Blogbeitrag

Tacho null Handbremse

Handbremse lösen!

20. Februar 2021

Sonntagsbotschaft des 21. Februar 2021 (1. Fastensonntag im Lesejahr B) 

In 3 Wochen wählen wir in Hessen die kommunalen Parlamente neu. Haben Sie sich schon entschieden, wen Sie wählen? Und wissen Sie auch, warum Sie so entscheiden? Für viele von uns sind da noch Fragen offen.

Das Corona-Virus und die Maßnahmen zum Schutz vor seiner Ausbreitung bringen viele Gewohnheiten durcheinander. Verunsicherungen und Ängste behindern uns. Das Durcheinander der Einflüsse, die auf uns einwirken wollen, ist ziemlich unübersichtlich geworden. Wie kommen wir zu klaren und hilfreichen Entscheidungen, die wir dann gemeinsam tragen können?

Kirche lockt zur Zeit ziemlich down. Zugleich brodelt Leben in ihr. Nicht nur im Erzbistum Köln. Synodale Wege werden abgebremst. Eigentlich wissen wir, was Kirche ist. Was hält uns zurück, dafür mehr Sorge zu tragen?

Und überhaupt in allen Bereichen des Lebens. Überall unterschiedliche Kräfte, die auf mein Verhalten einwirken wollen: Einflüsse aus dem gesellschaftlichen und dem kirchlichen Mainstream, andere aus den Medien, aus Erziehung und Kultur, die eigenen Lebenserfahrungen, Meinungen von Freunden und Kollegen, Leistungsdruck und Konkurrenzkampf, die Beschwernisse einer Krankheit … der Druck, irgendwie über die Runden zu kommen … Wieviel Macht hat das über mich, ohne dass ich es merke? Wie komme ich zu Entscheidungen, bei denen ich dann auch ein gutes Gefühl haben kann?

Viele verstehen sich als Christen. Ich auch. Und wir wissen, viele erwarten dann von uns, dass wir auch als Christen handeln. Was immer sie darunter verstehen mögen. Wie steht es darum? Und was halten wir selber davon?

Unser Weg als erwachsene Christen fängt meistens an mit der gelernten Wertschätzung für christliche Überzeugungen. Damit kommen wir dann immer wieder an Orte, die uns gar nicht schmecken: Wenn ich merke, da müsste ich eigentlich den Mund aufmachen und Stellung beziehen. Oder wenn ich merke, dass die bisherigen Gewohnheiten in die Irre führen; dass ich mich durch angebliche Selbstverständlichkeiten habe täuschen lassen. Wenn ich mich durch Rahmenbedingungen zu einem Verhalten veranlasst sehe, von dem ich weiß: das ist nicht gut, das schadet. Schadet Menschen, schadet dem Lebensraum Erde …

Was können denn die tun, denen die Knie schlottern, wenn sie eigentlich auf einem profiliert christlichen Lebens- und Glaubensweg ihren Glauben an Christus leben und bezeugen wollen, sich aber mit entgegengesetzten Einflüssen und Kräften konfrontiert sehen? Wie können wir den Widerspruch vermeiden zwischen dem, was wir sagen, und dem, was wir tun?

Einer von uns – so bezeichne ich ihn mal zunächst – hat es uns vorgemacht.

Jesus. Er weiß, was er will. Sein Weg ist voller Lebendigkeit und fasziniert Menschen, die ihn erleben. Er richtet Menschen auf, die unter allem Möglichen zu leiden haben. Dazu verkündet er: „So sieht das Reich Gottes aus! Und das soll sich jetzt überallhin ausbreiten!“ Das drängt ihn vorwärts. Er kämpft gegen das gesellschaftlich übliche Prinzip von „Gerechtigkeit“, das Lohn und Strafe nach „Verdienst“ zuteilt. Dagegen verkörpert er Gottes Gerechtigkeit: Schuld soll Vergebung finden! Der Mensch soll frei werden fürs Leben!

Menschen finden ihre Freude an ihm und werden seine ersten Anhänger. Aber seine belebende Kraft und die mächtigen beharrenden Kräfte der Gesellschaft – das verträgt sich nicht miteinander: Jesus löst Ärger aus. Bei denen, die die Regeln der Macht über alles stellen; die sich pseudo-fromm empören über seinen Glauben an einen Gott, der sich vor allem denen rettend zuwendet, die in „Sünde“, im „Grab“ leben.

