Blogbeitrag

2019 Kreta Ikone Georg Drachentöter

Gegen eine Führung, die alles kaputt macht

2. November 2023

Sonntagsbotschaft zum 5. November 2023, dem 31. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A).

„Fluch“, „unerträglich“, „treulos“, „verächtlich“, „erniedrigen“, „zunichte gemacht“, „zu Fall gebracht“, … Was für Worte! Wovon ist da die Rede?

Keine Zitate aus aktuellen Medienberichten. Nein, sondern aus der Bibel! An diesem Sonntag sind die Texte voll davon, die in den katholischen Gottesdiensten zu hören sind. Und dabei sind sie noch so beschnitten, dass weitere drastische Ausdrücke vermieden sind: „Betrüger“, „Heuchler“, „Schlangenbrut“, „wehe euch“, …

Das alles klingt mehr nach einer Beschimpfung als nach einem „Evangelium“! Ehrlich gesagt, andere Texte wären mir lieber.

Aber genau dem will ich mich ja stellen: nicht selber auswählen, was mir gefällt, um mich dann darin zu ergehen. Nein, wenn es doch um Gott geht, will ich mich ja gerade den Ecken und Kanten und Spitzen stellen, die herausfordern aus dem Gefälligen und dem Bequemen.

Also – worum geht es? Um die Führenden: „Meister“, „Lehrer“, „Priester“, … lassen sie sich nennen. Das tut meinen Ohren natürlich weh, weil ich selber Priester bin – seit über 50 Jahren – und bis heute voll dazu stehe … Da kann einem ja heute alles Mögliche um die Ohren fliegen – vom Klerikalismus bis zum Machtmissbrauch übelster Form.

Da wird nur helfen, der Versuchung zur Verharmlosung und zur Beschönigung zu widerstehen und Schritt für Schritt hinzuhören auf das, was erst mal nur wie Fluch und Beschimpfung aussieht:

… ihr Priester:
Wenn ihr nicht hört
und nicht von Herzen darauf bedacht seid,
meinen Namen in Ehren zu halten –
spricht der HERR der Heerscharen – ,
dann schleudere ich meinen Fluch gegen euch.

Boah! Was wirft er ihnen denn vor?

Ihr seid abgewichen vom Weg,
ihr habt viele zu Fall gebracht
durch eure Weisung;
ihr habt den Bund Levis zunichte gemacht,
spricht der HERR der Heerscharen.

Die Verse davor im Bibeltext (Maleachi 1,6-14) beschreiben das Fehlverhalten dieser Priester. Die Details, die sich auf das Opferwesen im Tempel beziehen, sind uns heute kulturell fremd und schwer nachvollziehbar. Sie machen aber deutlich: Gottes Fluch trifft sie deshalb, weil sie mit ihren Weisungen die Menschen verächtlich machen, die sich mit etwas, was ihnen wichtig war, Gott anvertrauen wollen: Ihr müsst das alles nicht so wichtig und nicht so genau nehmen, – „nicht so eng sehen“, würde man wohl heute sagen; soviel wie: „Wenn dir die Nase deines Nachbarn nicht passt, stoß ihn ruhig vor die einfahrende S-Bahn.“ Und vorgeworfen wird den Priestern, dass sie andererseits hochgestellten Personen wie etwa dem Statthalter unterwürfig zu Willen sind.

Damit haben sie den Leuten klar gemacht, dass sie sich dem Bund gegenüber, den Gott mit dem Volk geschlossen hatte, sich nicht wirklich verantwortlich zu fühlen brauchten.

So haben sie den Bund „zunichte gemacht“ und das Volk „zu Fall gebracht“.

Darum mache ich euch verächtlich
und erniedrige
euch vor dem ganzen Volk,
so wie
ihr euch nicht an meine Wege haltet
und auf die Person seht
bei der Weisung. …
(Maleachi 1,14b – 2,2b.8-10)

Wie wichtig es euch ist, in Gottes Sinn und in seinem Auftrag treu Sorge zu tragen für das Wohlergehen der Menschen, das habt ihr davon abhängig gemacht, wie ihr zu ihnen stehen wollt. Die Gleichheit aller vor Gott habt ihr vernachlässigt und betrügerisch (Mal 1,14a) nur bei angesehenen Leuten auf eine gute Qualität der Opfertiere geachtet (Mal 1,8) und auf ihre rechtmäßige Herkunft (Mal 1,13).

So sind viele, die weniger Ansehen genießen, zu Fall gekommen und verächtlich gemacht und erniedrigt worden. Meine Menschenliebe, meinen Namen haltet ihr nicht heilig, sondern verachtet ihn. (Mal 1,6)

Gott kann das nicht zulassen; das ist er sich und der Menschheit schuldig!

Eine nachhaltige Wirkung hat dieser Prophetentext aber offensichtlich nicht hinterlassen. Denn eine ähnliche Einstellung der religiösen Führer seiner Zeit beklagt und bekämpft ja auch Jesus.

Ihre Vorstellung, wie Gott als König herrscht, und ihr eigenes Interesse, das im Volk durchzusetzen, das brandmarkt er als Gottesverachtung und als Menschenhass. Alles setzt er dafür ein, dass Gottes Prägestempel seiner Menschenliebe wieder voll anerkannt wird und sich für die Menschen als in ihrem Leben herrschende Kraft durchsetzt.

