Blogbeitrag

Karfreitag 1993 Herz Jesu Fechenheim

Immanu-El

15. Dezember 2022

Sonntagsbotschaft zum 18. Dezember 2022, dem 4. Adventssonntag (Lesejahr A). 

Es gibt Bibeltexte, die wir fast nur noch durch den Klangfilter von Weihnachten hören. Ihre eigentliche Botschaft, so wichtig sie auch sein mag, bleibt außerhalb unseres Hör-Horizonts.

Was zur kulturellen Vorgabe geworden ist, legt einschränkend fest, wovon da die Rede sei. Wir riskieren, eine durch den Text überlieferte großartige Botschaft herunter zu verkleinern bis auf ein Format, das geläufigem Denken gefällig klingt.

Die erste Schriftlesung in den Gottesdiensten des 4. Adventssonntags ist ein solcher Text. Um nicht schon vorab seine Botschaft in die kulturelle Schublade „Weihnachten“ hineinzupressen, richte ich meinen Blick erst mal auf den Zusammenhang des Bibeltextes, aus dem der Abschnitt genommen ist:

Hier, im 7. Kapitel des Jesaja-Buchs, geht es um den ersten Auftrag des Jesaja nach seiner Berufung als Prophet. Es ist die Zeit um das Jahr 735 vor Christus. Der nördliche Teilstaat Israels – mit der Hauptstadt Samaria – , hier „Ephraim“ genannt, wird regiert von König Pekach, dem Sohn Remaljas. Er hat sich mit „Aram“ verbündet, also mit Syrien und seinem Fürsten Rezin. Sie wollen sich Israels südlichen Teilstaat Judäa unterwerfen, um ihn zum gemeinsamen Aufstand gegen die Großmacht Assyrien zu zwingen. Judäas König Ahas aber wartet ängstlich auf Assyriens Beistand gegen die beiden Nachbarn. Schon belagert deren vereinigtes Heer Jerusalem, und die Assyrer kommen immer noch nicht zu Hilfe!

Das ist die Situation, wie die Bibel sie beschreibt. Für König Ahas und die Menschen in Jerusalem ein großes Problem!

Strom und Erdgas gab es damals ja noch nicht, aber die Wasserversorgung der Stadt war bedrohlich gefährdet. König Ahas inspiziert die Wasserspeicher an der Walkerfeldstraße. Mit denen steht es offenbar schon so schlecht, dass er an Kapitulation denkt, an die freiwillige Übergabe der Stadt und ihrer Bewohner an die Feinde.

Da hört Jesaja den Auftrag von Gott, er soll sich dem König und seiner Angst und seinen Plänen entgegenstellen.

Er richtet ihm aus:

So spricht GOTT, der Herr:
Das kommt nicht zustande,
das wird nicht geschehen.
(Jesaja 7,7)

Er wirbt bei Ahas um Vertrauen, indem er die Gefahr um eine Dimension kleiner zeichnet, als der König sie sieht. Und er warnt ihn: Israels Überlebens-Chance hängt nicht vom üblichen politischen Kalkül ab. Vielmehr soll er für seine Entscheidungen die Aspekte und Argumente am wichtigsten nehmen, die Gott ihm nahelegt! Nur wenn er ihm glaubt, wird er bestehen.

Der König aber lässt sich nicht im Traum drauf ein. Weder hat er ausreichend politischen Weitblick, noch anerkennt er Israels Gott als seinen eigentlichen König.Er traut doch lieber seiner eigenen Einschätzung der Lage.

Aber Gott lässt nicht locker; er kommt ihm entgegen und bietet ihm als vertrauensbildende Maßnahme an, mit einem Zeichen seiner Wahl die Botschaft des Propheten zu bestätigen.

Der HERR sprach weiter zu Ahas und sagte:
Erbitte dir ein Zeichen vom HERRN, deinem Gott, …

Aus diesem Zusammenhang herausgelöst, beginnt die Erste Lesung in den Gottesdiensten dieses 4. Adventssonntags. Was es mit Gottes Angebot auf sich hat, warum und wofür Ahas ein „Zeichen“ wählen soll, bleibt so im Dunkeln. Der Lesungstext setzt ganz neu an, als biete Gott hiermit eine Möglichkeit, im Interesse irgendeines Anliegens sich seiner zu bemächtigen:

In jenen Tagen
sprach der HERR zu Ahas – dem König von Juda –
und sagte:
Erbitte dir ein Zeichen vom HERRN, deinem Gott, …
Ahas antwortete:
Ich werde um nichts bitten
und den HERRN nicht versuchen.

