Blogbeitrag

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Bleiben wir in Verbindung!

25. April 2024

Sonntagsbotschaft zum 28. April 2024 (dem 5. Ostersonntag im Lesejahr B).

Eines Tages, beim Rasenmähen im Garten, sah ich – gerade noch rechtzeitig: Da wuchs zwischen den Grashalmen ein Stängel hoch, an dem sich Blätter seitwärts reckten. Die sahen aus wie von einem Kastanienbaum! Ja, da hatte eine Kastanie gekeimt, getrieben und wollte jetzt zu einem Baum werden! Natürlich achtete ich darauf, das Bäumchen nicht zu beschädigen. Ohne irgendein Dazutun meinerseits wuchs es auf. Die Jahre hindurch sah ich es mit Interesse, vielleicht auch mit ein wenig Liebe.

Dann kam der Moment, anderswohin umzuziehen. Was würde das weitere Schicksal „meiner“ Kastanie sein? Sie war inzwischen um die 15 Jahre alt.

Bei meinem Umzug grub ich sie großzügig aus. „Meine Kastanie“. Ich habe sie als mir eigen behandelt; habe trotz Ortswechsels meine Beziehung zu ihr aufrechterhalten. Warum? Wollte ich sie weiter hegen? Wollte ich sie besitzen, mich an ihr freuen?

Auf meinem Balkon hat sie einen schönen Platz an der Sonne im großen Blumentopf und wächst weiter. Vor jedem Winter schneide ich ihre Zweige so weit wie möglich zurück, so dass etwas in der Art wie ein Bonsai entstanden ist; ich wollte ja ihre Größe im Rahmen einer Balkonpflanze halten.

Täglich fällt mein Blick auf meine Kastanie und ihre jahreszeitlichen Verwandlungen. Vor ein paar Jahren im Frühling traute ich eines Tages meinen Augen nicht. Noch nie hatte meine Kastanie geblüht; diese Möglichkeit war auch immer außerhalb meines Vorstellungshorizonts geblieben. Jetzt entdeckte ich plötzlich einen Blütenstand – einen einzigen – den ersten nach über 30 Jahren! Mit dem alljährlichen Beschneiden der Zweige hatte ich wahrscheinlich die immer wieder entstehenden Blütenknospen abgeschnitten; diesmal war – ohne meine Absicht – eine Blütenknospe übriggeblieben! Tag um Tag hing mein Blick an der wachsenden Blütenkerze, die ihre Schönheit immer mehr entfaltete.

Der Stoffwechsel zwischen dem gesamten Baum und dem Blütenstand funktionierte offensichtlich gut. Irgendwann kam mir die Frage in den Sinn: Würde sie auch Früchte entwickeln, richtige Kastanien tragen? Kaum zu glauben!

Aber die beständige Verbindung mit dem Stamm, die Beziehung zur gesamten Pflanze sprach eigentlich für zukünftige Früchte. Dann sah ich Hummeln an den Blüten. Deren Schönheit ließ im Lauf der Zeit allmählich nach. An der Stelle der verwelkt abgefallenen Blütenblätter zeigten sich kleine stachelige Knubbel. Nicht alle blieben dran. Regen, Wind und Wetter ließen dennoch ein Dutzend kleiner Baby-Kastanien an der Blütenkerze bleiben, die zum Fruchtstand geworden war. Immer neugieriger wurde ich auf die gedeihenden Früchte.

Dann gab es in einer Nacht einen kräftigen Sturm. Am nächsten Morgen hing der Fruchtstand kopfüber im Geäst. Abgebrochen. Klar: Ohne weitere lebendige Verbindung mit dem Baum – da geht nichts mehr. Ich war traurig, den Fruchtstand aus meiner Sorge zu entfernen.

Diese Erfahrung war mir wieder ganz gegenwärtig, als mir klar wurde: Im Evangelium des Sonntags geht es um einen Sachverhalt dieser Art; damit bringt Jesus bildhaft auf den Punkt das Wesentliche der Beziehung zwischen ihm und denen, die sich ihm zugehörig wissen, sich ihm anvertraut haben und ihm nachfolgen wollen.

Das Bild ist da zwar nicht ein Kastanienbaum und seine Früchte, aber ein Weinstock und seine Reben:

Ich bin der Weinstock,
ihr seid die Reben.
Sagt Jesus.

Der Weinstock lebt nur interaktiv: Die Umgebung und der Weinstock wirken aufeinander ein. Und ebenso interaktiv sind auch die Lebensabläufe im Weinstock selber. Und dann kommt noch dazu die Sorge des Winzers für seinen Weinstock.

Jeder lebendige Organismus ist ja ein Geflecht von Beziehungen, ein Netz von Verbindungen zwischen dem Ganzen und seinen Teilen. Auch in sozialen Organismen, solange sie lebendig sind, in „Organ“isationen, wie wir gegliederte Gemeinschaften auch benennen, ist eine „organ“ische Abstimmung ihrer Glieder aufeinander eine wichtige Vorbedingung für eine kraftvoll lebendige Präsenz und Wirksamkeit in ihrer Umgebung.