Die Auseinandersetzung zwischen ihnen und Jesus kommt schnell auf Touren. Ein energiegeladener Konflikt baut sich auf. Wie kommt Jesus damit klar? Wird er sich bremsen oder gar aufhalten lassen?

Und die Freunde, die mit ihm gehen, riskieren natürlich, sein Geschick mit ihm teilen zu müssen. Aber das tritt für sie erst einmal zurück hinter ihre Begeisterung für Jesus und sein Vorhaben. Er selber muss seinen eigenen Weg klären. Muss sich finden. Bevor es richtig los geht. Er geht abseits. Allein. Wozu? Sehr knapp – typisch Markus – erzählt der Abschnitt aus dem Evangelium dieses Sonntags (Markus 1, 12–15):

In jener Zeit
trieb der Geist Jesus in die Wüste.
Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste
und wurde vom Satan in Versuchung geführt.
Er lebte bei den wilden Tieren
und die Engel dienten ihm.

Es treibt ihn in die Wüste, in die Einsamkeit. Dort drohen Gefahren: „Wilde Tiere“. Was ist sein Antrieb? Wovon lässt er sich leiten? „Vom Geist“. Da bietet sich ihm auch der „Dienst der Engel“ an. Er braucht Zeit und er nimmt sie sich. Der Evangelist sagt „40 Tage“. Wie das alte Volk Israel in der Wüste – 40 Jahre. Zeit, die es braucht für den Weg zur klaren Entscheidung, was ihr Verhalten bestimmen soll: Entweder Vertrauen zu Gottes Führung in die Freiheit – oder Angst und Enttäuschung wegen der Gefahren und Einschränkungen, die damit verbunden sind. Jesus braucht dafür 40 Tage in der „Wüste“. Er hat einerseits das Ziel vor Augen, das er mit seinem Weg anstrebt, das ihn lockt und antreibt. Andererseits erlebt er die Regungen in sich selbst und die Einflüsse von außen, die ihn auf seinem Weg bremsen und aufhalten wollen. Die „Wüstenzeit“ braucht er, um schließlich klar mit sich selbst und ungebremst seine Lebensaufgabe zu erfüllen. Man kann auch sagen: Er braucht diese Zeit mit sich allein, um Gott und sich selbst treu zu bleiben und um sich und seine Lebensaufgabe, seine Berufung zu verwirklichen. Eins sein mit Gott und seinem Willen, das ist ihm wichtig. Das ist seine Quelle. Er macht sich bereit, den Versuchungen, die ihn daran hindern wollen, effektiv zu begegnen. Was ihn abbringen will von seinem Weg – der Evangelist nennt es „Satan“ – von solchen Einflüssen distanziert er sich in der echten Tiefe seines Herzens, macht sich frei davon. Das hat dann keine Macht mehr über ihn.

Situationen, die ihn auf die Probe stellen, gibt es auf seinem Weg ja genug: Einflüsse, die ihn davon abhalten wollen, sich unter Einsatz seines Lebens für die Menschen einzusetzen – der Macht der Mächtigen entgegen:

Da will seine Familie ihn für verrückt erklären! (vgl. Markus 3,21) Da sie ihn lieben, meinen sie es ja gut mit ihm. Und da sie sehen, dass Jesus mit seinem Engagement seinen Gegnern ins Messer läuft, greifen sie beschwichtigend ein, um ihn zu schützen. Er sei „von Sinnen“, von ihm gehe doch gar keine Gefahr aus! Sie wollen ihn wegholen. Und Jesus? Taktieren? Gegen alle Versuchung muss er klar und eindeutig bleiben: Wenn es um Gottes Zuwendung zu am Leben gehinderten Menschen geht, dann kann es für ihn keine Kompromisse geben.

Und seine Freunde? Eines Tages spricht Jesus sie offen an auf die bevorstehenden Gefahren. Sie sollen rechtzeitig wissen, wohin der Weg führt, auf dem sie mit ihm gehen. Also sagt er zu ihnen: „Wir gehen nach Jerusalem. Dort werden sie einen Weg finden, mich zu beseitigen; sie werden mich umbringen.“ Da schauen sie ihn erschrocken an. „Nein, um Gottes willen!“ ruft Petrus entsetzt. Und er versucht, ihn von seinem Plan abzubringen. Die Perspektive, die am Kreuz endet, ist ihm ein Ärgernis. „Das kannst du doch nicht, wir brauchen dich doch!“ Jesus, derart in Versuchung geführt, kann nur sagen: „Weg von mir, du Satan!“ Es muss sein; und Gott will es. (vgl. Matthäus 16,21-23)

Und am Ende – in Jerusalem – wo er sich für die Nacht mit seinen Leuten im Garten Gethsemani versteckt, ringt er in seiner eigenen Todesangst mit Gott: Muss das denn wirklich sein? Kann dieser Kelch nicht an mir vorübergehen? – Und als sie ihn finden und festnehmen, weicht er nicht aus. „Lasst wenigstens die anderen gehen!“ Und er stellt sich dem Ende.

Wie können wir – vor allem wenn wir als Christen uns irgendwie als ihm zugehörig verstehen – von Jesus Anregung und Ermutigung übernehmen?

Da hören wir – in der Fortsetzung des Sonntags-Evangeliums nach den 40 Tagen von Jesus in der Wüste:

Nachdem Johannes ausgeliefert worden war,
ging Jesus nach Galiläa;
er verkündete das Evangelium Gottes
und sprach:
Die Zeit ist erfüllt,
das Reich Gottes ist nahe.
Kehrt um
und glaubt an das Evangelium!

Offensichtlich ist er sich in seinen 40 Tagen der Besinnung in der Wüste klar geworden. Das ist es, worauf es jetzt ankommt im Verhalten der Einzelnen wie auch in aller Politik im Gemeinwesen: Alles darauf bauen, dass unser Ja zu Gottes Herrschaft in ein gutes Leben für alle Menschen führt.

Aber auf was können, sollen, wollen wir das konkret beziehen? Und wie soll uns das gelingen – angesichts so vieler anderer Stimmen?

Wir können uns Jesus zum ermutigenden Beispiel nehmen. Sein erster Schritt in dieser Situation ist, sich der Versuchungen innezuwerden, die ihn auf dem eigenen Weg abbremsen und blockieren könnten. Er macht sich bewusst: Welche Regungen in mir und welche Kräfte von außen wollen Einfluss auf mich nehmen, dass ich abweiche von Gottes Ruf und von der eigenen Überzeugung und dass ich mich im Widerspruch dazu verhalte?

Ich bin also für den Weg mit ihm motiviert, starte, lege den Gang ein und gebe Gas. Skeptisch mir selber gegenüber, ich könnte die Palette mich vielleicht bremsender Versuchungen auf Unverfängliches beschränken, um mich zu schonen, gehe ich „neutral“ vor. Also werfe ich einen Blick in die Google-Auflistung von Bildern zum Stichwort „Versuchung“. Und schon merke ich, dass ich mit angezogener Handbremse gestartet bin. Natürlich spiegelt sich bei Google die überall übliche, vom Wesentlichen ablenkende Verharmlosung: Sex und Süßes gelten da als „Versuchung“, dann noch mit Abstand Alkohol – und das war’s. Oh, sag ich mir, das kommt ja auch der kirchlich eingebürgerten Fasten-Tradition nahe! Und – da ich ehrlich sein und mir nichts vormachen will – weiß ich: Ich muss es machen wie Jesus und mir Besinnungszeit gönnen und mich ganz persönlich und ehrlich fragen.

Was hindert, was bremst mich? Was blockiert mich, obwohl ich doch Gas gebe, um in Übereinstimmung mit meinen Zielen auf dem Weg des Glaubens mit Christus weiterzukommen in dieser Zeit und Welt? – Wo ist die Handbremse, die ich offensichtlich unwillkürlich gezogen habe?

Schnell, bevor ich zu einem Ergebnis gekommen bin, schiebt sich wieder „etwas“ dazwischen: „Umkehr“ – „kehrt um!“ – dieses Stichwort ist ja in den Wochen vor Ostern häufig zu hören. Aber das richtet sich in der Bibel doch an Menschen, die noch nicht an Christus glauben. Ich bin doch schon ein Christ! Ich werd‘ doch nicht wieder umkehren, also den Weg zurück gehen! Aha, ich bin mit diesem Ruf gar nicht gemeint! – So dachten Menschen in Gottes Volk wahrscheinlich schon immer.

Nur: An den meisten Stellen der Bibel – seit der Zeit der Propheten im Alten Testament – richtet sich der Ruf zur Umkehr gerade an Menschen, die sich längst als Glaubende verstehen! Als Glaubende leben sie in dieser Welt – also mit den unvermeidlichen Einflüssen aus Umgebung, Erziehung und Kultur, mit wirtschaftlichen Zwängen, … Alles das formt und bestimmt den Blick und die Bestrebungen auch von glaubenden Christen! Immer wieder geschieht es dann, dass auch unsere Vorstellungen von Gott an diesen Einflüssen Maß nehmen und deshalb zurückfallen in Bilder von der Macht und vom Recht des Stärkeren.

Was die Bibel uns von Gott sagt, das ist ja auch so unerhört voller Liebe und Erbarmen, dass man es kaum glauben und nur sein Leben lang hineinwachsen kann. Ein Weg, auf dem wir leicht dem Druck zur Anpassung an das in unserer Welt Übliche unterliegen.

Jesus behält im Blick, dass dieser Geist der Liebe ausgenutzt werden wird. Aber mit eben dieser Liebe, die den Menschen und sein Wohlergehen zum höchsten Wert macht, weil der Mensch ihm „heilig“ ist, sakrosankt ist, – mit dieser Liebe stellt er sich dem großen Risiko, missbraucht zu werden. Die Angst vor diesem Ausgenutzt-Werden, vor der ganz großen Verletzung ist die stärkste Versuchung, die uns – auch bei Vollgas – einfach nicht vorankommen lassen will.

Also: Hand an die Bremse und lösen! Dann kann es werden. Er kehrt alles um; als „Werte“ Anerkanntes verwandelt er ins Gegenteil:

  • Er, der Eine, der angeblich nichts tun kann, verändert die ganze Welt!
  • Das Recht des Stärkeren verwandelt er in die Pflicht des Stärkeren, dem Schwächeren zu dienen.
  • „Haste was, dann biste was“ – verwandelt er in: Du bist mir unendlich viel wert – egal wie viel du hast!
  • „Der Schuldige muss bestraft werden“ – verwandelt er in höchsten Respekt für die Würde auch des Menschen, der schuldig geworden ist!
  • „Belohnt wirst du, wenn du …“ – verwandelt er in „Du verdienst den Lohn, weil du geliebt bist!“
  • Denen ihr Recht vorenthalten wird, die bekommen jetzt ihr Recht – ganz auf den Spuren der biblischen Botschaft seit eh und je!
  • Der alten Erfahrung mit Gott gibt er neue Gestalt: „Du hast mir gezürnt, o Herr, doch dein Zorn hat sich gewendet und du hast mich getröstet!“ (Jes 12)

„Change“ bringt er!

Diesen Wandel, der mit Jesus unter die Menschen kommt, kann man nur

  • entweder radikal ablehnen,
    bestenfalls als unrealistisch oder irrelevant belächeln,
  • oder sich ihm radikal anvertrauen.

Die sich unterworfen und angepasst hatten, aber jetzt umkehren wollen zu einem Tun, das ihren Worten und Überzeugungen entspricht, hören – in der „Laudes“ am Samstag – aus dem 1. Kapitel des Jesaja-Buchs den Aufruf:

Lasst ab von eurem üblen Treiben!
Lernt, Gutes zu tun!
Sucht das Recht!
Schreitet ein gegen den Unterdrücker!
Verschafft den Waisen Recht,
streitet für die Witwen!

Auferstehung soll werden, Auferstehung für alle aus allen Toden – neues Leben, das den Tod weder tot schweigt noch verharmlost, sondern überwindet – durch Jesus Christus!

Kennen Sie andere Menschen, die von sich zeigen oder sagen, dass sie Christen sind? Suchen Sie sie auf! Tauschen Sie sich mit ihnen aus! Das löst bei allen Beteiligten die Bremsen! – Wenn nicht Fastenzeit wäre, würde ich jetzt anfügen „Halleluja!“

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