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am wichtigsten

1. September 2022

Sonntagsbotschaft zum 4. September 2022, dem 23. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C). 

In entspannten Urlaubszeiten – auf Abstand zu den Erfordernissen des Alltags – hat mich schon oft die Frage beschäftigt „Was ist wichtig?“

Manchmal ging es mir mit dieser Frage darum, dass es doch – irgendwie objektiv gesehen – etwas geben muss, was wichtiger ist als alles andere, und ich wollte das gerne erkennen und verstehen.

Andere Male ging es mir – in etwas kleinerem Format – darum, dass es doch in meinem Leben sicher etwas gibt, was ich wichtiger nehmen sollte als Anderes.

In den letzten Jahren stellt sich mir die Frage wieder etwas anders: „Was ist mir wichtig?“

Wer mich gut kennt, hat sicher einen Eindruck davon, was mir wichtig ist und was weniger. Nicht nur auf Grund dessen, wovon ich gerne rede; auch an meinem Verhalten können andere Menschen etwas davon erkennen.

  • Wem es wichtig ist, sich ein Auto anzuschaffen oder einen schönen Urlaub zu verbringen, lässt sich das oft viel Geld kosten.
  • Wem es wichtig ist, seinen Kindern gute Eltern zu sein oder in der beruflichen Karriere zügig voranzukommen, lässt sich das oft viel Zeit und Mühe kosten.
  • Wem es wichtig ist, die Ehe oder eine Freundschaft auch durch Spannungen durchzubringen, lässt sich das oft so manches Zurückstecken beim Durchsetzen eigener Interessen kosten.
  • Manchen ist die „Sportschau“ sehr wichtig – oder auch der Mittagsschlaf und sie reagieren unwirsch bei Störungen: „Könnt ihr mich nicht mal einen Augenblick in Ruhe lassen!“
  • Oder irgendwelche Belange aus der Berufsarbeit, für die sie sich von der Familie abschotten.

Wenn ich selber versuche, mit einer gewissen Portion Neugier oder Skepsis oder auch selbstkritisch darauf zu schauen, wofür ich meine Zeit verwende, woran ich Freude finde, wie ich mich gegenüber anderen Menschen verhalte, … – dann kann auch ich daran sehen, was mir anscheinend wie wichtig ist. Und dann kann ich das mit dem vergleichen, wovon ich in meinem Denken überzeugt bin, dass es wirklich am wichtigsten sei.

Dabei kann es auch passieren, dass mir eine andere Frage in die Quere kommt: Wenn mir etwas noch so wichtig ist, mir aber die Möglichkeiten dazu fehlen, täte ich gut daran, entweder dafür zu sorgen, dass es mir möglich wird – etwa wenn ich mich unbedingt mit Chinesen in ihrer Muttersprache unterhalten will, sollte ich halt Chinesisch lernen – oder aber ich schminke mir die Idee ab.

Jesus illustriert das Problem im Evangelium dieses Sonntags mit zwei Beispielen, die der Alltagswelt und der Mentalität seiner damaligen Gesprächspartner nahe liegen:

Wenn einer von euch
einen Turm bauen will,
setzt er sich dann nicht zuerst hin
und berechnet die Kosten,
ob seine Mittel
für das ganze Vorhaben ausreichen?
Sonst könnte es geschehen,
dass er das Fundament gelegt hat,
dann aber den Bau nicht fertigstellen kann.
Und alle, die es sehen, würden ihn verspotten
und sagen: Der da hat einen Bau begonnen
und konnte ihn nicht zu Ende führen.

Oder wenn ein König
gegen einen anderen in den Krieg zieht,
setzt er sich dann nicht zuerst hin und überlegt,
ob er sich mit seinen zehntausend Mann
dem entgegenstellen kann,
der mit zwanzigtausend gegen ihn anrückt?
Kann er es nicht,
dann schickt er eine Gesandtschaft,
solange der andere noch weit weg ist,
und bittet um Frieden.
(Lukas 14,28-32)

Der Zusammenhang, in dem Jesus beide Beispiele nennt, ist die Frage, die anscheinend die Menschen beschäftigte, die mit ihm gingen:

Wie wichtig ist es eigentlich und wie wichtig ist es mir, in Verbindung mit Jesus zu stehen, zu seinen Jüngern zu gehören, ein Christ zu sein?

Da macht Jesus darauf aufmerksam: Das hängt mit der anderen Frage zusammen, inwieweit meine Einstellung zum Leben und auch äußere Bedingungen mir das möglich machen oder mich daran hindern. Wenn ich mir das nicht klar mache, riskiere ich Scheitern und Spott wie der ambitionierte Turmbauer oder wie der König, der sich und seine militärischen Möglichkeiten unbedacht überschätzt.

