Blogbeitrag

Herz-Jesu-Fenster 1985

Freigekauft

20. April 2023

Sonntagsbotschaft zum 23. April 2023, dem 3. Ostersonntag im Lesejahr A. 

„Freigekauft“. In Zeiten des Kalten Krieges gab es das öfter. Zwischen 1964 und 1989 hat die Bundesrepublik angeblich über 3 Milliarden D-Mark dafür bezahlt, dass die DDR über 30.000 politische Gefangene in den Westen frei ließ. (So – gemäß Wikipedia zum Stichwort „Häftlingsfreikauf“ – dargelegt in Ludwig Geißel, Unterhändler der Menschlichkeit, Stuttgart 1991)

Und nicht nur in der griechischen und römischen Antike, sondern auch in Nordamerika bis ins 18. Jahrhundert hinein konnten Sklaven sich freikaufen oder von Wohltätern freigekauft werden.

Wie erlebte das ein Sklave, wenn er sich endlich freikaufen konnte? Oder einer, der eben nicht die Mittel dafür hatte und für den auch sonst niemand eintrat?

Immer wieder haben auch nach einer Geiselnahme entsprechend reiche Menschen mit einer Lösegeldzahlung die ihnen nahestehende Person losgekauft.

Mit Münzen in den Kasten hat man sich oder andere aus dem Fegefeuer loszukaufen gemeint.

Und wie geht es jemandem heute, der sagt, endlich habe er sich aus dieser oder jener Situation freikaufen können?

„Freikaufen“, „loskaufen“ – Worte, die eine erhebliche Veränderung im Leben beschreiben: der Schritt in die ersehnte Freiheit.

Von solcher Art ist die Veränderung im Leben von Menschen, die sich Jesus Christus anvertrauen und von seiner Begleitung ein gutes, erfülltes und sinnvolles Leben für sich und für alle Welt erhoffen.

So legt es die Stimme aus der Bibel nahe an diesem 3. Sonntag der Osterzeit:

Ihr wisst, dass ihr aus eurer nichtigen,
von den Vätern ererbten Lebensweise
losgekauft wurdet –
nicht um einen vergänglichen Preis
nicht um Silber oder Gold, –
sondern mit dem kostbaren Blut Christi,
des „Lammes ohne Fehl und Makel“.

Ein sehr gewichtiges Wort aus vielen Bildern!

„Losgekauft wurdet ihr“! Wer ist da angesprochen?

Benannt sind sie im Zusammenhang davor als die, die ihrer Umgebung fremd geworden sind (1,1), weil sie sich haben „neu zeugen lassen“ „zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten“ (1,3). Jetzt stehen sie deshalb in „mancherlei Prüfungen“ (1,6) ihrer „Standfestigkeit im Glauben“ (1,7). Ihre „ganze Lebensführung“ (1,15) will jetzt darauf ausgerichtet sein. Jesus haben sie ja „nicht gesehen“, wird ihnen da gesagt, „und dennoch liebt ihr ihn“. „Ihr glaubt an ihn und jubelt in … Freude“ (1,8), weil „ihr das Ziel eures Glaubens empfangen werdet: eure Rettung.“ (1,9) Und dann hören sie diese Worte, die sie erinnern: „Ihr wisst“, ihr seid losgekauft, freigekauft!

Aus welcher Unfreiheit? Aus der „Lebensweise“, der von Generation zu Generation überlieferten, die ihr einfach übernommen und hingenommen habt, eben „von den Vätern ererbt“.

Aus dieser Lebensweise, die doch so „nichtig“ sei, in so vielen Hinsichten sinnlos, nutzlos, wertlos – das alles bedeutet im Original das griechische Wort μάταιος [mátaios}.

Was meint er damit? Oder können wir das heute einfach übergehen, weil wir ja in unserer Tradition schon auf eine Weise leben, die von christlichen Werten geprägt ist?

Oder treffen diese Worte auch uns? Gibt es in unserer Lebensweise auch solches „Nichtiges“ – nutzlos, wertlos, sinnlos?

