Blogbeitrag

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Begreift ihr?!

13. April 2017

Gedanken zum Gründonnerstag

Sie hatten sich an Schlimmes gewöhnen müssen. Dass das Leben ein Kampf sei, bei dem man halt über die Runden kommen muss, das war ihnen schon etwas Normales geworden. In elender Sklaverei hielt der ägyptische Pharao die Israeliten gefangen und ließ sie hartherzig seine unterdrückende Herrschaft leidvoll spüren. Lange Zeit weigerte er sich strikt, sie in Freiheit ziehen zu lassen. Da verbreitet Mose Gottes Aufruf ans ganze Volk, sie sollen mit einem gemeinsamen Lamm-Essen in dieser Nacht ein großes Fest feiern und am Morgen in die Freiheit aufbrechen. Und dieses Pascha-Fest sollen sie dann später alle Jahre feiern – zu Gottes dankbarer Verehrung im Gedenken an ihren Aufbruch in die Freiheit. Dieser Festabend ist jetzt wieder einmal gekommen. (Exodus 12,1-14)

Drei Jahre lang hatte Jesus seinen Jüngern eine Ahnung davon ins Herz gepflanzt,
dass der Gott, dem gehorsam zu dienen das Volk sich redlich bemühte, in Wirklichkeit für sie da sein will und dass er sie aus jeder Unterwerfung und Sklaverei hinaus führen will in die Freiheit, die allein der Würde eines von Gott nach seinem eigenen Bild geschaffenen Menschen gerecht werden könnte. Drei Jahre lang hatte er versucht, sie mit Gott so ganz anders und neu vertraut zu machen. „Begreift ihr, was ich an euch getan habe?“, fragt er sie jetzt beim Pascha-Mahl. (Johannes 13,1-15)

Was hat er denn getan?

Da war der Mann (Markus 2,1-12), den seine Schuld lähmt, in seiner Beweglichkeit behindert, zu gehen unfähig macht, der sich von 4 Männern schleppen lässt, ja das Dach demolieren lässt, weil sie ihn unbedingt zu Jesus bringen wollen – ganz nahe zu ihm, damit er sich seiner annimmt. Und Jesus hatte bestätigt. Er erfüllt die Sehnsucht, befreit den Menschen, so dass er – unbehindert durch seine Schuld – neu leben kann. Da hatten und haben einige etwas dagegen: „Wo kommen wir denn da hin?!“ Unter dem frommen Vorwand, es stehe allein Gott zu, Menschen von den Folgen ihrer Schuld zu lösen, in Wirklichkeit aber, weil sie daran fest halten, dass einer für seine Schuld büßen muss – unter Berufung auf Gott und seine angebliche „Gerechtigkeit“. Also sagen sie: „Er lästert Gott.“ Jesus macht sich Feinde, weil er die bestehende, auf Macht, Strafe und Gewalt basierende Ordnung umkehrt in ihr Gegenteil.

Und dann war da Levi, im Matthäus-Evangelium auch „Matthäus“ genannt: Dieser Typ des Menschen, der seine Möglichkeiten dazu einsetzt, sich Vorteile zu verschaffen und sie immer weiter auszubauen – um immer ein wenig besser da zu stehen als die Anderen. Ein Bestreben, das dann „Wettbewerb“ heißt und schließlich „Weltmeister“ werden will – und dabei die Nachteile ignoriert, mit denen andere dafür bezahlen und darunter leiden müssen. Levi, der korrupte Finanzbeamte. Oder bei Lukas „Zachäus“. – Warum eigentlich? „Levi“ braucht das, um etwas zu gelten. Und da sich ihm offensichtlich seine Personwürde noch nicht erschlossen hat – seine Menschenwürde, die er bei Gott genießt – , wächst sich sein Geltungswille zur Sucht aus, Macht über die Anderen zu haben. „Jeder muss sehen, wo er bleibt.“ – Dessen Nähe sucht Jesus! Er will mit ihm essen. Die Religionswächter und Ordnungshüter sehen allerdings nur, dass Jesus ihre fromme Moral durcheinander bringt: „Wie kann der nur mit solchen Leuten gemeinsame Sache machen und sich an einen Tisch setzen!“ (vgl. Matthäus 9,9-11; Markus 2,13-16; Lukas 19,1-7)

Oder: Am Sabbat – mitten im Gottesdienst, wo doch Gott und sein Wort das Zentrum sein sollen – da rückt er einen Menschen mit einer verkrüppelten Hand ins Zentrum der Aufmerksamkeit! Jesus weiß schon, dass da Leute sind, die auf einen Grund zur Anklage gegen ihn lauern. Trotzdem tut er, was nach ihrer Überzeugung am Sabbat verboten ist; er tut ja die Arbeit eines Heilers. Er macht deutlich, dass nach seinen Maßstäben – und darin beruft er sich auf Gott! – nichts wichtiger ist als die Sorge dafür, dass es dem Menschen, der leiden muss, wieder gut geht und dass der in seiner Heilung die liebende Fürsorge Gottes erkennen kann. Damit provoziert er die mit ihrem „verstockten Herzen“, die daraufhin den Beschluss fassen, ihn umzubringen. (Markus 3,1-6)

Und so war es immer weiter gegangen. Zum Beispiel auch die Szene im Jerusalemer Tempelbezirk (Johannes 8,1-11): Heilige Gerichtsverhandlung gegen die Frau, die beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt worden war und deshalb jetzt nach Recht und Gesetz verurteilt und per Steinigung hingerichtet werden soll. Die Herren wollen in diesem so „klaren Fall“ Jesus eine Falle stellen und fragen ihn nach seiner Meinung. Und er? Ohne die Schuld der Frau in Frage zu stellen: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Man hört sie geradezu mit den Zähnen knirschen, als sie sich einer nach dem andern trollen. Sie fangen wohl an zu ahnen: Das kann es nicht sein: dass die Bösen Strafe fürchten müssen und die Guten Belohnung erwarten dürfen; das geht ja in jedem Menschen durcheinander. Und wenn das die Grundlage fürs menschliche Zusammenleben ist, dann führt das nur zu Gewalt und Krieg und Elend. Sinnlos! Damals wie heute. Aber – das war ihre Lebensweise! Von einer Generation zur anderen weitergegeben!

„Begreift ihr, was ich an euch getan habe?“, fragt jetzt Jesus seine Jünger – und heute uns.

Was er an uns getan hat? Ein im Zusammenhang mit Ostern und mit der Taufe gerne verwendeter Satz im 1. Petrusbrief (1,18) nennt es so: „Ihr wisst, dass ihr aus eurer sinnlosen, von den Vätern ererbten Lebensweise … losgekauft wurdet.“ Und zwar durch Jesus. Das habe er sich einen hohen Preis kosten lassen: Mit seinem Leben habe er dafür bezahlt! Offensichtlich weil die Menschen sich zu einer solchen, alles umfassenden Umkehr ihrer Lebens-Richtung mit Worten allein nicht hatten überzeugen lassen!

Geltungssucht, Vergeltungs-Sucht, Habsucht … Und die Rechtfertigung für diese angebliche „Gerechtigkeit“ scheinheilig auch noch Gott in die Schuhe zu schieben … – nein, das soll nicht den Weg der Menschen prägen! So bemüht Jesus sich mit allen seinen Kräften, die Menschen von diesem Weg abzubringen. Sie sollen umkehren in die Gegen-Richtung. Und das bringt seine Gegner zur Raserei. Aber Jesus weiß, was ihm wichtig ist. Davon lässt er sich auch nicht durch das immer deutlicher drohende Todesurteil abbringen. Dafür hat er sich zu eindeutig frei gemacht von der Versuchung zu einem angepassten Leben, die eigene Haut zu retten und sich nur bewundern zu lassen. Er konnte nicht mehr anders, als nur noch die Liebe zu verkörpern, die ihn beseelt: diese göttliche Kraft, die nur die Sehnsucht kennt, den Menschen zu einer Verbesserung ihrer Lebensumstände zu verhelfen. Liebe. Gottes Art der Beziehung zum Menschen, die „alles erträgt“ – wie Paulus es im 1. Korintherbrief bekanntermaßen bestaunt (13,7).

