Sonntagsbotschaft zum 10. April 2022, Palmsonntag (Lesejahr C).
Volkstümliches Brauchtum – besonders in südlichen Ländern, aber auch in einigen Ortschaften Süddeutschlands – spielt am Palmsonntag nach, was die Bibel erzählt:
Die letzte Station im Leben von Jesus ist die Stadt Jerusalem. Dort stellt er sich – zu allem bereit – dem Konflikt mit seinen mächtigen Gegnern, die seine Vorstellung von einem barmherzigen, heilenden und Recht verschaffenden Gott total ablehnen.
Mit einer Gruppe seiner Anhänger ist er aus der Provinz hierher in die Höhle des Löwen gekommen. Das Lukas-Evangelium erzählt:
Die Tage über lehrte Jesus im Tempel;
die Nächte aber verbrachte er draußen
bei dem Berg, der Ölberg heißt.
Schon früh am Morgen
kam das ganze Volk zu ihm in den Tempel,
um ihn zu hören.
(Lukas 21,37-38)
Dieses öffentliche Auftreten von Jesus in Jerusalem beginnt in der Bibel mit der Erzählung von seinem Einzug in die Stadt. Die Evangelien erzählen unterschiedlich davon und lösen dementsprechend unterschiedliche Vorstellungen aus. Ist das ein Straßentheater oder eine Demonstration oder …? Diverse Traditionen sehen darin einen Triumphzug.
Die „Feier des Einzugs in Jerusalem“, mit der die katholischen Gottesdienste am diesjährigen Palmsonntag beginnen, verkündet die Version nach Lukas (19,28-40):
Die Jünger von Jesus haben nach seiner Anweisung ein Eselsfohlen besorgt.
Dann führten sie es zu Jesus,
legten ihre Kleider auf das Fohlen
und halfen Jesus hinauf.
Während er dahinritt,
breiteten die Jünger ihre Kleider auf dem Weg aus.
Als er sich schon dem Abhang des Ölbergs näherte,
begann die Schar der Jünger
freudig und mit lauter Stimme Gott zu loben
wegen all der Machttaten, die sie gesehen hatten.
Sie riefen: Gesegnet sei der König,
der kommt im Namen des Herrn.
Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe!
Da riefen ihm einige Pharisäer aus der Menge zu:
Meister, weise deine Jünger zurecht!
Er erwiderte:
Ich sage euch:
Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien.
(Lukas 19,35-40)
Ein König, der auf einem Eselsfohlen reitet? Diese Symbolik kennen sie in Jerusalem: Nach Sacharja 9,9 ist das der ersehnte Messias-König, den Gott einsetzt, um Gerechtigkeit zu bringen und Rettung aus aller Not!
Das macht den Pharisäern wohl Angst, die römische Besatzungsmacht könnte in dieser Szene einen messianischen Aufstand sehen.
Und sie dürften es anmaßend finden, wenn Jesus sich als Messias feiern lässt. Vielleicht wollen sie auch lieber selber vom Volk als Hüter von Religion und Ordnung gefeiert werden.
Und Jesus: „Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien.“ Was heißt das? Welche Steine werden wie und was „schreien“?
Wenn seine Jünger nicht mehr ihre Freude an ihm heraussingen dürfen, werden „die Steine“ an ihre Stelle treten. Aber sie werden dann nicht singen, sondern schreien! Das musste für die Pharisäer bedrohlich klingen.
In der Sprache der Bibel gibt es ein „Schreien“ nur entweder als Kriegsgeschrei oder als Hilfeschrei von Menschen in Not, deren Elend „zum Himmel schreit“ und dort Gehör findet! Und Steine „schreien“ in der Bibel nur beim Propheten Habakuk (2,11). Dort ist es der Stein, aus dem die Häuser der „Oligarchen“ – würde man heute sagen – gebaut sind, die aus dem armen, gedemütigten Volk ihren Reichtum herausgepresst haben.
Mir fällt dazu das versteckt gelegene prächtige Anwesen von Putin ein, das Nawalny entdeckt und bekanntgemacht hat – was in der geschwächten russischen Opposition immerhin einen Auf-Schrei hervorgerufen hat.
Das Schreien der Steine bei Habakuk ist ein Weheruf aus „Gottes Mund“ wegen der herrschenden sozialen Gewalt, die Gott aber durch seine Recht schaffende Herrschaft verdrängen will.
Jesus warnt also die Pharisäer: Sie können eigentlich froh sein, wenn Gottes Herrschaft, die mit ihm jetzt neu anfangen will, nicht von schreienden Horden eingeläutet wird, sondern von Menschen, die mit freudig gesungenem Gotteslob die Kraft ihrer Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf die Straße tragen.
