Blogbeitrag

Bild von Herbert Bieser auf Pixabay

Durst und Wasser

9. März 2023

Sonntagsbotschaft zum 12. März 2023, dem 3. Sonntag auf dem Weg zum Osterfest im Lesejahr A. 

Zwar leben wir – jedenfalls in den reichen Industrieländern – in einer Welt der hohen Standards. Wir haben eine Haltung hohen Anspruchs entwickelt auf Entfaltung von Freiheit und Sicherheit, auf absichernde Vorsorge und Gesundheit, auf Teilhabe an Bildung und Kultur, …

Dabei gibt es große Unterschiede, in welchem Grad Menschen diese Entfaltung und Teilhabe am Leben tatsächlich möglich ist.

Zugleich eint weiterhin alle – weit verbreitet quer durch alle Bevölkerungsschichten – im allgemeinen Lebensgefühl ein Bewusstsein des Mangels. Momente der Zufriedenheit, gar des Glücks mit ihrem Leben sind vielen selten und halten meistens nicht lange an.

Woran fehlt es da?

Manchmal wird dieses vage Gefühl deutlich sichtbar, so dass Menschen benennen können, worin ihr Mangel besteht. Worin er Gestalt annimmt, das kann eine reichhaltige Palette umfassen.

Dennoch scheint hinter allen Unterschieden eines zu stehen, das immer und unvermeidbar dem menschlichen Leben eigen ist – vielleicht vergleichbar mit der Bedürftigkeit aller Menschen ohne Ausnahme nach ausreichend Atemluft für den jeweils nächsten Atemzug.

Die Sprache des Orients – verständlich angesichts großer trockener Gebiete ohne Wasser – benennt dieses Lebensgefühl des Mangels mit dem Wort „Durst“. Das spiegelt sich vielfältig in der Sprache der Bibel:

„Das Volk dürstete nach Wasser.“ (Exodus 17,3) So charakterisiert es die Erzählung von dem nicht enden wollenden entbehrungsreichen Weg des Volkes durch die Wüste. Und Gott, der sie zu diesem Weg veranlasst hat, der doch in die Freiheit führen sollte? Nach seiner Anweisung schlägt Mose am Berghang des Horeb mit seinem Stab an den Felsen. Da sprudelt Wasser heraus und das Volk kann trinken! Am Horeb – wo Gott zum Volk spricht und ihm Wesentliches sagt. (Exodus 17,6)

Auch das Evangelium dieses Sonntags rückt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit die Begegnung von Jesus mit einer Frau, die sich um Wasser bemüht:

In jener Zeit
kam Jesus zu einer Stadt in Samarien,
die Sychar hieß
und nahe bei dem Grundstück lag,
das Jakob seinem Sohn Josef vermacht hatte.
Dort befand sich der Jakobsbrunnen.
Jesus war müde von der Reise
und setzte sich daher an den Brunnen;
es war um die sechste Stunde.
Da kam eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen.

„Um die sechste Stunde“ – Mittagshitze! Kein Mensch geht im Orient in der Zeit auf die Straße. Und diese Frau geht Wasser holen, eine schwere Last tragen! Offensichtlich weil sie sich zu einer anderen Zeit nicht traut. Und da trifft sie einen. Einen Ausländer. Ein Jude in Samarien! Und der spricht sie an. Eine Frau!

Jesus sagte zu ihr: Gib mir zu trinken!
Seine Jünger waren nämlich
in die Stadt gegangen,
um etwas zum Essen zu kaufen.
Die Samariterin sagte zu ihm:
Wie kannst du als Jude
mich, eine Samariterin,
um etwas zu trinken bitten?
Die Juden verkehren nämlich nicht
mit den Samaritern.

Jesus verhält sich ungewöhnlich. Er ist müde. Müde und durstig. Auffällig ist, dass der Evangelist hier die 6. Stunde und den Durst miteinander in Verbindung bringt: Am Ende seines Evangeliums wird er ja betonen, dass Jesus zur 6. Stunde zur Kreuzigung übergeben wird (Johannes 19,14) und dass Jesus im Sterben am Kreuz ausruft: „Mich dürstet.“ (Johannes 19,28)

Will er hier – jedenfalls für die, die später seine Botschaft lesen oder hören – das Wesentliche in der Begegnung von Jesus und der Frau deutlich machen – über alle abgrenzenden Unterschiede hinweg – mit einer Aussage wie: Schau, ich bin einer wie du. Ich kenne den Durst. Ich brauche Wasser wie du. Und: So sehr ist der Gottessohn wirklich Mensch geworden, dass er sogar die tiefste „Durst“-Not der Hinrichtung am Kreuz hingenommen hat – als Preis dafür, dass alle, die sich auf die Begegnung mit ihm einlassen, ein für alle Male ihren Durst gestillt bekommen???

Jedenfalls entwickelt sich im Anschluss ein Gespräch über Durst und Wasser:

Jesus antwortete ihr:
Wenn du wüsstest,
worin die Gabe Gottes besteht
und wer es ist, der zu dir sagt:
Gib mir zu trinken!,
dann hättest du ihn gebeten
und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.
Sie sagte zu ihm: Herr, du hast kein Schöpfgefäß
und der Brunnen ist tief;
woher hast du also das lebendige Wasser?
Bist du etwa größer als unser Vater Jakob,
der uns den Brunnen gegeben
und selbst daraus getrunken hat,
wie seine Söhne und seine Herden?
Jesus antwortete ihr:
Wer von diesem Wasser trinkt,
wird wieder Durst bekommen;
wer aber von dem Wasser trinkt,
das ich ihm geben werde,
wird niemals mehr Durst haben;
vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe,
in ihm zu einer Quelle werden,
deren Wasser ins ewige Leben fließt.

Rätselhaft spricht Jesus. Von der Gabe Gottes redet er: von einem Wasser, das allen Durst für immer stillt. Und: Er sei – verborgen – der, von dem man sich das geben lassen kann. Ein Wasser, das aus dem, der davon trinkt, eine übermäßig sprudelnde Quelle macht!

Die Frau versteht ihn nicht. Noch nicht. Aber jetzt wird das Gespräch sehr persönlich:

Da sagte die Frau zu ihm:
Herr, gib mir dieses Wasser,
damit ich keinen Durst mehr habe
und nicht mehr hierherkommen muss,
um Wasser zu schöpfen!
Er sagte zu ihr: Geh, ruf deinen Mann
und komm wieder her!
Die Frau antwortete:
Ich habe keinen Mann.
Jesus sagte zu ihr:
Du hast richtig gesagt:
Ich habe keinen Mann.
Denn fünf Männer hast du gehabt
und der, den du jetzt hast,
ist nicht dein Mann.
Damit hast du die Wahrheit gesagt.

Aha, deshalb kommt sie zur Mittagshitze, um Wasser zu schleppen. Weil sie sich zu einer anderen Zeit nicht traut. Kein Wunder – wer so lebt, kann sich nicht blicken lassen bei den Leuten. Fünf Männer immerhin.

Aber im Unterschied zu den Leuten im Ort macht Jesus ihr keine Vorhaltungen. Ja, Jesus nimmt diese Frau wahr. Ohne sie zu beurteilen. Sie kann einfach da sein – mit ihrer ganzen Person, mit ihrer Lebenssituation, mit allem, was war und was jetzt ist.

Und er kann ohne jegliche Aufgeregtheit der Frau sagen: Aha, das und das ist mit dir los. Kein Wort der Verurteilung!

Und das ist dann offensichtlich für diese Frau auch das „Wasser“: Nachdem sie das getrunken hat, hat sie nicht mehr „Durst“.

Sie erfährt sich „wahr“-genommen, „erkennt“ zugleich ihre eigene Wahrheit und die Wahrheit von Jesus: Ich bin der, der deine Sehnsucht und dein Leben erfüllt. Jetzt ist sie gerettet. Das ist das versprochene Wasser!

Die Frau sagte zu ihm:
Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.
Ich weiß, dass der Messias kommt,
der Christus heißt.
Wenn er kommt,
wird er uns alles verkünden.
Da sagte Jesus zu ihr:
Ich bin es, der mit dir spricht.
Inzwischen waren seine Jünger zurückgekommen.
Sie wunderten sich, dass er mit einer Frau sprach,
doch keiner sagte: Was suchst du?
oder: Was redest du mit ihr?
Die Frau ließ ihren Wasserkrug stehen,
kehrte zurück in die Stadt
und sagte zu den Leuten:
Kommt her, seht, da ist ein Mensch,
der mir alles gesagt hat, was ich getan habe:
Ist er vielleicht der Christus?

Sie lässt ihren Krug einfach stehen. Sie braucht ihn nicht mehr. Sie wird nie wieder dahingehen müssen, um Wasser zu holen. Da ist ihre Angst vor den andern weg. Weil – sie läuft ja im Hellen zurück in den Ort und trommelt die Leute zusammen – die Leute, die sie vorher so gemieden hat. Jetzt sprudelt aus ihr selber das Wasser heraus und das Volk kann trinken – wie schon damals in der Wüste!

„All ihr Dürstenden, kommt zum Wasser, kommt und trinkt mit Freuden!“

Und sie lassen sich das tatsächlich von ihr sagen, lassen sich von ihr in Bewegung setzen:

Da gingen sie aus der Stadt heraus
und kamen zu ihm.
Aus jener Stadt
kamen viele Samariter zum Glauben an Jesus
auf das Wort der Frau hin,
die bezeugt hatte:
Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe.
Als die Samariter zu ihm kamen,
baten sie ihn, bei ihnen zu bleiben;
und er blieb dort zwei Tage.
Und noch viel mehr Leute
kamen zum Glauben an ihn
aufgrund seiner eigenen Worte.
Und zu der Frau sagten sie:
Nicht mehr aufgrund deiner Rede
glauben wir,
denn wir haben selbst gehört
und wissen:
Er ist wirklich der Retter der Welt.
(Johannes 4,5-19.25b-30.39-42)

Er ist wirklich der Retter der Welt?! Wenn er wirklich der Retter der Welt ist, dann muss ich das sehen! Dann muss das passieren! Aber das ist doch kaum zu erleben! Für mich selten und für viele andere noch viel seltener!

So hatten wir – im Anschluss an das Evangelium – die Dialogpredigt begonnen. Unsere Kirche liegt an der Jakobsbrunnenstraße.

Und viele sind heute morgen auch hierhin gekommen. An den Jakobsbrunnen. Viele Leute aus dem Ort. Aber um was denn zu sehen oder zu hören oder zu erleben? Oder mit welcher Not?

Und wir haben uns gefragt: Wie kann das mit uns geschehen? Am Jakobsbrunnen! Das Wasser erst mal haben wollen und dann das Wasser bekommen und übersprudeln?

Am Ende schien uns dann, es kommt darauf an, ob wir uns als Gemeinde wirklich „am Jakobsbrunnen“ sehen – mit IHM in Beziehung und im Gespräch – durstig wie das Volk auf dem Weg ins verheißene Land. Dort – am Felsen in der Wüste – die 1. Lesung des Sonntags erinnert daran – ging es ja um die Frage: „Ist Gott in unserer Mitte oder ist er nicht?“

Ich denke, das ist die Frage, die da übrig bleibt in unserer Gemeinde: Können wir wirklich bei dem, was wir erleben und was wir wollen – wirklich sagen: „Der Herr ist in unserer Mitte.“?

Unsere Hoffnung setzen wir auf Gott. Unser Vertrauen mit unseren Fragen, Klagen und Bitten richten wir auf ihn.

Beten wir für alle Menschen auf Durststrecken: Dass sie in der Gemeinschaft der Kirche der Quelle des Lebens begegnen, so dass sie ihren bisherigen Wasserkrug stehen lassen und unmittelbar trinken können.

Erfülle die Hoffnung derer, die sich nach Verständnis, nach menschlicher Nähe und Angenommensein sehnen.

Beten wir für Gottes Volk in den christlichen Kirchen: Dass alle Gemeinschaft im Glauben zu einer Quelle neuer Hoffnung werde für die Menschen, deren Leben ausgetrocknet, dürr und wie tot geworden ist.

Herr, erhöre unser Gebet. Und lass unser Rufen zu dir kommen.

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