Damit ein Verein für seine Mitglieder das sein kann, was er sein will, ordnet er sich und die Mit-Glieder nach unterschiedlichen Tätigkeiten und Kompetenzen. Und dank ihrer organisch eingefügten Zugehörigkeit zum Verein gewinnen seine Mitglieder die Chance zur Verwirklichung dessen,
wozu sie sich da verabredet haben.

Ein ähnliches Bild greift wiederholt der Apostel Paulus auf, wenn er vom „Leib“ Christi spricht und von dessen vielen verschiedenen „Gliedern“, die nur gut aufeinander abgestimmt ihn wirklich verkörpern können.

Ein solcher Organismus ist für seine Fruchtbarkeit, für seine Lebendigkeit, für den Erfolg seiner Aktivitäten auf einen möglichst reibungslosen Stoffwechsel angewiesen zwischen seinen Gliedern und auch mit seiner Umgebung. Und dafür braucht es die beständige Beziehung untereinander und zum Ganzen.

Die Blütenrispe eines Kastanienbaums oder eines Weinstocks kann noch so schön gewesen sein und der Fruchtstand, der daraus geworden ist, mag optimale Chancen haben. Aber wenn er vom Sturm abgebrochen wird und er nicht in der Beziehung zur gesamten Pflanze bleibt, kann er sich nicht zur Fülle und zum eigentlichen Sinn seines Daseins weiter entfalten.

So ist es auch mit Jesus Christus und seinen Christen:

„Ich bin der Weinstock,
ihr seid die Reben. …
Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe,
der bringt reiche Frucht; …
Wie die Rebe aus sich
keine Frucht bringen kann,
sondern nur,
wenn sie am Weinstock bleibt,
so auch ihr,
wenn ihr nicht in mir bleibt. …
Bleibt in mir, und ich bleibe in euch. …“
(Johannes 15,4-5)

„Bleibt in mir!“ Das so übersetzte griechische Wort spricht von dem Ort, an dem man sich dauerhaft aufhält, wohnt, zuhause ist. Im übertragenen Sinn meint das Wort „bleibt“ eine dauerhaft bestehende Gemeinschaft von Personen.

Die Aufforderung ist also: Pflegt die Verbindung mit mir und sorgt dafür, dass sie Bestand hat! Bleibt bei mir angesiedelt, habt dauerhaft bei mir Heimat – mit der Erfahrung von Zugehörigkeit, Freiheit und Orientierung.

Das ist eine organische Zuordnung in Ergänzung zueinander, nicht wie sonst meistens in Abhängigkeiten. Euer Leben in mir anzusiedeln, bedeutet gegenseitige Wertschätzung eurer Eigenheiten und nicht Konkurrenz von Verdiensten! Wenn ihr die Beziehung zu mir als euren Lebensraum pflegt und wenn ihr eure eigene Selbstverwirklichung durch die lebendige Verbindung mit mir nähren lasst, dann wird sich euer Leben sinnvoll und fruchtbar entfalten!

Von solcher Art ist die Beziehung zwischen ihm und denen, die sich ihm zugehörig wissen und ihm nachfolgen wollen. Wie zwischen Weinstock und Reben. Wie zwischen Kastanienbaum und ihren Fruchtständen. Wie zwischen einem Leib und all seinen Gliedern und Gelenken, Zellen und Organen.

Und der Winzer sorgt für alles das. „Ich bin der wahre Weinstock“, sagt Jesus. „Und mein Vater ist der Winzer.“ Mit dem, was der Winzer tut, wie er die äußeren Bedingungen gestaltet, sorgt er dafür, dass der Weinstock wächst und reiche Frucht bringt!

In der Beziehung zu meiner Kastanie war ich zwar nicht „der Winzer“, aber ich hatte die Sorge für sie übernommen. Mit gemischtem Ergebnis: Sie war zwar nicht der Umwandlung ihres ursprünglichen Standortes in einen gepflasterten Parkplatz zum Opfer gefallen. Aber wenn ich mit einem Blick für ihre Fähigkeit zum Blühen und zum Fruchtbringen sie nicht so heftig beschnitten hätte, wäre sie vielleicht zwar für meinen Balkon zu groß geworden, hätte sich aber – ihrem Wesen entsprechend – besser entfalten können. Im Unterschied zu mir hat „der Winzer“ das alles im Blick und sorgt für seinen „Weinstock“.

Wenn ich mein Wesen, meine Identität, meine Lebens- und Wachstums-Sehnsucht darin sehe, dass Gottes Reich, seine liebende Herrschaft sich ausbreitet nach dem Muster, wie es Jesus verkörpert und ausbreitet, dann muss ich – eben wie ein Glied an seinem Leib, wie eine Rebe an seinem Weinstock und im Einvernehmen mit dem hegenden Winzer – unbedingt darauf achten, dass in dem unübersichtlichen Geflecht von Einflüssen beim Leben in dieser Welt die Lebenskraft, der „Geist“ von Jesus nicht durch andere Kräfte verdrängt wird. Damit das „Blut“ von Jesus durch meine Adern fließt.

