Blogbeitrag

Krippe (2014)

Du – für 2022

30. Dezember 2021

Sonntagsbotschaft zum 2. Januar 2022, dem 2. Sonntag nach Weihnachten. Der hymnische Prolog am Anfang des Johannes-Evangeliums – nahrhaft und schmackhaft übersetzt fürs Leben in diesen Tagen.

„Was nimmst du von Weihnachten mit ins neue Jahr?“ So fragte mich ein Freund.

Was gab es denn Neues? Was habe ich mitbekommen? Empfangen habe ich vieles: Informationen, Anregendes und Aufregendes, Unterhaltsames, Schönes, Unwichtiges, …

Wenig davon habe ich aufgenommen – in Bild und Ton, in meine Erinnerungen. Nur abspeichern hat ja keinen Sinn, wenn ich es nicht auswerte.

Was Licht in Dunkles bringt, … Worte und Lieder und Bilder, die mich ansprechen, … Solche Botschaften lasse ich mir gerne sagen, lasse ich bei mir ankommen, lasse ich mir auch zu Herzen gehen. So aufnehmen will ich, womit ich etwas anfangen kann.

Was ich mit Freude oder mit Staunen empfangen habe, das teile ich gerne mit anderen. Was bei mir wirklich angekommen ist, was ich aufgenommen habe, weil es Licht in das eine oder andere Dunkel bringt, das bringe ich auch gerne zur Welt um mich herum.

„Aufnehmen“, „empfangen“, „zur Welt bringen“ – natürlich: Es geht um Weihnachten – noch eine weitere Woche.

Im Johannes-Prolog, der nach dem Weihnachtstag für die Gottesdienste am 2. Sonntag nach Weihnachten wieder als Evangelium vorgesehen ist, da heißt es: Die einen nahmen ihn nicht auf …

Was ist da mit „aufnehmen“ gemeint? Sicher nicht, weil sie kein Mikrofon dabeihatten. Und wen eigentlich hätten sie „aufnehmen“ können oder sollen? Ein schreiendes Baby in der Krippe?

„Das Wort“ wird er hier genannt. Von Anfang an sei er gewesen. Lyrisch besungen wird er:

Im Anfang war das Wort
und das Wort war bei Gott
und das Wort war Gott.
Dieses war im Anfang bei Gott.     

Wir haben das für dich aufgenommen. Ich versuche mal, es auszuwerten: Worum geht es da, was da besungen wird in dem Hymnus, mit dem der Evangelist programmatisch hineinführt in sein Evangelium von Jesus Christus?

Gott identifiziert sich mit seinem – zunächst gedachten, noch nicht ausgesprochenen – Wort.

Alles ist durch das Wort geworden
und ohne es wurde nichts, was geworden ist.

Indem Gott das Wort spricht, sich selber ausspricht, geschieht sein Wort, „wirkt“ es sich aus, wird das Wort zur „Wirk“–lichkeit. Diese ganze – durch ein ausgesprochenes Wort gewordene – Wirklichkeit, das „Alles“, wird dann beschrieben – als Beziehung, die geschieht, eine Beziehung besonders zu den Menschen, in deren Welt und Leben hinein „das Wort“ kommt und – sinnerhellend – „Licht“ in alles Chaos und Unheil bringt:

In ihm war Leben
und das Leben war das Licht der Menschen.
Und das Licht leuchtet in der Finsternis
und die Finsternis hat es nicht erfasst.

Natürlich. Ein Wort. Ein Wort, das gesprochen wird, geschieht immer als Beziehung: Eine Person spricht zur anderen, die mehr oder weniger zuhört. Einer schmeichelt dem anderen und der andere fühlt sich dazu auf seine Weise. Eine Person redet verächtlich zur anderen, die sich dadurch verletzt erlebt. Auch eine emotionslos daherkommende sachliche Information macht deutlich: Ich weiß da etwas mehr als du. Das kann hilfreich sein, kann aber auch den anderen den deutlich gemachten Informationsvorsprung als von oben herab und als kleiner haltende Bevormundung erleben lassen.

Immer macht ein Wort etwas mit dem anderen. Das hat Kommunikation so an sich: Da gibt es nicht nur Inhalte, die transportiert werden, sondern da geschieht auch immer etwas in der Beziehung. Davon singt auch der Hymnus des Johannes-Prologs weiter:

Das wahre Licht,
das jeden Menschen erleuchtet,
kam in die Welt.

