Blogbeitrag

Friedens-Demonstration am 13.03.2022 in Frankfurt

Befreiung! Aber wie?

17. März 2022

Sonntagsbotschaft zum 20. März 2022, dem 3. Fastensonntag (Lesejahr C). 

Was veranlasst Menschen, auch ganze Völker, vielleicht sogar die halbe Menschheit, – was veranlasst „uns“, eigenen und anerkannten Überzeugungen und Werten zuwider zu handeln?

Am 1. Sonntag dieses Weges zum Osterfest ging die Botschaft von einer Gratwanderung aus, bei der in bestimmten Situationen unsere Maßstäbe zwischen konkurrierenden Werten aus dem Gleichgewicht geraten können. Da wollen die einen Bestrebungen sich den Vorrang erschleichen vor anderen, mindestens gleichrangigen:
Hunger stillen oder Machtmissbrauch vermeiden?
Gute Regierungspolitik herbeiführen oder eine selbstherrliche Machtübernahme verhindern?
Gottes gute Herrschaft einfach anfangen oder uns vor einem zwanghaften Gottesstaat bewahren?
Mit einer Flugverbotszone die Menschen in der Ukraine schützen oder eine unkontrollierte große Ausweitung des Krieges vermeiden?

Das Evangelium des 1. Fastensonntags hatte gezeigt, wie Jesus mit solchen schwierigen Entscheidungssituationen umgeht, selbst wenn er sich vor der Aufgabe sieht, mit Gottes menschenfreundlicher Herrschaft eine große Transformation zu managen.

Am 2. Sonntag auf diesem Weg hatte Jesus mit den Träumen und den Ängsten seiner Mitstreiter zu kämpfen. Drei von ihnen konnte er schon einmal dazu bewegen, ihre Widerstände zu überwinden durch einen ganz neuen Blick auf sein drohendes Ende in Jerusalem – im Licht der Erfahrungen mit Gott, von denen schon immer in der Bibel Menschen wie Mose und Elija Zeugnis gegeben hatten.

Von den Schriftlesungen an diesem 3. Sonntag der Zeit vor Ostern macht mich vor allem die Erzählung aus dem Alten Testament ungeduldig. (Exodus 3,1-8a.10.13-15) Da scheinen Antworten aufzubrechen auf offene Fragen unserer von Krisen so vollen Zeit. Rezepte kann ich nicht erkennen; die würden uns ja auch entmündigen. Aber Wegweiser zeichnen sich ab.

Mose, von Geburt Israelit, dann incognito am Hof des Pharao groß geworden, hatte eines Tages einen ägyptischen Aufseher getötet, weil der Israeliten grausam behandelt hatte. (vgl. Exodus 2,11-15) Der Pharao trachtete ihm deshalb nach dem Leben, und so war Mose aus Ägypten geflohen. In Midian hatte er eine neue Existenz gefunden.

In jenen Tagen weidete Mose
die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro,
des Priesters von Midian.
Eines Tages trieb er das Vieh über die Steppe hinaus
und kam zum Gottesberg Horeb.
Dort erschien ihm der Engel des HERRN
in einer Feuerflamme mitten aus dem Dornbusch.
Er schaute hin:
Der Dornbusch brannte im Feuer,
aber der Dornbusch wurde nicht verzehrt.
Mose sagte:
Ich will dorthin gehen
und mir die außergewöhnliche Erscheinung ansehen.
Warum verbrennt denn der Dornbusch nicht?
Als der HERR sah,
dass Mose näher kam, um sich das anzusehen,
rief Gott ihm mitten aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose!
Er antwortete: Hier bin ich.
Er sagte: Komm nicht näher heran!
Leg deine Schuhe ab;
denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden.
Dann fuhr er fort: Ich bin der Gott deines Vaters,
der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.
Da verhüllte Mose sein Gesicht;
denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.

Mose erlebt eine „außergewöhnliche Erscheinung“, wie er sagt. Aus Neugierde geht er näher hin. Da erfährt er – hörend – die Begegnung: Ihm stellt sich vor der Gott seiner Vorfahren. Der kennt auch Mose mit Namen und ruft ihn persönlich.

Mose soll auf Abstand stehen bleiben und seine Schuhe, die ihm bei Gefahr eine Flucht ermöglichen, ablegen. Er stellt sich dem Ort und begegnet – mit Scheu – dem Heiligen.

Die Naturerscheinung, die ihn veranlasst, näherzutreten, bindet zwar bei heutigen Lesern oft die ganze Aufmerksamkeit an sich und lenkt das Interesse vom eigentlichen Thema ab, zu dem sie hinführt. Wieviel Energie wurde schon auf die Frage verwendet, was es mit diesem seltsamen Dornbusch auf sich hat! In der Erzählung aber tritt er ganz aus dem Blick, ist kein Thema mehr. Seine Funktion hat er erfüllt, bei Mose Staunen und Neugierde zu wecken und ihn so bereit zu machen für die Begegnung mit Gott.

Der HERR sprach:
Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen
und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört.
Ich kenne sein Leid.