Dazu gibt es in den Gottesdiensten dieses Sonntags ein weiteres Beispiel in der 2. Lesung. Die Situation ist die: Paulus ist im Gefängnis, lebt dort relativ frei. Er lernt einen jungen Mann kennen mit Namen Onesimus. Onesimus lässt sich von ihm taufen; er wird ein Christ. Nun aber ist Onesimus ein Sklave, der seinem Eigentümer mit Namen Philemon davongelaufen ist. Wehe, der erwischt ihn einmal; dann erlaubt ihm das Recht, mit ihm zu machen, was er will, auch, ihn mit dem Tod zu bestrafen! Glücklicherweise kennt Paulus den Philemon; er kennt ihn als einen Bruder in Christus, als einen Christen. Und da tut Paulus etwas für den entlaufenen Sklaven Riskantes; etwas, was für den Philemon eine große Zumutung wird:

Er schreibt einen kurzen, sehr persönlichen Brief an Philemon; mit dem soll Onesimus zu seinem Herrn zurückkehren. Offensichtlich traut Paulus dem Philemon zu, dass er das mit seinem Christsein ernst nimmt und sich selbst damit nicht überschätzt hat:

Lieber Bruder!
Ich, Paulus, ein alter Mann,
jetzt auch Gefangener Christi Jesu,
ich bitte dich für mein Kind Onesimus,
dem ich im Gefängnis zum Vater geworden bin.
Ich schicke ihn zu dir zurück,
ihn, das bedeutet mein Innerstes.
Ich wollte ihn bei mir behalten,
damit er mir an deiner Stelle dient
in den Fesseln des Evangeliums.
Aber ohne deine Zustimmung
wollte ich nichts tun.
Deine gute Tat soll nicht erzwungen,
sondern freiwillig sein.
Denn vielleicht wurde er deshalb
eine Weile von dir getrennt,
damit du ihn für ewig zurückerhältst,
nicht mehr als Sklaven,
sondern als weit mehr:
als geliebten Bruder.
Das ist er jedenfalls für mich,
um wie viel mehr dann für dich,
als Mensch und auch vor dem Herrn.
Wenn du also mit mir Gemeinschaft hast,
nimm ihn auf wie mich!
(Philemon 9b-10.12-17)

Leider wissen wir nicht, was dann bei der Rückkehr des Onesimus zu Philemon ablief. Jedenfalls erwähnt der Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Kolossä als einen von zwei Abgesandten des Paulus einen „Onesimus, den treuen und geliebten Bruder“.

Paulus traut und mutet dem Philemon zu, dass es ihm wichtiger ist, sich als Christ zu verhalten, als auf seinem Recht auf Bestrafung des entlaufenen Sklaven zu bestehen.

Das macht besonders deutlich, was Jesus im Evangelium des Sonntags allen ans Herz legt, die zu ihm gehören wollen.

Es geht um die Frage: Welchen Stellenwert hat es für mich, mein Leben als Christus zugehörig zu gestalten – vor allem dann, wenn das im Konflikt steht zu anderen Interessen, die mir auch wichtig sind?

Was Jesus da sagt, klingt grenzwertig kompromisslos, hart und streng:

In jener Zeit
begleiteten viele Menschen Jesus;
da wandte er sich an sie
und sagte:
Wenn jemand zu mir kommt
und nicht Vater und Mutter,
Frau und Kinder, Brüder und Schwestern,
ja sogar sein Leben gering achtet,
dann kann er nicht mein Jünger sein.
Wer nicht sein Kreuz trägt und hinter mir hergeht,
der kann nicht mein Jünger sein.

Und dann bringt er die beiden Vergleiche mit dem Turmbauer und dem König. Als Schlussfolgerung endet der Evangeliums-Abschnitt mit seinem Satz:

Ebenso kann keiner von euch mein Jünger sein,
wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.
(Lukas 14,25-33)

Den Anstoß, den der Text erregt, kann ich weder Ihnen noch mir ersparen. Aber ich möchte mich tastend heranhorchen, was darin seine gute und wichtige Botschaft ist – „Evangelium“.

Also – genau was sagt Jesus hier eigentlich?

Als Lebensfelder, in denen es zum Konflikt kommen kann mit den Belangen des Christseins, benennt er:

  • Menschen, die einem am nächsten stehen.
  • Er fügt an: das eigene Leben.
  • Und am Ende nennt er den Besitz; den „ganzen Besitz“.

