Blogbeitrag

Fluch oder Segen

13. Februar 2025

Sonntagsbotschaft zum 16. Februar 2025, dem 6. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) (Wahlprüfsteine aus der Bibel für die Bundestagswahl?). 

Der Freund, der an dem windigen Abend, an dem wir uns trafen, die Heckklappe seines bereits verschlossenen Autos zuschlug, wurde sich im selben Moment klar: Der Schlüssel samt Hausschlüssel lag drinnen und ebenso das Handy mit der Telefonnummer der Person, die einen Zweitschlüssel hat. „Schlechter Tag“, sagte er. Das klang nach „Fluch“ über diesem seinem Tag. Und als bereits eine halbe Stunde später im Auftrag des ADAC ein Mann kam, der ihm das Auto öffnete, klang sein Kommentar nach „Segen“.

„Fluch“ und „Segen“ sind Wörter, die in der Sprache unserer säkularen Welt kaum noch vorkommen. Und wenn doch, dann im abgeleiteten Sinn eines Bildes.

Wenn die Bibel – wie an diesem Sonntag zu hören – diese Wörter verwendet, dann können wir noch spüren, dass da mit nachdrücklicher Wucht Verhaltensweisen von Menschen bewertet werden. Aber wir spüren in ihnen auch etwas Magisches und Polarisierendes. Und das kann uns daran hindern, uns für eine – vielleicht wichtige – Botschaft zu öffnen, die sie transportieren wollen.

Wenn jemand zu mir sagt, auf einem Ort oder einem bestimmten Tun liege ein Fluch, dann ahne ich eine Verschwörungstheorie. Wenn ich dann auch noch höre, der „Fluch“ gehe von Gott aus – etwa wie der Urteilsspruch eines Richters – , dann finde ich das mindestens unpassend. Allerdings gibt es da in meinem Denken auch etwas „Unpassendes“: Denn beim Gegenstück, beim „Segen“, höre ich nichts dergleichen Willkürliches; da spüre ich nur Wertschätzung und Zustimmung, wärmende Zusage, die in mir ein Zutrauen bestärkt. Wenn Eltern zu Tochter oder Sohn sagen, zur getroffenen Wahl des Ehepartners „hast du unseren Segen“, dann freuen auch die sich einfach über die solidarische Zustimmung.

Was hat es mit „Fluch“ und „Segen“ auf sich?

Was meinen die alten Sprachen, in denen uns solche Aussagen der Bibel überliefert sind?

Mit dem hebräischen אָרוּר (‘arúr) urteilt ein Richter – eigentlich nur Gott – mit dem Spruch „verflucht“, nämlich „verstoßen“ bist du. Und dieser Spruch gilt und wirkt aus sich selbst heraus – eben wie ein Richterspruch. Dem entsprechend steht das griechische επικατάρατος (epikatáratos) für „verflucht“, nämlich gestürzt, vernichtet, für entwertet erklärt. Die lateinische Sprache übersetzt beide mit dem Wort maledictus. „Verflucht“ meint da einen „Bös-“ oder „Schlecht-Spruch“ – alt-eingedeutscht: „maledeit“ – Gegenstück zum Freispruch oder zum „Gut-Spruch“ benedictus, „benedeit“. Dieses Gegenstück „gesegnet“ heißt im Griechischen ευλογηημένος – wörtlich übersetzt „gutgeredet“ – ; da werden Wertschätzung und Wohltaten zugesprochen – gleichbedeutend mit dem hebräischen בָּרוּךְ (barúch).

Ausgesprochen ist ein solcher Fluch oder Segen jeweils von einer den Menschen vorgegebenen und ihrer Anfechtung entzogenen richterlichen Autorität: Gott, irgendwelche Dämonen, ein elementares „Gesetz“, …

Ursprünglich gemeint ist damit nicht eine ethische Norm, was der Mensch soll oder was zu vollstrecken sei, sondern da geschieht etwas in der Beziehung zwischen konkreten Menschen und der gemeinten Autorität:

Mit dem Spruch „ist“ der Mensch verflucht oder gesegnet; und der Spruch – Fluch oder Segen – macht das allen Beteiligten bekannt.

So spricht der HERR:
Verflucht der Mensch,
der auf Menschen vertraut,
auf schwaches Fleisch sich stützt
und dessen Herz
sich abwendet vom HERRN.
Er ist wie ein Strauch in der Steppe,
der nie Regen kommen sieht;
er wohnt auf hei
ßem Wüstenboden,
im Salzland, das unbewohnbar ist.
Gesegnet der Mensch,
der auf den HERRN vertraut
und dessen Hoffnung der HERR ist.
Er ist wie ein Baum,
der am Wasser gepflanzt ist
und zum Bach
seine Wurzeln ausstreckt:
Er hat nichts zu f
ürchten,
wenn Hitze kommt;
seine Blätter bleiben grün;
auch in einem trockenen Jahr
ist er ohne Sorge,
er hört nicht auf,
Frucht zu tragen.
(Jeremia 17,5-8)

Der Psalm, der diesem Prophetentext in der gottesdienstlichen Ordnung zugeordnet ist, fokussiert die Aufmerksamkeit werbend und unterstützend auf die Seite, die den Segen bringt – sozusagen mit der Begründung: So gesegnet sein, das macht den Menschen „glücklich“, „selig“, „glückselig“ – so die griechische Übersetzung μακάριος für den hebräischen gratulierenden Ausruf אַשְׁרֵי הָאִישׁ (’ashrei ha’ish) – Titel übrigens eines in Israel bekannten modernen Songs – : „Heil dem Menschen, der …“ (auf YouTube mehrfach verfügbar).

Selig der Mann, der
nicht nach dem Rat der Frevler geht,
nicht auf dem Weg der Sünder steht,
nicht im Kreis der Spötter sitzt,
sondern sein Gefallen hat
an der Weisung des HERRN,
bei Tag und bei Nacht
über seine Weisung nachsinnt.
Er ist wie ein Baum,
gepflanzt an Bächen voll Wasser,
der zur rechten Zeit seine Frucht bringt
und dessen Blätter nicht welken.
Alles, was er tut, es wird ihm gelingen. …
(Psalm 1,1-4.6)

Jede menschliche Gesellschaft hat – jeweils im Zusammenhang der jeweiligen Gegebenheiten einer Epoche – ihre Prinzipien, die sie in ähnlicher Weise vertritt – wenn auch mit anderen Worten, aber mit der gleichen geradezu dogmatischen Bestimmtheit höchster Zuverlässigkeit.

In den 70er- und 80er-Jahren wurde zum Beispiel unangefochten verkündet: „Die Gewinne von heute sind die Arbeitsplätze von morgen.“ In biblischer Sprache: „Die Gewinne der Konzerne sind der Segen für morgen!“ Und es hieß:  „Die NATO und die USA sind die Garanten unserer Freiheit.“ Und: „Die Rente ist sicher.“

So viel Segen durch die Politik? Wenn man das so sieht, wird man sich jedenfalls daran halten!

Darin enthaltene Vereinfachungen verführen aber dazu, andere Sichtweisen und elementare Interessen von Menschen weniger zu beachten. Für dadurch zu kurz Kommende wird dann so mancher „Segen“ zum „Fluch“.

Das Reden von Fluch oder Segen hat die Funktion, alle die Menschen an den Gott oder an das Grundgesetz verbindlich zu erinnern, die sich dieser vorgegebenen Autorität verbunden wissen und darauf das Vertrauen in eine gute Zukunft setzen.

Wesentlich ist deshalb für die Bibel – bzw. für den, der auch heute durch sie zu den Menschen sprechen will – , an die Haltung zu erinnern, um die es gehen muss. Jeremia nannte es: das Herz Gott zugewendet halten, auf ihn vertrauen, auf ihn hoffen. Und der Psalm: Sich nicht von Frevlern, Sündern und Spöttern blenden lassen, sondern an der Weisung des HERRN Gefallen haben und sich über seine Weisung Gedanken machen.

Diese Logik setzt das Evangelium des Sonntags konkret um. Als wenn es um Wahlprüfsteine für die Bundestagswahl am nächsten Sonntag ginge!

Da sind Menschen gekommen, um ihn zu hören. Auf sie richtet er seinen Blick und nennt ihnen Segen und Fluch:

In jener Zeit
stieg Jesus mit den Zwölf den Berg hinab.
In der Ebene
blieb er mit einer großen Schar seiner Jünger stehen
und viele Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem
und dem Küstengebiet von Tyrus und Sidon
waren gekommen.
Jesus richtete seine Augen auf seine Jünger
und sagte:
Selig, ihr Armen,
denn euch gehört das Reich Gottes.
Selig, die ihr jetzt hungert,
denn ihr werdet ges
ättigt werden.
Selig, die ihr jetzt weint,
denn ihr werdet lachen.
Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen
und wenn sie euch aussto
ßen und schmähen
und euren Namen in Verruf bringen
um des Menschensohnes willen.
Freut euch und jauchzt an jenem Tag;
denn siehe, euer Lohn im Himmel wird gro
ß sein.
Denn ebenso haben es ihre V
äter
mit den Propheten gemacht.
Doch weh euch, ihr Reichen;
denn ihr habt euren Trost schon empfangen.
Weh euch, die ihr jetzt satt seid;
denn ihr werdet hungern.
Weh, die ihr jetzt lacht;
denn ihr werdet klagen und weinen.
Weh, wenn euch alle Menschen loben.
Denn ebenso haben es ihre Väter
mit den falschen Propheten gemacht.
(Lukas 6,17-18a.20-26)

Mit seinen Seligpreisungen stellt er all denen Rettung und Neuanfang in Aussicht, um deren Elend bisher die Allgemeinheit sich nicht gekümmert hat: den Armen, den Hungernden, den Weinenden, … Und mit seinen Wehe-Rufen entmachtet er die Reichen, die Satten, die für ihren eigenen Spaß gesorgt und selber gut lachen haben, …

Und große Freude kündigt er denen an, die im Vertrauen auf ihn und das jetzt begonnene „Reich Gottes“ sich für diese Änderungen einsetzen und dafür gehasst, geschmäht und beschimpft werden.

Er verlässt sich ganz auf die, die für den Weg in die Zukunft sich nicht an gerne mächtige Blender halten, sondern sich an ihm und an seiner Botschaft orientieren.

Was für ein Segen!

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