Verblüffende Ähnlichkeit: Auch die aktuelle Lebenslage des Mose hatte ihren Grund darin, dass er das Elend seines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber gehört hat und ihr Leid kennt – wenn auch aus der Distanz des am Hof des ägyptischen Pharao‘s verwöhnten Zöglings.

Der Unterschied: Mose hat einen der Antreiber umgebracht. Gott hat für das Volk ganz Anderes vor:

Ich bin herabgestiegen,
um es der Hand der Ägypter zu entreißen
und aus jenem Land hinaufzuführen
in ein schönes, weites Land,
in ein Land, in dem Milch und Honig fließen.

Wenn ich mal alles Andere vergesse und nur diese Worte höre – und wenn ich in unangefochtenem, vielleicht „kindlich“ oder „naiv“ zu nennendem Vertrauen ihm abnehme, was er sagt, – dann könnte mir das Heulen kommen. Ich bringe das ja sofort in Verbindung mit dem aktuellen Elend und dem Leid des Volkes in der Ukraine – und auch mit dem Elend und dem Leid des Volkes in Syrien, im Norden Äthiopiens und so vielen anderen Ländern. Sie alle will er der Hand der Unterdrücker entreißen? So stellt Gott sich und sein Wesen vor?

Mose muss das auch so gehört haben. Und auch die Generationen nach ihm, denen das immer weitererzählt wurde. Welche Hoffnung für das Volk muss das in Mose ausgelöst haben!

Und jetzt – wie will Gott das machen?!

Und jetzt geh!
Ich sende dich zum Pharao.
Führe mein Volk, die Israeliten,
aus Ägypten heraus!

Da erstarrt Mose wahrscheinlich vor Entsetzen! Er hat weder Speere noch Raketen, weder Schwerter noch Panzer, keine Soldaten, weder Generäle noch Diplomaten – und der Pharao will ihn umbringen! Er ist Schafhirte und kein Heerführer! – Von all dem überliefert die Bibel nur sein Wort:

Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen
und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte?

Für Menschen, die aufmerksam hinhören und sich zugleich als politische Realisten betrachten, muss Gottes Antwort zur wirklichkeitsfremden Provokation werden:

Er aber sagte:
Ich bin mit dir;
ich habe dich gesandt …

„Politische Realisten“ unserer Tage mögen einen gewissen Trost finden in den weiteren Worten von Gottes Antwort, die – ich weiß nicht, warum – ebenso wie schon Mose’s entsetzte Frage in der gottesdienstlichen Lesung dieses Textes weggelassen werden.

… und als Zeichen dafür soll dir dienen:
Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast,
werdet ihr Gott an diesem Berg dienen.

Die Logik dieser Worte zeigt, dass diese Erzählung erst in großem zeitlichem Abstand später so gefasst wurde. Als „Zeichen“ kann die viel spätere Anbetung Gottes durch das Volk am Berg Horeb dem Mose auf seine entsetzte Frage jetzt nicht dienen. Erst für das Volk in späteren Zeiten, wenn es sich immer noch und immer wieder – mit Berufung auf politischen Realismus – durch solche Art von Gottes Führung provoziert sieht, kann die Logik „stimmen“ und ermutigen: Im Rückblick auf alles, was dabei „rausgekommen“ ist, können sie in der Tat bei einem Minimum an Offenheit gegenüber Gott bereits im Bundesschluss am Gottesberg Horeb – oder Sinai – ein „Zeichen“ dafür sehen, dass Gott zuverlässig immer wieder wahr macht, was er zu Mose gesagt hat:

Ich habe das Elend meines Volkes gesehen,
ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört.
Ich kenne ihr Leid.
Ich bin herabgestiegen,
um das Volk der Hand seiner Antreiber zu entreißen.

Die Erzählung hat in ihrer Entstehungsgeschichte im Lauf der Jahrhunderte die gesammelten Erfahrungen des Volkes mit Gott bezeugt. Sie überliefert, was sich wiederholt, wenn das Volk seinem Wort traut und sich davon leiten lässt.

Die Fortsetzung der Erzählung gibt künftigen Generationen weitere Hilfestellung. Da geht es um Gottes Namen. Das klingt für heutige Ohren erst mal fremd und unwichtig. Es lohnt sich trotzdem, sich hineinzudenken:

Wenn man ihn anruft und über ihn redet, muss man ja sagen können, wen man da als „Gott“ meint. Bei uns heute bezeichnet das Wort „Gott“ eine bestimmte – wenn auch nicht menschliche – Person. Wir verwenden das Wort „Gott“ als Namen dieser Person. Auch in der Sprache derer, die ihn leugnen.

Dagegen hat bereits Martin Luther in seinem Großen Katechismus aufmerksam gemacht: „Woran dein Herz hängt, das ist dein ‚Gott‘.“ Und in ähnlicher Weise galten in den Weltbildern der Antike – nicht nur in der griechisch-römischen und der germanischen – bewunderte, ersehnte und gefürchtete Kräfte im Leben als „Götter“. Wer im Gebet oder im Gespräch einen bestimmten dieser „Götter“ meinte, hatte natürlich Interesse, ihn mit seinem Namen zu benennen. Das Wort „Gott“ musste dabei gar nicht vorkommen.