Voraussetzung dafür, sinnvoll Christ sein zu können, wenn man nicht daran scheitern und Spott und Hohn ernten will, ist, das alles „geringzuachten“.

Oh!

Im griechischen Text, im Original, steht da sogar das Wort, das laut Wörterbuch mit dem Wort „hassen“ zu übersetzen ist: Wer nicht seine Nächsten und sein eigenes Leben „hasst“ … Das klingt ja noch schlimmer! –

Ich weiß nicht, warum die Übersetzer das mit „geringachten“ übersetzt haben. Vielleicht steckt da auch schon das Bestreben dahinter, das Ganze etwas weniger anstößig zu machen: Es kann doch nicht im Sinn von Jesus liegen, Ehepartner, Kinder, Eltern, Geschwister usw oder sich selber zu „hassen“! Es liegt sicher nicht in seinem Sinn.

Vielleicht liegt eine – weder verharmlosende noch beschönigende – Erklärung darin, dass es in der aramäischen Ursprache, in der Jesus gesprochen hat, keine Vergleichsform gibt, keinen Komparativ. Also man kann da nicht wörtlich sagen „Wer mich mehr liebt als …“, sondern wer das sagen will, formuliert „Wer mich liebt im Vergleich zu …“

Das griechische Matthäus-Evangelium lässt an dieser Stelle (Mt 10,37) Jesus sagen:

„Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.“

Was dort mit „mehr als mich“ flüssig übersetzt ist, heißt im griechischen Text υπέρ εμέ – hyper emé. Ins Deutsche kann man das nur etwas umständlich übersetzen. Die gewichtige Betonung darin bedeutet: „Wessen Liebe zu Vater oder Mutter, zu Sohn oder Tochter die Liebe zu mir noch übersteigt oder übertrifft, …“

Wenn ich mich da hineinhöre, geht es also nicht wirklich um einen Vergleich im Sinne einer Konkurrenz oder um eine Aufforderung, andere etwa weniger zu lieben. Vielmehr geht es um die Grundorientierung des Lebens, die sich in der Liebe an Jesus festmacht. Die vorausgesetzt, duldet natürlich nicht, dass im konkreten Fall mir irgendein Interesse des eigenen Lebens oder die Beziehung zur Familie oder die Sicherung meines Besitzes diese Grundorientierung verletzt und darüber hinaus geht. Vielmehr schließt diese Grundorientierung, dieser Sinn des Lebens – das „Reich Gottes“ –  all das andere ein. „Euer Vater weiß, dass ihr das braucht“, hatte Jesus gesagt (Lukas 12,30).

Es geht also darum, die Mitte des Ganzen nicht zu verlieren, die erst all dem seinen Wert gibt und in der konkreten Situation der Wert-Maßstab für all das ist und es gewährleistet.

Mit den beiden Bildern vom Turmbauer und von dem Krieg führenden König sagt Jesus all denen, die ihr Christsein nicht als Grundorientierung ihres Lebens sehen, sondern nur als einen Lebensbereich unter vielen: „Ich erwarte von euch, dass ihr euch klar Rechenschaft ablegt, so wie ihr es in wichtigen Dingen sonst ja auch tut. Ich erwarte von euch, dass ihr euch ehrlich und bewusst entscheidet.“

Er sagt ja nicht: Ihr müsst alle meine Jünger werden, und deswegen müsst ihr dann auch das und das tun. Er fragt: „Wer will mit mir kommen? Und wer mit mir kommen will, sollte halt wissen, was er tut. Damit er nicht frustriert ist; damit er sich nicht dauernd überfordert erlebt; usw. Er will, dass wir uns frei entscheiden, aber uns bewusst und verantwortlich entscheiden. Es geht eben um einen ganzen Lebens-Stil, um eine bestimmte Art des Lebensweges; es geht beim Christsein um eine Lebensweise.

Und ein Zweites sagt er denen, die als seine Jünger ihm nachfolgen wollen: „Wer beim Hinter-mir-her-Gehen nicht bereit ist, sein Kreuz zu tragen, der kann nicht mein Jünger sein.“ Er sagt nicht „Wer sich nicht selbst kreuzigen lässt“. Von Jesus her gesehen, ist das „Kreuz-Tragen“ die Bereitschaft zu Konflikten, die es unvermeidbar immer wieder bringen kann, wenn man sich Mitmenschen entgegenstellt, manchmal sogar den nächsten, liebsten Mitmenschen entgegenstellt, weil Menschenleben in Würde behindert wird.

