Blogbeitrag

Gemeindefest

Hinschauen und sehen!

8. Dezember 2022

Sonntagsbotschaft zum 11. Dezember 2022, dem 3. Adventssonntag (Lesejahr A).

Mit „Black Friday“ hat‘s angefangen. „Endlich wieder Weihnachtsmärkte!“ Wunschzettel für die WM. Weihnachtsgans, die der Inflation zum Opfer fällt.

„Advent“. Wovon ist da eigentlich die Rede? Was ist gemeint mit den vielen Lichtern, die offensichtlich wichtiger sind, als Energie zu sparen? Vertröstende Ablenkungen, weil wir die Probleme eh nicht lösen können?

Seriöse Medien berichten trotzdem über ungelöste Probleme. Und was für einen Zeitaufwand sie damit oft ihren Konsumenten zumuten! In der Konkurrenz zu Tweets und zu BILD-Portionen ziehen sie gnadenlos den Kürzeren. Oft bringen sie sogar unterschiedliche Meinungen und Lösungsvorschläge!

Angesichts der Unübersichtlichkeit und bei all dem zunehmenden allgemeinen Stress ist es allerdings viel leichter, bei den eigenen Vorerfahrungen und Vorurteilen zu bleiben und mühsame Auseinandersetzungen den Lobbyisten und ihren Politikern zu überlassen. Gegen die man dann um so unbefangener populistisch vom Leder ziehen kann.

Was tun?

Dass das Leben und seine Rahmenbedingungen irgendwelchen herrschenden Kräften ausgeliefert scheinen – jenseits von Möglichkeiten zur eigenen Mitbestimmung – , solche Zeiten gab es schon immer. Wie sind Menschen zu anderen Zeiten und in anderen Kulturen damit umgegangen?

Seit einem kurzen Aufenthalt in einem armen, diktatorisch regierten Entwicklungsland lassen mich verblüffende Einblicke in die Lebenskunst der dortigen Menschen nicht mehr los. Nicht, dass ich das vereinfachend auf unsere ganz anderen Verhältnisse übertragen wollte. Aber es hat mich darin bestärkt, unsere eingefahrenen Gewohnheiten zu relativieren und uns den Impulsen aus der Bibel zu öffnen, die neue Anregungen geben – gerade jetzt im Advent.

Es geht ja um die Frage: Welche Erfahrungen, welche Sichtweisen, Werte und Bestrebungen bewegen uns bisher erfolglos? Und wie wägen wir das alles gegeneinander ab, um in der aktuellen Situation uns für Veränderungen zu entscheiden, mit denen wir besser vorankommen? Auf wen oder was wollen wir hören, da wir doch nicht in allen Bereichen uns selber eine fundierte Meinung erarbeiten können?

Gehen wir denen auf den Leim, die dank ausreichender finanzieller Mittel erfolgreich für ihre Interessen Stimmung machen? Oder anderen, die wunderbare Ideen verbreiten, die sie aber selber offensichtlich gar nicht vom Hocker reißen?

Jedenfalls war von solchen Fragen auch die Zeit damals geprägt, als der Täufer Johannes von Jesus hörte und sich vor die Frage gestellt sah: Ist das nicht möglicherweise der Christus, der verheißene Messias, der alles zum Guten führt? Damals behaupteten viele, sie seien der Messias.

In jener Zeit
hörte Johannes im Gefängnis
von den Taten des Christus.
Da schickte er seine Jünger zu ihm
und ließ ihn fragen:
Bist du der, der kommen soll,
oder sollen wir auf einen anderen warten?
Jesus antwortete ihnen:
Geht und berichtet Johannes,
was ihr hört und seht!

Ob die sich anschließende detaillierte Aufzählung Worte von Jesus sein wollen oder kommentierende Worte des Evangelisten, bleibt leider offen:

Blinde sehen wieder und Lahme gehen;
Aussätzige werden rein und Taube hören;
Tote stehen auf
und Armen wird das Evangelium verkündet.

Und offensichtlich wieder als Wort von Jesus gemeint ist:

Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.

Was erzählt hier der Evangelist, wie Jesus mit der Anfrage des Johannes umgeht?

Eigentlich verblüffend finde ich die Antwort von Jesus: Er behauptet gar nichts, sagt auch weder Ja noch Nein. Vielmehr sieht er Johannes selbst zuständig für das Urteil; die Fähigkeit dazu traut er ihm zu. Er soll selber entscheiden. Auf welcher Grundlage?

Die Abgesandten des Johannes sollen ihm berichten, was sie hören und sehen. Natürlich sollen sie ihm nicht über irgendetwas berichten – über das Wetter oder, was sie gegessen und getrunken haben. Vielmehr sollen sie hinschauen und hinhören, ob sie im Umfeld von Jesus oder als Folgen seines Auftretens Dinge sehen und hören können, die die Menschen von dem verheißenen Messias erhoffen dürfen.

In der Fortsetzung des Textes aus dem Matthäus-Evangelium sind die Abgesandten des Johannes wieder gegangen, und Jesus wendet sich der anwesenden Menschenmenge zu:

Als sie gegangen waren,
begann Jesus
zu der Menge über Johannes zu reden:
Was habt ihr denn sehen wollen,
als ihr in die Wüste hinausgegangen seid?
Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt?
Oder … einen Mann in feiner Kleidung?
Siehe, die fein gekleidet sind,
findet man in den Palästen der Könige.
Oder … um einen Propheten zu sehen?
Ja, ich sage euch: sogar mehr als einen Propheten.
Dieser ist es, von dem geschrieben steht:
Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her,
der deinen Weg vor dir bahnen wird. …
(Matthäus 11,2-11)

Auch die Menschen, die da bei ihm sind, spricht Jesus also daraufhin an, wie sie hinschauen auf die Wirklichkeit, wie sie dabei ihre Aufmerksamkeit verteilen: Warum sind sie denn zu dem Johannes in die Wüste gegangen? Für irgendeine Sensation? Um ein im Wind schwankendes Schilfrohr zu sehen? Oder etwa einen Mann in feiner Kleidung? Oder – einen Propheten?

