Blogbeitrag

Amaryllis (privat 2014)

Türen auf für die Liebe!

2. Mai 2024

Sonntagsbotschaft zum 5. Mai 2024, dem 6. Ostersonntag im Lesejahr B.

„Liebe“ – das Wort wird viel zu oft missbraucht – als plattes Klischee, als frommes Etikett, als Machtinstrument … Trotzdem ist und bleibt es Inbegriff menschlicher Sehnsucht. Es lohnt sich, seinem echten Geschmack nachzuspüren.

Die Botschaft der Bibel bietet sich dafür an. In ihren Abschnitten, die an diesem Sonntag zu hören sind, ist viel die Rede von „Liebe“. Versuchen wir es damit?

Als erstes fällt mir auf: In allen Bibeltexten dieses Sonntags wiederholt sich ein „nicht …, sondern …“. Angesagt ist da Widerspruch, Korrektur, Veränderung, Neues jedenfalls, auf Abstand gehen zu Bisherigem. Das macht mich neugierig.

Ich sammle also:

Ein erstes „nicht …, sondern …“ höre ich zum Thema „Hierarchie“ oder „Klerus und Volk“. Es geht um Petrus und Kornelius. Die zwei Männer begegnen einander, zwei sehr unterschiedliche. Ihr soziales Umfeld, ihr Status darin und die Kräfte, die ihr Verhalten prägen, sehr unterschiedlich:

Petrus, der Sprecher des Apostelkreises in Jerusalem, ist gerade auf einer Reise zu den Gemeinden von Christen, die sich in der Scharon-Ebene neu gegründet haben. Mit seinem Verweis auf Jesus Christus und dem Ruf „Steh auf!“ lassen sich Äneas in Lydda und Tabita in Joppe neu zum Leben aufrichten. Das spricht sich herum.

Und dann Kornelius. Der Anführer einer Hundertschaft von römischen Soldaten. Den Juden und ihrer Religion gegenüber zwar freundlich eingestellt, aber immerhin eine Autoritätsperson der römischen Besatzungsmacht.

Von der Begegnung dieser beiden so unterschiedlichen Männer erzählt die Apostelgeschichte. Kornelius hat den Petrus zu sich nach Cäsarea bestellt. Und dann heißt es:

Als nun Petrus ankam,
ging ihm Kornelius entgegen
und warf sich ehrfürchtig vor ihm nieder.
Petrus aber richtete ihn auf und sagte:
Steh auf!
Auch ich bin nur ein Mensch.
(Apostelgeschichte 10,25-26)

Auch hier wieder „Steh auf!“ und die Begründung: „Auch ich bin nur ein Mensch.“

Die erstaunliche Unterwürfigkeit des Hauptmanns Kornelius gründet in seiner Sicht von Autoritäten und ihren Unterschieden. Er, der staatlich Amtliche, schreibt dem Petrus eine noch höhere Würde zu. Der aber korrigiert: „Auch ich bin nur ein Mensch.“ Schluss mit Unterwürfigkeit und „Hochwürden“! Nur Menschsein zählt: „Steh auf!“

Die gleiche Korrektur der Einstellung zueinander strebt Jesus an im Evangelium dieses Sonntags – beim Abschied von Petrus und den anderen am Gründonnerstag, nachdem er gesagt hatte „Begreift ihr, was ich an euch getan habe?“ Er sagt zu ihnen:

Ich nenne euch nicht mehr Knechte; …
Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; …
(Johannes 15,15)

Obwohl sie in ihm – zu Recht, wie er sagt – den „Meister“ erkannt haben, nennt er sie, deren Meister er ist, nicht etwa „Knechte“ – wie man erwarten könnte. Sondern hier geht es um eine ganz andere Art der Beziehung zueinander als in der allgemeinen Gesellschaft üblich: Ihr seid meine Freunde! Da gibt es – selbst in der Beziehung zwischen ihm und unsereins – keinen Unterschied in der Würde!

Elementarer Grundsatz gleicher Würde und gleicher Rechte als Mensch für alle. In vielen nationalen und internationalen Erklärungen anerkannt! Trotzdem werden weltweit sehr viele Menschen „geknechtet“ oder als Menschen zweiter Klasse behandelt.

Was für eine Herausforderung für alle, die sich ansprechen lassen von solchen Worten der Bibel!

