Blogbeitrag

Autonomie

10. Juni 2018

Predigt von Rainer Petrak am 10. Juni 2018

nach Genesis 3,9-15 und Markus 3, 20-35 

„Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?“ Warum distanziert sich Jesus von seinen Angehörigen? Was haben sie denn getan?

So handelt der Mensch – auf Hebräisch „Adam“ – , der für Recht „erkennt“, also festlegt, was das Gute und was das Böse ist. Als richtende Instanz – was ihnen nicht zukommt (vgl. Gen 2,17) – wollen sie Jesus an seinem Werk hindern. Sie wollen ihn herausholen, „mit Gewalt“: „Er ist von Sinnen.“

Wohin das führt? Gott hatte zu Adam gesagt: „Dann wirst du sterben.“

„Wenn du vom Hochhaus springst, wirst du sterben!“

Aber der von der „Schlange“ versuchte Mensch (vgl. Gen 3,1-5) deutet solche Warnung um zur Drohung eines sadistisch sanktionierenden Herrschers, der durch seine Willkür sein Mütchen kühlt und den Menschen mit der „Drohung“ nur „täuscht“: Im Gegenteil, du wirst sein wie Gott, wenn auch du den Maßstab für Gut und Böse festlegst.

Der Mensch folgt der Einflüsterung. Auch nach allen entgegengesetzten Erfahrungen. Immerhin: Adam stirbt ja nicht an seinem Vergehen, sondern Gott sorgt weiterhin für ihn. (vgl. Gen 3,21) Wenn er es jetzt auch schwer haben wird und das Gebären neuer Generationen nur unter Schmerzen gehen wird. (vgl. Gen 3,16-19) Aber selbst den Brudermörder Kain tötet Gott nicht zur Strafe. Vielmehr schützt er ihn vor jeder tödlichen Vergeltung! (vgl. Gen 4,15) Aber immer wieder bleibt der Mensch dabei: Gottes liebevolle Warnung vor Grenzüberschreitungen verdreht er zur Drohung dessen, der nur seine Übermacht sichern will. Und so macht sich Adam ein Bild von Gott als Abbild seiner selbst. So überschreitet Adam die Grenze zwischen Gottsein und Menschsein, indem er sich das „Erkennen“ von Gut und Böse aneignet, weil er meint, dessen Früchte „genießen“ zu können, deren „Genuss“ ihm aber – im Gegenteil – den Tod bringen wird.

Die „Will“-„Kür“ des Menschen verdächtigt dann eben auch Gott der Willkür. Also sieht er sich plötzlich nicht nur „mit leeren Händen“ vor Gott, sondern total nackt und bloß, also ohne Chance! Aus Angst vor Sanktionen muss er sich verstecken und mit den Folgen, den „Früchten“ seines Tuns fertig werden, vor denen Gott ihn so gerne bewahren wollte. Aber Adam, der von Gott „nur wenig geringer gemacht als Gott“ ist, will in dieser Welt, in der er von allen Gewächsen die Früchte nutzen darf, den einen verbleibenden Unterschied zu Gott nicht anerkennen und hinnehmen. Er will sein wie Gott.

Da nun aber jeder Mensch – aus der jeweiligen Biografie und Situation heraus – in seiner eigenen Willkür etwas Anderes als „gut“ und als „böse“ festlegt, ist als „Frucht“ von diesem „Baum“ der Krieg vorprogrammiert. Das Fehlen einer für alle verbindlichen Vorgabe zerstört Menschenwürde und Gemeinwohl: „Wenn die Gewinne der Rüstungsindustrie wachsen, sind die Arbeitsplätze gesichert. Also braucht es mehr Kriege, damit die Rüstungsindustrie mehr Geschäfte machen kann!“ – „Mehr Unfälle fördern die Autoindustrie, den Kfz-Handel und das entsprechende Handwerk, Wachstum und Wohlstand und das BIP!“ – „Wenn die Leute nur öfter was Neues kaufen und das Alte schneller auf den Müll werfen, fördert das die Wirtschaft und den allgemeinen Wohlstand!“ – ……

Aber es gibt etwas noch Schlimmeres. Die „Schriftgelehrten aus Jerusalem“ diffamieren Jesus: Sie kommen zwar nicht umhin anzuerkennen, dass er Menschen befreit und heilt, die von dämonischen Kräften geradezu besessen sind. Aber gerade das verteufeln sie: Wer krank ist, ist halt von Gott gestraft. Wer sich dem Einfluss eines Dämons geöffnet hat, ist selber schuld. Sie wehren sich nicht nur dagegen, dass den vielen einzelnen Menschen immer wieder – wie Jesus sagt – „alle Vergehen und Lästerungen“ vergeben werden. Sondern dass Jesus den Menschen „von Gott“ den Willen zu ihrer Befreiung von den teuflischen Verkettungen an Lohn und Strafe bringt, dafür erklären sie ihn und den Geist, aus dem er handelt, zum „Beelzebul“, zum „Anführer der Dämonen“, zum Rattenfänger.

Aber auch ihnen gegenüber bemüht Jesus sich feinfühlig und versucht, sie mit einleuchtenden Argumenten zu überzeugen. Er entblößt die Widersprüchlichkeit in ihrer Position – in der Hoffnung, dass sie ihre Blöße anerkennen werden und nicht mehr verstecken müssen. Aber ihre Verhärtung verschließt sich der Vergebung. Ihr ist am wichtigsten, selber festzulegen, was das Gute ist und was das Böse.

Eine Kultur, die sich Gottes Geist gegenüber nicht verschließt, sorgt dann im Staat für eine Verfassung, deren Vorgabe festlegt, was gilt, und die Menschen vor der Willkür selbst der Mächtigsten schützen will. Da wird dann klar: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und das gilt selbst dem Verbrecher gegenüber.

Als Quelle für den Geist, der den Durst aller Menschen nach Leben stillt bezeugt die Bibel Jesus: „Es saßen viele Leute um ihn herum.“ Auf sie verweist Jesus mit einer Handbewegung: „Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ Sie hören ihm zu, vertrauen sich ihm an. Sie wollen auf ihn hören. Auf den Geist, den er bringt, hoffen sie. Sie teilen mit ihm die gemeinsame Grundlage: Was das Gute und was das Böse ist, gibt Gott vor. Das ist ihnen die verlässliche Basis und Orientierung für ein gelingendes Zusammenleben.  Seinen eigenen Geist bläst Gott ihnen in die Nase bis ins Herz hinein. Mit diesem Atem werden sie zu lebendigen Menschen. (vgl. Gen 2,7) Der Grundstein ist endlich gelegt für eine optimale Autonomie. An diesen Gott glauben sie.

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