Blogbeitrag

Bibeltext aus Markus 1

„Reich Gottes“ 2021

19. Januar 2021

Sonntagsbotschaft zum 3. Sonntag im Jahreskreis am 24. Januar 2021

 Und / oder zum (Mit-)Lesen:

„Das Reich Gottes ist nicht indifferent gegenüber den Welthandelspreisen!“

Zu einem geflügelten Wort wurde dieser Satz aus der „Würzburger Synode“ der katholischen Kirche in Deutschland von 1975. Das sollte heißen: Selbstverständlich betrifft unser Glaube alle Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens, also auch die gesamte Politik.

Mit ihrem kontrovers erarbeiteten Beschlusspapier „Unsere Hoffnung“ wollte die Kirche öffentlich Rechenschaft geben von ihrem Selbstverständnis und ihrem Standort in der heutigen Gesellschaft. Sie wollte sich der Frage stellen: Was kann man von uns erwarten? – In vielen Ohren klang die Antwort provokativ. Was hat das Reich Gottes mit den Welthandelspreisen zu tun?!

„Das Reich Gottes“ ist ein Wort, mit dem die Bibel häufig das benennt, worum es denen geht, die an den Gott der Bibel glauben.

Bevor Jesus – im Alter von 30 Jahren – in die damalige Öffentlichkeit Palästinas ging, hatte auch der Täufer Johannes das „Reich Gottes“ als bevorstehend angekündigt. Er hatte alle aufgerufen, umzukehren und dem „Reich Gottes“ den Weg zu bahnen. Das passte den Machthabern nicht; die nahmen ihn erst mal in Haft. Aber Jesus knüpfte daran an und begann gleich damit. Davon redet in den Gottesdiensten dieses 3. Sonntags im Jahreskreis das Markus-Evangelium (1,14-19):

Nachdem Johannes ausgeliefert worden war,
ging Jesus nach Galiläa;
er verkündete das Evangelium Gottes
und sprach:
Die Zeit ist erfüllt,
das Reich Gottes ist nahe.
Kehrt um
und glaubt an das Evangelium!

„Das Reich Gottes“ – was soll man sich darunter vorstellen? Was ist damit gemeint?

Das Wort, das wir mit „Reich“ übersetzen

– altgriechisch: βασιλεία (basileía) – bezeichnet zunächst und eigentlich die Tatsache und den Stil, dass und wie einer herrscht als „König“ – als βασιλεύς (basileús) oder neugriechisch: βασιλιάς (vassiliás). Der Ausdruck „Reich Gottes“ meint also das Herrscher-Sein von der Art eines Königs, das Gott zugeschrieben wird, manchmal auch übersetzt mit „Königsherrschaft Gottes“. Und ein König in der Antike, auch in Israel, hatte die volle Regierungsgewalt, er war der Herrscher über Land und Volk.

Nachdem Jahrhunderte zuvor die beiden Teilstaaten Israel und Judäa ihre Eigenstaatlichkeit verloren hatten, erlitten die Menschen dort die Unterdrückung durch wechselnde Fremdherrschaften.

Zur Zeit des Täufers Johannes und von Jesus warten viele sehnlichst darauf, dass Gott in seinem Volk wieder die alles beherrschende Kraft sei und nicht die Römer, die sie finanziell ausbeuten, ihnen ihre Rechte nehmen und sie ihrer kulturellen und religiösen Identität berauben. Schon seit den vorangegangenen Fremdherrschaften hatten Propheten und andere führende Persönlichkeiten immer wieder im Volk die Hoffnung auf Gottes befreienden und alles bestimmenden Einfluss genährt. Und da hören sie, jetzt sei es soweit:

Die Zeit ist erfüllt,
das Reich Gottes ist nahe.

Johannes, der das Volk zu neuer Hoffnung und deshalb zur Aufmerksamkeit für Jesus aufgerufen hatte, war verhaftet worden. Jetzt ruft Jesus dazu auf:

Kehrt um
und glaubt an das Evangelium!

Was sollen sie? Was meint er mit „umkehren“ und mit „daran glauben“?

Die Welt, in der sie leben, und ihr Alltag sind geprägt durch äußere Gegebenheiten, persönliche Lebensumstände, politische wie auch naturgegebene Rahmenbedingungen.

Und ihre Befindlichkeit, wie es ihnen mit all dem geht, ist natürlich auch bestimmt durch ihre innere Einstellung dazu: durch das unwillkürliche Vergleichen der realen Situation mit ihren Vorstellungen, was eigentlich „normal“ sei, und mit ihren Sehnsüchten, Wünschen und Visionen. Damals wie heute.

