Blogbeitrag

privat

„Der Wert des Menschen ist unbezahlbar“?

16. Mai 2024

Festbotschaft zu Pfingsten, 19. Mai 2024.

„Der Wert des Menschen ist unbezahlbar.“ So könnte vielleicht die Verfassung eines Staates beginnen, dessen Volk es für legitim hält, wenn alles sich am Geldwert misst, das sich allerdings noch bewusst bleibt, dass dem Menschlichen dabei eine Sonderstellung zukommt.

Das Deutsche Grundgesetz spricht eine andere Sprache, weil es von einem anderen Geist bestimmt ist:

Nach schlimmsten Erfahrungen mit den Risiken der Verletzlichkeit wird da als wichtigste Grundlage für alles Miteinander festgezurrt, dass „die Würde des Menschen“ ohne Wenn und Aber nicht verletzt werden darf, dass vielmehr bedingungslos ihr Schutz von allen gewährleistet werden muss, besonders von denen, die für die staatliche Ordnung verantwortlich sind.

Vom „Wert“ eines Menschen zu sprechen, wird seiner Würde nicht gerecht. Das schrieb Immanuel Kant allen künftigen Generationen ins Stammbuch, der Philosoph der modernen Aufklärung, der anlässlich seines 300. Geburtstags in diesen Wochen wieder hoch geehrt wurde: Der Mensch habe keinen „Wert“, sondern eine „Würde“. Die lasse sich nicht mit einer Kategorie aus dem Bereich von Geld, Handel und Wirtschaftlichkeit bestimmen.

Ganz in diesem Sinne verpflichtet das Grundgesetz den Staat und alle seine Organe, die verlässliche regelmäßige Unterbrechung werktäglicher Geschäftigkeit zu gewährleisten durch den Schutz des freien Sonntags.

Und das Bundesverfassungsgericht hat dazu am 1. Dezember 2009 geurteilt, die Sonn- und Feiertage seien als freie Tage zur Arbeitsruhe, Muße und Erholung für möglichst alle deswegen so wichtig, weil sie einer „Kommerzialisierung aller Lebensbereiche“ entgegenwirken: Der gemeinsame freie Tag jede Woche sei notwendig, um eine freie Wahrnehmung von elementaren Menschenrechten in den konkreten Lebensverhältnissen unserer Gesellschaft praktisch möglich zu machen:

  • das Recht auf „körperliche Unversehrtheit“, das durch die stressige Beschleunigung und Verdichtung vieler Lebensbereiche zunehmend verletzt wird;
  • das Recht auf ein freies Versammeln mit anderen, dessen Wahrnehmung durch unbegrenzt ausufernde Arbeits- und Geschäftszeiten immer mehr nur noch an Wochenenden möglich ist;
  • die Freiheit, sich mit anderen zum Wahrnehmen gemeinsamer Interessen zusammenzuschließen, also sich zu vereinigen;
  • und in gleicher Weise das Grundrecht auf Schutz des Familienlebens
  • und das Grundrecht auf ein freies Praktizieren einer Religionszugehörigkeit.

Die Lebensbedingungen und entsprechende Lebensgewohnheiten, mit denen die Menschen sich auf diese Bedingungen einstellen, haben sich in wenigen Jahren in der Weise verändert, dass für Freiheiten –  für persönliche wie für gemeinschaftlich wahrzunehmende – die freien Sonn- und Feiertage immer wichtiger geworden sind, um Menschliches solcher Art überhaupt zu ermöglichen.

Demgegenüber erfahren sich Menschen zunehmend instrumentalisiert: Mit der größten Selbstverständlichkeit offenbart gängig gewordene Sprache eine Verfügungsmacht über Menschen, die der Verfügungsmacht über Geld gleich kommt: Wenn zum Beispiel ein Chemie-Konzern in der Festschrift zu seinem Firmenjubiläum die für ihn erwerbstätigen Menschen als „unser wichtigstes Kapital“ bezeichnet.

Im Kontrast dazu spricht das Grundgesetz von Menschenrechten, die sich aus der Menschenwürde ergeben und daher „unveräußerlich“ sind. Diese Grundrechte kann man also nicht „veräußern“, weder kaufen noch verkaufen, nicht gegen eine Geldzahlung oder ein entgegenkommendes Wohlverhalten „abgelten“.

Manchmal sprechen Menschen von „immateriellen Werten“, machen also deutlich, dass „Werte“ – ohne eine einschränkende nähere Bestimmung – an sich ein materielles Phänomen sind: Aktien, Gold, Außenstände, Bargeld, Geschäftsanteile, … Zu „Werten“ werden die dadurch, dass sie für Wachstum, Wettbewerb, Rendite, Profit stehen beziehungsweise Verfügungsgewalt begründen oder das Generieren weiterer „Werte“ finanzieren oder die Möglichkeit, auf politische Entscheidungsprozesse oder öffentliche Meinungsbildung Einfluss zu nehmen, also Macht auszuüben.

Dabei werden gerne in der öffentlichen Kommunikation finanzwirtschaftliche „Werte“ und „christliche Werte“ unter ein und demselben Etikett durcheinandergeworfen.

