Blogbeitrag

2003 Kreta Schaf + Lämmer

Jahr der Befreiung?

12. Januar 2021

Sonntagsbotschaft zum 17. Januar 2021

und/oder zum (Mit-)Lesen

Das war also Weihnachten 2020. War’s das?
Wenn Weihnachten eine Art Tankstelle ist, …!? –

Nun hat die Kirche in ihrem Kalender den Weihnachts-„Festkreis“ schon bis zur Taufe Christi gestreckt (dieses Jahr also bis zum 10. Januar). Manche halten sich sogar – mehr oder weniger krampfhaft – bis zum 2. Februar an der Krippe fest. Wo bleibt jetzt das Neue, das zur Welt gekommen ist und in die Welt hineinwirkt?

Petrus hatte damals in Cäsarea (an der Küste zwischen Haifa und Tel-Aviv) im Haus des römischen Hauptmanns Kornelius, der ihn eingeladen hatte, vor vielen versammelten Menschen sagen können:

Ihr wisst, was im ganzen Land der Juden geschehen ist, angefangen in Galiläa, nach der Taufe, die Johannes verkündet hat: wie Gott Jesus von Nazaret gesalbt hat mit dem Heiligen Geist und mit Kraft, wie dieser umherzog, Gutes tat und alle heilte, die in der Gewalt des Teufels waren; denn Gott war mit ihm. …
(Apostelgeschichte 10,37-38)

Offensichtlich hat sich da eine ganze Geschichte von Ereignissen um Jesus im ganzen Land herumgesprochen – ohne Fernsehen und Twitter! – , woran Petrus jetzt anknüpfen kann.

Und heute? Was gibt es, was wir heute sagen können, wie Gott durch Jesus in seiner Kraft Gutes bewirkt, so dass die Leute davon reden?

Falsche Frage? – Das kommt darauf an, ob ich von vornherein Gottes Einwirken ausklammere und Weihnachten als reines Volks- und Konsum-Fest nehme oder ob ich aktuelle Wirklichkeit in dem Licht betrachten will, das von Gottes weihnachtlicher „Menschwerdung“ her das Ganze beleuchtet.

Versuchen wir es doch mal aus der Perspektive des Evangeliums:

„Angefangen nach der Taufe, die Johannes verkündet hat.“ So beginnt Petrus seinen Blick in das bekannte Geschehen mit Jesus. Nach der Taufe, mit der auch Jesus sich dem Weg des Volkes eingefügt und sein öffentliches Tun angefangen hat, – wie ist es damals losgegangen?

Genau davon erzählt das Johannes-Evangelium in dem Abschnitt (Joh 1,35-51), dessen erster Teil (Joh 1,35-42) an diesem Sonntag nach dem Fest der Taufe Christi in den Gottesdiensten verkündet wird:

In jener Zeit stand Johannes am Jordan, wo er taufte, und zwei seiner Jünger standen bei ihm. Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes! Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus.

Warum folgen sie ihm? Was will der erzählende Evangelist mit dieser sehr knapp gefassten Darstellung sagen?

Der Täufer bezeichnet ihnen gegenüber Jesus als „das Lamm Gottes“. Was heißt das? Dieser Ausdruck klingt nach einem feststehenden, damals allgemein bekannten Begriff. Allerdings ist der Ausdruck „Lamm Gottes“ allen Überlieferungen aus der Zeit vor Jesus fremd. Das ist offensichtlich eine Wortschöpfung, mit der die neue und einmalige Bedeutung von Jesus für die Menschen bezeichnet werden soll.

Hintergrund hierfür ist der Stellenwert von Lämmern in der allgemeinen Lebenskultur in Israel und später bei den Juden:

Das Essen von Fleisch setzt ja voraus, dass einem Tier das Leben genommen wird. Das Leben gegeben hatte dem Tier aber Gott! Und als Sitz des Lebens galt das Blut. Bevor Menschen – wie von Gott erlaubt – ein Tier als Nahrung zu sich nahmen, mussten sie ihm deshalb die Einheit von „Fleisch und Blut“ trennen. Nur das Fleisch durften sie essen. Mit dem Blut mussten sie anders umgehen: in Hochachtung vor der Heiligkeit des Lebens und in dankbarer Anerkennung des Schöpfergottes, der Nahrung gibt und allein über Leben verfügt. Daher gab es keine säkularen Metzger. Sondern ein Tier, dessen Fleisch man essen wollte, wurde in einem religiösen Ritus Gott geopfert:

In einem normierten Verfahren, das als Übergabe des Tieres an Gott gesehen wurde, haben dafür beauftragte Priester dem Tier – möglichst schonend – das Blut, also sein Leben entnommen und rituell dargebracht. Für diese Tätigkeit haben sie als Vergütung einen Anteil am Fleisch des Tieres erhalten. Die Eigentümer des Tieres haben dann das Fleisch gegessen – natürlich in Gemeinschaft. Blut „vergießen“ und Blut „trinken“ waren klar verboten.

