Blogbeitrag

Foto: Bertram Solcher - Advent-Nachmittag 2009

Belebende Vorfreude

14. Dezember 2023

Sonntagsbotschaft zum 17. Dezember 2023, dem 3. Adventssonntag (Lesejahr B).

Überflutet von Informationen, die mir menschliches Elend und krisenhafte Problemfelder Schlag auf Schlag vor Augen halten.

Da wirkt es auf mich redundant und belanglos, wenn dann auch noch eine kirchliche Pflichtübung den biblischen Advent-Ruf „seid wachsam“ dazu benutzt, dasselbe noch einmal und wieder und wieder tun zu sollen. Braucht es Kirche und solchen „Glauben“ für etwas, was alle Welt eh schon zum Überdruss erleidet? Warum bleibt da links liegen, was doch – mindestens den Christen – als diesen Rahmen gerade sprengende Perspektive mit der biblischen Botschaft des Advents anvertraut ist?!

Nehmen wir doch einfach als Muster die Propheten-Botschaft, die für diesen 3. Adventssonntag vorgesehen ist als erste Schriftlesung in den Eucharistiefeiern. Sie bezieht sich auf eine durchaus mit unserer Zeit vergleichbare Situation, nämlich auf die damals so heruntergekommene Stadt Jerusalem. Das Kapitel (Jesaja 60) vor diesem Lesungstext spricht das Desaster an, das die Menschen bedrückt:

„Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker“ (Vers 2). Von Unterdrückern ist die Rede und von Verachtung für die Menschen in der Stadt (Vers 14), die „verlassen und verhasst“ sind (Vers 15). Gewalttat, Scherben und Verderben – so fasst es der Text zusammen. (Vers 18)

Also der Kopf in den Sand gesteckt angesichts der Krisen und Probleme wird hier ganz und gar nicht. Aber das Wesentliche der Botschaft, die sich auf diese Lage bezieht, ist eine ganze Vision von Veränderungen. Die will Gott herbeiführen und er lässt sie jetzt ankündigen.

Wenn das auch schon weit über 2000 Jahre her ist, stieß diese Botschaft schon damals natürlich auf die gleichen skeptischen Reaktionen wie heute: „Träumerei!“ „Unrealistisch!“ „Ei wo bleibt er denn?“ Trotzdem traut sich der Prophet, die Botschaft auszusprechen. Und es gibt Menschen, die sie weitersagen – bis in unsere heutigen Gottesdienste!

Da verspricht Gott, dass er selber diese Situation verändert und sich so als Retter zeigt, ihnen erscheint, so dass sie ihn erkennen.

Mit unglaublich klingenden Worten wird das beschrieben – in diese hilflos und depressiv machende Situation hinein:

… doch über dir geht strahlend der HERR auf,
seine Herrlichkeit erscheint über dir.
… Nationen wandern zu deinem Licht …
Da wirst du schauen und strahlen,
dein Herz wird erbeben und sich weiten.
Denn … der Reichtum der Nationen kommt zu dir.

Und dann wird Gott selbst in den Mund gelegt, womit er die Vision von der ersehnten Zukunft weiter ausmalt:

Gebückt kommen die Söhne deiner Unterdrücker zu dir,
alle, die dich verachtet haben,
werfen sich dir zu Füßen. …
… Du wirst erkennen,
dass ich, der HERR, dein Retter bin …
Ich setze den Frieden als Aufsicht über dich ein
und die Gerechtigkeit als deine Obrigkeit.
Man hört nichts mehr von Gewalttat in deinem Land,
von Scherben und Verderben in deinem Gebiet.
… Ich, der HERR, zu seiner Zeit führe ich es schnell aus.

Und in der Fortsetzung schließt sich daran an, was als 1. Schriftlesung dieses Sonntags vorgesehen ist:

Der Geist GOTTES, des Herrn, ruht auf mir.
Denn der HERR hat mich gesalbt;
er hat mich gesandt,
um den Armen frohe Botschaft zu bringen,
um die zu heilen, die gebrochenen Herzens sind,
um den Gefangenen Freilassung auszurufen
und den Gefesselten Befreiung,
um ein Gnadenjahr des HERRN auszurufen.

Verblüffend: Das sind – im Lukas-Evangelium (4,16-21) – die Worte, mit denen Jesus zum ersten Mal in Nazaret öffentlich auftritt: Am Sabbat in der Synagoge verkündet er diesen Prophetentext und bezieht ihn auf sich:

Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.

Es war ja wieder eine Zeit von der Art der Zusammenhänge und Situationen, in die hinein der Prophetentext ursprünglich gesagt war. Da hören sie Jesus, der mit diesen Worten zu ihnen sagt: Ich komme, um jetzt mit euch die alte Verheißung umzusetzen.

Natürlich hören sie den ganzen Zusammenhang des Propheten-Textes mit; vielleicht hat Jesus das ganze Kapitel vorgelesen.