Die einen sagen „Das is halt so; da kannste nix machen.“ Andere: „Ich nehm die Dinge hin und mach das Beste draus.“ „Die da oben machen eh, was sie wollen; was willst du da schon als Einzelner?“

Wer Sehnsüchte auf Sparflamme setzt oder Visionen sich als sowieso unrealistisch verbietet, leidet natürlich weniger als jemand, in dem die Hoffnung auf Veränderung brennt. Er – natürlich auch sie – spielt mit und lässt sich gefallen, wogegen sich zu wehren „eh nur die letzten Kräfte vergeudet“.

Wohin das führt? Das Spiel der herrschenden Kräfte geht weiter. Auch zerstörerische und menschenverachtende Einflüsse können dann ungestört immer weiter wirken. Fatalistisches Hinnehmen bestärkt und fördert auch kriminelle Energien, Naturkatastrophen wie auch von Menschen verursachte Krisen. Einige wenige Personen, die über exzessive Möglichkeiten verfügen, können dann ungestört ihr eigenes Süppchen kochen – unbeschadet der enormen Dimensionen von Opfern, die sie damit herbeiführen können.

Und welche Funktion nimmt in der Vernetzung solcher unübersichtlich gewordener Kraftfelder Religion wahr?

Da kommt Jesus und ruft auf – sowohl zur Veränderung der inneren Einstellung als auch der äußeren Verhältnisse: Fangt neu an, euren Sehnsüchten und Gottes Verheißungen zu trauen! Die Kräfte und Personen, Strukturen und Systeme, die der Menschenwürde und dem Gemeinwohl entgegenwirken, haben ihre scheinbar unüberwindbare Kraft nur dann, wenn ihr an ihre Allmacht glaubt. Hört stattdessen endlich auf den, der in seiner Menschenliebe alles so fügt und leitet, dass alle Chancen optimal genutzt werden und alle gut leben können! Und wisst: Es kommt dabei auf euch alle an, denn Gott handelt nicht mit Gewalt, sondern nur mit Zustimmung derer, um die es geht.

Und dann fängt er an. Zum Glück gelingt es ihm, Menschen zu begeistern, also mit seinem Geist zu erfüllen, so dass sie in den gleichen Bestrebungen handeln wie er. Da werfen tatsächlich Menschen das ab, was sie behindert. Da schauen Menschen mit ihren eigenen Augen hin und sehen, was wirklich läuft. Menschen lassen sich nicht nur sagen, was sie hören sollen, sondern lassen sich von Jesus ihre eigenen Ohren öffnen und hören ganz neu selber hin. Eigene Urteilsfähigkeit sprießt wieder auf gegen die Rechthaberei der Besserwisser. Da wird Jesus die Armut der Armen nicht weiter als Schicksal oder Strafe gelten lassen, sondern ihnen eine glückliche Zukunft, nämlich das Reich Gottes versprechen: seinen Einflussbereich, in dem sie aufleben sollen. Und in seiner Bergpredigt wird er alle „selig preisen“, die die schlimmen Gegebenheiten bisher nur mit Trauer glaubten hinnehmen zu müssen – womöglich noch mit einem religiösen Etikett versehen. Und sogar alle die, die dann als „Fantasten“ oder als „Aufrührer“ abgestempelt und diffamiert werden, nimmt er in die Arme:

Selig, die sich wegen ihres Einsatzes für das Reich Gottes unbeliebt machen!

Der neugewählte CDU-Vorsitzende Armin Laschet sagte sogar in einem Interview des Magazins „pro“ den festzuhaltenden Satz „Die Bergpredigt sollte unser Kompass sein“. Allerdings „Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen!“ hatte der verstorbene Bundeskanzler Helmut Schmidt gesagt.

Und Kirche heute? „Schaut hin!“ lautet das Motto des Ökumenischen Kirchentags 2021. „Schaut selber hin – mit euren eigenen Augen!“ höre ich und freue mich. Denn wer selber hinschaut, entwickelt einen Blick für Phänomene, die von anderen gerne unter dem Teppich gehalten werden.

Der frühere Limburger Bischof Wilhelm Kempf, aktiv eingebunden in das Zweite Vatikanische Konzil und durch den dort wehenden Geist neu auf die Beine gebracht, schrieb 1974 in seinem Brief zur Fastenzeit an die Gemeinden des Bistums, alle Gemeinden sollten – wie die Kirche als Ganzes – „Kraftfeld des Geistes Christi“ werden.

„Kraftfeld des Geistes Christi“

Sein Wort „Kraftfeld“ hat es mir angetan. In unserer heutigen Sprache sagt es, scheint mir, deutlich mehr aus als das Wort „Reich“. „Herrschaftsbereich“ oder – wer das mit dem „Herrschen“ nicht mag – „Einflussbereich“ finde ich auch gute Alternativen.

