Blogbeitrag

Ein wütender Leserbrief (2008)

13. Februar 2015

aus der Zeitschrift „Gottesdienst“ (herausgegeben von den deutschsprachigen Liturgischen Instituten) Heft 9 / 2008:

„Den Artikel von Reinhold Malcherek habe ich aufmerksam gelesen und … bin wütend geworden. Nicht, weil die Ausführungen falsch wären, sondern weil es mir geht wie Menschen, denen die Zähne lang gemacht werden durch wundervolle Rezepte, denen aber der Magen leer bleibt, weil sie nichts zu beißen bekommen. So kann ich die Menschen seit der Aufklärung verstehen, die über unsere katholische Religion zynisch urteilen: schönes ideologisches Geschwätz!”

Damit Sie wissen, wovon der Schreiber des Leserbriefs so redet, sind hier zunächst einige Auszüge aus dem gemeinten Artikel wiedergegeben:

„Wir loben dich, wir preisen dich …

Vom doxologischen Charakter des christlichen Gottesdienstes“
von Reinhold Malcherek – in „Gottesdienst“, Heft 7 / 2008

Die Liturgiekonstitution … betont …: „In der Liturgie vollzieht sich das Werk unserer Erlösung.“ Damit wird die Grundorientierung aller liturgischen Vollzüge festgehalten: Es geht an erster Stelle um Gottes Heilshandeln durch Jesus Christus im Heiligen Geist an uns Menschen. Christliche Liturgie ist Gottes heilvoller und somit Leben stiftender Dienst an den zur Feier versammelten Gläubigen – Gottes Dienst. …  Erreicht die heilvolle Zuwendung Gottes ihr Ziel und findet sie im Menschen gläubige Annahme, dann bewegt sie zur Antwort. Der Angesprochene wird selbst zum Sprecher; der, dem sich Gott zugewandt hat, wendet sich seinerseits Gott zu als seinem Lebensgrund …

 

… Dieser Lobpreis auf Gottes Herrlichkeit (doxa), die Verherrlichungsrede oder Doxologie, …  hat etwas mit einem spontanen Ausruf des Staunens und der Bewunderung gemein als Reaktion auf ein wunderbares Widerfahrnis.

 

… In vielfältigen Formen – meist in Gestalt des gesungenen oder gesprochenen Wortes und unterstützt durch Gebärden – kommt dieser Lobpreis liturgisch zum Ausdruck. … Die erfahrene existenzielle Begegnung mit Gott rührt den Beter so tief an, dass er von sich weitgehend absieht und Gott lobt, weil er allein der Große und Heilige ist. …

 

… als der unendlich heilige Gott kommt er den Menschen nahe, überwindet von sich aus die Distanz. … Es gelingt ohne Verwischung von Grenzen wirkliche Begegnung zwischen Gott und Mensch. … So zeigt sich der „Herr und Gott“ … als menschenfreundlicher und gütiger Gott, der den Menschen heilvoll begegnen will, damit sie das Leben haben. …

So weit die Auszüge aus dem Artikel, den der Leserbrief wütend kommentiert. Und hier die Fortsetzung des oben unterbrochenen Leserbriefs:

„Im Klartext, ohne Metapher: Ich finde die Grundvoraussetzungen nicht gegeben, so dass die Menschen zur „Antwort bewegt werden“. „Erreicht die heilvolle Zuwendung Gottes ihr Ziel und findet sie im Menschen gläubige Annahme, dann bewegt sie sie zur Antwort“ – dieses Ziel wird eben nicht erreicht.

„Erfahrene Nähe Gottes …“, „Erfahrung der Zuwendung Gottes …“, „Staunen und Bewunderung über die Gegenwart und Mächtigkeit Gottes …“, „erfahrene existenzielle Begegnung mit Gott rührt den Beter so tief an …“ – all das ist nach meiner Beobachtung dem Durchschnittschristen, auch dem Kirchgänger, so nicht gegeben, vielleicht nicht einmal den Mitgliedern von Ordensgemeinschaften; mystische Sonderbegabungen mag es geben.

Deshalb meine dringende Bitte: Berichtet, wie Menschen es machen, dass sie solche Vorerfahrungen geschenkt bekommen!

Schreibt ausführlich, wie die Osterevangelien heute zur Erfahrung werden können. Solche sind gewiss Geschenk, Gnade; wir können uns bereiten, aber wie, darum geht es heute.

Wie können aus der Kirche Ausgetretene, wie können Jugendliche heute an ihre Jesus- und Christus- Begegnungen herangeführt werden? – Da ist mehr zu machen, als heute geschieht.

Die bloße Wiederholung liturgietheologischer Behauptungen wie: „In der Liturgie vollzieht sich das Werk unserer Erlösung“, reißt niemand vom Hocker.

Die Gottesfrage ist heute ein interreligiöses Problem. Wie kann Gott heute erfahren werden bei gesunder psychischer Verfassung? Wenn wir da nicht weiterkommen, können wir uns alle anderen liturgischen Überlegungen ziemlich sparen.

Ich danke Ihnen, dass Sie bis hierher gelesen haben, aber auch grundsätzlich für gd!”

Martin Särve

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