Da heißt es in Versen, die in unserer gottesdienstlichen Lesung weggelassen sind:

Alle Trauernden sollen getröstet werden (Vers 2-3). Die in Trümmern liegenden, verödeten Städte werden wiederaufgebaut (Vers 4). Diejenigen, die über das Volk Elend und Schande gebracht hatten, werden Wiedergutmachung leisten (Vers 5-7). Gott selber wird das Volk zuverlässig und dauerhaft mit Recht und Gerechtigkeit segnen (Vers 8-9).

Und auch bei uns in den Gottesdiensten sind die sich daran anschließenden jubelnden Verse zu hören:

Von Herzen freue ich mich am HERRN.
Meine Seele jubelt über meinen Gott.
Denn er kleidet mich in Gewänder des Heils,
er hüllt mich in den Mantel der Gerechtigkeit
wie ein Bräutigam sich festlich schmückt
und wie eine Braut ihr Geschmeide anlegt.
Denn wie die Erde ihr Gewächs hervorbringt
und der Garten seine Saat sprießen lässt,
so lässt GOTT, der Herr, Gerechtigkeit sprießen
und Ruhm vor allen Nationen.
(Jesaja 61,1-2a.10-11)

Und den Menschen, die heute diesen Advents-Gottesdienst feiern, traut und mutet die gottesdienstliche Ordnung zu, dass sie im Kehrvers zum sich unmittelbar anschließenden Antwortpsalm sich dieses Bewusstsein zu eigen machen, sich in unserer aktuellen Situation damit identifizieren:

Meine Seele jubelt über Gott, meinen Retter.

Unversehens werden wir so zu der Maria, die im Kommen ihres Sohnes und im Rückblick auf sich immer wiederholende Erfahrungen die Jahrhunderte hindurch in Jubel ausbricht über Gottes Handeln in Jesus und voller Vorfreude einfach „weiß“: So wirst du auch jetzt in der aktuellen Krisensituation handeln – besonders mit denen, die am Limit sind und mit denen, die nicht mehr weiter wissen – jedenfalls, da DU unsere Mündigkeit respektierst, mit denen, die das wollen; mit denen, die das dir zutrauen und sich darauf einstellen, wachsam für alle Ansätze, die du eröffnest – und gerne bereit, alle Wege dafür zu ebnen.

Also singen wir mit Maria:

Meine Seele preist die Größe des Herrn
und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.
Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.
Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.
Denn der Mächtige hat Großes an mir getan
und sein Name ist heilig.
Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht
über alle, die ihn fürchten.
Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben
und lässt die Reichen leer ausgehen.
Er nimmt sich seines Knechtes Israel an
und denkt an sein Erbarmen, …
(Lukas 1,46b-50.53-54)

Und dabei sind noch die Bibel-Verse weggekürzt, die die mächtige Wirkung seines Handelns plastisch illustrieren:

Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten:
Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind;
er stürzt die Mächtigen vom Thron
und erhöht die Niedrigen.

In dieser Haltung gegenüber den schmerzhaften Realitäten heute und gegenüber ihm, unserm Retter, empfängt dann die Gemeinde ihn, der im Evangelium auf sie zu kommt, mit seinem Jesaja-Wort

Der Geist des Herrn ruht auf mir.
Der Herr hat mich gesandt,
den Armen die frohe Botschaft zu bringen.
Halleluja!

Heute kommt Er ja in unsere Situation und bringt denen am Limit eine gute Nachricht, so dass die Gebeugten sich aufrichten! Den Niedergetretenen und Geringgeachteten heute bringt er Würde und Recht und den innerlich Gebrochenen Heilung, den Gefangenen Befreiung!

Unglaublich! Aber für die, die IHN in ihrer Mitte erkennen, trotzdem wahr, realer Aufbruch!

Für diese Perspektive des Auswegs gilt es wachsam zu sein.

Die ihr Herz hinüberwerfen und sich der Botschaft anvertrauen, die diesem Sonntag seinen Akzent gibt; also alle, die das zu eigen annehmen als Bezugsrahmen, als Orientierungs-Maßstab in der heutigen Wirklichkeit; die im Herzen Ja dazu sagen; die werden einerseits weiterhin von Gott einfordern: „Herr, dann mach das aber bitte schön auch wahr!“ Und zugleich wird dann für alle, die in solcher Weise an ihn „glauben“, solche Ausrichtung ihrer Wachsamkeit zur neugierigen Vorfreude! Alle Anzeichen dafür, wie er wo einwirken will, werden ihnen zur Entdeckung und zum Aufruf, ihm den Weg zu bereiten. Wie bei Johannes dem Täufer, von dem das Sonntags-Evangelium redet (Johannes 1,6-8.19-28).

Hier können Sie meinen Beitrag weiter empfehlen: