Wie schön, dass Gabi Burgstaller den Jean Ziegler wieder ausgeladen hat! Seine pointierte Kritik an den Superreichen und den von ihnen dominierten Strukturen wäre nie so bekannt geworden, wenn er seine Rede vor den Reichen und Schönen zur Eröffnung der Salzburger Festspiele hätte halten dürfen. Der Schweizer Soziologe, Expolitiker und frühere UN-Sonderbeauftragte hätte wohl die SPÖ-Landeshauptfrau in Erklärungsnöte gebracht, wie sie durch seine Einladung die crème de la crème mit so viel ungeschminkter Wahrheit konfrontieren kann, wo man doch einfach unter sich nur ein schönes Kultur-Event erleben wollte. Da aber die Frankfurter Rundschau, gewieft wie sie nun mal ist, den Text der ungehaltenen Rede auch mir original zugänglich gemacht hat (mit ihrer Ausgabe vom 26.7.2011), kann ich diese Gedanken nicht bei mir behalten:
Was für ein System!
Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. Fast eine Milliarde Menschen sind permanent schwerstens unterernährt. Obwohl die Weltlandwirtschaft das Doppelte der Weltbevölkerung ernähren könnte. Ziegler spricht von einer „kannibalische(n) Weltordnung“: „Ein Kind, das am Hunger stirbt, wird ermordet.“ 1
Amerikas Reiche zahlten noch in den 50er Jahren 91 Prozent Steuern auf ihre Einkünfte. Seit Reagan immer weniger. Dank unzähliger Steuerschlupflöcher führen heute die 400 reichsten Amerikaner im Schnitt nicht mehr als 18 % an den Staat ab. Aber: „Das obere 1 % besitzt heute 40 % des Volksvermögens.“ So Nobelpreisträger Paul Stieglitz. Und Robert Reich, unter Präsident Clinton Arbeitsminister: Wenn die Spitzenverdiener heute die Steuern bezahlten, die sie vor einem halben Jahrhundert entrichteten, kämen Billionen in die Staatskasse – „genug, um die Schulden nachhaltig zu reduzieren.“2
In Deutschland besaßen 2007 1,4 % aller Haushalte 80 % des Produktivvermögens, und 13 Millionen Menschen lebten 2010 in wirtschaftlich prekären Verhältnissen.3
Laut Weltbankstatistik haben 2010 die 500 größten Privatkonzerne 52,8 Prozent des Weltbruttosozialprodukts kontrolliert.Während der Aufschwung den Konzernen Rekordsummen bringt, sind Regierungen und Arbeitnehmer hoch verschuldet. Die Konzerne wollen die Gewinne für ihre Kapitaleigner behalten. Ziegler dazu: „Die total entfesselte, sozial völlig unkontrollierte Profitmaximierung ist ihre Strategie. Und er spricht von „strukturelle(r) Gewalt des Kapitals.“ 1 Und der Nigerianer Nnimmo Bassey, internationaler Leiter der Friends of the Earth (alternativer Nobelpreis 2010): Die großen Konzerne „tun erst das Richtige, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen.“4
Patrick Artus, Ökonom bei der französischen Bank Natixis: „Die gute Situation der Unternehmen ist Folge einer langjährigen Umverteilung von den Lohnempfängern zu den Firmen.“5
Und die Regierungen (und ihre Wähler) lassen das samt allen unmenschlichen Konsequenzen zu! (Nicht Gott!)
Als wesentliche Ursache der US-Schuldenkrise identifiziert Paul Krugman (wie andere Wirtschaftsexperten), was er „den Steuerfundamentalismus der Republikaner“ nennt: „Die Behauptung, niedrigere (Steuer-)Sätze führten zu höherem Wachstum und mehr Einnahmen, sei über die vergangenen drei Jahrzehnte als ‚Angebots-Voodoo’ hinreichend widerlegt worden: Während Amerikas Spitzenverdiener immer weniger Steuern zahlten, stieg die Schuldenkurve steil an.“ Verglichen mit den hohen Steuern, die Amerikas Reiche noch in den 50er Jahren zahlten, … „müsste die Wirtschaft heute nur so brummen.“ Aber die Verbindlichkeiten wuchsen von 5 Billionen im Jahr 2000 auf heute 14,3 Billionen US-Dollar. … „Bereits heute fehlt das Geld, in Straßen, Schulen und Stromnetze zu investieren. Gleichzeitig wird die Kluft zwischen Armen und Reichen immer größer.“ 2
Für den Nobelpreisträger Paul Stieglitz zeichnet sich eine „systematische Ent-Solidarisierung“ ab: „Je größer die Kluft in einer Gesellschaft wird, desto weniger sind die Wohlhabenden bereit, sich an Gemeinschaftsausgaben zu beteiligen.“ 2
„Wegen des Zusammenbruchs der Finanzmärkte sind die Hedge-Fonds und andere Groß-Spekulanten auf die Agrarrohstoffbörsen umgestiegen. Mit Termingeschäften, Futures usw., treiben sie die Grundnahrungsmittelpreise in astronomische Höhen. Was ist die Folge? Weder Äthiopien, noch Somalia, … konnten Vorräte anlegen … Dazu kommt: Die Länder des Horns von Afrika sind von ihren Auslandschulden erdrückt. Für Infrastrukturinvestitionen fehlt das Geld. In Afrika südlich der Sahara sind bloß 3,8 Prozent des bebaubaren Bodens künstlich bewässert. … Die Dürre tötet ungestört.“ 1
Marktradikales Denken setzt sich durch. Der Staat zieht sich aus der Wirtschaft zurück. Sozialleistungen werden abgebaut.3 Das Kräftespiel der Märkte stärkt die Mächtigen, die Schwachen werden missachtet. So wird die Habgier von einigen Superreichen zum alles beherrschenden Wirtschaftsfaktor, von der Politik – entgegen allen demokratischen Prinzipien – unterwürfig hofiert. Das Kapital, in entfesselter Habgier als Massenvernichtungswaffe im Krieg gegen die Armen missbraucht, lacht dem „Gewalt-Monopol des Staates“ Hohn und ignoriert das Risiko einer ebenso gesetzlosen Gegengewalt eines verarmten Mobs, der eh nichts mehr zu verlieren hat.