Aber seine Gegner wollen sich von ihm weder verunsichern noch in Frage stellen lassen. Jesus ist und bleibt für sie eine Provokation. Sie können ihn nur bekämpfen. Gewaltsam. Mit ihren Methoden werden sie das in den nächsten Tagen erfolgreich tun.
Jesus lässt sich nicht abschrecken. Das Volk, das ihm im Tempelvorhof täglich zuhört, wird sehen: Jesus meint es ganz und gar ernst mit Gottes rettender und befreiender, aufrichtender und heilender Liebe.
Den Kommerz jagt er aus dem Tempel hinaus. Und mit seinem Gleichnis von den bösen Winzern, die den Sohn des Weinbergsbesitzers umbringen und sich das Erbe des Herrn aneignen, verärgert er die „Schriftgelehrten und die Hohepriester“. Sie „hätten gern noch in derselben Stunde Hand an ihn gelegt;“ – so heißt es dann bei Lukas (Lukas 20,19) – „aber sie fürchteten das Volk. Denn sie hatten gemerkt, dass er sie mit diesem Gleichnis meinte.“
Die Abschnitte aus dem Jesaja-Buch und aus dem Philipper-Brief, die am Palmsonntag als Lesungen vor der Passionsgeschichte verkündet werden, beschreiben die unerschütterliche Lebenshaltung von Jesus, mit der er sich bis zum Letzten engagiert, um die Welt aus ihrem zum Himmel schreienden Elend zu erlösen:
Schon das Dritte Lied vom Gottesknecht beschreibt die Haltung dessen, der sich ganz Gott zur Verfügung stellt, mit diesen Worten, in denen Christen immer schon den Geist erkannt haben, den Jesus lebt:
GOTT, der Herr, gab mir die Zunge von Schülern,
damit ich verstehe, die Müden zu stärken
durch ein aufmunterndes Wort.
Jeden Morgen weckt er mein Ohr,
damit ich höre, wie Schüler hören.
GOTT, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet.
Ich aber wehrte mich nicht
und wich nicht zurück.
Ich hielt meinen Rücken denen hin,
die mich schlugen,
und meine Wange denen,
die mir den Bart ausrissen.
Mein Gesicht verbarg ich nicht
vor Schmähungen und Speichel.
Und GOTT, der Herr, wird mir helfen;
darum werde ich nicht in Schande enden.
Deshalb mache ich mein Gesicht hart wie einen Kiesel;
ich weiß, dass ich nicht in Schande gerate.
(Jesaja 50,4 bis 7)
Was für ein offenes Ohr hat er für das Elend, unter dem Menschen zu leiden haben, und für Gottes Wille, der sich ihnen zuwendet! Mit seinem Willen wird er ganz eins! Nachhaltig! Und nicht unwürdig-automatisch handelt er „an ihnen“, sondern nur mit ihnen, mit ihrer Zustimmung und Mitwirkung. Fähig zu solcher grenzenloser Liebe bis zum Tod wird er aus bedingungslosem Vertrauen zu Gott.
Da kann einer seine Erfahrung mit ihm benennen: „Er rettet mich aus der Schlinge des Jägers, er befreit mich aus allem Verderben.“ (Psalm 91,3) Und weil es anderen mit ihm ebenso geht, machen sie daraus einen Psalm in der Bibel!
Andere schöpfen daraus Hoffnung, aus der sie beten: „Streite, HERR, gegen alle, die gegen mich streiten, bekämpfe alle, die mich bekämpfen! Ergreife Schild und Waffen; steh auf, um mir zu helfen! Schwing den Speer und die Lanze gegen meine Verfolger! Sag zu mir: Ich bin deine Hilfe!“ (Psalm 35,1-3)
Dass er „für mich“ „kämpft“, ist allerdings für viele Menschen fremd. Aber für die, die ihm das zutrauen, macht Jesus sich mit seiner Hingabe für die Menschen zu einem neuen Leben, das sie mit ihm und miteinander teilen: zu Brot, das allen Hunger stillt, und zu Wein, der des Menschen Herz wirklich erfreut. Da fängt die neue Welt an!
Und so handelt Gott, Christus, Gott gleich! So rühmen wir ihn mit dem Hymnus:
Christus Jesus war Gott gleich,
hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein,
sondern er entäußerte sich
und wurde wie ein Sklave
und den Menschen gleich.
Sein Leben war das eines Menschen;
er erniedrigte sich
und war gehorsam bis zum Tod,
bis zum Tod am Kreuz.
Darum hat ihn Gott über alle erhöht
und ihm den Namen verliehen,
der größer ist als alle Namen, …
(Philipper 2,6-11)
Christus Sieger, Christus, König, Christus Herr in Ewigkeit!