„Freigekauft“ – so sagt der Bibeltext – sind alle, die sich aus der ererbten „nichtigen Lebensweise“ haben retten lassen und für den weiteren Weg dieser Rettung vertrauen und zustimmen und sich daran orientieren.

„Freigekauft“ – um welchen Preis? Wer hat bezahlt? Wem war unsere Freiheit so wichtig?

Der Text betont: Nicht mit irgendeinem Geldbetrag seien wir losgekauft oder mit irgendeinem anderen Lösegeld solcher materieller Art. Nein, um einen viel kostbareren Preis: Jesus hat mit seinem eigenen Leben bezahlt. Der Sohn Gottes! Die Hüter der alten Lebensweise haben ihn umgebracht, weil er mit Gottes befreiender Herrschaft neu anfing und damit ihren alten, die Menschen ihren „Werten“ unterwerfenden Regeln die Legitimation entzogen hat. Den Preis für diese Befreiung aller zu einer menschenwürdigen Lebensweise hat er bezahlt mit seinem Blut, das vergossen wurde wie das Blut eines Lammes bester Qualität, das geschlachtet wird für das Festmahl der Befreiung aus der Sklaverei!

Das ist Gottes Plan von Anfang an! So betont der Bibeltext:

Er war schon vor Grundlegung der Welt dazu ausersehen
und euretwegen ist er am Ende der Zeiten erschienen.

Jetzt ist es so weit. Jetzt ist Schluss mit der alten Art.

Durch ihn seid ihr zum Glauben an Gott gekommen,
der ihn von den Toten auferweckt
und ihm die Herrlichkeit gegeben hat,
sodass ihr an Gott glauben
und auf ihn hoffen könnt.
(1 Petrus 1,17-21)

Mit seiner Auferweckung von den Toten öffnet er Augen und Ohren, heilt alles Gelähmte, holt aus den Gräbern der Hoffnungslosigkeit heraus für eine neue, befreite Lebenszeit.

Niemanden zwingt er dazu. Aber denen, die sich das gefallen lassen, schenkt er es.

In den Wochen vor Ostern, in der Zeit der „Umkehr“ hat er auch bei uns neu dafür geworben. Alle, die meinten, sich einem Gott unterwerfen zu müssen, der auch nur vorschreibt, was man zu tun und zu lassen hat und der mit Strafe droht, hörten da immer wieder:

„Kehrt um zum HERRN, eurem Gott!
Denn er ist gnädig und barmherzig,
langmütig und reich an Huld!“
(z.B. Joel 2,13)

ER hat uns freigekauft!

Im realen Leben mit der Kirche und auch in dem Bild, das die Medien davon in die Öffentlichkeit bringen, sieht das leider oft anders aus.

Es gibt aber auch viele Menschen in den Kirchen, die das zu leben suchen, was da eigentlich als Selbstverständnis christlichen Glaubens gilt. Wer daran festhält, mit Taufe und Firmung besiegelt zu sein zu einer Lebenskraft von Gottes befreiender Art, erfreut sich und wirkt mit an einem Miteinander der Menschen, in dem immer wieder neu die menschliche Würde als das Höchste aufstrahlt.

Allerdings braucht es dafür eine stetig erneuerte Aufmerksamkeit. Und die kommt in den alltäglichen Zusammenhängen der „ererbten Lebensweise“ zu kurz. Wer hat schon einen Blick dafür, wie häufig in den sogenannten „Tagesgebeten“ der katholischen Gottesdienste die Würde des Menschen als Gottes Maßstab hochgehalten wird! Zum Beispiel an diesem 3. Ostersonntag wird da zu einer Einstellung ermutigt, in der alle österliche Freude und Hoffnung darin gründet:

„… du hast deiner Kirche neue Lebenskraft geschenkt
und die Würde unserer Gotteskindschaft
in neuem Glanz erstrahlen lassen.“

Das Tagesgebet des vergangenen Mittwochs benennt das sehr ähnlich:

„… in den österlichen Geheimnissen,
die wir jedes Jahr feiern,
hast du dem Menschen
seine ursprüngliche Würde wiedergeschenkt …“

Und an Weihnachten spricht sich im Tagesgebet
die festliche Begeisterung über Gottes Tun aus mit den Worten

„… du hast den Menschen
in seiner Würde wunderbar erschaffen
und noch wunderbarer wiederhergestellt. …“

Die deutschen Bischöfe – bei allen Fehlern, die sie auch gemacht haben in den vergangenen Jahrzehnten – Gutes, das von ihnen kommt, sollte man auch anerkennen, wenn man das zu befreiende Menschenkind nicht mit dem Bade ausschütten will – die Bischöfe haben in der Art eines bestärkenden Berichtes über einen vierjährigen, quasi basisdemokratischen Meinungsbildungsprozess unter dem Titel „Gemeinsam Kirche sein“ Erfreuliches veröffentlicht:

Die Heiligkeit des von Gott geschaffenen und geliebten Menschen – die Unverletzlichkeit seiner Würde – sei vor allem anderen anzuerkennen als Beurteilungsmaßstab für alles, was in der Welt und in der Kirche geschieht. Diese dem Menschen bedingungslos geschenkte Würde, die in Taufe und Firmung persönlich vergewissert und zugesprochen und durch die Salbung mit dem Chrisam, dem Öl der Könige, besiegelt wird, diese Würde kann durch nichts getoppt werden. Entgegen der von den Vätern ererbten Bezeichnung „Hochwürden“ für die geweihten Priester und Bischöfe ist auch deren Würde selbstverständlich nicht höher als die Würde des Menschen, wie sie in der Taufe zum Ausdruck kommt.

Deshalb sagen die Bischöfe in „Gemeinsam Kirche sein“ auch, es komme jetzt darauf an, diese Heiligkeit anzuerkennen und die wertvollen Eigenheiten der Einzelpersonen, ihre sogenannten „Charismen“, so anzuerkennen, zu entdecken und zu fördern, dass sie sich in dieses gemeinsame Kirche-Sein einbringen und so Gottes große Taten auch in unserer Zeit sichtbar geschehen können.

Ich finde verblüffend, in wie vielen Hinsichten auch die österliche Erzählung im Evangelium dieses Sonntags diese Botschaft „offenbart“, wie es da heißt:

In jener Zeit
offenbarte sich Jesus den Jüngern noch einmal,
am See von Tiberias,
und er offenbarte sich in folgender Weise.
Simon Petrus, Thomas, genannt Didymus,
Natanaël aus Kana in Galiläa,
die Söhne des Zebedäus
und zwei andere von seinen Jüngern waren zusammen.
Simon Petrus sagte zu ihnen: Ich gehe fischen.
Sie sagten zu ihm: Wir kommen auch mit.
Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot.
Aber in dieser Nacht fingen sie nichts.
Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer.
Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.
Jesus sagte zu ihnen:
Meine Kinder, habt ihr keinen Fisch zu essen?
Sie antworteten ihm: Nein.

Noch hatten die beiden vorangegangenen seltsamen Erlebnisse der Jünger mit dem erschreckend lebendigen zu Tode Gekreuzigten nichts daran geändert, dass ihnen klar war: Das mit Jesus ist jetzt alles aus und umsonst gewesen! Sie kehren also zurück nach Galiläa, an den See, und greifen ihre alte, von den Vätern ererbte Lebensweise wieder auf: Sie sind Fischer. Ein Leben, zu dem auch oft eine schmerzhafte Erfolglosigkeit gehört. „Nichtig“.

Nichts fangen sie in dieser ganzen Nacht. Und da kommt so ein Fremder, der legt auch noch den Finger in diese Wunde: „Habt ihr nichts zu essen?“

Und dann sagt er auch noch, sie sollen noch einmal ausfahren – am Tag – entgegen aller Berufserfahrung der Fischer! Hat er überhaupt Ahnung vom Fischen? Eine zynisch anmutende Provokation!