Das war nur der erste von drei korrigierenden Aufrufen zur Liebe nach dem Muster „nicht …, sondern …!“

Im zweiten Beispiel geht es um die Frage nach einer Abgrenzung für solche liebende Zuwendung. „Man kann doch nicht alles und alle lieben!“

Petrus bekennt vor den bei Kornelius versammelten Menschen, dass er selber sich seine – aus der allgemeinen Kultur übernommene – Einstellung zu den Mitmenschen hat korrigieren lassen:

Ihr wisst, dass es einem Juden nicht erlaubt ist,
mit einem Nichtjuden zu verkehren
oder sein Haus zu betreten;
mir aber hat Gott gezeigt,
dass man keinen Menschen
unheilig oder unrein nennen darf.
Darum bin ich auch ohne Widerspruch gekommen,
als nach mir geschickt wurde. …
(Apostelgeschichte 10,28-29)

Petrus begreift jetzt, dass Gott bei seiner Anerkennung der Heiligkeit des Menschen keinen Unterschied macht in der Frage, aus welchem Volk eine Person herkommt. Niemandem verweigert er sich!

Keinen Menschen darf man „unheilig“ nennen. Alle haben sie uns „heilig“ zu sein! Aus allen Bestrebungen unter Freunden, aus aller Solidarität im Teilen von Gottes Geschenken, aus den gesellschaftlichen Bemühungen um das Wohlergehen aller Menschen darf niemand ausgegrenzt werden; das können wir niemandem verweigern.

Wie wohltuend, dass das – entgegen jeder Ausgrenzung und universell – in säkularen Prinzipien längst angekommen ist:

Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Sie zu achten und zu schützen
ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Das deutsche Volk bekennt sich darum
zu unverletzlichen
und unveräußerlichen Menschenrechten
als Grundlage
jeder menschlichen Gemeinschaft,
des Friedens und der Gerechtigkeit
in der Welt.
(Grundgesetz Art. 1 (1) und (2))

Sogar „in der Welt“! Die ersten Sätze des deutschen Grundgesetzes über die „Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft“ brauchen zu ihrer Verwirklichung jetzt noch eine Kraft des Glaubens, der darin Gottes eigenen Ruf erkennt und dem höchstes Gewicht beimisst. Was für eine Perspektive öffnet sich da für die Armen dieser Welt und für alle, die zu uns kommen, weil sie uns das glauben!

Und ein dritter korrigierender Aufruf aus den Bibeltexten des Sonntags nach dem Muster „nicht …, sondern …!“:

Da geht es ausdrücklich um die Liebe – zentrales Motiv in der biblischen Botschaft.

Welcher Bibel-Text über die Liebe fällt Ihnen denn spontan als erster ein? Ich vermute, da stehen zwei Sätze in der Häufigkeit ganz vorne: „Du sollst deinen Nächsten lieben …“, vielleicht auch in der Version „… Gott lieben und den Nächsten lieben …“ (Markus 12,31 bzw. 28-31) – und „Die Liebe erträgt alles.“ (1. Korinther 13,7) – meistens auf Eheleute bezogen.

Das haben wir so gelernt. Liebe ist geboten. Moralische Appelle haben ihren Grund immer im Liebesgebot. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte. Aber es ist halt schlimm zu sehen, wie wenig das mit der Liebe klappt. In der Partnerschaft mag das ja mit Unterstützung durch die Sexualität einigermaßen gelingen. Aber gelingendes Leben will es auch in vielen anderen Bereichen geben. Gar in der Politik von Liebe zu reden, erntet blanken Hohn; auch wenn jemand die Fahne der Nächstenliebe noch so hoch hält.

Da gibt es die Erfahrung nicht nur von Psychologen, die sagt, dass ein Kind nur so viel Liebe gegenüber anderen Menschen aufbringen kann, wie es vorher selber Liebe erfahren hat. Die Tragweite dieser Erfahrung ahnend und zur „barmherzigen“ Entschärfung des Liebesgebotes betont so mancher Christ, auch Jesus habe ja gesagt „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“.

Sowohl die 2. Lesung als auch das Evangelium des Sonntags sprechen eine sehr klare Sprache:

Nicht darin besteht die Liebe,
dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns geliebt
und seinen Sohn
als Sühne für unsere Sünden gesandt hat.
(1. Johannes 4,10)

Das korrigiert die traditionelle Vorstellung von der Liebe, die immer bei der Moral und beim Tun des Menschen ihren Anfang nimmt. Als Kind sagte man mir: „Wenn du brav bist, dann bringt dir das Christkind dies und das.“ Es ist halt in dieser Welt sehr ungewöhnlich, geliebt zu werden trotz dieser und jener Schuld.

Der Vorstellung, dass man sich Liebe verdienen muss, stellt Gott sich mit seiner bedingungslosen Liebe, die in Jesus menschliche Gestalt annimmt, heftig entgegen. Er schickt seinen Sohn in die Welt, damit wir durch ihn leben: Damit wir frei kommen aus der „Sünde“ samt ihren zu erleidenden Folgen!