Dabei gibt es – je nachdem, wohin augenblicklich die Aufmerksamkeit geht – zwei einander entgegengerichtete – Versuchungen zu kurzsichtiger Einseitigkeit:

Wenn der Blick für den ganzen Baum das Wohlergehen seiner einzelnen Äste und Blätter, Blüten und Früchte vernachlässigt, dann führt solcher „Kollektivismus“ langfristig zum Untergang des Baumes.

Und wenn die Sorge für einzelne Fruchtstände den Blick für das Wohlergehen des ganzen Baumes vernachlässigt, führt solcher „Individualismus“ dazu, dass die einzelnen Glieder des Ganzen eingehen werden.

Für ein gutes Gedeihen des Ganzen und seiner Glieder braucht es eine Beziehung, die Verbindung mit dem Blick füreinander und einer guten Pflege des Aufeinander-angewiesen-Seins.

Was belebt mich? Was beatmet den ganzen Baum? Was bestimmt mich und meine Identität?

Die Rebe am Weinstock verhält sich unterschiedlich je nach Herausforderungen und Umständen. Sie lässt sich nicht widerstandslos in ihrer Entfaltung behindern oder verfremden oder krank machen. Die Lebenskraft des Weinstocks wie auch jedes anderen Organismus aktiviert eigene physikalische Abwehrmechanismen oder entwickelt chemische Gegenmittel. Von Sonnenstrahlen lässt sich die Pflanze gerne beleben und wendet ihnen daher ihre Blätter zu.

Mir ist es zur guten Gewohnheit geworden, als erstes nach Aufstehen und Dusche mir bei einem Pott Kaffee einen längeren Bibeltext zu Gemüte zu führen und einen dazu angebotenen Begleittext aus der Glaubensgeschichte. Dazu lädt in der Liturgie des Stundengebets die tägliche „Lesehore“ ein. Das wirkt sich dann aus auf meine Sicht von den Ereignissen, die mir im Lauf des Tages begegnen. Da habe ich Gottes Angebot im Blick und die Kriterien und Argumente von Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit, während mir in Zeitung und Fernsehen manchmal ganz andere Betrachtungsweisen und Aufmerksamkeiten und Bestrebungen begegnen. So „be-lebt“, „be-atmet“ mich der von Christus geprägte Geist zur Teilhabe an seinem Leben und Werk.

Wenn ich Kastanie sein will, muss ich am Kastanienbaum bleiben! Ohne weitere lebendige Verbindung mit dem Baum – da geht nichts mehr. Wenn ihr als „Reben“ an mir Frucht bringen wollt, also: wenn ihr zu dem, wofür ich stehe und bekannt bin und wirke, fruchtbar beitragen wollt, dem „dienen“ wollt, wenn ihr euch darin einordnen, einfügen wollt, dann geht das nur, wenn ihr dafür die interaktive Verbindung, die Zugehörigkeit, so „nutzt“, wie eine Rebe ihre Verbindung zum Weinstock nutzt! Das „bringt’s“ dann!

Damit dieser „Leib Christi“ nicht dauernd wie gelähmt im Bett liegen muss, um die Krankheiten seiner Glieder in ihrem Miteinander auszukurieren, ist der vom gemeinsamen „Geist“ geprägte Stoffwechsel wichtig, in dem die Glieder ihre gemeinsamen Lebensvollzüge und Schritte gut organisieren, ohne einander zu verletzen oder krank zu machen, vielmehr um sich gegenseitig belebend zu bestärken.

Klerikaler Belehrungswahn, Entmachtung der glaubenden Getauften, mangelnder Respekt vor der Würde des Menschen – für einen lebendigen Fluss des belebenden Geistes schnürt alles das nur die gegenseitigen Versorgungswege in diesem Weinstock gefährlich ein.

Gut, dass der „Synodale Weg“ und andere Bewegungen und Initiativen ihre Aufmerksamkeit auf einige der aktuellen Krankheiten der Kirche legen. Hoffentlich werden dabei die belebenden, klärenden, reinigenden, kräftigenden Angebote genutzt, die in einer organischen Beziehung zum gesamten Weinstock und zu seinem Lebensraum liegen!

Wohin das führen kann?

Am Ende des Evangeliums-Abschnitts für diesen Sonntag sagt Jesus:

Wenn ihr in mir bleibt
und meine Worte in euch bleiben,
dann bittet um alles, was ihr wollt:
Ihr werdet es erhalten.
Mein Vater wird dadurch verherrlicht,
dass ihr reiche Frucht bringt
und meine Jünger werdet.
(Johannes 15,7-8)

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