Unter der Hand hat sich in der Weiterentwicklung des allgemeinen Sprachgebrauchs der ursprünglich monetäre, also an Geldwert messende Sinn des Wortes „Wert“ in andere Bereiche hineingeschmuggelt: Wenn wir heute von „Wertschätzung“ sprechen, meinen wir eine der Würde des Menschen entsprechende achtungsvolle Zuwendung. Dabei ist auch das „Schätzen“ ursprünglich eine Tätigkeit, die einen Geldwert bestimmt. Immer wenn ich mir dessen bewusst werde und die Zweideutigkeit des Wortes „Wert“ zu vermeiden suche, spreche ich lieber von „Bestrebungen“ oder von „Zielen“ und statt von „schätzen“ lieber von „anerkennen“ oder „achten“, manchmal von „lieben“.

Eine Haltung, die ein menschenwürdiges Leben anstrebt, atmet Solidarität, Personalität, Subsidiarität, Frieden, Gerechtigkeit, hegende Bewahrung der Schöpfung auch für künftige Generationen, … – eine fruchtbare Haltung im Sinn des „Geistes“ von Pfingsten!

Wenn eine wohlhabende Stadt ihr jährliches Weinfest mit einem „verkaufsoffenen Sonntag“ verbindet und aus diesem Anlass ein christlicher Gottesdienst stattfindet, wenn also eine oder mehrere Kirchen ihren „Segen“ zu solcher Kommerzialisierung des Sonntags geben, dann liegt das womöglich daran, dass das lokale Gewerbe durch großzügige Spenden die Kirche dazu erfolgreich verführt hat?

Die Vormacht, die den finanzwirtschaftlichen „Werten“ als Werten schlechthin eingeräumt wird und die die menschendienlichen Bestrebungen oder Ziele auf den zweiten Rang verweist, wirkt zerstörerisch gegenüber weniger gerüsteten Gesellschaften, Generationen und Personen.

Gegenüber der darin enthaltenen selbstzerstörerischen Dynamik lassen sich tatsächlich Menschen blenden durch jeden noch so kleinen kurzfristigen Profit für die Reichsten, der durch den Verdrängungswettbewerb auf Kosten des Menschen geht.

Der Ungeist dieses Kräftespiels, aus dem immer wieder ein angebliches „Recht“ des Stärkeren entsteht, treibt zunehmend Blüten der Gewalt.

Der machtgierige Diktator wirkt sich aus, ohne dass es jemand zur Kenntnis nimmt, auf die sich noch formende Einstellung heranreifender Menschen, vor allem wenn er mal kurzfristig Erfolge aufzuweisen vermag und wenn er seine Brutalität durch die Sprache einer noch so unmenschlichen Ideologie begleitet: Warum darf denn der desorientierte Jugendliche dann nicht auch zum Messer greifen und damit auf den am Boden liegenden Obdachlosen losstechen!

Und warum darf dann nicht auch der verschwurbelte Querdenker dem Politiker mit Gewalt zu Leibe rücken, den er doch eh verachtet als Vertreter eines – die „Werte“ seines Egoismus angeblich vernachlässigenden Staates!

Zumal ja die Neuanschaffung verlorener Waffen und Munition und die Wiederbeschaffung beschädigter Sachen wirtschaftliches Wachstum fördert, „das Bruttosozialprodukt anhebt“ und „Arbeitsplätze sichert“, eben: finanzwirtschaftlichen „Werten“ dient!

Dass es da politisch verantwortete und durchzusetzende „Verbote“ braucht, weil einiges eben der Mensch einfach nicht darf, das fällt immer mehr unter den Tisch.

Ja, „Verbote“ gelten zunehmend als „verboten“ in der Politik. Man braucht nur die Begrenzung für zerstörerische Exzesse einer zur Menschenverachtung missbrauchten „Freiheit“ in einem liberal aussehenden Daherkommen als „Verbot“ zu deklarieren und schon hat man wieder Tausende von Wählern auf seine Seite gezogen.

Wie soll man mit dem Geist umgehen, der das Klima eines freiheitlich-demokratisch verfassten Gemeinwesens auf solche Weise vergiftet?

Der Gott, der als Mensch unter Menschen kommt; der das Menschsein zum einzig „Heiligen“ in dieser Welt macht; der mit dem Einsatz seines Lebens für die Anerkennung der gleichen Würde aller Menschen kämpft; der durch seinen Geist unerschütterlicher Menschenliebe allen Ungeist zu heilen unternimmt; er bietet sich als Alternative. Wo Menschen ihn einatmen und zur eigenen Herzensangelegenheit wählen, entstehen Verständigung, neuer Blick für den Menschen und seine Belange, auch über die Grenzen von Sprachen und Kulturen hinweg. So erzählt jedenfalls die Bibel vom Gelingen dieses Geistes an Pfingsten.

Und da hört die ewige gegenseitige Schuldzuweisung für alle Übel dieser Welt endlich auf und stattdessen wächst ein sozial taugliches Management aller unzureichend eingelösten Verantwortlichkeiten – in der Bibel „Vergebung“ genannt. Friede entsteht. Pfingsten.

Wie gut, dass immer noch viele Menschen an diesem Pfingstfest aus der Bibel die Botschaft hören vom stürmisch-feurigen Geist für diese Welt und für ein menschenwürdiges Leben; die Botschaft von diesem Geist, der seit Jesus in der Luft liegt und zum Glück auch in unsere Tage hinein bläst!

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