Blogbeitrag

Krippe obdachlos unter Frankfurter Mainbrücke (1992)

Gottes Doppel-Wumms

22. Dezember 2022

Sonntagsbotschaft zum 25. Dezember 2022 (Weihnachten).

Ich frag dich mal direkt, Gott: Was hast du vor mit diesem Fest? – Ja, ich geh schon davon aus, dass du da etwas tust, etwas willst. Was ist da deine Absicht? Und was hat das für eine Bedeutung für uns? Was ist daran wichtig?

Die Leute haben offensichtlich sehr unterschiedliche Vorstellungen davon: In unserem Kulturkreis ist für viele Weihnachten das Familienfest des Jahres. Vielen sind die Geschenke wichtig und die stimmungsvolle Dekoration. Andere spüren da ihre ganze Sehnsucht nach Licht und Frieden, ihre Trauer und Einsamkeit. Aber alle singen auch von der „fröhlichen“ Weihnachtszeit. Was meinst du dazu?

Beim Osterfest stellen sich mir solche Fragen nicht. Da gibt es ja auch nicht diese Gefühlsbeladenheit, die der Kommerz befeuert und für seine Interessen ausnutzt.

Aber wenn hier zehn Menschen miteinander feiern – selbst im einheitlichen Ritus mit Lichterbaum und „Stille Nacht“ und Gänsebraten und „Frohe Weihnachten!“ – , dann geht es ihnen vielleicht um zehn ganz unterschiedliche Freuden.

Das stört mich. Freuen kann ich mich beim Feiern mit Anderen vor allem dann, wenn wir einen und denselben Anlass erleben und die gemeinsame Freude daran miteinander teilen: Nach dem gehaltenen Elfmeter gerät die Fan-Gemeinde im Stadion vor Freude außer Rand und Band und singt aus voller Kehle. Das will gefeiert werden! Fans der Mannschaft, die verloren hat, werden sich da lieber fernhalten. Und Leute, denen Fußball egal ist, sowieso.

Was gibt es an Weihnachten zu feiern? – Das scheint keine Frage zu sein: „Da kommt der Weihnachtsmann.“ „Ab dann werden die Tage wieder länger.“

Natürlich gibt es viele Menschen, die auch sagen: „die Geburt Christi“, „Gottes Sohn kommt zur Welt“, „die Menschwerdung Gottes“, … Aber was daran ist – jenseits aller theologischen Begriffe – ein Grund zur Freude und ein Anlass für ein Fest?

Da komme ich zu meiner Frage vom Anfang zurück: Mein Gott, was meinst du dazu?

Und ich hör deine Antwort: Wenn du eine Frage an mich hast, schaust du doch meistens in die Bibel und kaust dann im Gebet durch, was du da hörst, bis du es verdaut hast, oder tauschst dich mit Anderen darüber aus, die die gleiche Frage haben.

Also tische ich mir die Bibelabschnitte auf, die seit Jahrhunderten Menschen im Zusammenhang mit dem Weihnachtsfest in den Mund genommen haben.

Am bekanntesten dürfte die sogenannte „Weihnachtsgeschichte“ sein, die Erzählung von den Schafhirten, die während ihrer Nachtwache eine Lichterscheinung sehen und Stimmen vom Himmel hören.

Da die volkstümliche Überlieferung, was sie dann zu sehen bekommen, zu einem niedlichen Neugeborenen in idyllischer Armut verfremdet hat, suche ich den Zugang erst mal lieber mit einem anderen Bibelabschnitt, der in der Glaubensüberlieferung fürs Feiern des Weihnachtsfestes eine ebenso zentrale Stellung einnimmt:

Der Evangelist Johannes bringt es von Anfang an auf den Punkt. Seine Sprache ist knapp und poetisch verdichtet, will daher gut gekaut sein und nicht als Brocken einfach geschluckt werden.