Bei dem Ruf von Jesus „Kehrt um!“ höre und spüre ich eine Kraft, die nicht ruhigstellt, sondern auf die Beine bringt. Damit die ersehnte, verheißene heilsame Veränderung geschehen kann. Da will ich dann nicht mehr das angeblich Unabänderliche ertragen, sondern will dann zu seiner Veränderung beitragen! Ich höre in den Worten von Jesus den Aufruf: Macht euch klar, wem ihr das Feld überlasst, wenn ihr euch raushaltet und alles hinnehmt! Dann bleiben immer noch genügend Dinge übrig, die tatsächlich nicht zu ändern sind. Kehrt also um, ändert die Logik eures Tuns, eure Denk- und Handlungsweise! Glaubt an das Evangelium von Gottes „Königsherrschaft“ und verlasst euch auf diese gute Botschaft! Denn jetzt reicht’s, Gott lässt euch nicht länger allein!

Aus all dem, was die Evangelien dann von Jesus und seinem Tun und Reden bezeugen, ergibt sich ein Modell: Religiös gefärbte Durchhalteparolen bewältigen keine Krisen. Nicht eine angebotene Rettung oder Liebe nur zu behaupten oder zu „verkündigen“, führt das Reich Gottes herbei. Nur, es ihm zuzutrauen und – davon erfüllt – gemeinsam mit ebenso Hoffenden zu seinem Kommen auch beizutragen, – „das bringt’s“.

An aktuellen Herausforderungen, das zu erproben, mangelt es ja wahrlich nicht.

Viele Faktoren wirken auf das Wohlergehen der Menschen heute, die nur für das Gemeinwesen insgesamt geregelt werden können. Entscheidungen stehen an. Und ausreichend Sorge für ihre Umsetzung in der Praxis. Vorgaben sind zu gewichten: Die Anerkennung von Menschenwürde und Grundrechten muss Vorrang haben. Grundgesetz und Landesverfassungen gehen dabei hilfreich schon ins Detail. Sie müssen aber immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Vor allem in einem Superwahljahr wie 2021 in Deutschland. Fragen müssen diskutiert werden. Das braucht Zeit und Respekt und ein hohes Bewusstsein von den eigenen Bestrebungen und Zielsetzungen. – Andere nennen das „Werte“. Ich mag das Wort nicht, weil es aus einer kommerziellen Logik stammt, die unsere Sprache und Denkweise viel zu sehr schon prägt.

„Kehrt um!“? – „Unsere Gesellschaft muss sozial gerechter und ökologischer werden!“ So benennt der deutsche Caritas-Präsident Peter Neher die anzulegenden Entscheidungs-Maßstäbe dieses Jahres. Der Caritasverband hat eine Kampagne gestartet unter dem Motto „Das machen wir gemeinsam“. Einem großen Bericht hierüber hat die Kirchenzeitung „Der Sonntag“ den Titel gegeben „Die Politik setzt die falschen Prioritäten“.

  • Wie müssen Arbeitsbedingungen verändert werden, damit Pflegeberufe attraktiver werden?
  • Dürfen Corona-Geimpften eine höhere Mobilität und mehr Kontakte zugebilligt werden als Nicht-Geimpften?
  • Was ist zu berücksichtigen, wenn einer zunehmenden, zu Feindseligkeiten neigender Polarisierung der Gesellschaft begegnet werden soll?
  • Oder: Ist es notwendig, hilfreich und angemessen, auch Beamte und Selbstständige ins gesetzliche Renten- und Gesundheitsversicherungssystem einzubeziehen?
  • Oder: Wie ist der Klimakrise effektiv zu begegnen?
  • Darf Flugbenzin weiterhin subventioniert werden?
  • Welche „Werte“ sind entscheidend zu berücksichtigen, wenn Menschen in ihrem Heimatland ihre Lebensgrundlagen zerstört sehen und in Europa zuwandern wollen?
  • Dürfen wir weiterhin zulassen, dass einige wenige Menschen weltweit nach dem Motto „Seid umschlungen, Billionen!“ den Beitrag ihres Vermögens zur Lösung drängendster Probleme verweigern?
  • Was ist erforderlich, damit wirklich – siehe Artikel 20 Grundgesetz – alle Macht vom Volk ausgeht und nicht „Geld die Welt regiert“ oder das Vermögen zur Durchsetzung des eigenen Interesses alles beherrscht? Und wie soll dabei mit dem Vorwurf umgegangen werden, deren verstärkte Heranziehung bedeute eine „Neid-Steuer“?

