Blogbeitrag

Diese Wirtschaft tötet

Glaube von Christen verändert Politik

12. Oktober 2020

Wie war es eigentlich dazu gekommen, dass Jesus und die Führenden in Religion und Politik derartig aufeinanderprallten?! –

Nun kann man natürlich sagen: Eine solche Frage mag Historiker interessieren; das hat doch alles mit uns heute nichts zu tun!

Okay, dann frage ich einfach anders: Warum eigentlich sind die Machthaber des Nazi-Regimes oder der Sowjetunion knallhart zusammengeprallt mit Christen, die ihren Glauben ernst nahmen, ebenso wie im El Salvador des 20. Jahrhunderts oder schon im 3. Jahrhundert im Römischen Reich? Und gelegentlich berichten ja die Medien immer wieder mal auch in unseren Tagen von Zusammenstößen und Verhaftungen und Morden an Christen. Natürlich stehen da oft auch bei „Christen“ nur die Bewahrung oder Verstärkung von Machtpositionen im Raum. Aber immer wieder geht es da auch um Konflikte in der Gestaltung des politischen Zusammenlebens: Christen berufen sich auf den als „Herrn“  bezeugten Jesus, der nicht nur einfach lieb und nett und hilfreich zu vielen einzelnen Menschen war, sondern der in seiner humanen Zuwendung Zeichen gesetzt hat für die Bestrebungen nach mehr Humanität in der gesamten Gesellschaft – und zwar mit Berufung auf Gottes Autorität! Es gab auch Zeiten und Weltgegenden, in denen christlicher Glaube viel mehr politisch als individuell ausgebreitet wurde. In höchstem Maße problematisch und leidvoll sowohl im Völkermord an der amerikanischen Urbevölkerung oder in den Kreuzzügen und in Hexenverbrennung und Inquisition. Aber auch im Kampf um Humanität in der Politik. Diktatoren wussten, warum sie Bibeln verboten und verbrannten. Ein heißes Thema, weil ja auch die Kirche zeitweise ihren Mitgliedern das Lesen in der Bibel verbot.

Nun hat Jesus damals mit seinen Zeichen für Gottes liebende Zuwendung zu den Menschen zugleich in zwei Richtungen gewirkt und damit Maßstäbe neu gesetzt: sowohl gegen allen Missbrauch der Religion zum Kleinmachen des Menschen als auch für den Anspruch auf Vorrang der Menschlichkeit in aller Politik. Beides ein riskantes, ja lebensgefährliches Unternehmen. Im Lauf der Geschichte hat die als Kirche verfasste Gemeinschaft der Christen sich immer wieder – vorsichtig oder „dezent“ oder feige – herausgehalten aus der Politik. Leider gibt es auch immer wieder Zeiten, in denen die Kräfte ernsthaft glaubender Christen schon komplett aufgebraucht werden durch das Aufarbeiten aller möglichen Missbräuche kirchlicher „Möglichkeiten“ …

Es gibt viele Gründe für die Idealisierung des Prinzips, Kirche und Glaube haben sich aus der Politik herauszuhalten.

Das ändert allerdings nichts daran, dass Christen – Menschen also, die sich auf Christus berufen – konsequenter Weise an Christus Maß nehmen. Zumal wenn das, was in Bibel und Kirche von ihm bezeugt wird, als „Evangelium“ anerkannt wird.

Also:

das Evangelium vom Sonntag – Matthäus 22,15-21 (1’17):

(alle Tonaufnahmen vom 18.10.1987)

29. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr A (am 18. Oktober 2020)

Glaube von Christen verändert Politik

Und wenn wir uns dieser Herausforderung stellen wollen, der vorrangigen Sorge um eine Ausweitung von Gottes Einflussbereich, dann werden wir zwar darauf achten, wie wir in unserem Miteinander als Christen und als Kirche dem Vertrauen der Menschen auf Gottes gute Absichten den Boden ganz entziehen oder aber ihm den Weg bereiten. Das wird uns dann aber nicht dazu verleiten, uns auf binnenkirchliche Sachen zu beschränken. Vielmehr werden wir beizutragen suchen, dass die Maßstäbe der Humanität, wie Jesus sie neu propagiert hat, auch das Miteinander in der menschlichen Gesellschaft stärker bestimmen.

Zum Glück regen sich in der Kirche wie auch außerhalb neue Kräfte, die in einer zunehmenden Anzahl von Ländern verstärkt nach mehr Einsatz für Gemeinwohl, Demokratie und Menschenwürde rufen.

In der Kirche klingt das manchmal so, als hätte man das eben gerade neu entdeckt. Aber auch bis in unsere Zeit hinein praxistaugliche Wegweisungen dafür haben bereits das 2. Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) und in Deutschland auf dieser Grundlage auch die „Würzburger Synode“ (1971 bis 1975) gut erarbeitet. Eine Realisierung in der Praxis steckt leider immer noch in den Anfängen. Und Schlimmstes ist zu befürchten, wenn seit neuestem die Kräfte, die sich einem Voranschreiten auf diesem Weg verschrieben haben, als „Traditionalisten“ verschrieen werden von anderen, die lieber an einem kirchlichen Stil aus der Zeit vor dem Konzil bequem – aber kontraproduktiv – festhalten wollen.