Er spricht – wahrscheinlich singt er es eigentlich – in der griechischen Originalsprache vom sogenannten „Logos“. Unsere gängige deutsche Übersetzung „Wort“ trifft nur einen Teil dessen, was „Logos“ meint. Was „Logos“ in viel umfassenderer Weise bedeutet, ist uns vielleicht besser vertraut in dem, was wir meinen, wenn wir von der „Logik der Liebe“ sprechen oder von der „Logik des Lebens“ oder auch von der „Logik der Demokratie“ oder „… des Friedens“. Das ist also nicht die Logik in dem Sinn, wie wir es als systematisch korrektes „logisches Denken“ meinen. Sondern hier geht es um etwas ganz Zentrales, was ein großes Gesamtes bis in alle seine Verästelungen hinein durchdringt und prägt – um etwas, was mit dem Denken und mit Worten gar nicht ganz gefasst werden kann, weil es ja auch das logische Denken um-fasst.

In der alten griechischen Philosophie, die zur Zeit des Johannes-Evangeliums bis in die Mentalität der einfachen Bevölkerung hinein wirkte, stellte man sich den „Logos“ vor als ein Grundprinzip, eine Grundidee, eine von aller erlebbaren Wirklichkeit losgelöste, also „ab-solute“ „Wahrheit“, unberührt von Glück oder Elend, von den Unvollkommenheiten menschlicher Fleischlichkeit und desinteressiert erhaben über Schuld und Leid, über Krieg und Tod. Vielmehr Schritt für Schritt diesen „Logos“, die „Wahrheit“ zu entdecken, war Lebensaufgabe und Lebenserfüllung für die sogenannten „Philo-Sophen“, die „Freunde der Weisheit“. Was aber den meisten Menschen verschlossen blieb und auch wenig zu tun hatte mit einer Orientierung auf dem Weg durchs Leben und seine Wirklichkeiten.

Über diesen „Logos“ sagt der Evangelist Johannes staunend ganz Neues. Für die alte Mentalität eine neue Welt!

Im Anfang war das Wort
und das Wort war bei Gott
und das Wort war Gott.
Dieses war im Anfang bei Gott.
Alles ist durch das Wort geworden
und ohne es wurde nichts, was geworden ist.
In ihm war Leben
und das Leben war das Licht der Menschen.
Und das Licht leuchtet in der Finsternis
und die Finsternis hat es nicht erfasst.
Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet,
kam in die Welt.
Er war in der Welt
und die Welt ist durch ihn geworden,
aber die Welt erkannte ihn nicht.
Er kam in sein Eigentum,
aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.
Allen aber, die ihn aufnahmen,
gab er Macht, Kinder Gottes zu werden,
allen, die an seinen Namen glauben,
die nicht aus dem Blut,
nicht aus dem Willen des Fleisches,
nicht aus dem Willen des Mannes,
sondern aus Gott geboren sind.
Und das Wort ist Fleisch geworden
und hat unter uns gewohnt
und wir haben seine Herrlichkeit geschaut,
die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater,
voll Gnade und Wahrheit. …
Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen,
Gnade über Gnade. …
(Johannes 1,1-5.9-14.16)    

Seine Botschaft fasst er zusammen: „Der Logos ist Fleisch geworden!“ Was das heißt, faltet er aus in diesem Hymnus, dem sogenannten „Johannes-Prolog“. Der wird meist als fremd und schwer verständlich empfunden und wird selbst in Weihnachts-Gottesdiensten – entgegen der kirchlichen Ordnung – oft durch die Lukas-Erzählung ersetzt.

Dabei besingt der Evangelist hier einfach in überschwänglicher Sprache das Neue, mit dem Gott selber in dem Menschen Jesus in unserer Welt erschienen ist, sich deutlich gezeigt hat:

  • Mitten unter uns hat er Wohnung genommen; das war ihm lieber, als weiterhin – völlig losgelöst von allem menschlichen Leid – in der Sphäre eines „Himmels“ zuhause zu sein.
  • Dadurch dass er da ist und handelt, wie er ist, wird er zum Licht und macht allen das Leben hell, die im Finstern leben müssen.
  • Und dieser „Logos“ ist Gott selbst. Die Menschen, die ihn aufgenommen haben, erleben an ihm die Zeichen seiner göttlichen Herrlichkeit und erleben sich selbst von ihm reich beschenkt: „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade.“

Und dann, nach diesem „Prolog“ überliefert Johannes in seinem Evangelium die Serie von sieben Zeichen – stellvertretend für alle anderen, die er gar nicht alle aufzählen kann (vgl. Johannes 21,25). Diese Zeichen, die er bezeugt, kann man auch als Illustration sehen für seinen Jubel „Der Logos ist Fleisch geworden!“

Gemeinsam in all diesen Erzählungen von den Zeichen, die er da gibt, ist, dass er darin den heilsamen Wandel bezeugt, den Gott mit seinem „Logos“ Jesus zur Welt gebracht hat.

Die junge Kirche, die ihren Lobgesang, das „Magnificat“, Maria in den Mund legt, hat das so besungen:

… Er stürzt die Mächtigen vom Thron
und erhöht die Niedrigen.
Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben
und lässt die Reichen leer ausgehen. …
(Lukas 1,46-55)

Wäre das nicht Orientierung für alle, die sich abquälen mit Bemühungen um „change“, um „Transformation“, „Zeitenwende“, „Wandel“, …? Ist nicht dieser „Logos“ Gottes „Doppel-Wumms“?

Die Perspektive der alten Philosophen hat ausgedient. In der Finsternis, die als Schicksal oder als Strafe zu erleiden sei, „kam das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, in die Welt“. Schade, wenn die, die „das Licht der Wahrheit“ zu besitzen glaubten, ihn nicht erkennen und nicht aufnehmen.

Die neue Welt, die ihn erkannt und aufgenommen hat, für die wird alles „wie Weihnachten“: Nichts bleibt beim Alten. Wo „der Logos“ aufgenommen wird, verändert sich alles zum Guten. Wandel hin zu einem gelingenden, glückenden Leben wird das Hauptmerkmal der neuen Welt. Und das nimmt Gestalt an in der Gemeinschaft der Glaubenden, in seiner Kirche!

Paulus wird sagen: Alles, was uns Kummer macht, überwinden wir durch ihn, der aus Liebe zu uns sein Leben bis hin zum Tod eingesetzt hat! (vgl. Römer 8,35-39) Und die Aussage des Johannes „Der Logos ist Fleisch geworden“ fasst er in den Hymnus

„Christus Jesus … war Gott gleich,
hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein,
sondern entäußerte sich
und wurde … den Menschen gleich. …“
(Philipper 2,6-8)

Ist das alles zu kurz gedacht und taugt nicht für die komplizierten Realitäten dieser Welt? Sollten wir uns doch lieber zufriedengeben mit einer Szenerie von Unterdrückung und Armut und Hoffnungslosigkeit, aus der wir uns zum Trost mit Hilfe von Glitzerlichtern und Konsum eine Idylle machen?

Auf meine Frage an Gott, was er wohl mit „Weihnachten“ meint, stoße ich da noch auf einen anderen Text, der zwar auch an prominenter Stelle für die Weihnachtsgottesdienste vorgesehen ist, der aber auch gerne weggelassen wird. Er ist vielleicht eine passende Antwort auf die skeptische Frage, wie realistisch ein solches Verständnis von der „Logos“-Weihnachtsbotschaft ist:

… die Gnade Gottes ist erschienen,
um alle Menschen zu retten.
Sie erzieht uns dazu,
uns von der Gottlosigkeit
und den irdischen Begierden loszusagen
und besonnen, gerecht und fromm
in dieser Welt zu leben,
während wir auf die selige Erfüllung
unserer Hoffnung warten:
auf das Erscheinen der Herrlichkeit
unseres großen Gottes und Retters Christus Jesus.
Er hat sich für uns hingegeben,
damit er uns von aller Ungerechtigkeit erlöse
und für sich ein auserlesenes Volk schaffe,
das voll Eifer danach strebt, das Gute zu tun.
(Titus 2,11-14)

Aha: Aus denen, die „auf die selige Erfüllung solcher Hoffnung warten“, wird ein Volk, „das voll Eifer danach strebt, das Gute“ – statt nur sein Ausbleiben zu beklagen und Gott die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben – „das Gute zu tun“.

Und alle, die die Freude an solcher heilsamer Transformation, die Hoffnung darauf und die Lust dazu auf Augenhöhe miteinander teilen, wollen den feiern, der sie zu solchem sinnerfüllten Leben ermächtigt und anregt, belebt und begleitet. Da wird im besten Fall das ganze Jahr zu einer „fröhlichen Weihnachtszeit“!

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