Die vielen ermutigenden Beispiele, die die Bibel von Jesus bezeugt, spiegeln sich auch in geradezu exemplarisch anmutenden Ereignissen unserer Tage:

  • Da gibt es Städte, die in eigener Verantwortung und über den Rahmen der Bundespolitik hinaus geflüchtete Menschen aufnehmen wollen.
  • Da gibt es, oft von kirchlichen Verbänden wie die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung in Gang gebrachte Initiativen für die weitere dringend nötige Erhöhung des Mindestlohnes oder für ein Lieferkettengesetz, das von Wirtschaftsunternehmen die Verantwortung einfordert für die Einhaltung von Menschenrechts- und ökologischen Standards in ihren globalen Geschäftsbeziehungen.
  • Da startet in Kalabrien ein chancenreicher Mammutprozess gegen die ‘Ndrangheta, mit dem deren vielfältige Mafia-Gewalt in der Gesellschaft beendet werden soll.

Mit der Frage, was denn das Wesentliche am „Reich Gottes“ sei, ging ich auch ins morgendliche Stundengebet am vergangenen Donnerstag („1. Woche“). Da ich mich den Texten stellte und meine Frage schon nicht mehr im Blick hatte, wurde ich beim Gesang aus dem Alten Testament (Jeremia 31,10-13.14b) mit dem deutlichen Eindruck überrascht, hier werde mir eine zentrale Antwort gegeben (in der Einheitsübersetzung von 1980 aus dem Antiphonale):

Hört, ihr Völker, das Wort des Herrn,
verkündet es auf den fernsten Inseln und sagt:
Er, der Israel zerstreut hat, wird es auch sammeln
und hüten wie ein Hirt seine Herde!
Denn der Herr wird Jakob erlösen
und ihn befreien aus der Hand des Stärkeren.
Sie kommen und jubeln auf Zions Höhe,
sie strahlen vor Freude über die Gaben des Herrn,
über Korn, Wein und Öl, über Lämmer und Rinder.
Sie werden wie ein bewässerter Garten sein
und nie mehr verschmachten.
Dann freut sich das Mädchen beim Reigentanz,
jung und alt sind fröhlich.
Ich verwandle ihre Trauer in Jubel,
tröste sie nach ihrem Kummer;
mein Volk wird satt an meinen Gaben.

Dazu erinnere ich mich an die zukunftsfrohen Worte, mit denen Psalm 81 die Perspektive beschreibt, die sich durch eine Anerkennung von Gottes „Königsherrschaft“ ergibt:

Ach, dass mein Volk doch auf mich hörte,
dass Israel gehen wollte auf meinen Wegen!
Wie bald würde ich seine Feinde beugen,
meine Hand gegen seine Bedränger wenden. …
Ich würde es nähren mit bestem Weizen,
dich sättigen mit Honig aus dem Felsen.

Und sozusagen ein i-Tüpfelchen für meine Vorbereitung dieser Sonntagsbotschaft wurde dann die Laudes-Lesung vom Samstag aus dem 2.  Petrusbrief (1,10-11):

„Meine Brüder, bemüht euch noch mehr darum,
dass eure Berufung und Erwählung Bestand hat!
Wenn ihr das tut, werdet ihr niemals scheitern.
Dann wird euch in reichem Maß gewährt,
in das ewige Reich
unseres Herrn und Retters Jesus Christus einzutreten.“

Ja, der Stellenwert der Lesung von Bibel-Texten in den Gottesdiensten kann gar nicht genug betont werden. Die in der Geschichte der katholischen Kirche als historisch zu wertende Einschätzung der Bibel, wie sie vom Zweiten Vatikanischen Konzil erstritten und dann allgemein angemahnt wurde in der sogenannten dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung „Dei Verbum“, versank leider weitgehend in der Vernachlässigung. Vielleicht weil die konflikthafte Brisanz, die in der biblischen Botschaft steckt, zu viel Angst vor dem „Kreuz“ macht. Weniger unbeliebt macht sich halt, wer das Evangelium zur „pastoralen Erbaulichkeit“ einsetzt und zur „Ruhigstellung“ der Menschen.

Da lasse ich mich allerdings lieber „aufstacheln“ durch den täglich gesungenen Jubel des Zacharias (im „Benedictus“ aus Lukas 1,74-75):

Er hat uns geschenkt,
dass wir, aus Feindeshand befreit,
ihm furchtlos dienen
in Heiligkeit und Gerechtigkeit
vor seinem Angesicht
all‘ unsre Tage.

Und lieber lasse ich mich auf die Beine bringen durch Jesus im Evangelium von diesem Sonntag:

Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe.
Kehrt um und glaubt an das Evangelium!

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