Blogbeitrag

Mein Morgengebet und Griechenland am 1. Juli

1. Juli 2015

Um Mitternacht war für Griechenland „game over“, wie Schäuble sagt. Weil alles, was von Tsipras kam, einfach zu dem nicht passen wollte, was die Dogmatiker des Raubtierkapitalismus und der ihr hörigen Politik uns mit ihren engstirnigen und verqueren Argumentationen als die „Wahrheit“ verkaufen wollten, zu der es natürlich „keine Alternative“ gibt. Humanität, Menschenwürde und Demokratie haben da eben schlechte Karten. „Wo kämen wir denn hin, wenn …“

Ja, wie kommen wir denn hin zu dem, was in dem Wort steckt „Dein Reich komme!“, mein Herr und mein Gott?!?! Mit dieser drängenden, neugierigen und immer noch hoffnungsvollen Frage begann ich mein Morgengebet: Lesehore und Laudes nach Stundenbuch – persönlich präsent und mit viel Zeit.

Das fing schon mal gut an: „… verworr’nes Chaos dieser Welt …“ – da fühlte ich mich sofort gut verstanden von Einem, der das auch so sieht. „… entweicht und flieht! …“ Oh ja! „So soll, … was schwer uns auf dem Herzen liegt, aufbrechen unter deinem Licht und dir sich öffnen, Herr und Gott.“ Worte des Hymnus. Und dann der von mir geliebte Psalm 18, den man nur schwarz oder weiß hören kann, je nachdem, auf welcher Seite man steht: entweder bei den „Stolzen“, den „mächtigen Feinden, die stärker waren“ oder beim „bedrückten Volk“ in seiner „Not“. Klar ist, auf welcher Seite der Psalm steht und wer immer ihn betet. Klar, auf welcher Seite Der steht, an den das Gebet sich richtet. Wer schon seine Erfahrung mit diesem Gott gemacht hat, kann da nur in Bildern beschreiben, was geschieht, wenn Er mit Seinem „Reich“ „kommt“, wenn Er als herrschende Kraft wirkt: „Da wankt und schwankt die Erde“. Da gerät das bisher herrschende System aus den Fugen. Da werden „sichtbar die Tiefen des Meeres und die Grundfesten der Erde entblößt“. Da wird deutlich, was die Grundlagen dessen sind, was die Menschen bedrängt und bedroht. Und angesichts des ungewohnten Aufwands, der für das Gemeinwohl Partei ergreift und die Hüter der alten neoliberal beherrschten Ordnung ratlos macht und verängstigt, atmen Menschen auf: „Er griff aus der Höhe herab und fasste mich, zog mich heraus aus gewaltigen Wassern.“ Nämlich: „Er entriss mich meinen mächtigen Feinden, die stärker waren als ich und mich hassten.“

Tausend Fragen kamen mir in den Sinn. Wie soll denn in dieser Krise der konkrete Ausweg aussehen?!

Da musste ich bei dem Bibeltext lachen, der (im 1. Buch Samuel, Kapitel 11) von einer verblüffend ähnlichen Situation aus Urzeiten erzählt: Das Volk in „Jabesch Gilead“ ist in Not. Die „Ammoniter“ bedrängen und belagern sie. Jabesch, in seiner Ausweglosigkeit, ist bereit sich zu fügen, ist dabei aber auf seine Würde und Souveränität bedacht und verlangt deshalb vom Ammoniter-Führer Nahasch: „Schließ einen Vertrag mit uns!“ Der aber erwidert ihnen: „Unter einer Bedingung …: Ich steche euch allen das rechte Auge aus …“ Da befragt Jabesch das ganze Volk, das sich dem Gott verschrieben hat, bei dem der Mensch was gilt. Wie wird es entscheiden? Nach dem Verständnis des alten Kirchenlehrers Beda aus dem 8. Jahrhundert (im Stundenbuch zur weiterführenden Lesung angeboten) geht es um die Entscheidung „Wer nicht auszieht … aus der Lebensart seiner Väter … gemäß den Mahnungen des Evangeliums und der Propheten …, wer sich nicht zur Aufnahme des geistlichen Kampfes rüstet, sei es durch deutlichen Fortschritt in seinem Verhalten, sei es durch die heilsame Betrachtung des Wortes, der wird damit rechnen müssen, dass es ihm … ergehen wird“ wie allen anderen, die sich mehr auf die Weisheit des mainstream und alle Geld-verehrenden Götzen verlassen als auf Gott. Und was sagt das 1. Samuel-Buch, wie das Volk sich damals entschieden hat? Im Vertrauen auf Den, der „herausführt aus der Not“, sagt das Volk „Nein“. Und das Ergebnis, von dem die Bibel erzählt, hallt wider in den Schlussworten von Psalm 18: „Mit dir erstürme ich Wälle, mit meinem Gott überspringe ich Mauern.“

