Sonntagsbotschaft zum 22. Juni 2025, dem 12. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C).
Was bedeutet Ihnen Jesus?
Ungewöhnliche Frage, ich weiß. Zu persönlich für eine öffentliche Erwägung? Theologisch diskutieren über Jesus – das geht ja. Aber was er mir persönlich bedeutet? Und: Warum sollte ich mich das überhaupt fragen?
Weil von meiner Antwort abhängt, wie ich mich ihm gegenüber verhalte: Wem Jesus nichts bedeutet, ignoriert ihn. Und je nach dem, was er mir bedeutet, setze ich mich auf entsprechende Weise in Beziehung zu ihm. In ganz unterschiedlichen Situationen kommt er mir dann in den Sinn. Mal bin ich es, der an ihn rangeht; mal er, der mich irgendwie anrührt. Mal ist es auch nur eine Lehre oder ein Gebot – etwas, was ich ihm zuschreibe. Oder aber ein Zusammenprallen meiner Enttäuschung mit seiner Verheißung.
Was da geschieht zwischen ihm und mir, erlebe ich jedenfalls immer wieder erst einmal durch meine Brille, was er mir bedeutet. Das fängt mit der Frage an: „Jesus – du“, mit dem ich mich in Beziehung setze, oder „Jesus – er“, über den ich mir Gedanken mache oder mich auslasse?
Je nach dem, was er mir bedeutet: Leitbild, Vertrauensperson? Helfer in der Not? unerreichbares Vorbild, Superstar? Oder weltfremder Chefideologe, Gesetzgeber, Revolutionsführer, strenger Weltenrichter, …? oder ethischer Störenfried? Spielverderber?
Wie komme ich dazu, statt einer Botschaft aus der Bibel für unsere Tage hier eine solche Frage zu thematisieren?
Genau! Ich wollte erspüren, was die Botschaft dieses Sonntags sein könnte, die ein wenig Licht in die schwierigen Situationen dieser Tage bringt. Und dann wurde mir klar: Es geht da um eine Gegenfrage an unsereins: „Was bedeute ich euch?“
In jener Zeit
betete Jesus für sich allein
und die Jünger waren bei ihm.
Da fragte er sie:
Für wen halten mich die Leute?
Sie antworteten:
Einige für Johannes den Täufer,
andere für Elija;
wieder andere sagen:
Einer der alten Propheten ist auferstanden.
Da gab es noch andere: Für sie war er der verheißene Messias, der Christus, der endlich in Israel das „Reich“ wiederherstellt; der „Sohn Davids“, einer aus dem Volk, der das Volk so regiert, dass man darin Gott erkennen kann, den eigentlichen „König Israels“. Für die führenden Pharisäer war er der Gotteslästerer, für die römische Besatzungsmacht vielleicht der Aufrührer gegen den Kaiser. Für viele war er einfach der, dem sie die Heilung ihres Lebens verdanken oder bei dem sie endlich einmal Anerkennung ihrer persönlichen Menschenwürde erlebt haben. Für andere war er einer, den man einfach bewundert, der einem aber auch nicht zu dicht auf die Pelle rücken soll.
Da sagte er zu ihnen:
Ihr aber,
für wen haltet ihr mich?
Ich stelle mir vor: Sie und ich sind da direkt dabei – unter denen, die er so fragt: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Was soll ich denn da sagen?!
Petrus antwortete:
Für den Christus Gottes.
Doch er befahl ihnen
und wies sie an,
es niemandem zu sagen.
Wie kommt Petrus dazu? Und was meint er damit? Mit diesem „Christus“ – hebräisch „der Messias“, der Gesalbte – meinten die einen den politisch regierenden König, andere den, der aus der Kraft von Gottes Geist alles Kranke heilt und überhaupt alles das wahr macht, was Gott durch die Jahrhunderte seinem Volk versprochen hatte …
Und er sagte:
Der Menschensohn
muss vieles erleiden
und von den Ältesten,
den Hohepriestern
und den Schriftgelehrten
verworfen werden;
er muss getötet
und am dritten Tage auferweckt werden. …
Für die meisten Ohren war das neu: ein Messias, der leidet, der verworfen und umgebracht wird! Und „auferweckt“ – was soll das denn?!
Ja, mit dem schon in der alten Bibel immer wieder beschriebenen Führungsstil nach Gottes Art konnten viele sich einfach nicht anfreunden – mit seiner leidenschaftlichen Bereitschaft, alles für die Menschen zu tun – „gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Huld“!
Ja, zum Volk eines solchen Gottes zu gehören, das geht ja nicht, ohne dass dieser Stil auf einen selber abfärbt und das eigene Verhalten in eine ganz neue Richtung lenkt! Also hielt man sich das doch gerne vom Leib.
Diesen wunden Punkt rührt Jesus an:
Zu allen sagte er:
Wenn einer hinter mir hergehen will,
verleugne er sich selbst,
nehme täglich sein Kreuz auf sich
und folge mir nach.
Denn wer sein Leben retten will,
wird es verlieren;
wer aber sein Leben
um meinetwillen verliert,
der wird es retten.
(Lukas 9,18-24)
„Für wen haltet ihr mich? Wer und was bin ich für euch?“ Das zieht Folgen nach sich für mein Selbstverständnis und für mein Handeln: Wer bin ich dann? Und wie kann ich das mit ihm in Beziehung bringen?
Zwei weitere Anregungen dazu deuten die Lesungen vor dem Evangelium dieses Sonntags an:
„In Christus“ – also in Bezug auf alles von Christus beseeltes Miteinander – seid ihr alle gleich geworden, „eins“ geworden: egal ob Freie oder Sklaven, ob männlich oder weiblich, ob einheimisch oder zugewandert. Jenseits aller Unterschiede zählt nur, dass ihr alle gemeinsam zu ihm gehört und dass er euch alle eingliedert in seinen Organismus, der alles dransetzt, dass Menschen leben können! (2. Lesung: Galater 3,26-29)
Und der Blick, mit dem ihr auf die anderen schaut, ändert sich dann grundlegend: Menschen, die ihr gemeint hattet ausschalten zu müssen, die ihr deshalb totgeschwiegen oder durchbohrt habt, – um die werdet ihr dann klagen wie um die eigenen Kinder – im „Geist des Mitleids und des flehentlichen Bittens“. (1. Lesung: Sacharja 12,10-11; 13,1)
Ja, wir werden gut daran tun, uns Klarheit zu verschaffen – jeder Einzelne und wir miteinander – , was Jesus uns bedeutet, wer er für uns ist.
Nachtrag:
„Wer hinter mir hergehen will, verleugne sich und nehme sein Kreuz auf sich! …“ Wenn Ihnen dieser Teil des Evangeliums hier zu kurz gekommen ist, empfehle ich Ihnen „Wer bin ich wirklich?“ https://rainer-petrak.de/wer-bin-ich-wirklich/, mein Verständnis von der Botschaft dieses Sonntags, wie sie sich mir vor drei Jahren erschlossen hat. Oder auch meinen Beitrag von 2011 „Was den Christen am Kreuz so wichtig ist“ https://rainer-petrak.de/was-den-christen-am-kreuz-so-wichtig-ist-flyer/