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Liebe, die es möglich macht

31. Oktober 2024

Sonntagsbotschaft zum 3. November 2024, dem 31. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B).

„Thema Nummer Eins.“ Was fällt Ihnen da spontan ein?

Trump oder Harris? Der Obdachlose vor Ihrer Haustür? Wann krieg ich endlich den Termin beim Arzt? Der nächste Sex? Das miese Wirtschaftswachstum? Wie komme ich heute über die Runden mit all dem, was da auf mich zukommt?

Regelmäßig sammeln Institute Momentaufnahmen ein, was den Menschen unter den Nägeln brennt.

Wie viele Sorgen aller Art wechseln da einander ab! Und den Menschen geht es ganz unterschiedlich damit! Kann man sich darüber überhaupt verständigen? Oder muss da jeder selber alleine durch? Und was mach ich, wenn die Sorgen bleiben?

Wo finde ich Entlastung? Bei den anderen? In der Politik? Oh je. Hilft da nur noch Schimpfen, Kritisieren? Wohin mit dem Frust!

Da tut es gut, wenn ich mich mal verstanden fühle. Wenn andere das auch so sehen wie ich. Wenn ich mir mal meine Meinung nicht verkneifen muss. Wenn ich mir Besserwisser endlich mal vom Leibe halten kann.

In einer solchen Stimmungslage sich austauschen mit anderen Sichtweisen, Aufmerksamkeit ergänzen durch den Blick auf bisher nicht beachtete Zusammenhänge, abwägen und gemeinsam eine Perspektive entwickeln – das alles fühlt sich dann doch ziemlich anstrengend an. Zumal die Interessen anderer sehr widersprüchlich sein können zu dem, was mir wichtig ist.

Gibt es da nichts Gemeinsames im Interesse aller, auf das man sich als Grundlage verständigen kann? Damit Möglichkeiten sich nicht gegenseitig blockieren, sondern je nach Augenblick und Zielgruppe genutzt werden können? Es gibt doch so viele Dinge, in denen wir aufeinander angewiesen sind, für die wir uns verständigen müssen, wenn das Ganze einigermaßen gelingen soll! Aufgabe jeder Politik und überhaupt jeden menschlichen Miteinanders!

Und um nicht von Anfang an angesichts der bestehenden Unterschiede nur zu polarisieren oder gar sich gleich die Köpfe einzuschlagen, Brandmauern zu zementieren, Drohkulissen in den Vordergrund zu rücken, braucht es erst einmal eine Haltung aller Beteiligten allen anderen gegenüber, eine Haltung, die allen gleiche Würde und gleiches Recht zuerkennt und die allen zutraut und zumutet, Gründe für ihre Eigenheiten verständlich darzulegen.

Wie kommen wir dahin???

Diese Aufgabe stellt sich zu allen Zeiten. Wenn auch immer wieder in neuer Gestalt. Grundsätzliche Wesenszüge einer solchen Haltung bleiben zeitlos gültig: Die Betroffenheit aller ist anzuerkennen und damit auch das Recht aller auf Beteiligung an der Gestaltung des Ganzen. Ebenso anzuerkennen sind die Zusammenhänge mit den Rahmenbedingungen, die allem Dasein, allem Leben und dem Menschsein vorgegeben sind.

Aus allen Zeiten der Kulturgeschichte der Menschheit kennen wir Ansätze, sich über eine solche Haltung zu verständigen. Selten ist aus ihnen mehr geworden als die lehrhafte Entfaltung einer guten Idee.

Wie kann aber ein Bewusstsein von der Notwendigkeit einer solchen Haltung zu einer Kraft werden, die eine solche Veränderung wirklich herbeiführt – möglichst nachhaltig?!

Eine knapp zusammengefasste Sicht, wie die Bibel sie darstellt, geben zwei Abschnitte, die an diesem Sonntag verkündet werden.

Nach der langen, mühsamen Wanderung durch die Wüste zeichnet sich für den Blick des Volkes endlich die Ankunft im verheißenen Land ab. Da verpflichtet Mose das Volk von neuem auf Gottes Gesetze und Gebote.

