Blogbeitrag

Mittagspause auf Kreta

Worauf kommt’s entscheidend an?

16. November 2020

Meinen Urlaub auf Kreta in diesem Sommer habe ich zum Rückzug aus diversen „Herausforderungen“ genutzt. Zu mir selber kommen war angesagt – zwischen Nichtstun, auf meiner abgelegenen Terrasse, und Wandern, allein in den Bergen. Immer wieder spürte ich die Frage in mir „Worauf kommt’s eigentlich an?“ Was ist mir wichtig? Was erscheint mir wichtig? Und woran entscheide ich das?

Die Fragestellung

Corona-Sommer. Entscheidungen. – Neuausrichtung des Lebens? –

Und dazu fallen mir die vielen Menschen ein, die nicht das Privileg haben wie ich, gut versorgt und in stabilen Verhältnissen sich mit solchen Fragen zu beschäftigen. Durch bedrängende Bedingungen sehen sich gerade jetzt wieder viele Menschen zu nächsten Schritten gezwungen, damit es erst mal weitergehen kann – für sie selber und für die, mit denen sie zusammenleben.

Und dann denke ich an die politischen Diskussionen: „Selbstverantwortung“ contra „Sozialstaat“, „Verteilungsgerechtigkeit“ contra „Sozialneid“, „Leistungsträger“ contra „Sozialschmarotzer“, … und seit neuestem die Debatte um die Frage, welche Branchen, Berufe, Personen, … „systemrelevant“ sind und welche Konsequenzen daraus zu ziehen seien.

Was ist wichtig angesichts der Bedrohung durch das neue Corona-Virus und der Maßnahmen zum Schutz gegen seine Ausbreitung?

In tausend diversen Gegebenheiten des persönlichen Lebens wie auch der Politik auf allen Ebenen stellt sich die Frage: Worauf kommt es an? Was ist wichtig?

Versuch einer Antwort

Im Jahr 1925 bezogen die Menschen in vielen Gegenden der Erde diese Frage mit besonderer Dringlichkeit auf ihre damalige politische Situation. Eine Reihe von Königreichen hatte ihr Ende gefunden. Kommunismus, Kapitalismus, Nationalsozialismus – alle wollten sie sich als die neue Ordnung durchsetzen.

Der Glaube der Christen setzte dagegen! Mit einem besonderen Tag im Jahr, festlich gestaltet, wollten sie erst einmal Christus in die öffentliche Aufmerksamkeit bringen. Sein menschenfreundliches Evangelium sollte zur prägenden Kraft in der Gesellschaft werden. Mit dem „Christkönigsfest“ sollte seine Herrschaft anderer Art Anerkennung finden als Fundament einer zukünftigen Ordnung. Sein Einfluss sollte Hoffnung bringen für die aus den Fugen geratene Welt.

Das neue Christkönigsfest wurde in Deutschland schnell populär. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde es für viele zur Kraftquelle, sich gegen die Nazis aufzulehnen. Die katholische Jugend verband ihren Protest gegen den Führerkult mit ihrem Bekenntnis zu Christus als dem „König“. Unser „König“ ist Christus, verkündeten sie. Das war mehr als ein Lippenbekenntnis. Viele sind wegen dieses Bekenntnisses verfolgt oder umgebracht worden – in der Nazi-Zeit ebenso wie in der Römer-Zeit.

Schon die frühen Christen hatten den Protest gegen einen alles beherrschenden Gott-König zum festen Bestandteil ihres Gottesdienstes gemacht:

Den Huldigungsruf „Kyrie eleison!“, also „Herr, erbarme dich!“ – statt ihn wie alle Welt an den Kaiser zu richten, riefen sie Christus zu. Das hieß: „Nichts und niemand soll bei uns alles beherrschen. Nur Jesus Christus soll unser Herr sein!“

Christkönigsfest / Lesejahr A (am 22. November 2020)

Worauf kommt’s entscheidend an?

Katholische Gottesdienste bezeugen und feiern an diesem Sonntag Jesus Christus als „das Alfa und das Omega“, das A und O für die Geschichte auch unserer Tage. Es ist der letzte Sonntag im Kirchenjahr, bevor wir mit dem 1. Adventsonntag ein neues anfangen. Dieser Sonntag ist eine Aussichtsplattform sozusagen, von der aus wir Ausschau halten nach der endgültigen, zuverlässigen Vollendung, auf die hin unsere Geschichte vorwärtsstrebt.

Für glaubende Christen kreist alles um Jesus Christus. Er ist das Zentrum und das Ziel. Um uns samt unserer Welt voranzubringen, versammelt er uns um sich als seine Mit-Glieder. Damit er sich in unserm Leben zeigen kann: Er, der uns liebt und rettet und heilt und befreit; der mit uns, mit unserer ganzen Welt alles zum Guten führt – überall, wo er als Herrscher gewollt, anerkannt und zugelassen wird.