Er aber sagte zu ihnen:
Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus
und ihr werdet etwas finden.

Der Evangelist verliert in seiner Erzählung kein einziges Wort darüber, was in den Jüngern vorgeht und wie es dazu kommt, dass sie tatsächlich tun, was er sagt:

Sie warfen das Netz aus …

Noch haben sie ja nicht gemerkt, dass der Fremde Jesus ist. Trotzdem lassen sie sich – entgegen ihrer eigenen Lebenserfahrung – auf sein Wort ein!

Ich habe den Evangelisten im Verdacht, dass er damit bewusst eine Absicht verfolgt: Er will, dass wir ganz deutlich den Konflikt sehen, der unweigerlich eine Entscheidung verlangt: Da sind auf der einen Seite die Nichtigkeiten, die man erleidet mit der von den Vätern ererbten Lebensweise und einem Handeln nach deren Gesetzen. Und dem gegenüber stehen die neuen Chancen einer Lebensweise aus dem Geist von Jesus, die sogar der Tod nicht kaputtmachen kann.

Und die Jünger in dieser Erzählung, welche Erfahrung machen sie damit?

… und konnten es nicht wieder einholen,
so voller Fische war es.
Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus:
Es ist der Herr!

Sie hätten auch den Fremden mit seinem zynisch-schlauen Tipp zum Teufel jagen können. Stattdessen sind sie das Risiko des Vertrauens eingegangen. Sie hätten ihm Gewalt antun können wegen der beleidigenden Zumutung, die alle Regeln der ererbten Lebensweise verletzt; damit hätten sie sich unversehens eingereiht in diejenigen, die Jesus ans Kreuz gebracht haben. Stattdessen werfen sie ihr Herz hinüber und setzen alles auf das gewagte Vertrauen in sein Wort.

Und daran erkennen sie ihn! „Er offenbarte sich ihnen in der folgenden Weise“ – mit diesen Worten hatte der Evangelist seine Erzählung von diesem Geschehen eingeleitet.

Als sie an Land gingen,
sahen sie am Boden
ein Kohlenfeuer und darauf Fisch
und Brot liegen.
Jesus sagte zu ihnen:
Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt!
Da stieg Simon Petrus ans Ufer und zog das Netz an Land.
Es war mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen gefüllt,
und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht.

Hundertdreiundfünfzig. Diese Zahl muss eine symbolische Bedeutung haben! Man sagte damals, im See Genesaret, dem See von Tiberias, gebe es 153 Sorten Fische. Wahrscheinlich will der Text also sagen: Wohin das führt, was der Auferstandene da in die Wege leitet, das ist eine große Fülle, die auf diesem Weg eingesammelt wird für Gottes neue Welt!

Und dafür verbiegt Jesus nicht die Identität und die Persönlichkeit dieser Menschen. Vielmehr dockt er seine Offenbarung, seine Absicht und seinen Weg der Verwirklichung bei dem an, wo sie in ihrem bisherigen Leben ihre Eigenheiten und Fähigkeiten entwickelt hatten, ihre Begabungen, ihre Talente. Zu den Fischern Simon Petrus und Andreas hatte er ja gesagt: „Ich werde euch zu Menschenfischern machen.“ (Matthäus 4,19) Mit ihren „Charismen“ tragen sie alle bei zum Gelingen der neuen Welt, in der der Auferstandene der HERR ist.

Jesus sagte zu ihnen: Kommt her und esst!
Keiner von den Jüngern
wagte ihn zu befragen: Wer bist du?
Denn sie wussten, dass es der Herr war.
Jesus trat heran,
nahm das Brot und gab es ihnen,
ebenso den Fisch.
Dies war schon das dritte Mal,
dass Jesus sich den Jüngern offenbarte,
seit er von den Toten auferstanden war.
(Johannes 21,1-14)

Auszüge aus dem Lied „Ich lobe meinen Gott“ (kombiniert und gekürzt aus Christmette 1997 + 3. Ostersonntag mit Erstkommunion 2001 in Herz Jesu Fechenheim)

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