Sonntagsbotschaft zum 13. März 2022, dem 2. Fastensonntag (Lesejahr C)
Haben wir uns getäuscht? Wir hatten den Eindruck gewonnen, dass Gewalt und Krieg als anerkannte Mittel der Politik abgedankt hätten. Stehen wir vor einem Scherbenhaufen unserer Überzeugungen und Werte?
Mit dem, was da geschieht, kann ich nicht einverstanden sein. Dazu stehe ich in unversöhnlicher Gegnerschaft. Wieder steht im Raum die Frage: Wo bleibt Gott? Oder hat er etwa mit all dem, was uns da erschreckt, gar nichts am Hut? Hält er sich einfach raus und findet das auch noch gut?
Was könnte mich da mit Gott versöhnen! Das Stundengebet dieses Sonntags legt mir wieder das Wort aus dem Psalm in den Mund: „Die Rechte des Herrn ist erhoben; die Rechte des Herrn wirkt mit Macht.“ (Psalm 118,16) Wo bleibt die Erfahrung, die das deckt?
Mir scheint, ähnliche Erfahrungen von Unversöhnlichkeit gegenüber Gott liegen all dem zu Grunde, wovon die Bibel spricht.
Ob da helfen kann, was an diesem 2. Sonntag in den 40 Tagen der Ausschau auf ein echtes Ostern ein „Evangelium“ sein will?
Jesus hatte seine Jünger ausgesandt, so wie er „das Reich Gottes zu verkünden und die Kranken gesund zu machen“ (Lukas 9,1-6.10-11). Die verwunderlichen Erfahrungen mit ihm und was man so über ihn hörte, lösten Verunsicherung und Neugierde aus – so beim Tetrarchen Herodes (Lukas 9,7 bis 9) – und Spekulationen darüber, wer er sei (Lukas 9,18 bis 20). Im Kreis der Jünger galt er zunehmend als der schon lange von Gott verheißene „Menschensohn“, der „Christus“, der „Messias“.
Um ihre damit verbundenen Vorstellungen zu korrigieren, begann er, sie auf das Kommende vorzubereiten.
Er war mit ihnen auf dem Weg aus Galiläa nach Jerusalem. Aber nicht – wie das Volk sich den Messias vorstellte – um dort die politische Macht zu übernehmen, sondern mit einer ganz anderen Absicht. Und damit hatten auch seine Jünger ihre größeren Schwierigkeiten. Er werde vielmehr – wie er zu ihnen sagte – „vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden“ und er werde „getötet … werden“. Gesagt hatte er zwar „getötet und am dritten Tag auferweckt werden“, aber damit konnten sie überhaupt nichts anfangen.
Eine Woche lang (Lukas 9,28) bemühte er sich, bei ihnen eine positive Einstellung und Haltung zu wecken und – wissend wofür – die riskante Perspektive seines Weges ehrlichen Herzens mit ihm zu teilen.
Es muss dabei hoch hergegangen sein. Das stand in unversöhnlichem Gegensatz zu dem, was sie sich von Jesus erhofft hatten! Offensichtlich ist im Kreis der Jünger auch die Bemerkung gefallen, wenn er als der Messias so „klein beigeben“ wolle, dann müsse man sich ja „für ihn schämen“ (Lukas 9,26). Ja, nach der parallelen Erzählung im Matthäus-Evangelium (Matthäus 16,21-28) hatte Petrus – unmittelbar nach seinem Bekenntnis zu Jesus als dem Messias – „zurechtweisend“ zu ihm gesagt: „Das soll Gott verhüten!“, so dass Jesus ihm als dem Versucher antwortete: „Tritt hinter mich, du Satan! Ein Ärgernis bist du mir, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.“ (Matthäus 16,22-23) Und Judas ist bis zum Ende nicht darüber hinweggekommen.