Der Gott, der mit Jesus leibhaftig unter uns Menschen kommt, will – typisch Liebender – , dass alle seine Geliebten glücklich werden. Glücklich. Viele trauen der Bibel ja nicht einmal zu, dass das Wort „Glück“ in ihr überhaupt vorkommt. Dabei knüpft Jesus nur an Gottes alte Botschaft an: Sogar diejenigen, für die keiner sich eine gute Zukunft vorstellen kann, sollen – wie es im Psalm 37 heißt – „das Land besitzen und werden Glück in Fülle genießen“ (Vers 11). Und an die Freude beim Propheten Jesaja (38,17) knüpft er an: „Alle meine Sünden warfst du hinter deinen Rücken!“ Also: Vergangenheit – wirklich vergangen!

Jesus weiß sehr wohl, dass dieser Geist der Liebe ausgenutzt werden wird. Mit dieser Liebe, die den Menschen und sein Wohlergehen zum höchsten Wert macht,  weil der Mensch ihm „heilig“ ist, sakrosankt ist, – stellt er sich dem großen Risiko, missbraucht zu werden. Ja, diese Liebe, die „alles erträgt“, veranlasst die Hüter der alten Ordnung zum spottenden „Toll! Der lässt sich ja alles gefallen! – 70x7mal vergeben!“ (vgl. Matthäus 18,22)

Und die Angst vor diesem Ausgenutzt-Werden, vor der ganz großen Verletzung, die sitzt uns allen in den Knochen. Sie ist die große Versuchung, die daran hindert, sich an ihm das gezeigte Beispiel zu nehmen. Dieser Versuchung entgegen steht nur:

Wirkliche Liebe missbraucht nicht, nutzt nicht aus. Deswegen ist sie ja vor allem anderen das Gebot der Stunde, jeder Stunde. Wenn ich Gott wirklich liebe, werde ich ihn nicht zum Deppen machen, der mir ja auch die schlimmste Schuld durchgehen lässt. Und wenn ich mit ihm gemeinsam und von ihm beseelt meine Mitmenschen liebe, werde ich nicht irgendwelche Vorteile meiner Situation dazu missbrauchen, deren Interesse gleichgültig zu ignorieren. Und ich werde mich nicht unterwürfig-nachgiebig den Erwartungen derer anpassen, die Einfluss haben und ganz andere Maßstäbe setzen und damit den allgemeinen Lebensstil prägend beherrschen wollen.

Aber da die Versuchung immer bleibt, mich zu verhalten wie „alle Welt“, werde ich auch, solange ich in dieser Welt lebe, unterwegs bleiben. Auf dem Weg, der solche Lebensweise bleibend als Ziel anstrebt und immer nur bruchstückhaft verwirklicht – in „Sternstunden“. „Ich bin noch nicht so weit.“ Eine wunderbare Aussage, die den Glauben charaktierisiert und die Orientierung eines Christenmenschen, der „begriffen“ hat, was Jesus an uns getan hat. „Ich bin noch nicht so weit“ – und weiß mich damit von Gott geliebt und höchst wertgeschätzt. Und ich werde Ausschau danach halten, dass jeder meiner Tage zu einem Abschnitt des Weges ins Leben mit ihm wird.

Diese von Jesus neu dargestellte Art, wie Gott herrschen will und „einen neuen Himmel und eine neue Erde“ (Offenbarung 21,1 u.a.) begründet; – dieser Gott ist so ganz anders als das Bild von Gott, das sich die Geltungssüchtigen, die Machthungrigen und Habgierigen in Gold gegossen haben und das sie im eigenen Interesse auch unters Volk gebracht haben. Diese Spannung spitzt sich jetzt zu und Jesus stellt sich dem Konflikt. Er weicht nicht aus, nein: er geht in die Höhle des Löwen – im Wissen, dass er diesen Kelch jetzt trinken muss. Damit das Volk in letzter Deutlichkeit sehen kann: Ihm geht es tatsächlich nicht um irgendein anderes verstecktes Ziel, sondern ihm geht es in Gottes Namen nur darum, dass die Menschen sich jetzt endlich öffnen für die befreiende und rettende Liebe Gottes und sich ihm anvertrauen und sich von ihm den Weg in erfülltes Leben zeigen und führen lassen!

Sein ganzes Tun und Reden die 3 Jahre hindurch fasst er jetzt, da als Folge von all dem sein Tod bevorsteht, in einem symbolischen Akt zusammen: Er geht vor ihnen in die Knie und wäscht ihnen die Füße. Sich das gefallen zu lassen, fällt nicht nur dem Petrus schwer. Und unsereins?

Rainer Petrak 13.4.2017

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