Seine Ablehnung kleidet Ahas in Höflichkeit, um nicht ehrlich sein zu müssen. Er sagt nicht, dass Jesaja dummes Zeug redet. Er sagt nicht, dass er Gott in solchen Angelegenheiten nicht für zuständig hält. Er sagt nicht, dass der Prophet sich aus derlei Sachen gefälligst heraushalten soll und dass Gott in solchen Dingen zu unzuverlässig sei. Er sagt nicht, dass für ihn der Glaube nichts mit Politik zu tun hat. – Unter der Maske frommer Höflichkeit sagt er: „Ich werde um nichts bitten und den Herrn nicht versuchen.“ Das heißt im Klartext: Lass mich mit dem frommen Quatsch in Ruhe! Als ob Gott, wenn’s drauf ankommt, helfen würde!

Und die Antwort, die Jesaja darauf gibt:

Da sagte er:
Hört doch, Haus Davids!
Genügt es euch nicht, Menschen zu ermüden,
dass ihr auch noch meinen Gott ermüdet?
Darum wird der Herr selbst
euch ein Zeichen geben:
Siehe,
die Jungfrau hat empfangen,
sie gebiert einen Sohn
und wird ihm den Namen Immanuel geben.
(Jesaja 7,10-14)

Die altvertraute Version der Einheitsübersetzung von 1980 hatte hier übersetzt:

… Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen,
sie wird einen Sohn gebären,
und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben.

Ob sie schon empfangen hat oder erst noch empfangen wird, lässt der hebräische Text offen; die Grammatik des biblischen Hebräisch kennt ja keine Zeitformen wie sie uns wichtig sind. Dem, was hier gesagt werden soll, ist egal, ob Vergangenheit oder Zukunft. Die hier verwendete Konjugationsform besagt lediglich, dass das, was da versprochen wird, jedenfalls ganz sicher geschieht.

Und was ist das, was da so gewiss geschieht, dass es sich als Zeichen für die Bestätigung der Botschaft eignet?

Die Beschreibung dessen, was da verheißen wird, hört nicht mit den Worten auf, mit denen der Lesungsabschnitt endet. Erst die Fortsetzung nennt, worauf die Aussage eigentlich zielt.

Die gesamte Zusage dessen, was das Prophetenwort bestätigen soll, lautet:

Darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben:
Siehe, die Jungfrau hat empfangen,
sie gebiert einen Sohn
und wird ihm den Namen Immanuel geben.
Er wird Butter und Honig essen
bis zu der Zeit,
in der er versteht, das Böse zu verwerfen
und das Gute zu wählen.
Denn noch bevor das Kind versteht,
das Böse zu verwerfen und das Gute zu wählen,
wird das Land verlassen sein,
vor dessen beiden Königen dich das Grauen packt.
(Jesaja 7,14-16)

Das Kind wird also unbehindert heranwachsen können, bis es feste Nahrung essen und zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Die beiden gefürchteten Nachbarkönige gehen rechtzeitig davor selber unter!

Um wessen Kind geht es? Wer ist „die Jungfrau“?

Im hebräischen Urtext steht „ha-‘almah“. Die noch vorchristliche jüdische Übersetzung ins Griechische, die „Septuaginta“, auf der die christliche Tradition vorwiegend gründet, übersetzt „η παρθένος“ (parthénos).

Das hebräische Wort „‘almah“ bezeichnet (siehe Standard-Wörterbuch zum biblischen Hebräisch von Wilhelm Gesenius) ein Mädchen im geschlechtsreifen Alter – verheiratet oder unverheiratet –, bis es ein Kind hat.

Das griechische „παρθένος“ kann darüber hinaus auch meinen, dass die Person – jung oder auch älter – weiblich oder auch männlich – (z.B. in der Bibel in Offenbarung 14,4), nicht verheiratet ist oder noch keinen Geschlechtsverkehr hatte.

Für diese Bedeutung von „jungfräulich“ verwendet das alte Hebräisch das Wort „betulah“ – auch für Männer wie für Frauen.