In dieser unversöhnlich erscheinenden Auseinandersetzung – „etwa acht Tage nach diesen Worten“, heißt es im Lukas-Evangelium – versucht es Jesus mit seinen Jüngern noch auf eine andere Weise. Drei von ihnen nimmt er beiseite – die drei, die später als „Säulen“ in der Jerusalemer Christen-Gemeinde gelten werden (vgl. Galater 2,9). Abseits und mit Zeit, verbunden im Gebet und in der Botschaft der Bibel will er ihnen Klarheit vermitteln angesichts ihrer Verwirrung und ihrer Angst, wohin ihr weiterer Weg mit ihm jetzt gehen würde. Vielleicht wird es ihm und dem mit ihm im Gebet verbundenen Vater gelingen, ihnen die Augen zu öffnen für das Göttlich-Herrliche, zu dem sich das als Ernte erfüllen wird, was am Ende in Jerusalem geschieht.
In jener Zeit
nahm Jesus Petrus, Johannes und Jakobus mit sich
und stieg auf einen Berg, um zu beten.
Und während er betete,
veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes
und sein Gewand wurde leuchtend weiß.
Und siehe, es redeten zwei Männer mit ihm.
Es waren Mose und Elija;
sie erschienen in Herrlichkeit
und sprachen von seinem Ende,
das er in Jerusalem erfüllen sollte.
„Sein Ende, das er in Jerusalem erfüllen sollte.“ Darum geht es hier! Sein Ende in Jerusalem – das ist die Erfüllung seines Lebens, Sinn und Ziel seines Lebens! Die Ereignisse, die sich da bereits abzeichnen, die er seinen Jüngern beizubringen versuchte, denen das aber nur Angst machte, – darum geht es und das macht ihn so wichtig für die Menschen!
Petrus und seine Begleiter aber waren eingeschlafen,
Für solche Zusammenhänge sind sie nicht ansprechbar, nicht bereit, nicht wach, nicht aufmerksam.
wurden jedoch wach
und sahen Jesus in strahlendem Licht
und die zwei Männer, die bei ihm standen.
Geweckt wird ihre Aufmerksamkeit durch das Licht des vorweggenommen Auferstandenen, durch das Licht „vom Himmel“, durch seine „Herrlichkeit“, die sichtbar wird im Zusammenhang mit Mose und Elija und mit all dem, wofür sie gemeinsam mit Jesus stehen.
Was ist typisch für Mose und Elija, was ist ihnen eigen, bei dessen Licht betrachtet das Ende von Jesus sich als „der Himmel“ offenbart und „herrlich“ aussieht?
Mose war aus Ägypten nach Midian geflohen, weil der Pharao ihn töten wollte. Doch dort erschien ihm Gott. Der wollte das ganze Volk aus der Unterdrückung durch den Pharao retten. Und ausgerechnet Mose sollte dafür zum Pharao zurückgehen und von ihm die Freilassung des Volkes verlangen. Unglaublich, aber Mose ging das Risiko tatsächlich ein. Und – wenn auch unter größten Schwierigkeiten – diese Befreiung gelang!
Und Elija: Das Volk hatte in seinem Widerstand gegen Gott alle Propheten umgebracht, Elija war als einziger übriggeblieben. Mit leidenschaftlichem Eifer appellierte er an alle: Nicht Macht und Reichtum sollten sie vergötzen; allein auf Gott sollten sie hören. Elija konnte seinen Verfolgern entkommen. Aber eines Tages hörte er Gott zu ihm sagen: „Geh zu König Ahab!“ Tatsächlich machte sich Elija auf den Weg, und Gott sorgte dafür, dass Ahab ihm nichts antat. Aber Isebel, die Frau des Königs, trachtete danach, Elija töten zu lassen. Er floh in die Wüste und bis zum Berg Horeb und wünschte sich den Tod. Aber Gott sagte zu ihm: „Geh zurück, und tue, was ich dir sage.“ (vgl. 1 Könige 17 bis 19)
Mose und Elija hatten also beide Erfahrungen mit Gottes Ruf zur riskanten Herausforderung der Mächtigen. Und von Mose und Elija her, von Gesetz und Propheten – von der Bibel her – neu beleuchtet, erkennen die Jünger von Jesus auf dem Berg blitzartig das Herrliche, das Gott gerade auf diesem Weg für die ganze Menschheit in die Wege leitet. So lassen sie sich mit Gott und seinen Plänen versöhnen. – Vorläufig!