Natürlich will Jesus, dass seine Christen einander lieben, also achten. Und er will, dass wir bei denen, die uns nahestehen, wie bei allen anderen, dass wir sie unsere Wertschätzung spüren lassen; aber zugleich auch, wenn es darauf ankommt, zu widersprechen, Nein zu sagen, zu widerstehen, wenn es darum geht, dass die Hoffnung auf das Reich Gottes das Gegenteil verlangt.

Und ein Drittes nennt Jesus als Mittel, das nötig ist, das man in sich feststellen muss, wenn man sich ehrlich dafür entscheiden will, Christ zu sein: „Keiner von euch kann mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.“

Wieder eine fragwürdige Übersetzung!

Das Wort „αποτάσσεται“, das hier mit „verzichtet“ übersetzt ist, umfasst in seiner Bedeutungsvielfalt viele Facetten: „sich abkehren“, „Abschied nehmen“, „sich lösen“, …

Und das Wort „υπάρχουσιν“, das hier mit „Besitz“ übersetzt ist, steht für:„was [meiner] Verfügung oder Herrschaft unterliegt oder bereitsteht“, „was im Bereich meiner Möglichkeiten liegt“, …

„Verzicht auf Besitz“ ist also eine problematische Engführung dessen, was Jesus da sagt. Sein Wort ist viel umfassender: Wichtig ist ihm, wenn ich sein Jünger sein will, dass ich nicht mehr auf allem beharre, was mir möglich ist und zur Verfügung steht – der „Besitz“ ist nur ein Teil davon; dass ich nicht unbedingt auf meinem Recht bestehe und bereit bin, mich von Besitzständen und Errungenschaften aller Art zu lösen, wenn das wichtigen anderen Belangen entgegensteht.

Dann steht natürlich die Frage im Raum: Wie komme ich dazu? Warum sollte ich sein Jünger sein wollen? Warum sollte ich ein Christ, eine Christin sein wollen? Sollte und kann ich denn zu ihm so viel Vertrauen entwickeln, dass mir das für mein Leben sinnvoll erscheint? Kann ich denn die Hoffnung haben, dass ich da so sehr viel mehr Lebenserfüllung erfahre, dass ich denke: Das ist mein Weg? – Er warnt ja davor, sich ihm unüberlegt anzuschließen.

Eigentlich kann man nur aus einem Grund eine solche Bereitschaft aufbringen, wie Jesus sie meint; nur aus einem Grund: Wenn ich darauf baue, dass dieses kompromisslos klingende Wort von Jesus nichts anderes ist als ein Wegweiser in ein erfülltes Leben.

Oder wenn man das, was Jesus da bringen will, als das erkennt, was er im Gleichnis vom „Reich Gottes“ beschreibt: wie ein Hochzeitsfest, zu dem alle eingeladen sind.

Und wenn man dem dann traut, dass es da wirklich ein Fest gibt und deswegen hingeht und seine Zeit dafür verwendet; – zu dem dann sogar die Leute von den „Hecken und Zäunen“, die erst mal gar nicht als eingeladen galten, dann aber wirklich hingehen.

In seinem Evangelium überliefert Lukas die Worte von Jesus, die das Evangelium dieses Sonntags sind, in einem größeren Zusammenhang: Das ganze 14. Kapitel, aus dem der Abschnitt dieses Sonntags entnommen ist, erzählt von einem Essen im Haus eines der führenden Pharisäer:

Obwohl Sabbat ist, heilt Jesus einen Mann, der an Wassersucht leidet, und löst damit ein Streitgespräch aus.

Dann entlarvt er ihren Umgang miteinander, der deutlich macht, dass sie nur im Sinn haben, wieviel Prestige und Ehre ihnen erwiesen wird.

Und dann erinnert er sie mit Hilfe des erwähnten Gleichnisses, dass, wo es um Gottes Willen und um die Erfahrung seiner Nähe geht, ein Fest des Lebens angesagt ist, an dem alle ihre Freude finden können, wenn nur nicht alle, die sich so sehr wichtig nehmen, „Besseres“ zu tun haben.

In der Version des Matthäus fügt Jesus sogar noch an: Statt sich in das Fest des Lebens zu integrieren, verschreiben sie sich dem in allen Höllen der Welt üblichen Heulen und Zähneknirschen. (vgl. Matthäus 22,13)

Dadurch dass Lukas in seinem Evangelium hieran die herb klingenden Worte von Jesus anschließt, die an diesem Sonntag zum Evangelium werden sollen, will er anscheinend einleuchtend herüberbringen:

In Gottes Namen wichtiger als alles Andere ist, dass möglichst jedem Menschen ein Fest-reifes Leben in Fülle eröffnet wird. Wer nicht mit mir dafür steht, kann nicht mein Jünger sein!

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