Forderungen:
- Wiederherstellung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im sozialen Rechtsstaat!
- Primat der Politik vor der „Wirtschaft“!
- Schuldenabbau bei gleichzeitigem Stopp der Entsolidarisierung!
- Einführung von Reichen-, Vermögens- und Finanztransaktionssteuer, Reform der Erbschaftssteuer!
Wer kapitalstark zocken will, gehe ins Spielcasino, missbrauche aber für seine habgierige Zockerei nicht die Armen, die Weltwirtschaft und die Staaten! US-Präsident Obama formuliert es dezent: „Wenn die Armen massive Kürzungen von Sozial- und Gesundheitsprogrammen schlucken müssen, dann müssen auch die Reichen etwas geben.“ 6
Also – damit sich was tut – wer ergreift welche Initiative?
Und was hat das mit Gott und seinen Christen und seinem „Reich“ zu tun?
Christen können für einen Wandel sorgen. Natürlich auf demokratischen Wegen. Gemäß dem Bekenntnis ihres Vertrauens auf Gott und sein Wort. Denn durch die alte Bibel will Gott auch für die heutige Welt seine rettende Botschaft realisieren. Wenn dieser Glaube die politische Willensbildung der Christen prägt, so dass immer mehr Gott als herrschender Kraft Raum gegeben wird, ergeben sich Perspektiven und Chancen für eine humanere Welt:
Ihr sorgt euch nicht über den Untergang des Volkes. Ihr nehmt von den Hilflosen Pachtgeld an und belegt ihr Getreide mit Steuern, … Ihr sagt: Wann ist der Feiertag vorbei? Wir wollen Getreide verkaufen. … Wir wollen mit Geld die Hilflosen kaufen, für ein paar Sandalen die Armen. … Sollte deshalb die Erde nicht beben, sollten nicht alle ihre Bewohner voll Trauer sein? (Amos 6,6; 5,11; 8,5-6.8)
Ich habe mich … ereifert, als ich sah, dass es diesen Frevlern so gut ging. Sie leiden ja keine Qualen, ihr Leib ist gesund und wohlgenährt. Sie … sind nicht geplagt wie andere Menschen. Darum ist Hochmut ihr Halsschmuck, wie ein Gewand umhüllt sie Gewalttat. …, ihr Herz läuft über von bösen Plänen. Sie höhnen, und was sie sagen, ist schlecht; sie … reden von oben herab. Sie reißen ihr Maul bis zum Himmel auf und lassen auf Erden ihrer Zunge freien Lauf. Wahrhaftig, so sind die Frevler: Immer im Glück, häufen sie Reichtum auf Reichtum. (Psalm 73,3-9.12 )
Lasst ab von eurem üblen Treiben! Hört auf, vor meinen Augen Böses zu tun! Lernt, Gutes zu tun! Sorgt für das Recht! Helft den Unterdrückten! Verschafft den Waisen Recht, tretet ein für die Witwen! (Jesaja 1,16-17)
Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. (Lukas 1,52-53)
Bei Gott und bei denen, die sich von ihm leiten lassen – also dort, wo sein „Reich“, wo er als herrschende Kraft wirklich gewollt und anerkannt wird, gilt
- der Vorrang der universalen Menschenwürde und Menschenrechte und des Allgemeinwohls
vor den Interessen einer kleinen Gruppe von Superreichen - der Vorrang der menschlichen Arbeit als einem der menschlichen Person unmittelbar eigenen Wert
vor den Interessen des Kapitals als einem nur mittelbar menschlichen Wert (Laborem exercens), - die vorrangige Option für die Armen
im Sinne von Solidarität und Subsidiarität.
[16.8.2011 – Rainer Petrak]
1 Jean Ziegler, Der Aufstand des Gewissens – FR 26.7.2011
2 Thomas Spang, Wie ein einzelner Lobbyist den Staat abschafft – FR 30.7.2011
3 Wolfgang Kessler, Hessen in der Krise – Wege aus der Krise – Vortrag in Frankfurt am 6.2.2010
4 laut FR 5.8.2011 über den Shell-Skandal im Niger-Delta
5 Stephan Kaufmann, Modell ohne Zukunft – FR 29.7.2011
6 Peer Meinert und Gaby Chwallek, Im Blickpunkt: Schuldendeal mit Risiken – Waltroper Zeitung 2.8.2011