Und es geschah,
als diese sich von ihm trennen wollten,
sagte Petrus zu Jesus: Meister,
es ist gut, dass wir hier sind.
Wir wollen drei Hütten bauen,
eine für dich, eine für Mose und eine für Elija.
Er wusste aber nicht, was er sagte.
Spontan und unbeholfen, ohne zu verstehen, regen sich in Petrus immerhin Ahnungen: Hütten bauen!
„Er birgt mich in seiner Hütte am Tag des Unheils; er beschirmt mich im Versteck seines Zeltes, …“ So haben sie im Psalm gebetet (Psalm 27,5) Und: „Du verbirgst sie im Schutz deines Angesichts vor den Verschwörungen der Leute. In einer Hütte bewahrst du sie vor dem Gezänk der Zungen.“ (Psalm 31,21) Wie seinerzeit auch den Mose und den Elija.
Oder dachte er dabei sogar an das Laubhüttenfest, von dem die Schrift sagt (Levitikus 23,39.41.43): „Wenn ihr den Ertrag des Landes erntet, feiert das sieben Tage lang als das Fest des HERRN! … Sieben Tage sollt ihr in Hütten wohnen, damit eure kommenden Generationen wissen, dass ich die Israeliten in Hütten wohnen ließ, als ich sie aus Ägypten herausführte.“
Leuchtete dem Petrus ein, dass es hier um die große Befreiung des Volkes geht wie seinerzeit die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten durch Mose?
Während er noch redete,
kam eine Wolke und überschattete sie.
Sie aber fürchteten sich,
als sie in die Wolke hineingerieten.
Da erscholl eine Stimme aus der Wolke:
Dieser ist mein auserwählter Sohn,
auf ihn sollt ihr hören.
Während die Stimme erscholl,
fanden sie Jesus allein.
Und sie schwiegen
und erzählten in jenen Tagen niemandem von dem,
was sie gesehen hatten.
(Lukas 9,28b-36)
Eine Erzählung auf Vorrat für die Zeit nach dem Ende von Jesus in Jerusalem.
Vielleicht hat ja diese Erfahrung die drei Männer – zumindest anfanghaft – versöhnt. Die neue Perspektive musste ihnen aber erst noch ihre Kraft entfalten. Angst lässt sich nicht so schnell überwinden. Vor allem wenn eine ganze Kultur eine weitgehend andere Sicht, andere Ziele und Wege in ihnen Wurzeln geschlagen haben.
Sie wussten ja eigentlich von Jesus: Was er angeht, das zielt auf Glück und Heil und Wohlergehen aller Menschen. Und sie hatten es ja miterlebt: Die Wege, die Jesus dafür einschlägt, sind zwar in heftigem Konflikt mit dem, was in der Gesellschaft gilt. Aber er überzeugt!
Ja, am Ende hat er sie dann doch versöhnen können. Vor allem durch die Überzeugungskraft seiner Hingabe, mit der er das alles besiegelte. Da sprang sein Geist auf sie über. Sein Tod am Kreuz gab ihnen eine neue, verwunderliche Lebenskraft, es ihm gleich zu tun.
Seit Urzeiten hören Christen am Beginn der Zeit, die zu Ostern hinführen will, den dafür wesentlichen Aufruf des Apostels Paulus, der auch zuerst ein unversöhnlicher Gegner von Jesus und seiner Botschaft war, dann aber mit seinem Leben eine 180-Grad-Wendung vollzog: „Lasst euch mit Gott versöhnen!“ (2 Korinther 5,18-20)
Lasst euch mit Gott versöhnen!