Da der hebräische Bibeltext „ha-’almah“ sagt, ist hier also einfach eine junge Frau gemeint.

Der bestimmte Artikel „ha“ legt nahe, dass Ahas verstanden hat, wer gemeint ist mit der Benennung „die Jungfrau“. Vielleicht gab es am Königshof eine Person, die man so benannt hat – auch wenn sie inzwischen verheiratet gewesen sein mag; worauf die Aussage hindeutet, dass sie ein Kind empfängt. Die deutsche Einheitsübersetzung von 2016 scheint das auch so zu verstehen und zu meinen, da sie sich ja für die Formulierung in der Vergangenheitsform entschieden hat: „die Jungfrau hat empfangen“.

Was verspricht hier also Gott dem Ahas als Zeichen dafür, dass seine Befürchtungen nicht eintreten werden, wenn er auf ihn hört?

Das Kind der genannten jungen Frau wird nicht nur geboren werden, sondern die politische Lage wird sogar das gute Heranwachsen des Kindes nicht durch einen Krieg behindern. Vielleicht lässt sich ja Ahas davon eher berühren, wenn es sich ja um eine ihm nahestehende Person handelt:

Bevor die Fürsten von Ephraim und von Aram die befürchteten Gräueltaten bei euch vollbringen können, werden sie selber samt ihrem Land entmachtet sein. Denn auf Gottes gute Wegweisung und Begleitung könnt ihr euch verlassen! Ihr müsst nur auf ihn hinhören; dann wird es euch auch gut gehen!

Und was Gott da als Zeichen versprochen hat, – ist das eigentlich eingetroffen?

In der Tat: Bereits im Jahr 732 wurde Damaskus durch die Assyrer erobert, 722 auch Samaria.

Judäa war noch mal davongekommen. Das versprochene Zeichen ist eingetroffen und hat das Wort des Propheten bestätigt, auch für die kommenden Generationen. In Israel galt ja immer: Ob einer wirklich als „Prophet“ in Gottes Auftrag spricht, das zeigt sich erst später, nämlich darin, ob seine Botschaft tatsächlich eintrifft.

Die so bestätigte Botschaft des anerkannten Propheten lautet also: Wenn ihr euch vertrauend einlasst auf das Wort, das Gott in eure Welt hinein spricht und bei euch zur Welt kommen lässt, dann braucht ihr euch nicht mehr zu fürchten; es wird euch gut gehen.

Und da der Name des Kindes bei Jesaja mit „Immanu-El“ angegeben wird, in der gesamten Bibel aber keine Person mit diesem Namen bekannt ist, ist diese hebräische Aussage „Immanu-El“, zu Deutsch „mit uns (ist) Gott!“, von Anfang der neutestamentlichen Geschichte an als Wesensbezeichnung der Person von Jesus verstanden worden: Er ist es und nur er; in ihm ist wirklich Gott mit uns! Die Erfahrungen, die sie mit ihm gemacht haben und die sie als Gottes Botschaft verstanden, wurden ihnen erneut zum Zeichen, das Gott schenkt: In ihm ist Gott mit uns in dieser Welt!  Auf seine Begleitung, auf sein Wort könnt ihr euch verlassen. Ihr müsst nur auf ihn hören; dann wird es euch gut gehen!

Kein Wunder, dass die Anhänger von Jesus schon sehr früh ihre Erfahrungen mit ihm im Licht dieser Verheißung vom Heranwachsen des Immanuel gedeutet haben.

Das spiegelt auch das Evangelium dieses 4. Adventssonntags:

Mit der Geburt Jesu Christi war es so:
Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt;
noch bevor sie zusammengekommen waren,
zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete –        

Oh! Unverheiratet! Und zu Josefs Überraschung!

Der Evangelist – im Nachhinein, wie auch immer er zu dieser Aussage kommt – betont:

durch das Wirken des Heiligen Geistes.

Aber Josef? Ist er jetzt der Gehörnte? Wie nimmt er das auf, dass seine Verlobte schwanger ist? Sieht das Gesetz nicht für eine untreu gewordene Verlobte die Todesstrafe vor?