Als ein Beispiel für die aktuelle Version des alten Problems um Glaube und Politik erinnere ich mich gerne an die Zusammenarbeit im Pfarrgemeinderat (Herz Jesu Frankfurt-Fechenheim) – nach 25 Jahren immer noch brandaktuell:

Politisches Bewusstsein im Pfarrgemeinderat in der Sorge um das Reich Gottes

Die Jahre hindurch wuchs im Pfarrgemeinderat (PGR) – als Frucht der ständigen Auseinandersetzung mit der biblischen Botschaft vom Reich Gottes – das Bewusstsein: Unsere individuellen Bemühungen um Nächstenliebe im Namen von Jesus Christus und im Sinn des angebrochenen Reichs Gottes mögen noch so engagiert sein, sie sind häufig von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Denn viele Belastungen von Menschen können nur durch eine Veränderung von äußeren Rahmenbedingungen in Nachbarschaft oder Politik gemindert werden. Dieser Herausforderung hat sich der PGR zunehmend gestellt.

Aus dem Protokoll der jährlichen Klausurtagung des Pfarrgemeinderats 1998:

Welche Konsequenzen wollen wir aus unseren Erfahrungen mit den Lebensrealitäten in unserem Stadtteil und den entsprechenden Erkenntnissen aus dem Frankfurter Sozialbericht für unser Handeln als Kirchengemeinde ziehen, wenn wir dabei die Wertungen aus dem Wirtschafts- und Sozialwort der Kirchen anlegen wollen?

  • Die „gesellschafts-diakonischen“ (= politischen) Bezüge der Predigten sollen beibehalten werden
  • In der gesellschaftlichen Diakonie sind wir noch ungeübt. Da sollten wir nach Förderung suchen
  • Wir wollen in der Gemeinde die Bereitschaft fördern, auf verschiedene Weisen politisch einzuwirken, Stellung zu beziehen, und die Kompetenz, das jeweils gut begründet zu tun
  • Dazu gehört es, Rechte für Menschen einzufordern: z.B. gegenüber Wohnungsgesellschaften, Behörden und Politikern – über Einzelfallinterventionen hinaus auch für ganze Bevölkerungsgruppen. Kirche sind wir ja für alle, nicht nur für die, die sich an uns wenden
  • Wir streben an, mehr so Gemeinschaft zu sein, dass Solidarität verstärkt wird
  • Es gilt, einen Blick zu entwickeln für Frieden und Versöhnung im Stadtteil.

Aus der Klausur des Pfarrgemeinderats 1999

„Was ist uns in unserer Amtsperiode wichtig geworden?
Was wollen wir dem neuen PGR ans Herz legen?“:

Welche Ziele verfolgte der PGR?

  • Der PGR wollte seinen Blick und den der Aktiven in der Gemeinde dafür schärfen, Menschen in ihren verschiedenen Lebenssituationen wahrzunehmen, damit das pastorale Handeln der Gemeinde davon ausgeht.
  • Wir wollten dafür sorgen, so Kirche zu sein, dass Menschen etwas davon haben, z.B. Heimat sein für viele oder alle und Hilfen ermöglichen für Randgruppen, für Menschen in Not.
  • Darum waren uns z.B. folgende Bemühungen wichtig: das jährliche Wohnsitzlosenfest, das Fortführen der Sozialhilfegruppe, die Mitarbeit im Wohnwagenprojekt, die Entscheidung für Kirchenasyl – und eine Weiterentwicklung im Bewusstsein des Zusammenhangs zwischen Glauben und Leben.

Und was hat der PGR erreicht?

  • Der Vorrang der Diakonie in unserer Gemeindepastoral hat sich stabilisiert. Der PGR hat sich tatsächlich vor allem mit diakonischen Themen befasst: Leben im Stadtteil, Wirtschafts- und Sozialwort der Kirchen, an der Lebenssituation der Menschen orientiertes Erstkommunion-Konzept, Kirchenasyl.
  • Auch in der Gemeinde hat sich weiterhin das Bewusstsein entsprechend geändert.

„Schätze“, die wir in unserer Gemeinde haben, die – auch vom neuen PGR – bewahrt und gepflegt werden sollten:

  • die positive Erfahrung im Fall „Bernadette“: dauerhafter Schutz für rechtlose „illegale“ „Ausländerin“ auf Grund unserer Bemühungen; sowie die erarbeitete Position zum Thema Kirchenasyl und die ausdauernde Betreuung der befristet „geduldeten“ kurdischen Familie K.
  • die begonnene und ansehnlich fortgeschrittene Erarbeitung einer Übersicht über Lebensmöglichkeiten und deren Defizite und über soziale Brennpunkte in unserem Stadtteil; diese Stadtteilarbeit gilt es auszubauen und dementsprechend Benachteiligten den Rücken zu stärken.
  • unsere Mitwirkung im Wohnwagenprojekt: Bereitstellung von 2 Wohnwagen-Standplätzen für Wohnsitzlose in Zusammenarbeit mit dem Caritasverband Frankfurt, das Frühstück für Wohnsitzlose im Pfarrhaus und das jährliche  Wohnsitzlosenfest

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