Ein so – zum Beispiel als Festessen in der Familie – „geopfertes“ Lamm war also immer das Eigentum eines bestimmten Menschen. Und geopfert wurde das Lamm immer dem Gott Israels.

Das in Israel wichtigste Festmahl mit einem Lamm war zu allen Zeiten das Pessach-Fest, griechisch Pas’cha: die Fest-Nacht der Befreiung aus der Unterdrückung in Ägypten mit dem Ziel einer von Gott geschenkten guten Zukunft im eigenen, von Gott geschenkten Land. Bei diesem Freudenfest wurde das Blut des Lammes von außen auf Türsturz und -pfosten der Haustür gestrichen – zum Zeichen des Bekenntnisses und der dankbaren Anerkennung: Hier lebt eine Familie, die dem Aufruf Gottes zum Auszug in die Freiheit traut, das feiert und dazu bereit ist. In jüdischen Ohren der Zeit von Jesus klang die Bezeichnung eines Menschen als „Lamm“ in diesem Zusammenhang sehr nach einem Befreier.

Jesus wird vom Täufer Johannes nun aber als „das Lamm Gottes“ bezeichnet. Er ist nicht ein „Lamm“ von Menschen für Gott! Das „Lamm“ gehört Gott. Gott ist es, der das „Lamm“, etwas von sich selbst, hergibt und einsetzt: „opfert“!!! – Das ist das radikale Gegenteil von allem Bisherigen. Und es ist einmalig. Es gibt nicht mehrere Lämmer, die Gott opfert. Jesus ist „das Lamm Gottes“.

Für die beiden Jünger des Täufers Johannes, der eh schon das Volk zur radikalen Umkehr aufrief und zur Taufe als persönliches Zeichen der Bereitschaft für Gottes Reich und seine Gerechtigkeit, für seine neue Herrschaftsweise, die jetzt mit Jesus anbricht, – für diese beiden muss von Jesus als „dem Lamm Gottes“ eine starke, anziehende Faszination ausgegangen sein. Kein Wunder, dass sie ihm hinterhergehen, sich für ihn interessieren und ihn und was in ihm steckt, näher kennenlernen wollen.

Das Evangelium erzählt weiter:

Jesus aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten, sagte er zu ihnen: Was sucht ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi – das heißt übersetzt: Meister -, wo wohnst du? Er sagte zu ihnen: Kommt und seht! Da kamen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; …
Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer der beiden, die das Wort des Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren. Dieser traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: Wir haben den Messias gefunden – das heißt übersetzt: Christus – der Gesalbte. Er führte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen, das bedeutet: Petrus, Fels.

Schauen – sehen – bezeugen. Muster einer Abfolge von Schritten, wie sie sich durch das gesamte Johannes-Evangelium zieht:

  • Jesus wendet sich um, schaut gezielt, richtet seinen Blick auf Andreas und seinen Gefährten.
  • Dasselbe tun auch sie: kommen und schauen. Andreas sieht, erkennt, „findet“ und bezeugt das seinem Bruder Simon. Hinter dem Wort „gefunden“ verbirgt sich Vielsagendes: das griechische ηύρηκα = heureka steht sowohl für ein zufälliges Treffen als auch für eine große Entdeckung.
  • Jesus schaut auf Simon, sieht und bezeugt ihm seine Sicht von ihm.
  • In der Fortsetzung begegnet Philippus Jesus und bezeugt dem Natanaël, wen er in Jesus gesehen, erkannt, „gefunden“ hat.
  • Jesus sieht Natanaël auf sich zukommen und bezeugt ihm, wen er in ihm sieht.
  • Natanaël gibt zurück und bezeugt Jesus, wen er in ihm sieht.

Ergebnis dieser Schrittabfolge sind jeweils Entdeckungen, die möglich werden durch das aktiv begegnende Schauen und durch die Sicht des Evangelisten vom Ende der gesamten Jesus-Geschichte her. Da wird das Wesen des Simon als Petrus deutlich und das Wesen des Natanaël.

Zentrales Ergebnis dieser Blickweise aber ist das Wesen von Jesus: Er ist der „Messias“, der, „über den Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben haben“, „der Sohn Gottes“, „der König von Israel“ Und neu – vom Täufer Johannes so gesehen – Jesus ist „das Lamm Gottes“!

Solcher Einblick ergibt sich für alle, die die Wirklichkeit „bei Licht“ betrachten. Gemeint ist: bei dem „Licht“, von dem im weihnachtlichen Prolog-Hymnus die Rede ist (Joh 1,1-14); also bei dem „Licht“, ohne das man das alles nicht sehen kann, weil es dann ja finster bleibt. Dieses „Licht“ kommt mit dem „Wort“ in die Welt, mit Jesus, dem Sohn Gottes. Aus dem Hebräerbrief (Hebr 1,1-2) haben wir das in den Weihnachtstagen so gehört:

… auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, …

Der ganze Jesus ist die Botschaft, die „message“, das „Wort“. Verbal wie nonverbal. Sein ganzer Lebensweg ist das „Licht“, bei dem betrachtet alle Wirklichkeit anders aussieht.

Für diese Sicht bleibt „blind“, wer die Wirklichkeit nicht im Licht dieses „Wortes“ sieht. Beispiel (aus Johannes Kapitel 9): Wer sich von ihm nicht dazu bewegen lässt, erfülltes menschliches Leben wichtiger zu nehmen als das Gesetz, kann sich nicht mit dem jetzt sehenden Blindgeborenen freuen, sondern kann nur sehen, dass Jesus ihn am Sabbat geheilt und damit gegen das Gesetz verstoßen hat, bleibt also blind für das Wesentliche und verschließt sich dem „Lamm Gottes“, das aus aller Unterdrückung und Fremdheit gegenüber Gottes Tun befreit.

Der Höhepunkt der ganzen Erzählung von der Jüngerberufung, die an diesem Sonntag als „Evangelium“ „Licht“ und „Leben“ (so im Johannes-Prolog Kapitel 1) in unser Heute bringen will, sind die abschließenden Worte von Jesus an Natanaël (Vers 51):

Jesus antwortete ihm: Du glaubst, weil ich dir sagte, dass ich dich unter dem Feigenbaum sah; du wirst noch Größeres als dieses sehen. Und er sprach zu ihm: Amen, amen, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn.

Gemeint ist das großartige Bild vom Zugang zum offenen Himmel mit seinen Lebensmöglichkeiten, mit dem der Patriarch Jakob-Israel im Traum gesagt bekam (Genesis 28,15): „Siehe, ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst, … ich verlasse dich nicht …“

Das sehen und erleben – nicht weniger als das stellt Jesus denen vor Augen, die jetzt seine Anhänger sein wollen. Und der Evangelist Johannes will es allen vermitteln. Den Lesern seines Evangeliums sagt er schon zu Beginn: „Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen!“ (Joh 1,14)

In der Folge erzählt er aus der Zeit nach der Taufe, was er angekündigt hat mit den Worten „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade.“ (Joh 1,16)

Als ausdrücklich „erstes Zeichen seiner Herrlichkeit“ erzählt er gleich im 2. Kapitel von der Hochzeit in Kana: Jesus erfreut die Hochzeitsgäste mit bestem Wein, als es nur noch Wasser gibt. Und in der Erzählung vom zweiten Zeichen, nämlich von der zornigen Vertreibung der Händler aus dem Tempelvorhof, lässt er Jesus selbst – wenn auch verschlüsselt und nur für Zeugen seiner Auferstehung verständlich – vom wichtigsten seiner Zeichen reden: von seinem Tod und seiner Auferstehung.

Mit seiner anschließenden Aufzählung von Zeichen und deutenden Reden von Jesus bezeugt, illustriert und erklärt dann der Evangelist – musterhaft und zeitlos – den Weg von Gerechtigkeit, Freiheit und Fülle des Lebens. Den geht „das Lamm Gottes“ mit all denen, die die Welt bei dem Licht besehen, das mit ihm zur Welt gekommen ist. Ja, nach seiner Taufe durch Johannes fängt es jetzt an. Das Jahr soll ein Jahr der Befreiung werden.

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