Und Jesus – vor die Frage nach dem wichtigsten Gebot gestellt – zitiert Mose: Höre, Israel!

Das klingt wahrlich nicht nach einer interessanten Neuigkeit, auf die die Menschheit sich gerne einigen möchte.

Alles was nach Verpflichtung schmeckt, nach Ethik und Moral – haben wir schon erfolglos durchdiskutiert. Am Ende landeten wir immer wieder beim Machtkampf zwischen Gruppeninteressen.

Da ich mich nicht mit irgendeiner Resignation zufrieden gebe, glaube ich nicht an das sozusagen vorprogrammierte Scheitern. Immer deutlicher zeichnet sich mir ab, dass das Scheitern eine Ursache hat:

Wir argumentieren – spätestens seit der Epoche des römisch-byzantinischen Imperialismus – mit der „Pflicht“, statt die transformierende Kraft anzuerkennen, die in geteilter Lust und Freude gründet, im gemeinsamen „Herzensanliegen“, mit dem man sich „von ganzem Herzen“ identifiziert und nicht nur halbherzig – die Willenskraft einer „Liebe“, die in alle Wirklichkeit hinein zu wirken vermag.

Aufforderungen, die auf Grund kultureller Gewohnheit nur als Verpflichtung gehört werden, lösen bestenfalls belehrende und wiederum verpflichtende Wirkungen aus.

Etwas ganz Anderes geschieht aber, wenn in Aufforderungen – des gleichen Inhalts – werbende Einladungen eines Liebenden gehört werden. In der Hör-Haltung des in Liebe umworbenen Menschen entfaltet sich eine ganz andere Logik und Dynamik. Und die ist uns fremd geworden – oder fremd geblieben – in der Mentalität des griechisch-römisch geprägten Abendlandes samt seiner Aufklärung, die die Kurve immer noch nicht gekriegt hat vom Widerstand gegen alles Beherrschende hin zu einer wirklichen Emanzipation des Menschen, der sich in Beziehungen entfaltet – in positiv einander zugewandten Beziehungen zu anderen Menschen, zu allem Leben, zum Dasein überhaupt – in der Sprache der Bibel und ihres Glaubens: in der Liebe zu Gott und zum Nächsten.

Da erscheint es mir doch als eine Sternstunde der Menschheit, wenn der Apostel Paulus in die Einsicht ausbricht:

Selbst wenn ich alles Wissen und alle Fähigkeiten hätte, alle Glaubenskraft besäße oder mich und meine ganze Habe opferte, hätte ich aber bei all dem nicht die Liebe als mich bewegende Kraft, wäre ich nicht mehr als ein dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke. (vgl. 1 Korinther 13,1-3).

Ähnlich hatten schon Jahrhunderte davor Nehemia und Esra das Volk aufgerüttelt. Nur mit beißend-tränendem Gewissen konnte das Volk die Belehrungen über Gottes Weisungen hören.

„Schluss damit!“, riefen Nehemia und Esra ihnen zu. „Dieser Tag ist ein Anlass für ein großes Fest der Freude am HERRN. Die Freude am HERRN ist eure Stärke!“ (vgl. Nehemia 8,1-12)

Ja, beileibe nicht nur die beiden Bibeltexte dieses Sonntags atmen einen grundlegend anderen Geist, je nachdem ob da ein Imperator oder ein Liebhaber um Gehör wirbt.