Skeptisch wie ich bin, habe ich mich gefragt, ob ich mit solcher Art des „Hörens“ die Analogien und Übereinstimmungen zwischen den Worten der Bibel und den Ereignissen um Griechenland heute nicht überziehe. Mit dieser Skepsis setzte ich mein Morgengebet fort.

Gleich bei Psalm 36, dem 1. Psalm der „Laudes“, machte es in mir „klick“ angesichts der Worte „kein Erschrecken vor Gott“. Nein nein, den Finanziers und ihren Politikern muss es um die Eigengesetzlichkeit von Wirtschaft und Finanzen gehen. Bedenken von Humanität oder gar „Gott“ wäre da eine Verfehlung gegenüber unserer pluralistisch verfassten Gesellschaft und ein Mangel an Professionalität. Also wer da verantwortlich handelt, „in dessen Augen gibt es kein Erschrecken vor Gott“. Sich „schuldig zu machen“ hinsichtlich gottgewollter Humanität? Gegebenenfalls „gefällt er sich darin“. „Unheil plant er“, „der Frevler“, „und scheut nicht das Böse“. Dem gegenüber bekennt sich der Psalm-Beter: „Herr, deine Güte … deine Gerechtigkeit … deine Urteile … du hilfst Menschen … Gott, wie köstlich ist deine Huld! … Lass mich nicht kommen unter den Fuß der Stolzen; die Hand der Frevler soll mich nicht vertreiben.“

Und dann auch noch dieser Lobgesang der Judith, der es mit ihren sehr ungewöhnlichen und überhaupt nicht anerkannten Methoden gelungen ist, die herrschende Macht zum Abzug zu bewegen und das Volk vor dem Untergang zu bewahren: „Stimmt ein Lied an für meinen Gott unter Paukenschall … Denn der Herr ist ein Gott, der den Kriegen ein Ende setzt. … Herr, du bist groß und voll Herrlichkeit!“

Und wie um meine letzte Zurückhaltung und Skepsis unbedingt beiseite zu wischen, begann der dann folgende Abschnitt aus dem Buch Tobit: „Was dir selbst verhasst ist, das mute auch einem anderen nicht zu! Gib dem Hungrigen von deinem Brot …“ Ich musste an die sogenannten „Geldgeber“ denken. Ätzende Sprechweise, aber selbstverständlich für Politiker wie für die Medien! Als ob diejenigen „Geber“ wären, die das Brot, das sie geben, wieder zurück haben wollen – und zwar nach Konditionen, die das Kreditgeschäft lohnen – und mit dem Vorwand sich zum „Geber“ gerieren, das sei doch alles eh verlorenes Geld – entgegen der Erfahrung gerade Deutschlands, dass auch noch nach 100 Jahren verloren geglaubte Schulden (aus dem 1. Weltkrieg) vollständig zurückgezahlt werden – woran dankenswerter Weise Gesine Schwan erinnert hat – . Und das auch noch, obwohl gerade Deutschland sich im Marshall-Plan als Empfänger von wirklich gegebenem Geld (auch von Griechenland!) erfreuen durfte!

Und als Antwort auf die Lesung aus dem biblischen Buch Tobit wurde mir als Christ (also nicht nur mir!) zugemutet: „Zu deinen Geboten neige mein Herz, deinem Gesetz will ich folgen.“ Und wie zur Ermutigung noch einmal: „Belebe mich durch deine Weisung! Deinem Gesetz will ich folgen.“

Zum I-Tüpfelchen wurde mir dann im abschließenden Gebet der Satz „Mach uns zu deinen Zeugen unter den Menschen!“ Da wurde mir klar, dass ich diese Gedanken, Regungen, Eingebungen hier öffentlich machen will. Treu nach dem Motto „Den Retter-Gott ranlassen“!!!

Rainer Petrak
1. Juli 2015

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