Sonntagsbotschaft zum 18. Mai 2025, dem 5. Ostersonntag (Lesejahr C).
In „Anatevka“, dem jüdischen Musical, will eine der Töchter von Tevje und Golde heiraten. Aber entscheidend soll dabei nicht traditionsgemäß der Wille der Eltern sein, sondern dass sie ihn liebt. Tevje fragt sich skeptisch, ob das gut gehen kann – mit der „Liebe“. Und er bringt seine Frau Golde in Verlegenheit mit der Frage „Liebst denn du mich?“ Seit 25 Jahren sind sie verheiratet, leben miteinander. Ist das denn „Liebe“?
Ja, was ist das – „Liebe“ – damit es gut geht – allen Beteiligten?
Nicht nur bei Juden und Christen gilt „Liebe“ als das höchste Gebot.
Und wie steht es um die reale Verbreitung von Liebe im Erleben der Menschen?
„Liebe“. Ein häufig strapaziertes Wort – mit großen Unklarheiten darüber, was das Wesentliche dabei ist, was da geschieht. Oft blauäugig oder missbräuchlich eingefordert. Etwa wenn die „Liebe“ zur „ehelichen Pflicht“ verkommt. Oder wenn sie als geboten gilt lediglich zur bequemen Absicherung von Macht, verwechselt mit der nachgiebigen Unterwürfigkeit, sich alles gefallen zu lassen …
Und wie ist das mit dem Gebot der Liebe – in der Bibel?
Das ist Kernthema im „Evangelium“ dieses Sonntags:
Als Judas
vom Mahl hinausgegangen war,
sagte Jesus:
Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht
und Gott ist in ihm verherrlicht.
Wenn Gott in ihm verherrlicht ist,
wird auch Gott ihn in sich verherrlichen
und er wird ihn bald verherrlichen.
Meine Kinder,
ich bin nur noch kurze Zeit bei euch. …
Ein neues Gebot gebe ich euch:
Liebt einander!
Wie ich euch geliebt habe,
so sollt auch ihr einander lieben.
Daran werden alle erkennen,
dass ihr meine Jünger seid:
wenn ihr einander liebt.
(Johannes 13,31-33a.34-35)
Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, … – also wie?
Gerade das Johannes-Evangelium fasst an mehreren Stellen knapp zusammen, was das Wesentliche ist an der Haltung von Jesus, mit der er sich Menschen zuwendet.
Da sagt Jesus im Zusammenhang mit dem Bild vom guten Hirten: „Ich gebe mein Leben hin für die Schafe.“ (Johannes 10,15)
Und beim Abendmahl, mit dem er Abschied nimmt von den Seinen, wäscht er – wie der Hausdiener – ihnen, den Gästen, die Füße, „dient“ ihrem Wohlbefinden und fragt dann: „Begreift ihr, was ich an euch getan habe?“ (Johannes 13,12)
Immer wieder erzählt das Evangelium: Er heilt Menschen von allem, was sie beeinträchtigt in ihren kommunikativen Fähigkeiten und in ihrer Mobilität; von allem, was Menschen leidvoll daran hindert, menschliche Beziehungen erfüllend wahrzunehmen. Und weil ihm das wichtiger ist als das religiöse Verbot, am Sabbat so etwas zu tun, und weil er nach Meinung der religiösen Führer damit Gottes strafender Gerechtigkeit in die Quere kommt, muss er sterben. Was ihn aber nicht davon abhält, sich weiterhin auf solche liebevolle Weise Menschen zuzuwenden.
„Liebt einander, wie ich euch geliebt habe, …“ Für welchen Lebenszusammenhang sind diese Worte von Jesus gemeint? Bibelwissenschaftler bezeichnen diese Frage als Frage nach dem „Sitz im Leben“.
Das Evangelium überliefert dieses Wort als Teil der Rede, mit der Jesus Abschied von den Seinen nimmt. So hat es einen Stellenwert wie der „letzte Wille“ in einem Testament.
Als ein „neues Gebot“ stellt er es in den Zusammenhang seiner bevorstehenden Verurteilung und nennt es – auch für alle Außenstehenden – als künftiges Unterscheidungsmerkmal derer, die „zu ihm gehören“. Die „Seinen“ sind die, die ihre Erfahrungen mit ihm gemacht haben und ihn kennen und deshalb seiner „Stimme“ trauen, seinen den weiteren Weg weisenden Worten.
Eine Wegweisung solcher Art wird besonders dann wichtig, wenn eine neue Situation mit Weggabelungen und verschiedenen Handlungsoptionen Fragen nach der einzuschlagenden Richtung stellt – im Zusammenleben der Menschen in allen Lebensbereichen: in der kleinen Welt des täglichen Lebens wie auch in der großen Politik oder in der für alle erkennbaren Gemeinsamkeit seiner Christen.
Mit dem wiederholten Wort „Herrlichkeit“ charakterisiert er dabei die Umkehrung seines elenden Scheiterns am Kreuz in strahlende Lebensfülle für alle. Sein Tod stößt für die vom Tod gefangene Menschheit die Tür auf für ein zum Leben befreites Leben, – das er immer wieder „ewiges Leben“ nennt.
Und dabei geht es ihm offensichtlich auch nicht um eine „Lehre“, die alle lernen und der alle zustimmen sollen. Nicht nur der Verstand soll mit seiner Logik „glauben“ und verständlich erklären können, wie diese „Liebe“ gemeint ist. Sondern er wirbt um die andere Logik des aus Vertrauen hinübergeworfenen Herzens: um eine Haltung, eine innere Einstellung zum Leben, die Gewohntes loslassen kann: um eine „Liebe, wie ich euch geliebt habe“, die die Menschen erleben und an der alle Welt die Seinen erkennen kann.
Paulus sagt von dieser Haltung in seinem Brief an die Christen-Gemeinde in Rom „Denn mit dem Herzen glaubt man …“ (Römer 10,10).
Mit dieser Logik der Liebe geht es nicht um den Ja-/Nein-Status einer ethischen Lehr-Wahrheit, der man zustimmen oder die man ablehnen kann. Es geht um einen dynamischen Prozess von Veränderungen, um einen Weg zu immer mehr Anerkennung und Wohlwollen, um immer mehr allseitiges Wohlergehen und um die Sorge dafür – in allen Lebensbereichen – zwischen Ehepartnern ebenso wie zwischen Staatspräsidenten.
Diese Logik, dieser dynamisch belebende Geist integriert das eigene Interesse in ein neu gesehenes gemeinsames Interesse an einem erfüllten Leben für alle Glieder des Gemeinwesens.
Etwa in einer Auseinandersetzung wegen eines Verhaltens, mit dem andere Menschen geschädigt werden, erlebt dann der andere – bei aller Kritik an seinem Verhalten – , dass er nicht „runtergemacht“ wird, sondern dass ihm seine Würde unvermindert anerkannt bleibt.
Wohin solche Logik des Herzens führt, das malt die Vision des Sehers Johannes im Buch der Offenbarung aus, aus dem die 2. Lesung dieses Sonntags zitiert:
Da erfreuen sich die Menschen einer Stadt an Gott, der jetzt bei ihnen wohnt. Mit ihm als Nachbar mitten unter ihnen gibt es keine Trauer mehr, keine Klage, keine Mühsal. Seine Art der Liebe prägt jetzt ihr Miteinander: Seht, ich mache alles neu!