Wie sie die Wirklichkeit wahrnehmen, hängt ja sehr davon ab, was zu erleben sie erwarten. Und Jesus – oder der Evangelist? – nimmt das als Gelegenheit zu betonen: Johannes ist Gottes Bote, der dem verheißenen Messias den Weg bahnt.

Und für den 3. Sonntag im Advent – für uns im 21. Jahrhundert – ordnet die Kirche ihrem Verständnis vom Evangelium einen der Abschnitte aus dem Buch des Propheten Jesaja zu, die uns aufmerksam machen, was wir vom kommenden Messias erhoffen dürfen:

Sagt den Verzagten:
Seid stark, fürchtet euch nicht!
Seht, euer Gott! …
Er selbst kommt und wird euch retten.
Dann werden
die Augen der Blinden aufgetan
und die Ohren der Tauben werden geöffnet.
Dann springt der Lahme wie ein Hirsch
und die Zunge des Stummen frohlockt.
Die vom HERRN Befreiten kehren zurück
und kommen zum Zion mit Frohlocken.
Ewige Freude ist auf ihren Häuptern,
Jubel und Freude stellen sich ein,
Kummer und Seufzen entfliehen.
(Jesaja 35,1-6b.10)

Und die Antwort auf die Frage des Johannes, ob denn Jesus der sei, dem sich anzuschließen sich lohnt, verweist die Boten auf das, was sie sehen und hören. Das sollen sie dem Johannes bezeugen.

An wem wir uns orientieren und wessen Botschaft wir vertrauen wollen, sollen wir nicht vom Nachdruck einer geschickt vorgebrachten Lehre abhängig machen, sondern von der eigenen Wahrnehmung, wo sich erfüllt, was Gott versprochen hat. Die weihnachtliche Botschaft vom 27. Dezember aus dem 1. Johannesbrief wird das in die Worte fassen:

Was von Anfang an war,
was wir gehört,
was wir mit unseren Augen gesehen,
was wir geschaut
und was unsere Hände angefasst haben
vom Wort des Lebens –
das Leben ist erschienen
und wir haben gesehen und bezeugen
und verkünden euch das ewige Leben,
das beim Vater war und uns erschienen ist – ,
was wir gesehen und gehört haben,
das verkünden wir auch euch,
damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt.
Wir aber haben Gemeinschaft mit dem Vater
und mit seinem Sohn Jesus Christus. …
(1. Johannesbrief 1,1-4)

Die Frage, woran wir im 21. Jahrhundert unser individuelles wie auch unser politisches Verhalten ausrichten wollen, orientieren auch wir an dem, was Menschen uns bezeugen. Über-zeugen lassen wir uns dabei von dem, was uns glaubhaft erfülltes Leben verheißt.

Rattenfänger aller Art wissen, dass sie, um ihre Zwecke zu erreichen, dafür nur ein Maximum an psychologischem Know-how investieren müssen, ermöglicht durch den dafür nötigen hohen Finanzaufwand und flankiert durch breite mediale Stimmungsmache. Die besten Erfolge erreicht auf diesem Weg die Konsumwerbung. Politische Einflussnahme, die nicht ganz so viel Geld aufbringt, ersetzt das oft durch Nachdruck und durch einseitige oder falsche Informationen.

Die Tragik des Evangeliums besteht in unserer Zeit darin, dass immer mehr von denen, die die Orientierung am Gott der Bibel ausbreiten und stärken möchten, sich nicht als Zeugen verstehen und verhalten, also authentisch und überzeugend werben wollen, sondern stattdessen eine Lehre verkünden; deren Wahrheit behaupten sie – möglichst „sachlich“ und emotionslos, also gefühllos. An die Stelle der Überzeugungskraft von Zeugen, die glaubhaft bekunden, was sie „gehört und gesehen“ haben, tritt immer mehr eine geltend gemachte „professionelle Kompetenz“. Dabei hatte Jesus gesagt: „Ihr sollt meine Zeugen sein.“ (Apostelgeschichte 1,8)

Und mir scheint, je mehr die Angst wächst, alle Welt könnte sich vom Glauben abwenden, und je weniger Kraft man der eigenen Überzeugung zutraut, umso mehr greift man zum Strohhalm einer möglichst perfekt vorgebrachten „Lehre“.

Positiv gewendet – und auf den Spuren des Jesus, der den Boten des Johannes und seinen verunsicherten Zeitgenossen zur Orientierung und zur Antwort auf ihre Frage verhelfen will, heißt das vielleicht – ganz einfach und ohne zu vereinfachen:

Geht und berichtet, was ihr hört und seht! …
Den Armen wird das Evangelium verkündet: …
Habt Mut, fürchtet euch nicht,
seht, hier ist euer Gott! …
Dann springt der Lahme wie ein Hirsch
die Zunge des Stummen jauchzt auf. …
Wonne und Freude stellen sich ein,
Kummer und Seufzen entfliehen. …
Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.

Blinde schau’n zum Licht empor,
Stumme werden Hymnen singen,
Tauben öffnet sich das Ohr,
wie ein Hirsch die Lahmen springen.
Allen Menschen wird zuteil
Gottes Heil.
(4. Strophe des Liedes „Kündet allen in der Not“ – Text von Friedrich Dörr (1971))

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