Josef, ihr Mann, der gerecht war
und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss,
sich in aller Stille
von ihr zu trennen.
Während er noch darüber nachdachte,
siehe, da erschien ihm
ein Engel des Herrn im Traum
und sagte:
Josef,
Sohn Davids,
fürchte dich nicht,
Maria als deine Frau zu dir zu nehmen;
denn
das Kind, das sie erwartet,
ist vom Heiligen Geist.
Sie wird einen Sohn gebären;
ihm sollst du den Namen Jesus geben;
denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.

Wie?! Mein Sohn und doch nicht mein Sohn?

Das „Nachdenken“ des Josef, in das der Evangelist sich hineinversetzt, und was er da im Traum gesagt bekommt, – das muss ihn ziemlich erschüttert haben. Wie der Evangelist davon erzählt, da verschwimmen ineinander seine Sicht von Josefs Vorstellungen und die zur Überzeugung gewordenen Erfahrungen, die man mit dem erwachsenen Jesus gemacht hat, mit dem gekreuzigten und auferstandenen:

Egal, wie es zu den Einsichten kam: Dieser Jesus war – vermittelt durch Josef – ein Nachkomme von David, also der von alters her verheißene Spross aus dem längst zum Baumstumpf verkommenen Stammbaum des Königs von Israel!

Und darüber hinaus wichtig war nur noch eins: Dieser wie jeder Mensch als Kind geborene Jesus war und ist ganz und gar ein Kind von Gottes Heiligem Geist! Er wird Gottes Volk erlösen!

Und Gott wartet jetzt darauf, dass die ganze Menschheit zu seinem Volk wird. Gottes Weg mit seiner Menschheit ist jetzt die Geschichte, wie sich diese Erlösung durchsetzt – immer wieder neu – und in menschenwürdiger Mitbestimmung aller Beteiligten – Erlösung von allem, woran die Menschheit sich jemals und immer wieder neu versündigt hat – und auf eine Erlösung hin, die auf die Erfüllung aller Verheißungen und Sehnsüchte hinzielt: Gott mit uns!

Die Frage, wer und ob überhaupt sein menschlicher Vater war, tritt in den Hintergrund. Darüber streiten mögen sich die, denen das historisch Einmalige und das zentral Bedeutsame von Jesus als „Gott mit uns“ verschlossen bleibt.

Natürlich fängt er da an, wo das Elend am größten ist: Wo Schuld durch tödliche Strafe gesühnt werden soll, stellt er im Übermaß die volle Anerkennung der Würde gerade der Erniedrigten wieder her. Und nicht etwa in einem Palast ist er zu finden, in dem sich Reichtum und Macht konzentrieren, sondern ganz unten. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. So kommt er nicht in Jerusalem, sondern in Betlehem.

Das ist es, was uns bevorsteht! Was nach menschlichen Maßstäben fragwürdig erscheint und keine Chancen hat, das wird für Gott zum Anlass und zum Weg, die Mächtigen vom Thron zu stürzen und die Niedrigen zu erhöhen!

Da wird – nicht nur für diesen 4. Adventssonntag – der Abschluss des Textes von Matthäus tatsächlich zum Evangelium:

Dies alles ist geschehen,
damit sich erfüllte,
was der Herr durch den Propheten gesagt hat:
Siehe: Die Jungfrau wird empfangen
und einen Sohn gebären
und sie werden ihm den Namen Immanuel geben,
das heißt übersetzt: Gott mit uns.
Als Josef erwachte,
tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte,
und nahm seine Frau zu sich.
(Matthäus 1,18-24)

Meine Seele preist die Größe des Herrn
und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.
Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.
Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.
Denn der Mächtige hat Großes an mir getan
und sein Name ist heilig.
Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht
über alle, die ihn fürchten.
Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten:
Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind;
er stürzt die Mächtigen vom Thron
und erhöht die Niedrigen.
Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben
und lässt die Reichen leer ausgehen.
Er nimmt sich seines Knechtes Israel an
und denkt an sein Erbarmen,
das er unsern Vätern verheißen hat,
Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.

Ehre sei dem Vater und dem Sohn
und dem Heiligen Geist
wie im Anfang, so auch jetzt und allezeit
und in Ewigkeit. Amen!

(Marias Lobgesang „Magnificat“ – Lukas 1,46-55
Satz: Rainer Petrak, Schola-Gesang: Herz Jesu Fechenheim 2000)

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