Blogbeitrag

2023-09-16 Hibiscus gespiegelt im Glastisch

Gleichgestellt – alternative Mentalität

21. September 2023

Sonntagsbotschaft zum 24. September 2023, dem 25. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A). 

Was würden Sie sagen: Wovon ist Ihr Denken geprägt? Wie sind in Ihrer eigenen Lebensgeschichte Ihre Meinungen entstanden? Unter welchen Eindrücken und Einflüssen haben die sich verändert? Welche Erfahrungen und Einsichten sind Ihnen dabei wichtig geworden?

Wieviel Gewicht hatten Ihre Eltern, Lehrer, Freunde, Medien, …? Welche Rolle spielen für Ihr Denken und für Ihr Urteilen die Gewohnheiten und Mehrheiten in Ihrer Umgebung? Und was ist dabei Ihr ganz persönlich Ihnen Eigenes?

Gibt es auf solche Fragen überhaupt eine zuverlässige Antwort? Wie ich denke und urteile, das ist ja so vielseitig und nimmt, abhängig von Thema, Sache oder Inhalt, worum es geht, ganz unterschiedliche Gestalt an.

Warum frage ich überhaupt so?

Mein Eindruck ist: Die Bibeltexte, die an diesem Sonntag in katholischen Gottesdiensten zu hören sind, bringen eine Reihe Erschütterungen in mein Denken, vielleicht in das Denken und Urteilen vieler Menschen, möglicherweise sogar aller. Das kann verunsichern, vieles in Frage stellen. Aber es kann auch unverhoffte Auswege eröffnen und Lösungen erschließen. Was in einer Zeit vielfältiger Probleme und Krisen neugierig machen kann.

Im Evangelium des Sonntags geht es wieder einmal um das „Himmelreich“: wie es in der Welt und zwischen den Menschen zugeht, wenn der sogenannte „Himmel“ den Hut aufhat; wenn Gott „regiert“; wenn der Geist herrscht, den Jesus verkörpert und verkündet.

Das vergleicht er diesmal mit einem Vorgang aus der Arbeitswelt. Es sieht so aus, als verkünde er da eine revolutionäre Politik sozialer Gerechtigkeit im Wirtschaftsleben. Aber das ist nur die Bildebene – vielleicht kann man auch sagen: nur ein Beispiel – für ein umfassenderes, elementares Anliegen, für das er aufmerksam machen will und für das er erst einmal bei denen wirbt, die für ihn schon ein offenes Ohr haben:

Jesus erzählte seinen Jüngern
das folgende Gleichnis:
Mit dem Himmelreich ist es
wie mit einem Gutsbesitzer,
der früh am Morgen hinausging,
um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben.
Er einigte sich mit den Arbeitern
auf einen Denar für den Tag
und schickte sie in seinen Weinberg.

Ein Denar galt damals als Äquivalent für den Tagesbedarf einer Familie.

Um die dritte Stunde ging er wieder hinaus
und sah andere auf dem Markt stehen,
die keine Arbeit hatten.

Menschen also, denen es an Möglichkeit fehlte, den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie zu bestreiten.

Er sagte zu ihnen:
Geht auch ihr in meinen Weinberg!
Ich werde euch geben, was recht ist.

„Was recht ist.“ Wonach bemisst sich das?

Und sie gingen.
Um die sechste
und um die neunte Stunde
ging der Gutsherr wieder hinaus
und machte es ebenso.
Als er um die elfte Stunde
noch einmal hinausging,
traf er wieder einige,
die dort standen.
Er sagte zu ihnen:
Was steht ihr hier
den ganzen Tag untätig?

Bringt er das Vorurteil mit, sie wollten lieber faulenzen als arbeiten?

Sie antworteten:
Niemand hat uns angeworben.

Mich erinnert das an den sogenannten „Polen-Strich“: wie vor Jahren unter der Brücke am Frankfurter Ostbahnhof jeden Morgen ab 5 Uhr eine Menge Männer aus Polen standen – in der Hoffnung, wenn wieder ein Auto stehen bleibt, um einen Tagelöhner anzuheuern, dass diesmal endlich der Wink ihrer Person gelten würde.

Da sagte er zu ihnen:
Geht auch ihr in meinen Weinberg!
Als es nun Abend geworden war,
sagte der Besitzer des Weinbergs
zu seinem Verwalter:
Ruf die Arbeiter
und zahl ihnen den Lohn aus,
angefangen bei den Letzten,
bis hin zu den Ersten!
Da kamen die Männer,
die er um die elfte Stunde angeworben hatte,
und jeder erhielt einen Denar.

Die also, denen an diesem Tag der Arbeitsmarkt nur eine Stunde Arbeit ermöglicht hat, erhalten also einen Lohn in der Höhe ihres Bedarfs für den Lebensunterhalt an einem Tag für sich und ihre Familie.