In der biblischen Erzählung vom brennenden Dornbusch wird sprachlich klar gemacht, welchem „Gott“ Mose da begegnet. Er stellt sich vor als der, der seinem Vater und schon den Vorvätern Abraham, Isaak und Jakob als ihr einziger „Gott“ galt.

In der Zeit des Mose, da das Volk schon lange nichts mehr von seinem „Gott“ gespürt hatte, bestenfalls sich von ihm alleingelassen wusste, war es schon notwendig, dass Mose den Leuten seines Volkes sagen kann, mit welchem Gott jetzt ihre Befreiung stattfinden soll. In der Alltagssprache ihrer Umgebung war ja von vielen Göttern die Rede. Also musste er ihnen seinen Namen sagen können.

Da sagte Mose zu Gott:
Gut, ich werde also zu den Israeliten kommen
und ihnen sagen:
Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt.
Da werden sie mich fragen: Wie heißt er?
Was soll ich ihnen sagen?
Da antwortete Gott dem Mose:
Ich bin, der ich bin.
Und er fuhr fort:
So sollst du zu den Israeliten sagen:
Der Ich-bin hat mich zu euch gesandt.

Wie viel wurde schon herumgerätselt um die Bedeutung dieses Wortes! Soll das – wie in philosophischer Sprache – heißen „Ich bin der – einzig? – wirklich Seiende“, von dem – allein? – wirklich ein Da-Sein ausgesagt werden kann? Oder in einer Sprache liebender Zuwendung: „Ich bin da“, nämlich „… für euch“? Ähnlich seiner am Anfang gemachten Zusage an Mose: „Ich bin mit dir“?  Die auch hier verwendete deutsche Einheitsübersetzung von 2016 übersetzt grammatikalisch präzise. Ihre Vorgängerversion von 1980 übersetzte: „Ich-bin-da“.

Dabei höre ich auch die viel spätere Zusage des Propheten Jesaja an den verängstigt lavierenden König Ahas im aussichtslos belagerten Jerusalem, „die Jungfrau“, schon schwanger, werde ihrem Sohn den Namen „Immanuel“ geben, wörtlich übersetzt: „Gott ist mit uns“ – den als solchen die Christenheit von Anfang an in Jesus erkannt hat.

Wenn ich mich nach einem Wesenszug frage, nach einer Eigenschaft, die Gott mit seiner Selbstbezeichnung dem Mose sagt und dem Volk mitteilen will, da fallen mir nur Worte ein wie „zuverlässig“, „vertrauenswürdig“, „verlässlich“, … Ich höre – im Zusammenhang mit der damaligen Situation in Ägypten ebenso wie im Zusammenhang mit der Nazi-Zeit in Deutschland oder mit der heutigen Situation der Ukraine:

Ich habe das Elend meines Volkes gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne sein Leid. Ich bin herabgestiegen, um es ihrer Hand zu entreißen und in eine gute Zukunft zu führen.

Und wie soll das geschehen?

Auf diese Frage hörten die drei Weggefährten von Jesus auf dem Berg, auf dem ihnen das drohende Ende von Jesus – im Licht der Bibel gesehen –herrlich erschien: „Dieser ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“

Das müssen wir wohl noch üben. Bisher haben wir einseitig auf die Darlegungen von Wahrheit durch amtlich bestellte Lehrer gehört, die über Gott „Bescheid wissen“.

Die zentrale Aussage im „Evangelium“ dieses Sonntags dürfte das zweimal darin zu hörende Muster sein:

„Meint ihr, dass …?
… vielmehr werdet ihr … ebenso umkommen,
wenn ihr nicht umkehrt.“

(Lukas 13,2-5)

Und ich bin sicher: Auch nach diesem „Evangelium“ wird in vielen Gottesdiensten – statt das Gehörte erst mal wirklich ankommen und sacken zu lassen – ganz schnell gesagt „Lob sei dir, Christus“ und es wird zur „Tagesordnung“ übergegangen.

Aber vielleicht wird ja – gemäß der liturgischen Ordnung – der ernst gemeinte, trostreiche Psalm gesungen, der als angemessene Antwort vorgesehen ist nach dem Hören der Botschaft von der angesagten Befreiung aus der Unmenschlichkeit:

Preise den HERRN, meine Seele,
und alles in mir seinen heiligen Namen!
Preise den HERRN, meine Seele,
und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!

Der dir all deine Schuld vergibt
und all deine Gebrechen heilt,
der dein Leben vor dem Untergang rettet
und dich mit Huld und Erbarmen krönt.

Der HERR vollbringt Taten des Heils,
Recht verschafft er allen Bedrängten.
Er hat Mose seine Wege kundgetan,
den Kindern Israels seine Werke.

Der HERR ist barmherzig und gnädig,
langmütig und reich an Huld.
Denn so hoch der Himmel über der Erde ist,
so mächtig ist seine Huld über denen, die ihn fürchten.
(Psalm 103,1-8.11)

Hier können Sie meinen Beitrag weiter empfehlen: