Sonntagsbotschaft zum 5. März 2023, dem 2. Sonntag auf dem Weg zum Osterfest im Lesejahr A.
Was da auf sie zukommt, ist bedrohlich. Kein Wunder, dass sie ihn von seinem Weg abhalten wollen. Aber dann eröffnet er ihnen eine ganz andere Perspektive. Da sehen sie, welche unglaublichen Chancen das bringt, was ihnen zugleich Angst macht. Sein Weg in die Höhle des Löwen verklärt sich ihnen zum Tor in eine menschliche Zukunft für alle!
Der Erzählung hiervon, die an diesem 2. Sonntag auf dem Weg zum Osterfest hin zur beglückenden Sonntagsbotschaft werden will, habe ich mich vor einem Jahr in einer Weise gestellt, die mich auch heute wieder packt. Die drei Evangelien, die von dieser alles klärenden Begegnung der Jünger mit Jesus erzählen, prägen ja in allen drei Lesejahren die Botschaft dieses Sonntags. Der Text nach Matthäus ist mit dem Lukas-Text vom letzten Jahr fast gleichlautend.
Was ich 2022 gehört und verstanden habe, erscheint mir heute unvermindert wichtig. Gerne verweise ich deshalb darauf. Unter dem Titel „Mit diesem Gott versöhnen?“ findet es sich über die Suche-Lupe und die Suche-Zeile oder über den hier knapp oberhalb angezeigten Link – alternativ oder zusätzlich zu dem, was sich mir aus der 1. Schriftlesung des Sonntags erschließt.
Da erzählt die Bibel aus uralter Vorzeit von Abraham, der hier noch Abram heißt (vgl. Genesis 17,5): Mit seiner Familie und Verwandtschaft lebt er in Ur in Chaldäa, im heutigen Irak. Die ganze Sippe, so heißt es (Genesis 11,31), zieht miteinander aus Ur in Chaldäa aus und siedelt sich in Haran an, im Nordwesten des heutigen Syrien.
Er scheint wohlhabend zu sein und hat viele Jahre hindurch in Haran noch einigen Besitz dazu erworben (vgl. Genesis 12,5). Nach allem, was die Bibel von ihm erzählt, lebt Abram in gesicherter Existenz, voll integriert und etabliert in der längst nicht mehr neuen Heimat der Sippe in Haran. Inzwischen ist er 75 Jahre alt. Seine Frau Sarai – später wird sie Sara heißen (vgl. Genesis 17,15) – bleibt kinderlos.
Und dann geschieht es eines Tages – aus heiterem Himmel sozusagen:
Der HERR sprach zu Abram:
Geh fort aus deinem Land,
aus deiner Verwandtschaft
und aus deinem Vaterhaus
in das Land, das ich dir zeigen werde!
Ich werde dich zu einem großen Volk machen,
dich segnen
und deinen Namen groß machen.
Ein Segen sollst du sein.
Ich werde segnen, die dich segnen;
wer dich verwünscht, den werde ich verfluchen.
Durch dich sollen alle Sippen der Erde
Segen erlangen.
Der da zu ihm spricht – „der HERR“ – so nennt ihn der biblische Erzähler – Abram kennt ihn nicht, noch nicht. Er stellt sich ihm auch nicht vor. Seine Sippe hat – wie man das damals so gemacht hat – irgendeinen Stammesgott verehrt; die Bibel erzählt davon nichts Näheres.
Er sprach zu Abram. Wie man sich das vorstellen kann, wie er gesprochen hat, darüber gibt die Bibel nicht die geringste Andeutung. Das scheint unwichtig zu sein und soll anscheinend auch unwichtig bleiben. Von Ohrenzeugen ist nicht die Rede.
Wie „der HERR“ spricht, bleibt unbestimmt. Jedenfalls ein Geschehen zwischen IHM und dem Abram. Bestimmt wird das, was da geschieht, nur dadurch, dass ER zu ihm spricht. Abram macht die Erfahrung: ER spricht zu mir. Wie gesagt: der Unbekannte. Und das ist ihm gewiss. Es steht nicht in Frage.
Was hört Abram, was ER zu ihm spricht? Eine Aufforderung und eine Zusage:
Die Aufforderung ist alles andere als plausibel, scheint ohne jeden Sinn, ist eine Zumutung. Kein Grund ist zu erkennen, warum er alles verlassen soll, was ihm seine Welt geworden ist, in der er ein erfülltes Leben hat. Ein Grund oder Argument dafür wird ihm auch nicht genannt. Und er sagt nicht einmal, in welches Land Abram ziehen soll – „in das Land, das ich dir zeigen werde“!
Auch für die Zusage, die Abram bekommt, gibt es nicht die geringsten Indizien dafür, dass sie zur Wirklichkeit werden könnte. Eher spricht alles dagegen: zahlreiche Nachkommenschaft? bei ihrer Kinderlosigkeit im hohen Alter! Und überhaupt: alle menschliche Erfahrung.
Noch nicht einmal einer realistischen Sehnsucht des Abram kommt diese Zusage entgegen: „zu einem großen Volk werden“! „mir einen großen Namen machen“! „zu einem Segen für die ganze Welt werden“!
Nichts spricht dafür, der Aufforderung nachzukommen. Nichts spricht dafür, die Zusage sich zu eigen zu machen. Einzig: Der HERR spricht zu ihm.
Die Bibel erzählt nicht von einer Auseinandersetzung, von einer Diskussion, von einem Prozess der Meinungsbildung oder der Entscheidungsfindung, von keiner Beratung des Abram mit anderen Menschen. Ohne alles das setzt sie fort:
Da ging Abram, wie der HERR ihm gesagt hatte.
(Genesis 12,1-4a)
Das will verarbeitet werden. Das ruft mich zur Entscheidung heraus.
Das Neue Testament nimmt immer wieder Bezug auf das Verhalten des Abraham. Nein – eigentlich will ich lieber sagen: Es nimmt Bezug auf die innere Haltung des Abraham gegenüber Gott, die dann zu seinem Verhalten führt!
Zum Beispiel Stephanus: Zum Tod verurteilen sie ihn nach seiner Verteidigungsrede, in der er darauf verweist, wie herrlich Gott seine Zusage an Abraham wahr gemacht hat, nachdem der seiner Aufforderung Folge geleistet hatte (vgl. Apostelgeschichte 7).
Und Paulus nennt in seinen Briefen dieses Verhalten des Abraham immer wieder als Grundmuster des Glaubens, wodurch der Mensch dem entspricht, was Sinn und Ziel seines Lebens zur Erfüllung bringt und was ihm als „Gerechtigkeit vor Gott“ anerkannt wird (vgl. Römer 4; Galater 3).
Und wenn ich dann zurückkomme zum Evangelium dieses Sonntags, zur Erzählung von der „Verklärung“, dann fällt mir auf:
Geht es da nicht um die gleiche Frage nach der Grundlage meiner Existenz?
Wie den Abraham so ruft Gott auch die drei Männer auf dem Berg heraus aus der heimischen, vertrauten, bergenden Welt ihrer Sichtweisen, in denen sie ihre Sicherheit finden und alle Wirklichkeit bewerten, die auf sie zukommt.
Sich wirklich entscheiden für diese andere, neue Sicht können sie erst später: nach seinem Ende in Jerusalem – im Licht ihrer alles verklärenden Erfahrungen mit dem Auferstandenen. Dann werden auch sie mit diesem Gott ver-Söhnt sein, ihm Söhne und Töchter sein und an ihn glauben.