Vielen Menschen bleibt das derartig verwunderlich, dass sie der Botschaft einfach nicht glauben können. Das nimmt er in Kauf. Er bemüht sich, Gottes andere Sichtweise zu vermitteln:

Ich bin nicht gekommen,
um Gerechte zu rufen,
sondern Sünder.
(Matthäus 9,13)

Paulus betont im selben Sinn:

Gott erweist seine Liebe zu uns darin,
dass Christus für uns gestorben ist,
als wir noch Sünder waren.
(Römer 5,8)

Nach der Fußwaschung am Gründonnerstag und nach der Frage „Begreift ihr …?“ sagt es Jesus nochmal im Evangelium dieses Sonntags:

Nicht ihr habt mich erwählt,
sondern ich habe euch erwählt.
(Johannes 15,16)

Und daran erinnert Augustinus, der anerkannte Kirchenlehrer, zu Beginn des 5. Jahrhunderts:

… Wir lieben ja auch nicht,
wenn wir nicht zuvor geliebt werden. …
Wenn du darüber nachdenkst,
wie der Mensch dazu kommt,
Gott zu lieben,
findest du nur den einen Grund:
Gott hat ihn zuvor geliebt.
Der, den wir lieben,
hat sich hingegeben
und schuf uns damit die Möglichkeit,
selbst zu lieben. …
(aus: Augustinus, Sermo 34
aus der 2. Lesung in der Lesehore
am Dienstag der 3. Osterwoche im Jahr I)

Alles dieses Gehörte in knappen Worten zusammengefasst, heißt

erstens – in der Frage nach Status-Unterschieden:

Nicht Unterwürfigkeit,
sondern Augenhöhe!
Nicht Knechte,
sondern Freunde!
Gleiche Würde aller – mit allen Konsequenzen!

zweitens – in der Frage nach einer Abgrenzung dieser Zuwendung:

Nicht Verweigerung
für Menschen anderer Lebens- oder Glaubens-Herkunft,
sondern: Alle sind „heilig“!

und drittens – in der Frage: Wer liebt hier wen?

Nicht der Mensch aus sich heraus
ist Quelle und Akteur der Liebe,
sondern Gott –
er lädt ein, das Lieben mit ihm zu teilen!

Zu erleben sein will das alles natürlich jedenfalls dort, wo Menschen ihre Einstellung von Jesus Christus her bestimmen – in der christlichen Kirche, bei Christen wie auch in einer Politik, die als „christlich“ anerkannt werden will.

Und was sich dann da zeigen kann! Was für eine Liebe!

Der Apostel Paulus schwärmt davon mit den Worten, die als das „Hohelied der Liebe“ bekannt sind und gerne bei Hochzeiten verwendet werden. Leider ein sehr einseitiges Hören hat sich da eingebürgert – meistens mit der Vorstellung, eine wie weit gehende Liebe da von Menschen erwartet wird. Es geht um eine totale Bedingungslosigkeit in der Liebe, die von Menschen aber gar nicht erbracht werden kann. Was dann natürlich zu schweren Enttäuschungen führt, wenn man das alles nur von sich und voneinander erwartet. Allzu sehr übersehen wird dabei: Die Liebe, von der Paulus im 1. Korintherbrief redet, ist Gottes Liebe zu den Menschen, die er als sein Geschenk Menschen ins Herz legt, die gerne aus seinem Geist leben wollen und die dann diese Liebe in der Beziehung zueinander mit ihm teilen wollen.

Eine Liebe, die „alles erträgt“, kann man nur von Gott erhoffen – und das dürfen und sollen wir auch.

Alle, die daran ihre Hoffnung messen und ihre Freude finden, weil in ihnen die Gewissheit klar geworden ist, dass Gott sie auf diese Weise liebt, alle die können dann wahrscheinlich gar nicht anders, als das mit Gleichgesinnten gemeinsam zu leben.

Aus dieser von ihm gespeisten Sichtweise wächst als vielfältige Frucht neuer Lebensraum, Ort, an dem Gott sichtbar hervortritt in Gestalt der Liebe, die die Beteiligten umsetzen – zueinander und zu anderen.

Die neue Menschlichkeit im Gemeinwesen, dieses „neue Jerusalem“, das da entsteht, wird schon im Buch Jesaja besungen mit begeisterten Worten wie

„Ich habe Gefallen an dir
und dein Land wird die Vermählte genannt.
Denn der HERR hat an dir Gefallen
und dein Land wird ihm vermählt. …
Wie der Bräutigam sich freut über die Braut,
so freut sich dein Gott über dich.“
(Jesaja 62,4-5)

Eine große Stadt ersteht,
die vom Himmel niedergeht
in die Erdenzeit.
Mond und Sonne braucht sie nicht,
Jesus Christus ist ihr Licht,
ihre Herrlichkeit.
(„Gotteslob“ Nr. 479)

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