Mit dem Ohr, dem Herzen und der Logik der „Liebe“ höre ich eine ganz andere, eine vielleicht bisher noch nie gehörte Botschaft:

Wenn du … – mitten in all diesen ungelösten Herausforderungen unserer Tage – … auf alle Satzungen und Gebote des HERRN achtest,
… dein ganzes Leben lang,
du, dein Sohn und dein Enkel,
wirst du lange leben.
Deshalb sollst du h
ören, Israel,
und sollst darauf achten, sie zu halten,
damit es dir gut geht
und ihr so unermesslich zahlreich werdet,
wie es der HERR, der Gott deiner V
äter,
dir zugesagt hat:
ein Land, wo Milch und Honig flie
ßen!
H
öre, Israel!
Der HERR, unser Gott, … ist einzig.
Darum sollst du … deinen Gott lieben
mit ganzem Herzen,
mit ganzer Seele
und mit ganzer Kraft.
Und diese Worte …
sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen.
(Deuteronomium 6,2-6)

Dazu aus dem hier zugeordneten Antwortpsalm:

Ich will dich lieben, HERR, meine Stärke,
HERR, du mein Fels und meine Burg und mein Retter;
mein Gott, mein Fels, bei dem ich mich berge,
mein Schild und Horn meines Heils, meine Zuflucht.
(Psalm 18,2-3)

Oder – der Evangeliums-Text dieses Sonntags:

… Ein Schriftgelehrter … ging zu Jesus hin und fragte ihn:
Welches Gebot ist das erste von allen?
Jesus antwortete: Das erste ist: H
öre, Israel,
der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr.
Darum sollst du ihn lieben
mit ganzem Herzen und ganzer Seele,
mit deinem ganzen Denken
und mit deiner ganzen Kraft.
Als zweites kommt hinzu:
Du sollst deinen N
ächsten lieben wie dich selbst.
Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.
Da sagte der Schriftgelehrte zu ihm: …
Ja, Er allein ist der Herr
und es gibt keinen anderen au
ßer ihm
und ihn mit ganzem Herzen,
ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben
und den N
ächsten zu lieben wie sich selbst,
ist weit mehr als alle … Opfer.
(Markus 12,28b-34)

Dazu:

Seinem König verlieh er große Hilfe,
Huld erweist er seinem Gesalbten,
David und seinem Stamm auf ewig.
Darum will ich dir danken, HERR, inmitten der Nationen,
ich will deinem Namen singen und spielen.
(Psalm 18,51.50)

Mit ungeteiltem Herzen! Aber ich hab mir halt auch zu Herzen genommen, dass meine Bestrebungen mehrheitsfähig sein müssen und dass ich, um mit meinen Anliegen etwas bewirken zu können, auf Akzeptanz achten muss! Wird mir das als Halbherzigkeit zum Fallstrick werden? Ein Herz – halb aus Stein und nur halb aus Fleisch?

Da sehne ich mich doch nach der heilenden Operation, die schon der Prophet Ezechiel in Gottes Namen verheißen hat:

Ich gieße reines Wasser über euch aus,
dann werdet ihr rein.
Ich reinige euch von aller Unreinheit
und von allen euren Götzen.
Ich gebe euch ein neues Herz
und einen neuen Geist gebe ich in euer Inneres.
Ich beseitige das Herz von Stein aus eurem Fleisch
und gebe euch ein Herz von Fleisch.
Ich gebe meinen Geist in euer Inneres
und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt
und auf meine Rechtsentscheide achtet und sie erf
üllt.
Dann werdet ihr in dem Land wohnen,
das ich euren V
ätern gegeben habe.
Ihr werdet mir Volk sein
und ich, ich werde euch Gott sein.
(Ezechiel 36,25-28)

Der Schriftgelehrte, mit dem Jesus im Evangelium zusammentrifft, bekennt sich dazu: Ja, noch wichtiger als alle Wahrheiten und Ideologien und Lehren, die unseren Gehorsam und unsere Opfer verlangen, ist es, mit ungeteiltem Herzen auf IHN zu hören, der als Einziger – geradezu in Liebe – als HERR anzuerkennen ist.

Und Jesus sah,
dass er mit Verst
ändnis geantwortet hatte,
und sagte zu ihm:
Du bist nicht fern vom Reich Gottes. …
(Markus 12,34)

In seiner Bergpredigt wird er sagen: „Selig seid ihr, wenn das euer Halt ist, wenn daran euer Herz hängt!“ (vgl. Matthäus 5,3-12)

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