brechen,
du sollst nicht stehlen,
du sollst nicht falsch aussagen,
du sollst keinen Raub begehen;
ehre deinen Vater und deine Mutter!“
Mit seiner Antwort knüpft Jesus an die allgemein vertrauten Regeln für ein gelingendes Zusammenleben an. Und das wird diesem Menschen zum Anlass, sich bewusst zu werden und zu bekennen: Das reicht ihm nicht.
Er erwiderte ihm:
„Meister, alle diese Gebote
habe ich von Jugend an befolgt.“
Jetzt geht Jesus mit seiner Antwort einen Schritt weiter – über das hinaus, was für diesen Menschen wie auch in aller Welt gilt. Nein, stimmt er ihm anerkennend zu: Das reicht nicht. Von oben gesetzten Geboten gehorchen, – so sinnvoll und notwendig das auch sein mag, – das kann weder mich noch meine Umwelt „glücklich“ machen.
Jesus hatte nur die Gebote genannt, die das soziale Verhalten betreffen, nicht aber die ersten, die sich direkt auf Gott beziehen. Lässt er sie vielleicht weg, weil sie allzu verbreitet missverstanden, missdeutet werden, nur nicht als Einladung, sich von Gott leiten, befreien, retten, nähren, lieben zu lassen?
An Stelle der sich direkt auf Gott beziehenden „Gebote“ nimmt Jesus ihn liebevoll in die Arme – und zeigt so, wie ein zuverlässiger Zugang zu Gott und zu seinem Reich und damit zum „Leben“ konkret aussieht.
In seiner Antwort verwendet Jesus weder das Wort „Leben“ noch „ewiges Leben“. Er spricht vom „Reich Gottes“ und zeigt die Tür dahin. In den Bereich von Gottes Art zu herrschen zu gelangen – das ist für ihn gleichbedeutend mit: jetzt schon in Gottes Ewigkeits-Dimension, sozusagen „im Himmel“, eintreten und erfüllt leben.
Das ist seine Antwort auf die Frage nach dem Leben.
Das klingt auch für unsere heutigen, in Ethik und Moral erprobten Ohren und Herzen ungewöhnlich.
Aber wenige Verse davor – darum war es am vergangenen Sonntag gegangen – hatte das Markus-Evangelium schon ein anderes Beispiel dafür genannt, wie Jesus diese Gleichung demonstriert: Die Tür zum glückenden Leben, nämlich zum Reich Gottes, ist gleich meiner Bereitschaft, mich von Jesus in die Arme nehmen zu lassen. Am Beispiel der Auseinandersetzung um die „störenden“ Kinder hatte er es gezeigt.
Und als der Mann im Evangelium dieses Sonntags ihm seine schmerzliche Einsicht anvertraut, dass ihm – trotz aller gelebten Ethik und Moral – immer noch das Wesentliche für ein glückendes Leben fehlt, da öffnet er ihm die Tür: Ja, „Eines fehlt dir noch …“ und nimmt ihn in die Arme.
Im Evangelium heißt es:
Da sah ihn Jesus an, …
Leider und erstaunlicherweise gehen dann die öffentlichen Ausgaben der Einheitsübersetzung von 2016 auseinander:
Im offiziellen Lektionar, aus dem in den Gottesdiensten vorgelesen wird, geht der Text weiter mit den Worten
er gewann ihn lieb … –
Das klingt nach einer rein innerlichen Änderung der Einstellung von Jesus gegenüber diesem Menschen.
In der Bibelübersetzung von 2016, aus der das Lektionar die Bibeltexte übernimmt, heißt es an dieser Stelle allerdings
Da sah ihn Jesus an,
umarmte ihn
und sagte: …
Der griechische Text, aus dem das übersetzt ist, lautet:
ηγάπησεν αυτόν … .
Diese Form des griechischen Verbs für „lieben“ kann verschiedene Vorstellungen übermitteln.
Man kann durchaus übersetzen: „Er gewann ihn lieb“; das meint dann die innere Einstellung von Jesus ihm gegenüber.
Das griechische Wort – in dieser Form des Aorist – sagt aber auch: Er „liebkoste“ ihn, „umarmte ihn“, „erwies“ oder „zeigte“ ihm seine Liebe – ein augenblickliches Geschehen. Ähnlich wie das Johannes-Evangelium das Geschehen am Abend des Abschiedsmahls mit den Seinen und dem sich anschließenden Leidensweg mit den Worten überschreibt: „Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, …“ – also aus dieser Haltung ihnen gegenüber – „…, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ – nämlich mit dem dann genannten Mahl und seinem anschließend erzählten Weg in den Tod am Kreuz, den er ihnen wortreich und mit diesem Mahl deutet: Er „erwies ihnen seine Liebe – bis zur Vollendung.“ So jedenfalls die Einheitsübersetzung von 1980. (Johannes 13,1 – so in der Einheitsübersetzung von 1980) Grundlage ist dasselbe Wort „ηγάπησεν“ wie hier im Markus-Evangelium.