Die Botschaft dieses Sonntags …

… geht allerdings weitgehend unbeachtet unter – angesichts der knappen Zeit, die für einen sonntäglichen Gottesdienst zur Verfügung steht, in dem – wenn überhaupt – es nur eines von mehreren Interessen ist, auf das zu hören, was Gott uns heute ausrichten lässt und was sofort zum Anlass einer großen Feier von Tod und Auferstehung Christi wird.

Das für die Menschen Großartige, was da vernachlässigt wird, soll hier wenigstens angedeutet werden.

Was für eine drastische Sprache – hier in der Bibel!

Da horchen sie auf, die kleinen Leute, die armen und benachteiligten, auf deren Kosten sich eine kleine mächtige Schicht sich bereichert hat!

Dazu die Befreiungsmusik der Prophetenworte:

Und für ihre Ohren wird zur Musik, zur Befreiungs-Musik die Fortsetzung der Propheten-Worte, die an diesem Sonntag als Lesung im Gottesdienst zu hören sind:

Seine leidenschaftliche Sorge für die Geringgeachteten:

Dank Michelangelo und dank des „Dies irae“ im Requiem haben auch viele Menschen jenseits von Glaube und Kirche bereits mit dem Weltgericht Bekanntschaft geschlossen. Sogar bei Google erscheint das internationale Weltgericht in Den Haag in der Reihenfolge erst nach zahlreichen Hinweisen, die alle das „Jüngste Gericht“ aus dem Evangelium meinen.

Was ist es aber, was da so prominent bekannt zu sein scheint? – Vermutlich am meisten verbreitet ist die Vorstellung von einem majestätisch mächtigen Richter, der die große Unterscheidung vornimmt: Die Guten kommen mit seinem Segen auf die eine Seite, nämlich in den Himmel, und die Bösen kommen mit seinem Fluch auf die andere Seite, nämlich in die Hölle. Menschen mit dieser Vorstellung reagieren unterschiedlich darauf: schuldbewusst-ängstlich den Kopf einziehen, um Milde und Gnade flehen, selbstzufrieden sich die Hände reiben, theologisch über Gottesbilder heftig streiten, mit einem verächtlichen Lächeln zur Tagesordnung übergehen, …

Wahrscheinlich hat es diese diversen Reaktionen schon in der Antike gegeben. Auf dem Markt der alten orientalischen Religionen kannte man das Bild vom Weltgericht schon lange. Die Frage nach Ursprung und Sinn und Ziel von Gut und Böse hat die Menschen halt schon immer beschäftigt.

Und dieses allen vertraute Bild greift Jesus auf und gibt – als Evangelium dieses Sonntags! – eine radikal erneuerte Antwort auf die Frage, worauf es denn entscheidend ankommt, wenn es darum geht, das menschliche Gemeinwesen positiv zu gestalten.

  • Er unterscheidet zwischen den Völkern.
    „Alle Völker“ wird er „voneinander scheiden“.
  • Sein entscheidendes Hauptaugenmerk gilt der Frage, ob bei einem Volk gewährleistet ist, dass die Hungrigen und Durstigen zu essen und zu trinken bekommen, dass die Fremden aufgenommen, die Entblößten würdig bekleidet und die Kranken und die im Gefängnis nicht allein gelassen werden.
  • Völlig verblüffend ist, dass bei dieser Unterscheidung zwischen den Völkern ausdrücklich als nicht entscheidend genannt wird, ob sie sich zu ihm bekannt haben als dem HERRn oder nicht. Stattdessen identifiziert Jesus in seinem Bild vom Weltgericht den Richter-König total mit den sogenannten „Geringsten“ der Menschen; er ist mit ihnen verwechselbar: „Wann haben wir dir …???“

Die Botschaft: Mit der Leidenschaft des Mensch gewordenen Gottes erkennt Jesus an, dass die Lebensbedingungen im Gemeinwesen unterdrückende oder befreiende Macht haben über die Entscheidungen, nach denen die einzelnen Menschen ihr Leben und ihr Verhalten gestalten können. Damit nimmt er allen, die ein schlechtes Gewissen gemacht bekommen haben, das belastende Joch ab. Zugleich gibt er ihnen die Würde zurück, selbst und in Gemeinschaft mit den anderen verantwortlich zu sein für die politische Gestaltung des Gemeinwesens. Nicht zu übersehen ist, dass in dieser Tradition – auch im heutigen Ezechiel-Text – der zukünftig neu herrschende „König“ und „Hirt“ nicht wieder die alte Fremdbestimmung erneuert – sei sie noch so freundlich oder fromm – , sondern dass er aus Davids Geschlecht kommt, also aus den eigenen Reihen!

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