Als dann die Ersten kamen,
glaubten sie, mehr zu bekommen.

Klar: Wer einem Arbeitgeber dient, ver-dient – das gilt als selbstverständlich und als gerecht in der Denkweise unserer Welt – einen Lohn, der von der Dauer der Zeit abhängt, die einer für die Arbeit investiert hat.

Aber auch sie erhielten einen Denar.

Nach einem ganzen Tag Arbeit.

Als sie ihn erhielten,
murrten sie über den Gutsherrn
und sagten:
Diese Letzten
haben nur eine Stunde gearbeitet
und du hast sie uns gleichgestellt.

Gleichgestellt.

Wir aber haben die Last des Tages
und die Hitze ertragen.
Da erwiderte er einem von ihnen:
Freund, dir geschieht kein Unrecht.

Kein Unrecht.

Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart?
Nimm dein Geld und geh!
Ich will dem Letzten ebenso viel geben wie dir. …
(Matthäus 20,1-16)

Was für ein „Tarif“ ist das? So ist es „mit dem Himmelreich“, sagt Jesus. Der „Himmel“ will, dass jeder bekommt, was er braucht. Und das soll nicht abhängig sein von dem, was der „Markt“ ihm zugeteilt hat, was Rahmenbedingungen ihm möglich gemacht haben.

Ein Bild aus der Arbeitswelt, gesehen im Zusammenhang mit den Menschen in Wirtschaft und Sozialwesen. Provozierend!

Ein Bild, das Jesus malt, um verständlich zu kommunizieren, was ihm wichtig ist, wenn es generell um das Leben und seine Chancen für alle Menschen geht!

Das geht ans Eingemachte in unserer Mentalität: an unsere Denkgewohnheiten und an die Orientierungsmaßstäbe, wie wir beurteilen, was geschieht und was geschehen soll, wie wir die Weichen stellen für unseren Weg in die Zukunft.

Wie Jesus sich das vorstellt und wie er das meint, hat er in Wort und Tat deutlich gezeigt. Und weil das weit abweicht von dem, was in unserer Welt sich eingebürgert hat, musste er beseitigt werden, damit die Menschen nicht auf „dumme Gedanken“ kommen. Die herrschenden Verhältnisse dürfen nicht angetastet werden.

Dabei ist Jesus alles Andere als ein „Radikaler“ oder ein „Extremist“, wie unsere heutige Sprache diese Worte meint. Aber an die Wurzel, also an die „radix“ der real existierenden Umstände geht er schon – und das nicht nur als harmloses „Radies-chen“, sondern ohne Angst vor der Schärfe, die es ihm einbringt, wenn er auf das himmelschreiende, also extreme Unrecht aufmerksam macht, das auf herrschendem Denken und Urteilen beruht.

Diesem Evangeliums-Abschnitt hat die Kirche sehr hellsichtig – ja, das gibt es in ihr! – einen Prophetentext als 1. Lesung des Sonntags zugeordnet, der die Basis deutlich macht, auf der Jesus mit seinem Gleichnis steht:

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken
und eure Wege sind nicht meine Wege –
Spruch des HERRN.
So hoch der Himmel über der Erde ist,
so hoch erhaben sind meine Wege
über eure Wege
und meine Gedanken
über eure Gedanken.

Leider haben ja unsere Hörgewohnheiten dazu geführt, dass – nach schlimmsten Verletzungen durch spirituelle Machtmissbräuche in der Kirche – wir solche Worte als einschüchternde Schuldvorwürfe hören, die den Kopf einziehen lassen, statt aufzuatmen.

Dass diese Worte aber das Gegenteil wollen, nämlich ermutigen zum aufrechten Gang in eine andere Zukunft, das zeigen die Worte, mit denen dieser Text beginnt:

Sucht den HERRN, er lässt sich finden,
ruft ihn an, er ist nah!
Der Frevler soll seinen Weg verlassen,
der Übeltäter seine Pläne.
Er kehre um zum HERRN,
damit er Erbarmen hat mit ihm,
und zu unserem Gott;
denn er ist groß im Verzeihen.
(Jesaja 55,6-9)

Eine große Einladung zum Vertrauen auf den „Himmel“, die Maßstäbe und die Bestrebungen, an die wir uns in unserm Denken gewöhnt haben, von ihm in Frage stellen zu lassen – in der Gewissheit: Es ist möglich, dass alle Menschen den Anteil an den Ressourcen erhalten, den sie zu einem erfüllten, menschlicher Würde entsprechenden Leben brauchen!

Anregung für die weitere Beschäftigung hiermit gibt vielleicht der – alte! – Handzettel fürs Predigtnachgespräch nach dem Gottesdienst am 19. September 1981: Leistung und Lohn

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