Ich gehe schon davon aus, dass bei Johannes wie auch hier bei Markus betont wird: Die Art der Liebe, die typisch ist für Gottes Art zu „herrschen“, für das „Reich Gottes“, die „zeigt“ sich, „erweist“ sich, ja „offenbart“ sich in einer Weise, die Menschen als liebende Zuwendung erleben, leibhaftig erfahren. Man muss sich seine Liebe nicht nur „sagen“ lassen und „glauben“; Gottes Liebe zum Menschen ist vom „Wort“ zum „Fleisch“ geworden – so überschreibt das Johannes-Evangelium seine ganze Botschaft!
Was dann geschieht – in der Liebe, mit der Jesus sich diesem Mann zuwendet, das stellt ihn vor eine grundlegende Entscheidung über die Ausrichtung seines weiteren Lebens:
Traut er dieser Liebe zu, dass er mit ihr findet, was ihm zu seinem Glück fehlt, und dass er, wenn er sich so lieben lässt, auf das ersehnte „Leben“, das „ewige Leben“ wirklich immer mehr zugeht?
Jesus sagte zu ihm:
Eines fehlt dir noch:
Geh, verkaufe, was du hast,
gib es den Armen
und du wirst einen Schatz im Himmel haben;
dann komm und folge mir nach!
Der Mann aber war betrübt, als er das hörte,
und ging traurig weg;
denn er hatte ein großes Vermögen.
Jesus lässt ihn gehen. Die sehnsüchtige Frage des Mannes hat er beantwortet.
Die Antwort aber wird für den Mann zu einer Herausforderung:
Zu den Worten „Eines fehlt dir noch …“ hat Jesus ihn in die Arme genommen. Also nicht eine Forderung ist sein Wort, vielmehr ein freundschaftlicher, liebevoller Hinweis. So versucht Jesus, der Kraft der Sehnsucht nach dem Leben zum Aufblühen zu verhelfen.
Jesus geht offensichtlich davon aus, dass das Reich Gottes eng verbunden ist mit einem solidarischen Teilen aller Ressourcen und dass jemand, der sich an einen großen Besitz auch innerlich eng gebunden hat, sich damit schwer tut.
Der Mann geht. Traurig. Auch Jesus macht das traurig:
Da sah Jesus seine Jünger an
und sagte zu ihnen:
„Wie schwer ist es
für Menschen, die viel besitzen,
in das Reich Gottes zu kommen!“ …
(Markus 10, 17-30)
Mit materiellen Erfolgen und Gütern, mit Sozialethik und moralischen Geboten Glück und Erfüllung des Lebens zu finden, – „wie schwer“ ist das doch!
So bietet Jesus für alle seine Lebenskraft an.
Jesus, den Christen mit dem Johannes-Evangelium bekennen als „Gottes Wort“ in Person, das „Fleisch geworden ist“, – er ist Lebenskraft schlechthin, Kraft zu einem erfüllten, glückenden Leben.
Das betont in der Botschaft dieses Sonntags auch die Zweite Lesung aus dem Hebräerbrief:
„Das Wort Gottes“ – an ihm scheiden sich nicht nur die Geister in aller Schärfe.
Es ist „lebendig“ und „wirksam“ – wirklich Leben.
Da unterscheidet sich alles von Herz und Nieren bis Mark und Bein –
danach, wie ich mich entscheide und ausrichte zu diesem Mensch gewordenen „Wort“.
Uff! Starker Tobak! –
Auch die Erste Lesung des Sonntags schöpft aus dieser Tiefe:
Dem sich anvertrauen. Nicht mehr den Botschaften von Gesundheit und Schönheit, von Macht und Reichtum glauben, sondern dem „Wort Gottes“, das sich in Jesus gezeigt hat, sich anvertrauen.
Wenn ich noch so sehr verwöhnt bin mit Gesundheit und Schönheit, Erfolg, Macht und Reichtum – was fehlt mir da?
Der Autor des alttestamentlichen Buchs der Weisheit, angeblich der reiche, mächtige, gesunde und schöne König Salomo, – er öffnet sich dafür und streckt sich danach aus. „Weisheit“ nennt er es.
Ich betete
und es wurde mir Klugheit gegeben;
ich flehte
und der Geist der Weisheit kam zu mir.
Ich zog sie Zeptern und Thronen vor,
Reichtum achtete ich für nichts
im Vergleich mit ihr.
Einen unschätzbaren Edelstein
stellte ich ihr nicht gleich;
denn alles Gold
erscheint neben ihr wie ein wenig Sand
und Silber
gilt ihr gegenüber so viel wie Lehm.
Mehr als Gesundheit und Schönheit
liebte ich sie
und zog ihren Besitz dem Lichte vor;
denn niemals erlischt der Glanz,
der von ihr ausstrahlt. –
Zugleich mit ihr kam alles Gute zu mir,
unzählbare Reichtümer waren in ihren Händen.
(Weisheit 7, 7-11)
„Alles Gute!“