Nachdem er so die eine Seite der Kommunikation beschrieben hat, – das Wort, das sich in die Menschenwelt hinein ausspricht, – geht sein Blick auf die andere Seite dieses kommunikativen Geschehens: wie „das Wort“ aufgenommen wird, wie es gehört und empfangen wird und was da geschieht; was das mit den Menschen auf der anderen Seite macht und wie sie reagieren:

Er war in der Welt
und die Welt ist durch ihn geworden,
aber die Welt erkannte ihn nicht.
Er kam in sein Eigentum,
aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.
Allen aber, die ihn aufnahmen,
gab er Macht, Kinder Gottes zu werden,
allen, die an seinen Namen glauben, …

„Die ihn aufnahmen“???

Dadurch, dass ich das Wort „du“ sage, nehme ich Beziehung auf. Oder auch wenn ich mir das „Du“ sagen lasse. Wenn ich zu IHM „Du“ sage, nehme ich IHN auf in meine Gegenwart und öffne mich für Seine Gegenwart.

Widerspruch? Meiner Gegenwart sei ich gewiss, aber seiner?

Unwohlsein regt sich? Ich will nicht, dass er dauernd um mich herum ist?

Ist dir auch unwohl, wenn das Tageslicht „dauernd um dich herum“ ist? Oder wenn die Luft zum Atmen „dauernd um dich herum“ ist? „Das Wort“, ER ist „Fleisch“ geworden, also Mensch wie ich und du – sozusagen wie die Luft zum Atmen.

Zu IHM sagt im Psalm 139 der betend kommunizierende Mensch:

Ob ich gehe oder ruhe, …
Du bist vertraut mit all meinen Wegen. …
Von hinten und von vorn hast du mich umschlossen,
hast auf mich deine Hand gelegt.
(Psalm 139,3.5)

In der alten Version der deutschen Einheitsübersetzung haben wir gesagt:

„Du umschließt mich von allen Seiten.“

Oder auch:

        „Von allen Seiten umgibst du mich …“

Um Geborgenheit und Liebe und um Schutz und Stärkung weiß diese Antwort auf sein Wort „Ich bin bei euch alle Tage“, „dauernd um euch herum“. Mein „Du“, das ich ihm sage, ist mein Ja zu seinem Wort und zu seiner Gegenwart.

Vertrauend gerne und in autonomer Freiheit sage ich das Du, trete ich ein in die gemeinsame Gegenwart und nehme ihn auf – als sein Sohn, als seine Tochter. Er lässt sich von mir mein „Du“ sagen – in Liebe. Ich lasse mir von ihm sein Wort sagen – in Liebe. Durch dieses Ereignis seines Wortes ändert sich mein Leben und wird neu.

Der Johannes-Prolog, dieser Hymnus auf „das Wort“, besingt die Erneuerung der ganzen Welt, wo immer er aufgenommen wird.

Eigentlich ist das nichts Neues, nichts Ungewöhnliches, dass Menschen Wichtiges, ja Wesentliches im Leben sich sagen lassen. Im Gegenteil: Menschsein geht nur in der Weise, dass wir uns alles Mögliche sagen lassen, von anderen lernen, auf ihre Befindlichkeiten eingehen, uns konstruktiv und schöpferisch einfügen in Vorgegebenes … Neu ist nur, wenn wir uns entscheiden, dass wir in all diesen Dingen uns vor allem IHM, dem Wort, anvertrauen.

Mit größter Selbstverständlichkeit bauen wir die Zukunft auf der Grundlage gesammelter Erfahrungen und Einsichten. Was Generationen vor uns gelernt haben, ist uns Basis für weitere Entwicklungen. Zum Glück ist das so. Wir müssen weder immer neu das Rad erfinden noch die Elektrizität entdecken oder, wie biologische Abläufe unsere Gesundheit beeinflussen.

Und dabei haben sich zwischen unterschiedlichen Kulturen auch noch verschiedene „Schulen“ ergeben, deren Erfahrungen einander ergänzen können, wenn sie sich nicht eifersüchtig bekämpfen. Wie gut zum Beispiel, dass die abendländische Schulmedizin sich inzwischen auch mit chinesischer Akupunktur verträgt!

Da bedeutet es eine wertvolle Bereicherung und ein besseres Ausschöpfen von Chancen für eine glückliche Ausgestaltung menschlichen Lebens, dass wir uns gerne eine Menge Ideen und Vorschläge, gesetzmäßige Zusammenhänge und sich daraus ergebende Erfordernisse einfach sagen lassen und sie in unserem Tun berücksichtigen. Wenn eine Hinweistafel sagt, der Draht darüber führe Hochspannung und ich solle Abstand halten, verzichte ich auf eine eigene Überprüfung und auf „learning by doing“. Kollektive Lernprozesse haben immer wieder Fortschritte gebracht für ein menschlicheres Miteinander in der Gesellschaft.

Und dabei hat es schon immer auch entgegengesetzte Entwicklungen gegeben, die sich als zerstörerisch erwiesen haben. Die Menschheit hat zu unterscheiden gelernt. Manchmal.

Aber gerade in grundlegenden Entscheidungen, welche Schritte auf welchen Wegen ein gelingendes Leben voranbringen, streben verschiedene Kräfte oft auseinander. Welchen Zielen Vorrang zukommt, ist eine von vielen Basis-Fragen, die immer neu beantwortet werden wollen. Wo aber gibt es eine Grundlage dafür? In den bisherigen Erfahrungen der Menschheit? Die sind manchmal sehr unterschiedlich! Im intuitiven Bauchgefühl? Das lässt sich schwer von Willkür unterscheiden! In der Unterwerfung unter Autoritäten? Das verletzt die Menschenwürde!

Seit der Aufklärung glauben wir an die Vernunft. In vielen Hinsichten sind wir damit gut gefahren. Aber nicht erst seit der Herrschaft irrationaler globaler Finanzspekulation oder seit dem Aufschwung „querdenkerischer“ Verschwörungsmythen wissen wir um die Grenzen der Vernunft.

Vieles, was Menschen wichtig ist und was sie sich in ihrer Einstellung zu eigen gemacht haben, haben sie sich einfach sagen lassen. Ehrliche Wissenschaft hat schon immer gewusst, dass sie auf Axiomen beruht, also auf Akten des Vertrauens. Müsste nicht ein wirklich rationales Denken anerkennen, dass alles Grundlegende aus Entscheidungen des Vertrauens besteht?

Allerdings – Vertrauen auf was? auf wen? Welches Vertrauen ist zuverlässig tragfähig? Am Ende seiner Bergpredigt wirbt Jesus um Vertrauen: „Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mensch, der sein Haus auf Fels baut.“ (Matthäus 7,24)

Und in Psalm 81 seufzt Gott:

Ach, mein Volk, wolltest du doch auf mich hören!
Ich bin doch der, der dich herausgeführt hat
aus der Sklaverei in Ägypten! –
Doch mein Volk hat nicht auf meine Stimme gehört.
Da überließ ich sie ihrem verstockten Herzen
und sie gingen nach ihren eigenen Plänen. –
Ach, dass mein Volk doch auf mich hörte,
dass Israel gehen wollte auf meinen Wegen!
Ich würde es nähren mit bestem Weizen,
dich sättigen mit Honig aus dem Felsen.
(vgl. Psalm 81,9-17)

Stimmen, die ich gerne höre, Worte, die ich mir sagen lasse, bei mir ankommen lasse – was ich empfange, aufnehme – in Bild und Ton – mit Kopf und Herz und Hand … Bilder, Filme, Musik, die ich aufgenommen habe und die mir wichtig sind, die habe ich aufgehoben, gespeichert, archiviert – um es bei Bedarf griffbereit wiederzufinden für aktuelle Bezüge oder um ihm Raum zu geben als Erinnerung, als Begründung und Argument …

Und viele Gründe gibt es für mich, in elementaren Entscheidungen im Vertrauen auf den Gott zu hören, den Jesus verkörpert: Die Dynamik seines Lebensweges ist mir Gottes Stimme und Botschaft. Von diesem Wort lasse ich mir viel sagen – manchmal nach einigem Hin und Her, manchmal einfach indem ich das Herz hinüberwerfe. Licht bringt das in alles Dunkel, Leben in allen Tod!

Das ist für mich ein gut geeigneter Bezugsrahmen – auch an der Schwelle zu einem neuen Jahr – für einen Rückblick und für die Ausschau.

Wenn du ausprobieren willst – wenn Sie ausprobieren wollen – wie eine davon gespeiste, etwa zehnminütige Andacht zur Jahreswende sich anfühlen kann, …dann empfehle ich einen Klick auf meinen Beitrag

„An der Schwelle“

– heute nicht weniger aktuell als vor einem Jahr:

Die Perspektive, die sich aus all dem ergibt, besingt der Johannes-Prolog an seinem Ende:

Und das Wort ist Fleisch geworden
und hat unter uns gewohnt
und wir haben seine Herrlichkeit geschaut,
die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater,
voll Gnade und Wahrheit.
(Johannes 1,1-5.9-14)

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