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Warum warten?

7. Dezember 2023

Sonntagsbotschaft zum 10. Dezember 2023, dem 2. Adventssonntag (Lesejahr B).

„Zeit der Erwartung“. Das sei das Wesentliche des Advents. Schon als Kind hat man mir die entsprechende Haltung beigebracht: Am Adventskalender darf ich immer nur das Türchen des aktuellen Tages aufmachen. Ungeduldig nachschauen, was sich hinter den Türchen der nächsten Tage versteckt? Das ist nicht drin.

„Oh doch!“, sagte der Handel
mit Erfolg für den Wandel.
Ja, clever ist der Kommerz
beim Zielen auf dein Herz.

Schon bevor die Wartezeit auch nur angefangen hat, strahlt die festliche Dekoration mit ganzer Kraft und das volle Programm der weihnachtlichen Lichterketten bringt das Glück frei Haus. „Neue Welt“ schon jetzt. Warten war gestern.

„Wir bereiten dir den Weg.
Alle unsere Türen stehen dir offen;
du musst nur reinkommen.
Und selbst das kannst du dir sparen:
Online kommen wir zu dir aufs Sofa.
Kein Geld? Kein Problem: jetzt kaufen, später zahlen!
Sonst verpasst du ja unsere Rabatte!
Du bist schon am Ziel, greif einfach zu!
Und danach?
Kein Problem: nächste Runde!“

Klingt eigentlich ziemlich religiös. Anderer „Advent“.

In einer Phase meines Lebens, als die Belastungen mein Weitergehen sehr auf die Probe stellten, sagte ich mal: „Ich lebe in einer Zeit des Advents.“ Die Religion des Kommerzes – mit ihrer Kunstlichtliturgie, ihren Wachstumsdogmen und ihrer Bezahlmoral – hätte mir damals keine Tür zu gutem Leben öffnen können. Ich sah mich vor einem ganzen Kalender mit unabsehbarem Ende und voller verschlossener Türen.

In der Haltung, die mir gewachsen war, und mit dem sich daraus ergebenden neugierigen Blick hielt ich Ausschau – in der Gewissheit, dass Tür für Tür neues Leben, neue Zukunft eröffnen werden. Steine, ja ganze Felsbrocken versperrten mir zwar die Sicht und blockierten jeden Weg. Aber ich bin damit gut gefahren.

Zu allen Zeiten stellen sich für Menschen Hindernisse dem Leben entgegen. Und heute sieht sich die ganze Menschheit vor ganzen Bergen, die zu überwinden mehr benötigen würde als nur eine Menge Geld.

In der Blickrichtung der mir eigen gewordenen Haltung hatte ich damals aufgeseufzt: „Wie wird die Auferstehung diesmal aussehen?“

Taugt diese Blickrichtung angesichts all der aktuellen Krisen und Katastrophen?

Das lässt sich nur ausprobieren – in einer Haltung des Vertrauens.

Wie fange ich das an?

Ich sage „Du“. Und meine Gott: den Gott, den ich an Jesus sehe; den Gott, den ich aus der Bibel höre; den Gott, der mich auf dem Weg entsprechender Erfahrungen in glaubendem Miteinander in eine Beziehung zu sich geholt hat.

Ich frage, was seine Botschaft für diese zweite Sonntagsetappe im diesjährigen Advent sein mag – mittels der Abschnitte aus der Bibel, die die Kirche dafür vorgesehen hat. Und ich frage ihn: „Was fängst du denn jetzt mit uns an?“

Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, Gottes Sohn.
Wie geschrieben steht beim Propheten Jesaja –
Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her,
der deinen Weg bahnen wird.
Stimme eines Rufers in der Wüste:
Bereitet den Weg des Herrn! Macht gerade seine Straßen! -, …

Rätselhafte Worte. Wenn auch noch so bekannt. Wer spricht da? Zu wem? In was für einer Situation? Und was hat das mit uns heute zu tun?

„Rufer in der Wüste“ – geflügeltes Wort. Also „jemand, der mahnt und warnt, ohne Gehör zu finden“ – so umschreibt es das Online-Wörterbuch Wiktionary. Also absehbar aussichtslos. Irrelevant.

Warum ruft er trotzdem? Wenn er meint, was er zu sagen hat, ist wichtig, sollte er doch eher in die Stadt gehen!

Vielleicht möchte er ja gern, aber er kann nicht? Vielleicht hat es ihn ja in die Wüste verschlagen. Oder es könnte ja doch vielleicht jemand ihn hören? Oder er ruft, einfach weil es aus ihm heraus ruft?

Ein Bote? Geschickt von wem?

Der schlaue Christ weiß natürlich von vornherein: von Gott. Aber das steht halt hier nicht. Und ich will ja neu auf den Text hinhören.

Und wer ist da angesprochen mit „du“: „Vor dir her sende ich meinen Boten“?

Anscheinend ist es der Bote, der mit seiner Stimme in der Wüste Menschen aufruft, aktiv zu werden: Sie sollen den Weg ebnen. Für wen?

Offensichtlich für den, der hier mit „du“ angesprochen ist und der dann als „der Herr“ benannt wird. Der soll ungebremst kommen oder durchziehen können und dafür soll der Weg hergerichtet werden.

So stehe das beim Propheten Jesaja geschrieben.

Mit dem Rückgriff auf dieses Zitat aus dem Alten Testament beschreibt der Evangelist, wie es anfängt, dass „Jesus Christus, Gottes Sohn“ für die Menschen zum „Evangelium“ wird.

Wenn das für die Frage relevant ist, wie Gott das auch heute anfängt, dann möchte ich doch gerne besser verstehen, was der Evangelist damit meint.

Hilfreich, dass für die gottesdienstlichen Feiern des 2. Adventssonntags die Stelle aus dem Jesaja-Buch vorgesehen ist, aus der der Evangelist zitiert.

Angesprochen ist da ein Volk, fern von Gott, vertrieben in die Fremde, ausgebeutet durch die Herrschenden. Und das geht jetzt immer so weiter – fern der Heimat – im alten Bild der Herde: ohne Aussicht auf einen Weidegrund mit einigermaßen Lebensqualität.

Und warum ist das so? Sie verstehen: Das ist die Konsequenz, das haben wir jetzt davon, wie wir uns in unserem Miteinander versündigt haben an Gott und an der Welt.

In solcher Wüste des Lebens ruft der Prophet ihnen zu:

Tröstet, tröstet mein Volk,
spricht euer Gott.
Redet Jerusalem zu Herzen
und ruft ihr zu, dass sie vollendet hat ihren Frondienst,
dass gesühnt ist ihre Schuld,
dass sie empfangen hat
aus der Hand des HERRN
Doppeltes für all ihre Sünden!

Eine Stimme ruft:
In der Wüste bahnt den Weg des HERRN,
ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott!
Jedes Tal soll sich heben,
jeder Berg und Hügel sich senken.
Was krumm ist, soll gerade werden,
und was hüglig ist, werde eben.

Dann offenbart sich die Herrlichkeit des HERRN,
alles Fleisch wird sie sehen.
Ja, der Mund des HERRN hat gesprochen.
Steig auf einen hohen Berg,
Zion, du Botin der Freude!
Erheb deine Stimme mit Macht,
Jerusalem, du Botin der Freude!
Erheb deine Stimme, fürchte dich nicht!
Sag den Städten in Juda: Siehe, da ist euer Gott.

Siehe, GOTT, der Herr, kommt mit Macht,
er herrscht mit starkem Arm.
Siehe, sein Lohn ist mit ihm
und sein Ertrag geht vor ihm her.
Wie ein Hirt weidet er seine Herde,
auf seinem Arm sammelt er die Lämmer,
an seiner Brust trägt er sie,
die Mutterschafe führt er behutsam.

(Jesaja 40,1-5.9-11)

Ob ihnen das wirklich „zu Herzen“ gehen wird? Ob sie – so neu bei „Trost“ – wirklich die Beine in die Hände nehmen werden? Es klingt ja wie ein neuer Aufbruch aus Ägypten. Völlig unverhofft sich öffnende Tür in neue Freiheit! Da geht ein ganzer Himmel auf!

Und so – sagt der Evangelist Markus – fängt auch das Evangelium an von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.

Das ist der Hintergrund, der Zusammenhang, Sinn und Ziel von all dem, was er in seiner Evangeliums-Schrift bezeugt und was so anfängt:

… so trat Johannes der Täufer in der Wüste auf
und verkündete eine Taufe der Umkehr
zur Vergebung der Sünden.
Ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems
zogen zu ihm hinaus;
sie bekannten ihre Sünden
und ließen sich im Jordan von ihm taufen.

Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren
und einen ledernen Gürtel um seine Hüften
und er lebte von Heuschrecken und wildem Honig.

Daran können sie erkennen: Der lebt in der Wüste. Der weiß, wie das da ist, der kennt das. Der ist einer von uns, nicht noch einer von den Gelehrten und Besserwissern. Er verkündet keine Lehre, sondern er bezeugt, was ihm klar wurde, und lenkt die Aufmerksamkeit auf Jesus:

Er verkündete:
Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich;
ich bin es nicht wert,
mich zu bücken und ihm die Riemen der Sandalen zu lösen.
Ich habe euch mit Wasser getauft,
er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen.

(Markus 1,1-8)

Und der, auf den er aufmerksam macht, wird nicht müde werden, Menschen darauf Lust zu machen, dass sie Anteil nehmen an Gottes Aufmerksamkeit für den Menschen, vor allem auf die Benachteiligten aller Art. Und davon wird sein Evangelium erzählen. Und Menschen werden sehen und hören. Begierig und geduldig – einer guten Zukunft gewiss.

So bereiten sie ihm den Weg. Dann kann er kommen. Und so kann es werden. Bei uns. Und überall.

Eine andere Perspektive erwartet vom Menschen „jeden Tag eine gute Tat“. Diese Perspektive aber traut Gott zu: „jeden Tag eine weitere offene Tür“.

„Macht hoch die Tür …“

 

Meine Sicht von der Botschaft des 2. Adventssonntags im Lesejahr B, wie ich sie vor drei Jahren gehört habe: https://rainer-petrak.de/wie-kann-man-in-corona-zeiten-dem-herrn-den-weg-zur-welt-bereiten/

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