In jener Zeit
sprach Jesus zum Volk und zu seinen Jüngern
und sagte: Auf dem Stuhl des Mose
sitzen die Schriftgelehrten und die Pharisäer.
Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen,
aber richtet euch nicht nach ihren Taten;
denn sie reden nur,
tun es aber nicht.
Sie schnüren schwere und unerträgliche Lasten zusammen
und legen sie den Menschen auf die Schultern,
selber aber wollen sie keinen Finger rühren,
um die Lasten zu bewegen.
Alles, was sie tun,
tun sie, um von den Menschen gesehen zu werden:
Sie machen ihre Gebetsriemen breit
und die Quasten an ihren Gewändern lang,
sie lieben den Ehrenplatz bei den Gastmählern
und die Ehrensitze in den Synagogen
und wenn man sie auf den Marktplätzen grüßt
und die Leute sie Rabbi nennen.
Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen;
denn nur einer ist euer Meister,
ihr alle aber seid Brüder.
Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen;
denn nur einer ist euer Vater,
der im Himmel.
Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen;
denn nur einer ist euer Lehrer, Christus.
Der Größte von euch
soll euer Diener sein.
Denn
wer sich selbst erhöht,
wird erniedrigt,
und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
(Matthäus 23,1-12)

Und dann – in der kirchlichen Leseordnung ist das weggelassen – dann legt Jesus los mit dem, was die Überschrift über das gesamte Kapitel nennt: „Die Wehe-Rufe gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer“:

Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler!
Ihr verschließt den Menschen das Himmelreich. …
Und immer wieder:
Weh euch, … ihr Heuchler! …
Weh euch, …
Ihr gebt den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel
und lasst das Wichtigste im Gesetz außer Acht:
Recht, Barmherzigkeit und Treue. …
Weh euch, … ihr Heuchler! …
Ihr Nattern, ihr Schlangenbrut! …

Sie sind noch da? Haben noch nicht abgeschaltet?

Den Konflikt mit den religiösen Führungspersonen heizt Jesus geradezu an. Seitdem er in Jerusalem eingezogen ist und in der Öffentlichkeit auftritt, macht er dem Volk deutlich, wie sehr sie das Volk in die Irre führen. Wo es doch ihre Aufgabe ist, dem Volk zu dienen!

Und das ist dann wohl der Punkt, an dem der bisher wie ein „Sonntag der Beschimpfungen“ aussehende Sonntag zum zu feiernden Sonntag des Evangeliums wird:

Mit Jesus, der wirklich dient, beginnt neu der Weg des Volkes für ein Leben mit Gott, der zu allen Zeiten rettet und heil macht und aus den Fängen aller befreit, die ihre Machtmöglichkeiten missbrauchen.

Alle, die sich von religiös Führenden vernachlässigt, in die Irre geführt, mit zusätzlichen Benachteiligungen belastet und ausgenützt sehen, alle die erfahren sich jetzt bei Jesus solidarisch verstanden, können aufatmen und in ein neues gutes Leben gehen!

Es ist das alte Wissen um die Verbundenheit unter den Genossen des Bundes mit Gott, in die schon der Prophetentext schließlich mündete:

Haben wir nicht alle denselben Vater?
Hat nicht der eine Gott uns alle erschaffen?
Warum handeln wir dann treulos,
einer gegen den andern,
und entweihen den Bund unserer Väter?
(Maleachi 1,14b – 2,2b.8-10)

Religiös Führende, die ihre Freude und Bestätigung in Ehrenplätzen, Ehrentiteln, Honoraren, Ehrenbezeugungen genießen, disqualifizieren sich.

Zur Glaubwürdigkeit des Evangeliums können sie dadurch beitragen, dass sie den Menschen dienen, so dass die mehr, besser, deutlicher, schneller und bewusster das Gute erfahren, das Gott mit ihnen vorhat! Nicht als Väter, Lehrer, Meister sollen sie sich ihnen gegenüber gebärden, sondern als Brüder und Schwestern mit gleicher Würde und Ehre sollen sie sie neugierig machen auf den Gott, der sie über alles liebt!

Offensichtlich ist es für Jesus sehr wichtig und mit hoher Emotionalität und Empathie verbunden, das verschleierte Unmenschliche und Widersprüchliche in einer Führungsstruktur transparent zu machen und aufzudecken.

„Dem Volk und seinen Jüngern“ (Vers 1) macht er Mut, kontraproduktiv geforderte Autorität abzuschütteln und stattdessen auf ihn zu hören, zu achten und zu schauen, der bis hin zur Todesbereitschaft alles tut, um den Menschen und ihrer Entlastung und Gottes Zuwendung zu ihnen zu dienen.

In der 2. Lesung des Sonntags zeigt sich, dass der Apostel Paulus seine Beziehung zu den Menschen in der Gemeinde in Thessalonich an einem solchen Maßstab misst, der in ihrer gemeinsamen Liebesbeziehung zu Jesus wurzelt.

Es lohnt sich halt immer wieder, in jeder Situation und in jedem Augenblick neu sich gemeinsam IHM anzuvertrauen!

Die fehlende Glaubwürdigkeit von religiös Führenden aufzudecken, ist für Jesus lediglich ein Werkzeug, um „die Mächtigen vom Thron zu stürzen“ und die „Erniedrigten zu erhöhen“ zu der ihnen namens des Schöpfers zukommenden nicht zu toppenden Würde!

Ein wenig versteckt und leider wenig beachtet, benennt das Tagesgebet dieses Sonntags die Zielrichtung:

„Damit wir ungehindert der Freude entgegeneilen, die du uns verheißen hast.“

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